5. Kapitel
H O P E
Es war einer der schönen Tage im Dezember. Die Sonne kroch hinter den schneebedeckten Wolken hervor und strahlte in ihren hellsten Farben. Der Schnee glitzerte und es sah wie in einem Wintermärchen aus, als ich den kleinen Park der Stadt überquerte. Der See war zugefroren und die Wiesen, Bäume und Gehwege waren mit einer dicken Schneeschicht bedeckt. Ich beobachtete beim Vorbeilaufen die Kinder, die auf der Wiese Schneemänner bauten oder sich im Schnee wälzten, mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Einen Moment lang traten Erinnerungen meiner Kindheit hervor, wie ich stundenlang auf der Straße verbracht hatte, wenn es geschneit hatte, um dort Schneemänner zu bauen, Schneeengel zu formen und die vom Himmel fallenden Schneeflocken mit der Zunge aufzufangen. Der Schnee hatte mich schon immer fasziniert und war eines der schönsten Dinge im Winter.
Zurück im Stadtinneren mischte ich mich unter die hektische Menge, der es nicht schnell genug gehen konnte. Mit Taschen und Tüten bepackt quetschten sie sich an den anderen Passanten vorbei und gaben dabei nicht einmal Acht auf die anderen. Einer älteren Frau fiel das Handy aus den Händen, als ein Mann sie beim Vorbeigehen rempelte. Er entschuldigte sich nicht einmal, sondern folgte der hektischen Menge. Ich schüttelte den Kopf über die Unfreundlichkeit mancher Menschen. Ich steckte meine Hände in die Taschen meines Mantels, weil sie fast zu Eis gefroren – so kalt war es trotz Sonne.
Ich überquerte die befahrene Straße an einem Zebrastreifen und kassierte sogleich einen genervten Blick des Autofahrers, der wegen mir anhalten musste. Ich ignorierte die finsteren Blicke und betrat kurze Zeit später das Cafè, in dem ich mich gleich mit Damian treffen würde. Ich freute mich so unendlich sehr, ihn nach Wochen wiedersehen zu können. Durch unseren Job konnten wir uns nicht mehr so oft treffen wie damals, und ich spürte jeden Tag, an dem wir uns nicht sahen, wie wir lernten, ohne einander auszukommen. Ich hatte schon befürchtet, dass er mich ganz aus seinem Leben gestrichen hatte, als wir uns vier Wochen lang nicht gesehen haben und er sich auch nicht bei mir gemeldet hatte. Umso glücklicher war ich darüber, als er mich überraschenderweise angerufen und nach einem Treffen gefragt hatte. Doch das lag auch schon wieder eine Woche hinter uns, weswegen ich es kaum erwarten konnte, ihn wiederzusehen. Anderseits trug ich ein mulmiges Gefühl bei mir. Würden wir genauso gut ins Gespräch kommen wie sonst auch? Und würde er mich über mein gestriges Date ausfragen? Momentan wollte ich über die jetzige Situation meines Liebeslebens nicht sprechen, und ich hoffte, er würde das verstehen. Ich hatte da jedoch meine Zweifel . . .
Die Klingel über der Tür des Cafès ertönte, als ich diese öffnete. Sofort kam mir der Geruch von frischem Kaffee und Kuchen entgegen, den ich genüsslich einatmete. Eine angenehme Wärme traf auf meinen durchgefrorenen Körper, die sich jedoch im ersten Moment auf meinem kalten Gesicht und Händen wie kleine Nadelstiche anfühlten.
Mein Blick wanderte durch den Raum, doch ich konnte an keinem Platz Damian sitzen sehen. Demnach suchte ich einen Tisch für uns und wählte dabei unseren Stammplatz am Schaufenster. Hier saßen wir oft nach der High School und haben uns stundenlang unterhalten. Es waren schöne Tage, die ich keinesfalls missen möchte.
