39. Kapitel

H O P E

Es dauerte eine Weile, bis ich dazu in der Lage war, nach oben zu gehen, ohne dass man mir sofort anmerken würde, wie viele Tränen ich in der letzten Viertelstunde im Treppenhaus vergossen hatte. Ich wusste ehrlich gesagt immer noch nicht, was ich Derek sagen sollte, wenn ich gleich vor ihm stehen würde, aber das würde ich wahrscheinlich auch nicht, wenn ich die halbe Nacht hier herumstehen würde.

Die Wohnungstür war nicht abgeschlossen und im Wohnzimmer brannte Licht. Dereks Sporttasche stand wieder im Flur, genauso wie seine Schuhe und seine Jacke.

Meine Hände zitterten kräftig, als ich die Schlüssel auf der Kommode ablegte und ins Wohnzimmer ging. Im Türrahmen blieb ich dann stehen. Derek saß seelenruhig mit seinem Laptop auf seinem Schoß auf dem Sofa. Auf dem Tisch stand ein halbgefülltes Weinglas. Alles wirkte wie ein normaler Abend, wenn er nach seinem Sport ein paar restliche geschäftliche Dinge erledigte, nur dass ich diesmal nicht einfach meine Arme um seine Schulter schlingen oder ihm einen Kuss auf die Wange geben konnte.

Meine Lippen bebten und ich war kurz davor, wieder in Tränen auszubrechen, so verzweifelt war ich wegen der ganzen Sache. Ich war immer noch so hin und hergerissen, denn während ich auf der einen Seite Adam und unseren Kuss nicht vergessen konnte, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als einen weiteren gemütlichen Abend mit Derek auf dem Sofa, wo wir unseren Wein trinken, ich mich an ihn kuschelte und wir uns dabei einen Film ansehen oder einfach die Stille genießen.

Es dauerte einen Moment, bis Derek bemerkte, dass ich hier war. Er drehte seinen Kopf langsam in meine Richtung und sah mich stillschweigend an. Ich fühlte mich so unwohl, dass ich seinem Blick nicht standhielt und stattdessen auf den Boden sah. In mir kam das schlechte Gewissen wieder hoch, weil ich Adam aus meiner eigenen Intention geküsst hatte und dabei nicht einmal an Derek gedacht hatte. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir nicht gefallen hatte. Und genau das machte die ganze Sache noch schlimmer.

»Hey« meinte Derek. Sein Gesichtsausdruck war so emotionslos, dass ich nicht einschätzen konnte, wie er sich nach dem Chaos fühlte oder welche Entscheidung er in der Zwischenzeit, in der ich ihn mit Adam betrogen hatte, indem ich mit ihm auf dem Footballfeld herumgealbert und ihn letztendlich geküsst hatte, getroffen hat. Er wirkte wesentlich gefasster als ich, sodass man glauben könnte, ihm würde das Ganze nichts mehr ausmachen oder es wäre niemals passiert.

Ich war so perplex darüber, dass ich keinen klaren Satz sprechen konnte. Ich sah die Ausdruckslosigkeit, als würde er nichts fühlen, als würde es ihn völlig kalt lassen. Mein Herz zog sich zusammen. Ich wusste, was ich getan hatte und dass es ihm das Herz brechen würde, wenn ich ihm davon erzählen würde. In meinen Augen sammelten sich bereits neue Tränen, doch ich blinzelte sie schnell weg.

»Hi« brachte ich hervor. Ich versuchte, mir nicht allzu sehr anzumerken, was für ein emotionales Wrack ich war, doch seinem Blick zu urteilen, wusste er es bereits. Denn Dereks Blick wurde ein wenig weicher, je länger er mir in die Augen sah. Diese Härte verschwand und stattdessen sah er mich an, als würde er sich um mich Sorgen machen.

Mein Herz fühlte sich dabei schwer wie Blei an. Selbst in Momenten wie diesen konnte ich nicht aufhören, an Adam, an diesen intensiven Blickkontakt auf dem Footballfeld und letztendlich an unseren Kuss zu denken. Ich fühlte mich dabei so schlecht, dass ich es kaum ertrug, so von ihm angesehen zu werden. Ich hatte das nicht verdient. Ich war diejenige, die ihn so ansehen musste, nicht er. Schließlich war ich diesmal nicht das Opfer, sondern der Täter. Ich war diejenige, die unsere Beziehung wegen einer alten Liebe ruinierte. Er hatte nie etwas falsch gemacht.