Sich an diese Momente zurückzuerinnern war schön, aber mit ihnen kamen auch die Erinnerungen an Adam. Sie hinterließen ein kleines Stechen in meiner linken Brust. Ich mied es, an das Haus seiner Eltern oder an der High School vorbeizulaufen, denn das verkraftete mein Herz nicht. Nicht kurz nach unserer Trennung und selbst nach all den vielen Jahren nicht. Es wird besser, Tag für Tag, aber verschwinden wird dieses Gefühl, unvollkommen zu sein, niemals. Mein Leben und ich selbst wären erst vollkommen, wenn er zurückkommen und nicht mehr von meiner Seite weichen würde.
»Was kann ich dir bringen?« Mein Kopf schnellte zur Seite und ein überraschter Ausdruck legte sich über mein Gesicht. Vor mir stand tatsächlich Scott.
»Scott« brachte ich freudig heraus und konnte es noch immer nicht glauben, dass er hier war. Er war lange Zeit arbeitslos und hatte sich von den Drogen nicht loslösen können. Wir hatten nicht sonderlich viel Kontakt in der Zeit seiner Drogensucht gehabt, aber das Thema hatte mich nicht losgelassen. Ich hatte mir immer Sorgen um sein Leben gemacht und inständig gehofft, dass diese Qualen bald zu Ende seien. Und tatsächlich schien er es geschafft zu haben, sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Er sah gut aus, viel gesunder und zufriedener.
Vielleicht sollte ich ihn hassen, für das, was er mir angetan hatte, aber das konnte und wollte ich nicht. Ja, er hatte einen Fehler gemacht, aber das tun wir alle und er hatte genauso eine zweite Chance wie Adam verdient. Und Scott hatte sich wirklich viel Mühe gegeben, es wiedergutzumachen. Nicht nur, dass er Adams und meine Beziehung als Erstes akzeptiert hatte, sondern auch dass er nach der Trennung für mich da gewesen war. Er hatte nicht wie alle anderen Freunde ständig angefangen, von Adam zu sprechen, sondern mir immer zugehört, wenn ich mich ihm anvertraute und mein Herz ausschüttete. Wir hatten oft Zeit miteinander verbracht und ich hatte in der ganzen Zeit nicht gemerkt, dass er auch jemanden zum Reden gebraucht hätte. Stattdessen hatte ich einfach weiter von meinen Problemen gesprochen und mich ablenken lassen und er hatte seine Probleme in sich gefressen, bis er den einzigen Ausweg in Drogen sah. Das war das, was ich am meisten bereute. Dass ich es nicht gemerkt hatte und nicht genauso für ihn da gewesen war, wie er für mich.
»Du arbeitest jetzt hier?« fragte ich interessiert nach. Scott nickte. Dann setzte er sich auf den Platz mir gegenüber.
»Wie geht's dir?« fragte ich weiter nach. Ich betrachtete sein Gesicht. Die tiefen Augenringe, die roten Augen und die Blässe in seinem Gesicht waren verschwunden. Stattdessen strahlte er voller Zufriedenheit.
»Es wird von Tag zu Tag besser« sagte er, woraufhin sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen stahl. Er hatte es nicht verdient, so leiden zu müssen, denn er war ein guter Mensch. Ich freute mich deshalb so sehr für ihn, dass er zurück ins Leben gefunden hatte.
»Ich wusste, dass du es schaffen würdest« meinte ich mit einem sanften Lächeln. »Ich bin stolz auf dich«
Das Strahlen erreichte seine Augen und ich erkannte den alten Scott wieder. Der Scott, der unbeschwert durchs Leben ging, auch wenn es mal nicht so gut lief.
»Scott! Tisch 5!« zischte ein Mitarbeiter beim Vorbeilaufen an unserem Tisch genervt zu, bevor er sich einem anderen Tisch widmete und das Geld entgegennahm. Scott verdrehte die Augen, bevor er sich entschuldigend davonmachte. Dabei hatte er prompt vergessen, meine Bestellung aufzunehmen.
Ich wandte meinen Blick von Scott ab und sah aus dem Schaufenster. Die Menschen huschten die Straße entlang und pressten ihre Handys gegen ihr Ohr. Niemand achtete auf andere. Niemand ließ anderen Vorrang. Niemand zeigte Geduld mit anderen. Jeder war auf sich fokussiert. Ich hasste es.
Die Klingel der Tür ertönte ein weiteres Mal und riss mich aus meinen Gedanken. Ich drehte meinen Kopf nach vorne und begegnete Damians Blick. Auf seinen Lippen erschien ein Grinsen, das von Sekunde zu Sekunde breiter wurde. Er kam auf mich zu und zog mich in eine Umarmung, kaum war ich von meinem Platz aufgestanden. Meine Arme legten sich um seinen Bauch, während seine sich um meinen Hals schlangen.
»Da hat mich aber jemand vermisst« murmelte Damian und grinste, als wir uns nach einer Weile voneinander lösten und gegenüberstanden. Ich sagte nichts darauf, sondern setzte mich und er machte es mir gleich.
»Wie geht es dir?« begann ich zurückhaltend ein Gespräch zwischen uns beiden, doch meine Bedenken, nichts könnte mehr so sein wie früher, waren völlig unbegründet gewesen. Wir unterhielten uns über alles Mögliche, lachten miteinander und fühlten uns in der Zeit zurückversetzt. Scott brachte uns unsere Bestellung, die sich in all den Jahren nicht geändert hatte. Wir sprachen weiter über unsere letzte Woche und so kam es dazu, dass er mich über mein gestriges Date ausfragte. Er wollte alles wissen, während ich verlegen den Blick senkte und überlegte, was ich nun sagen sollte. Ich wollte ihm nicht erzählen, dass ich so etwas wie eine Affäre hatte und das auch noch mit meinem Chef. Wenn sich daraus etwas Ernstes entwickeln sollte, würde ich es ihm sagen, aber jetzt noch nicht. Also schwieg ich bei jeder Frage, die er mir stellte, um etwas über mein gestriges Date und über diesen Mann herauszufinden.
»Komm schon, sag mir wenigstens seinen Namen« Ich schüttelte vehement den Kopf.
»Kenne ich ihn?« fragte er weiter nach, in der Hoffnung, ich würde irgendwann nachgeben und etwas sagen. Doch ich schwieg. Er seufzte.
»Komm schon Hope, ich bin doch dein bester Freund« flehte er mich an und beugte sich nach vorne. Ich schüttelte den Kopf, um ihm zu signalisieren, dass ich mein Schweigen nicht brechen würde, und drehte den Kopf zur Seite, in der Hoffnung, er würde so verstehen, dass ich nicht länger darüber sprechen möchte.
»Okay, ich gebe auf« sagte er mit einem theatralischen Seufzen und lehnte sich zurück. »Nicht für immer, aber für heute« fügte er hinzu.
Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, weshalb ich den Mund hielt und gar nichts sagte. Damian schien ebenfalls zu überlegen, wie er dieser unangenehmen Stille, die sich über uns gelegt hatte, ausweichen konnte. Dabei fiel ihm jedoch nichts besseres ein, als über alte Schulfreunde zu reden. Er verlor ein paar Worte über Scott und sah ihm anerkennend hinterher. Ich folgte seinem Blick und beobachtete einen kleinen Moment lang, wie Scott mit Kunden an einem Tisch lachte, bevor er deren Bestellung aufnahm und hinter der Theke verschwand. Ich lächelte schwach bei dem Anblick, wie glücklich er doch war.
»Weißt du eigentlich schon das Neuste von Adam?« wechselte Damian spontan das Thema und traf mich mitten ins Herz.
Nein, woher denn auch dachte ich, doch schüttelte bloß den Kopf. Ich ignorierte dabei den kleinen Stich mitten in mein Herz, als ich seinen Namen gehört hatte. Im Grunde wollte ich es gar nicht wissen, denn seit unserer Trennung ging mich sein Leben nichts mehr an und er konnte tun und lassen, was er wollte.