Ich war kurz davor, loszuheulen, doch ich versuchte, mich zusammenzureißen. Derek seufzte. Dann stellte er seinen Laptop auf dem Couchtisch ab, um vom Sofa aufzustehen. Als er direkt vor mir stand, verschlug es mir die Sprache. Ich konnte seinen Blick nicht deuten, weshalb ich nicht wusste, was er als Nächstes tun würde.

»Es tut mir leid, dass ich einfach abgehauen bin« murmelte er. Er streckte seine Hand aus und strich mit ihr über meine Wange. Mein Atem stockte. »Das war total unerwachsen«

»Hast du geweint?« fragte er anschließend nach, während er mich näher musterte. Ich gab ihm keine Antwort, aber das brauchte ich auch nicht. Derek verstand auch ohne Worte, dass ich geweint hatte. Sein Blick wurde dadurch nur noch ein Stück fürsorglicher, sodass ich es kaum ertrug. Als er mich dann auch noch in die Arme nahm, war es ganz vorbei. Ich fühlte eine unglaubliche Schwere um mein Herz und einen dicken Kloß in meinem Hals.

Ich verdiente das alles nicht. Ich hatte kein Recht, von ihm so getröstet zu werden, während ich mit den Gedanken ständig bei einem anderen Mann war, den ich vor Kurzem noch geküsst und dabei nicht einmal ein schlechtes Gewissen gegenüber Derek gespürt hatte. Ich verdiente ihn nicht.

Das Gefühl, in seinen Armen zu liegen und von ihm wegen etwas, wodurch ich ihm das Herz womöglich so sehr brechen würde, wie es Adam damals bei mir getan hatte, getröstet zu werden, war unerträglich, doch ich hatte keine Kraft, mich aus seinen Armen zu winden und ihm genau das klarzumachen. Denn ein Teil meines Herzens wünschte sich nichts sehnlicher, als ihn wieder so lieben zu können wie vor Adams Rückkehr.

»Ich will dich nicht verlieren« nuschelte er, während sein Gesicht in meinen Haaren vergruben waren. Mein Herz setzte aus. Ich fühlte mich wie in einer Schockstarre, als seine Worte in meinem Kopf widerhallten.

»Ich liebe dich, Hope Collins« Er klang fast schon eine Spur verzweifelt, als er sich von mir löste, mir tief in die Augen sah und diese Worte über seine Lippen brachte. Der Anblick zerbrach mir fast das Herz. Ich wusste, dass ich ihn niemals so sehr lieben würde wie Adam, aber so fies und unfair es von meiner Seite auch war, ich konnte es nicht. So sehr ich mich anstrengte, die Worte wollten nicht aus meinem Mund kommen. Stattdessen starrte ich ihm weiter in seine angsterfüllten Augen und hasste mich für das, was ich als Nächstes tat. Ich gab mich seinem Kuss hin.

Der Kuss war zunächst ein vorsichtiger, so als wolle er austesten, ob ich damit einverstanden war, doch er gewann schnell an Tempo. Dereks Hand wanderten von meiner Wange hinunter über meinem Hals und zu meinem Dekolleté. Ich versuchte mich darauf zu konzentrieren, ihm nicht das Gefühl zu geben, als würde ich das Ganze nicht genauso wollen, doch ich bezweifelte, dass mir das durchgängig gelingen würde.

Der Druck auf meinen Lippen wurde stärker, genauso wie der, der auf meinem Herzen lag. Ich bewegte meine Lippen synchron zu seinen, während ich Adam vor meinem inneren Auge hatte, wie traurig er mich angesehen hatte, als ich nach unserem Kuss nicht ihn, sondern das Fenster zur Wohnung angesehen hatte. Ich kniff die Augen so fest zusammen, um den Tränen, die dabei aufkamen, keine Chance zu geben, für Derek sichtbar zu werden.