»Okay, so neu ist das eigentlich gar nicht mehr, aber ich habe es erst letzte Woche von einem Kollegen erfahren, der jemanden kennt, der wiederum Adam kennt« redete er weiter und merkte gar nicht, wie weh mein Herz bereits tat.
»Er soll verlobt sein« Da war es wieder: Diese unerträgliche Leere, das Aussetzen meines Herzschlags und der Kloß in meinem Hals. Adam soll was?
Jede verdammte Nacht lag ich in meinem Bett und wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er zurückkehren und mich in seine starken Arme nehmen würde, während Adam eine andere Frau gefunden hatte, mit der er glücklich werden konnte. Er brauchte mich nicht länger und hatte mich wahrscheinlich längst vergessen. Er hatte gelernt, ohne mich glücklich zu sein, während ich ihm und unserer zerbrochenen Liebe immer noch hinterhertrauerte. Zwar hatte ich Derek, aber ich wusste, wäre Adam zurückgekommen, hätte ich alles und jeden stehengelassen.
»Es ist Tessa, das Mädchen vom College. Du kannst dich sicherlich noch an sie erinnern, oder?« Natürlich konnte ich das. Wie könnte ich das Mädchen, das kurz nach der Trennung mit dem Jungen, den ich über alles liebte, zusammenkam, nur vergessen? Das war praktisch unmöglich.
Damian erzählte weiter von den beiden, was er wusste und was er über die beiden dachte, und bemerkte dabei nicht, wie sehr mich das verletzte. Doch ich konnte es ihm nicht zum Vorwurf machen, denn er wusste nicht, wie sehr ich noch an Adam hing. Das wusste keiner. Keiner außer Scott, den ich aus Verzweiflung eines Nachts angerufen und ihm die Wahrheit erzählt hatte. Ich hatte ihm alles, einfach alles gesagt. Er hatte mir zugehört und nach dieser Nacht kein Wort mehr über Adam verloren, weil er als einziger verstanden hatte, dass ich ihn nicht loslassen konnte.
Ich spürte, wie Tränen aufstiegen, je länger ich an Adam dachte. Es schnürte mir den Hals zu, sodass ich nicht mehr im Stande war, etwas zu sagen. Ich musste hier weg, bevor ich vor Damian in Tränen ausbrechen würde. Also stand ich auf. Damian hielt sofort inne in seinem kleinen Monolog und sah mich fragend an. Ich zeigte mit dem Finger Richtung Damentoilette und verschwand gleich darauf hinter dieser Tür. Bereits, als ich meinem besten Freund den Rücken kehrte, erstarb mein Lächeln und eine Träne bahnte sich bereits einen freien Weg über meine Wange. Ich verbarrikadierte mich in einer der Kabinen. Dort war es um mich geschehen. Die Tränen flossen aus meinen Augen und Schluchzer erfüllten den ruhigen Raum. Meine Hände legten sich um meinen Hals, der sich anfühlte, als bekäme ich keine Luft mehr. Er schnürte sich immer weiter zu, je länger ich das Bild vor meinen Augen hatte, wie Adam in einem maßgeschneiderten Anzug und Tessa in einem schneeweißen Hochzeitkleid vor dem Altar standen und sich das Ja -Wort gaben, das sie Sekunden später mit einem Kuss versiegelten.
Ich wollte Adam und unsere Vergangenheit hinter mich lassen und nach vorne blicken, doch mit jeder Neuigkeit, mit jeder Kleinigkeit, die jemand über Adam und sein perfekt klingendes Leben erwähnte, kehrte ich zurück in das Vergangene und zurück zu dieser Leere in meinem Herzen. Ich wollte nicht länger um ihn weinen, doch ich schaffte es einfach nicht, weil Adam noch immer einen zu großen Platz in meinem Herzen einnahm.
Wieso hatte ich nicht länger um ihn gekämpft? Ich hatte ihn einfach gehen und ihn in die Arme von Tessa laufen lassen. Und jetzt durfte sie ihn haben und ich nicht. Das war so ungerecht und unfair.
Ich schniefte und wischte mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Ich versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu bringen und Adam in den Hintergrund rücken zu lassen. Ich verbrachte schon viel zu lange in dieser Kabine, und wenn ich nicht bald zurückkehren würde, könnte Damian Verdacht schöpfen, dass etwas nicht stimmen würde. Also verließ ich kurzerhand die Kabine und stellte mich vor das Waschbecken. Ich starrte mein Spiegelbild eine kurze Zeit lange an und erwischte dabei eine Träne, die über meine Wange rollte. Vor meinem inneren Auge sah ich nämlich Adam, der mir sein unwiderstehlich süßes Lächeln zeigte, dass ich so sehr vermisste.
Ich klammerte meine Hände um den Rand des Waschbeckens und schnappte nach Luft. Dann, als ich mich wieder beruhigen und Adam verschwinden lassen konnte, drehte ich langsam den Wasserhahn an und schüttete mir eine Ladung Wasser ins Gesicht. Ich übte vor dem Spiegel ein überzeugendes Lächeln für Damian und verließ die Damentoilette, als ich mich wieder gefasster und sicherer fühlte.
Damian bemerkte meiner Gefühlswandlung und meiner vorgespielten Fröhlichkeit nichts an, während Scott, der mir auf halbem Wege begegnet war, mir mit seinen Blicken deutlich machte, dass er wusste, dass mich etwas bedrückte und ich es vor ihm nicht verheimlichen konnte. Doch zu meinem Glück sagte er nichts und ließ mich Damian meine Show vorspielen.
»Scott war in der Zwischenzeit hier. Ich habe dir noch einen Kaffee mitbestellt« erwähnte Damian, als ich mich ihm gegenübersetzte.
»Danke« murmelte ich und fragte ihn nach seiner letzten Reise, bevor er weiter von Adam sprechen konnte. So erzählte er die nächste Zeit von dieser Geschäftsreise und ich konnte Adam mit jeder Minute mehr vergessen. Scott brachte zwischenzeitlich unsere zweite Bestellung und warf mir einen merkwürdigen Blick zu, als würde er sich Sorgen um mich machen. Ich war mir zu diesem Zeitpunkt sicher, dass er mich später ansprechen oder anrufen würde, wenn wir allein waren, und er mich nicht in Ruhe lassen würde, bevor ich ihm gesagt hatte, was mich bedrückte. Und genau das passierte auch.
Als es draußen dämmrig wurde, bezahlte Damian für uns beide, half mir in meinen Mantel und zog sich selbst seine Jacke über, bevor wir gemeinsam das Cafè verließen. Auf den Straßen war ein wenig Ruhe eingekehrt. Ein paar Autos fuhren die Straße entlang und nur wenige Passanten schlenderten um diese Zeit noch durch die Stadt.
»Soll ich dich mitnehmen?« fragte Damian und kramte aus seiner Jackentasche den Autoschlüssel heraus. Ich schüttelte den Kopf.
»Nein, den kurzen Weg kann ich auch laufen« fügte ich hinzu.
»Sicher?« hakte Damian nach. Ich nickte.
»Sicher« Er nickte langsam, bevor er mich in eine Umarmung zog, um sich von mir zu verabschieden.
»Melde dich, wenn du zuhause bist, dass ich weiß, dass du gut angekommen bist« murmelte Damian, bevor er sich von mir löste und sich seinem Auto zuwandte. Ich blieb stehen und sah ihm zu, wie er losfuhr. Kaum war er um die nächste Ecke gebogen, erstarb mein aufgezwungenes Lächeln und ich seufzte. Meine traurige Miene trat hervor, während sich langsam aber sicher Adam zurück in den Vordergrund drängte. Er wollte einfach nicht aus meinem Gedächtnis verschwinden, egal wie sehr ich es auch versuchte. Vor allem nicht, seit ich von seiner Verlobung mit Tessa wusste.
Ich machte mich auf den Weg nach Hause. Ich vergrub meine Hände in den warmen Taschen meines Mantels, um sie vor der eisigen Kälte zu schützen. Im Gegensatz zu heute Nachmittag war es noch viel kälter draußen geworden. Die Scheiben der geparkten Autos froren langsam zu und eine Frostschicht bildete sich auf dem Boden, die an den meisten Stellen von dickem Schnee bedeckt war.