Dereks Hände wanderten weiter und machten sich langsam an den Knöpfen meines Langarmshirts zu schaffen. Er war so behutsam dabei, dass ich es eigentlich genießen sollte, doch ich konnte es nicht. Ich musste daran denken, dass ich egal, was ich nun tun würde, jemandem das Herz brechen würde. Würde ich das hier abbrechen, dann wäre Derek enttäuscht und verletzt, aber würde ich das hier durchziehen, dann war es Adam gegenüber nicht fair, dem ich zuvor noch mit diesem Kuss Hoffnungen gemacht hatte.

Ich ertrug den Anblick eines enttäuschten und verletzten Adam vor meinem inneren Auge nicht, aber ich brachte es gleichzeitig nicht übers Herz, Derek von mir zu stoßen. Also ließ ich es zu, wie er mich ins Schlafzimmer führte und mich sanft auf dem Bett ablegte. Er schwebte über mir und sah mich mit einer unglaublichen Liebe in seinen Augen an, dass es mir das Herz zerbrach, dieser Liebe nicht gerecht werden zu können.

»Du bist das Beste, was mir jemals passiert ist« flüsterte er, während er mir eine Haarsträhne hinters Ohr strich. Er hat etwas Besseres verdient...

Seine Lippen verteilten kleine Küsse auf meiner Wange und arbeiteten sich weiter nach unten. Ich schloss die Augen und versuchte, meine Gedanken abzuschalten und mich ihm voller Leidenschaft hinzugeben, doch es wollte nicht klappen. Alles, was ich sah, war Adam, wie er mich schon so oft enttäuscht und verletzt angesehen hatte, wenn ich versuchte, Derek davor zu bewahren, von mir das Herz gebrochen zu bekommen. So wie jetzt auch.

Ich drehte meinen Kopf zur Seite und starrte aus dem Fenster, zu dem ich direkt nach meinem Kuss mit Adam gesehen hatte, während Dereks Lippen weiterhin über meine Haut wanderten. Mir wurde erst jetzt bewusst, dass ich, je mehr ich darauf geachtet hatte, Derek nicht zu verletzten, umso mehr Adam weh getan hatte. Und das war so schmerzhaft, dass sich eine Träne aus meinem Augenwinkel löste und über meine Wange rollte.

Ich wollte das nicht länger. Ich wollte nicht länger mitansehen, wie Adam Stück für Stück daran zerbrach. Das war nicht fair. So behandelte man keinen Menschen, den man so sehr liebte.

Ich wollte ihm nicht länger weh tun.

»Derek« Er sah auf. Es zerbrach mir fast das Herz, was ich nun tun musste, aber es wäre ihm gegenüber auch nicht fair, weiterhin so unehrlich mit ihm zu sein. Er hatte es nicht verdient, dass man so mit seinen Gefühlen spielte.

»Wir müssen reden«

• • •

»Ich hab es Derek gesagt« platzte es sofort aus mir heraus, als Damian in der Frühe die Tür öffnete und mich mit seinem verschlafenen Blick verwirrt ansah.

»Was hast du ihm gesagt?« hakte er nach und rieb sich die Augen, als sei er gerade erst aus dem Schlaf erwacht. Wahrscheinlich hatte ich ihn wirklich geweckt, wenn man bedachte, wie früh ich heute - an einem Sonntag - vor seiner Haustüre gestanden hatte. Aber nachdem ich eine Weile Derek über alles aufgeklärt hatte und anschließend eine halbe Ewigkeit in der Kälte herumgelaufen war, brauchte ich einen Ort zum Aufwärmen und eine Person zum Reden.

»Dass ich Adam immer noch liebe und ich deshalb nicht mehr mit ihm zusammensein kann« erklärte ich ihm und dachte an den traurigen, aber letztendlich doch verständnisvollen Ausdruck in seinem Gesicht. Er hatte ein so großes Herz und ich hasste mich immer noch dafür, ihm so weh getan zu haben. Auch wenn er es mir nicht richtig zeigen wollte, so sah ich in seinen Augen den Schmerz, den er bei jedem einzelnen Wort verspürt hatte.

»Warte, was? Adam?« fragte Damian nach und wirkte plötzlich hellwach. Er sah mich überrascht an, so als könne er nicht glauben, dass ich das gerade eben gesagt hätte.