Ich kam jedoch nicht weit, denn bereits nach ein paar Schritten hörte ich Scott meinen Namen rufen. Ich drehte mich um. Scott kam aus dem Cafè gelaufen. Er hatte seine Arbeitskleidung gegen seine Alltagsklamotten getauscht und auf dem Weg zu mir zog er sich noch eine Mütze über den Kopf. Als Scott dann vor mir stand, blieb er stumm. Er sah mich einfach an und wartete darauf, dass ich einfach zu sprechen anfangen würde. Über mein komisches Verhalten im Cafè und was mich bedrückt hatte.
»Es geht mir gut, Scott« versicherte ich ihm. Scott verschränkte die Arme vor der Brust. Er wusste ganz genau, dass ich ihm die Wahrheit verschwieg.
»Das glaube ich dir nicht. Du kannst vielleicht Damian anlügen, aber bei mir funktioniert das nicht« Ich seufzte und senkte meinen Blick zu Boden.
»Es ist nur wegen Adam« murmelte ich niedergeschlagen und erinnerte mich an den Moment, an dem ich von Adams Verlobung erfahren hatte. Sofort schnürte sich meine Luftröhre zu und mein Herz zog sich krampfhaft zusammen. Ich schluckte den aufkommenden Kloß und den aufkommenden Schmerz herunter.
»Ich hatte mich einen kurzen Moment lang nicht unter Kontrolle, aber es geht schon wieder« fügte ich hinzu, ohne auf genauere Details einzugehen.
»Damian ist so ein Idiot« murmelte Scott, löste seine Arme von der Brust und zog mich in eine Umarmung. Er drückte meinen Körper fest gegen seinen und ich schmiegte mich daran. Beinahe wären mir ein zweites Mal an diesem Tag die Tränen gekommen, aber ich konnte mich noch zurückhalten.
»Wieso merkt er denn nicht, dass dir das nicht guttut, wenn er ständig von ihm spricht und damit alte Wunden aufreißt?« sagte er gedankenverloren und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren.
»Gib ihm nicht die Schuld« murmelte ich sanft. Er nickte, als wir uns kurzerhand voneinander lösten und gegenüberstanden, weil er wusste, dass ich es niemandem erzählt hatte, wie sehr ich noch an Adam hing.
»Ich begleite dich auf deinem Nachhauseweg« sagte Scott und gab mir keine Zeit, ihn davon abzuhalten. Also lief ich neben ihm her.
»Möchtest du reden?« Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht würde ich in ein paar Tagen darüber sprechen können, aber heute war ich definitiv nicht in der Lage. Es war zu viel geschehen und alles so neu für mich.
»Okay« sagte Scott und ließ es damit beruhen. Er sagte nichts weiter, sondern lief stumm neben mir her. Wir hingen beide unseren Gedanken nach, als wir den Park durchquerten. Die Straßenlaternen schalteten sich ein und beleuchteten den Weg. Der Mond und einzelne Sterne strahlten vom Himmel herab. Kleine Schneeflocken tanzten durch die Luft und lassen sich auf dem Boden nieder. Ich konzentrierte mich so sehr auf die Umgebung, dass ich mich nicht länger an Adam erinnern musste. Ablenkung war das Einzige, das helfen konnte, ihn einen Augenblick vergessen zu können, und selbst das funktionierte nicht immer.
Vor dem Mehrfamilienhaus, in dem ich wohnte, blieben wir stehen. Ich lächelte.
»Danke« Er winkte ab, als wäre es keine große Sache gewesen.
»Das lag doch sowieso auf dem Weg« fügte er hinzu. Ich wusste ganz genau, dass das eine Lüge war, denn sein Zuhause lag in einer ganz anderen Richtung.
»Okay, vielleicht musste ich einen kleinen Umweg machen« meinte er nach meinem eindringlichen Blick. Ich grinste, was ein kleines Lächeln auf seine Lippen zauberte.
»Gute Nacht« sagte ich leise. Ich schlang meine Arme um den Bauch und drückte ihn kurz an mich, bevor ich mich wieder löste und den Schlüssel aus meiner Tasche hervorkramte. Scott drehte sich um und machte sich auf den Weg zu seinem Nachhause, doch kehrte auf dem Weg noch einmal um.
»Du weißt ja wo du mich findest, wenn du mich brauchst« Ich nickte und lächelte, bevor ich kurzerhand im Hausgang des Hauses landete. Ich holte die Post aus meinem Briefkasten heraus, mit der ich nach oben schlenderte. In meiner Wohnung ging ich erstmal meine Post durch, die hauptsächlich aus Werbung bestand. Als ich damit fertig war, nahm ich eine ausgiebige Dusche und schlüpfte anschließend in bequeme Kleidung. Ich schmiss mich auf mein Bett und wollte einfach schlafen. Doch keine zwei Sekunden später klingelte mein Handy wie verrückt. Eine Nachricht nach der anderen erschien auf dem Display. Sie waren alle von meiner Freundin Brooke und natürlich ging es nur um mein gestriges Date mit Derek.
Hope? Warum gehst du nicht an dein Handy? Ich hab dich im Laufe des Tages bestimmt schon hundertmal angerufen... lautete ihr letzte Nachricht, die sie vor einer Minute abgeschickt hatte.
Tut mir leid, ich war noch mit Damian unterwegs und bin erst jetzt wieder zuhause tippte ich flink in mein Handy ein, um diese Nachricht kurzerhand abzuschicken. Brooke ließ mit einer Antwort nicht lange warten.
Okay, es sei dir verziehen... aber nur, wenn du mir endlich von deinem Date erzählst. Las ich in der nächsten Nachricht und verdrehte die Augen.
Sei nicht so neugierig erwiderte ich und setzte mich im Schneidersitz auf. Das würde noch eine lange Diskussion mit Brooke geben, dachte ich mir und wurde mit meiner Vermutung zugleich bestärkt.
Komm schon, Hope, ich brauche Informationen kam es von ihr. Sie war genauso hartnäckig wie Damian – wahrscheinlich sogar noch ein bisschen mehr.
Ich werde nichts sagen
Dann legte ich mein Handy weg und starrte die Wand an. Ich war plötzlich hellwach und musste abwechselnd an Adam und Derek denken. Die Gedanken an die beiden Männer bereiteten mir nach nur wenigen Sekunden Kopfschmerzen.
In Dereks Nähe fühlte es sich gut an, aber ich durfte nicht vergessen, wie sehr mein Herz nach all den Jahren für Adam schlug. Ich wollte Derek nicht ausnutzen, nicht mit seinen Gefühlen spielen und ihm auch meine Liebe nicht vorspielen müssen, denn das hatte er nicht verdient. Er war ein guter Mann und verdiente die wahre Liebe. So sehr ich es mir auch wünschte, ihn von ganzem Herzen zu lieben, fühlte es sich nicht realistisch an. Mein Herz würde immer Adam gehören und ich konnte mir nicht vorstellen, die Liebe für Adam wegen eines anderen Mannes fallen zu lassen. Allerdings gab es auch diese Momente, in denen Derek mich Adam vergessen ließ. Ich hatte mich Adam gegenüber deswegen immer schlecht gefühlt, aber jetzt, wo ich wusste, dass er eine andere heiraten würde und mich sowieso schon vergessen haben musste, sollte ich nicht länger ein schlechtes Gewissen mittragen, weil ein anderer Mann mich glücklich machen konnte. Derek war ein guter Mensch, der mich zum Lachen bringen konnte. Ich hatte meine Zweifel, was seine Ehrlichkeit betraf, aber diese sollte ich hinter mich werfen, wenn ich endlich von Adam loskommen und glücklich werden wollte. Adam würde nicht zurückkommen und ich konnte nicht mein restliches Leben einem vergebenen Mann hinterhertrauern.
Kaum dachte ich an Derek und unser gestriges Date klingelte mein Handy und sein Name erschien auf meinem Display. Ich legte die Hand auf meinen Brustkorb, um meine verschnellerte Atmung wieder zu normalisieren. Dann nahm ich den Anruf ab.
»Ja?« meldete ich mich unsicher und verfluchte mich dafür, dass man meine Nervosität heraushören konnte.
»Hallo, ich hoffe, ich störe nicht« ertönte seine tiefe Stimme durch den Hörer und verlieh mir eine Gänsehaut auf dem ganzen Körper.
»Nein, was gibt es denn?« fragte ich höflich und strich eine Haarsträhne, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte, aus dem Gesicht.
»Wir müssen uns noch einmal zusammensetzen wegen der Präsentation nächste Woche« Mein Herz schlug augenblicklich ein wenig schneller, als ich daran dachte, noch mehr Zeit mit ihm verbringen zu können. Allerdings erinnerte ich mich auch gleichzeitig daran, dass es sich bloß um Geschäftliches handeln wird und ich meine Gefühle herunterschrauben sollte.
»Wenn Sie morgen keine wichtigen Termine haben, können wir das gerne gleich erledigen« antwortete ich und kaute nervös auf meiner Unterlippe.
»Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du du zu mir sagen kannst?« sagte er und ließ damit meine Wangen rot anlaufen. Zum Glück konnte er mich gerade nicht sehen. Ich wusste nicht, was ich nun erwidern sollte, weswegen ich schwieg und darauf wartete, dass er etwas sagen würde. Das tat er dann auch nach einer kleinen Pause.
»Und außerdem hatte ich da eher an ein Treffen nach der Arbeit gedacht« murmelte er mit seiner rauen Stimme.
»Hast du so viel in der Firma zu tun?« fragte ich nach, weil ich mir im ersten Moment nicht erklären konnte, warum er die Besprechung außerhalb der Firma stattfinden lassen wollte.
»Nein, eigentlich nicht« meinte er nach kurzem Überlegen. Fieberhaft suchte ich nach einer Erklärung dafür, dass er sich nach der Arbeit mit mir treffen möchte und als ich sie gefunden hatte, verschluckte ich mich fast an meiner Spucke und riss die Augen weit auf. Er wollte sich mit mir treffen, weil er mir dann näherkommen konnte. Ihm ging es nicht um die Arbeit, sondern um unsere „Affäre". Vielleicht war die Besprechung nur eine Tarnung dafür, dass er mich eigentlich näher kennenlernen und mit mir ein weiteres Mal schlafen wollte.
»Aber dann können wir es doch auch in der Firma besprechen, oder?« fragte ich unsicher nach und ignorierte meine Vermutung über sein Vorhaben.
»Aber wo bleibt denn dann der Spaß?« fragte er mit einem verführerischen Unterton in seiner Stimme. Ich grinste und wurde rot zugleich. Ich wusste, wie seine Worte zu verstehen waren und je länger ich darüber nachdachte, umso besser gefiel mir die Idee. Jedoch wollte ich es nicht sofort zugeben, weswegen ich ihn mit meiner Antwort zappeln ließ.
»Wieso sollte es denn so mehr Spaß machen?« sagte ich stattdessen und spielte die Frau, die keine Ahnung hätte, worauf er Anspielungen machte.
»Ich kann es dir gerne zeigen« erwiderte Derek amüsiert. »Morgen um 5 bei mir?« Ich ließ ihn warten. Mein Herz hämmerte wild gegen meine Brust und ich sehnte mich danach, Derek wieder zu sehen. Nicht in der Firma, wenn uns alle sehen konnten, sondern ungestört und unter vier Augen.
»Okay« flüsterte ich in mein Handy.
»Bis morgen. Schlaf gut« murmelte Derek. Ein kleines Lächeln zierte meine Lippen, als ich die letzten Worte von Derek in mich aufsog. Ich legte mich auf den Rücken und starrte die Decke über mir an.
»Gute Nacht«
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