»Ja, es war immer Adam und es wird auch immer Adam sein« bestätigte ich ihm. »Ich weiß, ich hab euch allen immer vorgegeben, ich hätte mit ihm abgeschlossen, aber in Wirklichkeit hab ich uns allen nur etwas vorgespielt. Ich hab nie aufgehört, ihn zu lieben«

Damian wirkte einen Moment sprachlos. Ich konnte es selbst nicht glauben, dass ich das gerade eben gesagt hatte. Es laut auszusprechen war noch einmal ein ganz anderes Level, als es bloß in meinem Kopf zu hören. Ich hatte Derek zwar angedeutet, dass ich noch Gefühle für Adam hatte und es ihm gegenüber deswegen nicht gerecht wäre, einfach so weiterzumachen, aber das ich ihn liebe und das in meinem Inneren die ganze Zeit schon getan hatte, das hatte ich gerade zum ersten Mal gesagt.

»Und was sagt Adam dazu?« fragte er anschließend, nachdem er seine Sprache wieder gefunden zu haben schien.

»Ich hab es ihm noch nicht gesagt«

»Was? Wieso nicht?«

»Ich hab Angst« Er runzelte seine Stirn und ich erzählte ihm daraufhin von unserer gestrigen Begegnung auf dem Sportplatz und von unserem Kuss, aber wie ich ihm gleichzeitig auch wieder einmal das Gefühl gegeben hatte, dass mir die Gefühle von Derek in diesem Moment wichtiger waren als seine.

»Du musst es ihm sagen« meinte er daraufhin eindringlich. Ich nickte. Er hatte Recht. Auch wenn ich vor dem Moment, wenn ich vor ihm stehen und den Schmerz in seinen Augen sehen würde, Angst hatte, musste ich sofort mit ihm reden.

»Wenn du dich beeilst, erwischst du ihn noch«

»Was?«

»Er fährt heute zurück nach New York. Hat er dir das nicht gesagt?« Nein, hatte er nicht. Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr, dann drehte ich mich um und rannte die Treppen runter. Ich vergaß dabei, mich von Damian vernünftig zu verabschieden, so eilig hatte ich es plötzlich.

Ich lief so schnell ich konnte zu Adams altem Zuhause. Ich hoffte inständig, dass ich ihn noch erwischen würde, bevor er nach New York zurückgehen würde. Wer wusste schon, wann er vorhatte, zurückzukommen oder ob er überhaupt zurückkommen würde. Allein der Gedanke daran ließ mich panisch werden. Vielleicht war es diesmal zu spät und Adam fühlte sich von mir so stark zurückgewiesen, dass er mit mir nichts mehr zu tun haben wollte. Anderseits konnte ich mir nicht vorstellen, dass er mich abweisen würde, wenn ich ihm sagen würde, dass ich ihn immer noch liebte. So starke Gefühle, wie er vorgab, für mich zu empfinden, konnte man doch nicht innerhalb weniger Stunden verlieren, oder?

Ich war so aufgeregt, dass ich einen Moment regungslos vor der Haustüre stand. Ich atmete tief ein uns aus, schloss dabei die Augen, bevor ich die Klingel betätigte. Ein altbekanntes Gefühl kam in meinem Inneren auf, wenn ich das Geräusch der Klingel hörte und man kurzerhand das Poltern schneller Schritte auf der Treppe hörte. Mein Herz schlug so schnell, dass ich befürchtete, es würde mir gleich aus der Brust springen.

Ich wusste nicht, was gleich geschehen würde, wenn Adam vor mir stehen würde. Würde ich überhaupt ein Wort herausbekommen, wenn wir uns so nah gegenüber stehen und uns in die Augen sehen würden?

Darüber musste ich mir erstmal keine Gedanken machen, denn zu meinem Enttäuschen - oder war ich vielleicht doch etwas froh, nicht sofort mit der Situation konfrontiert zu werden? - öffnete mir nicht Adam, sondern Maddy die Tür.

»Hope?« Sie wirkte überrascht, hatte wahrscheinlich mit jedem, nur nicht mit mir gerechnet. Ich hätte bis vor ein paar Stunden selbst nicht gedacht, dass ich jetzt vor der Haustür stehen und Adam meine Gefühle gestehen würde. Ich hatte immer gedacht, ich würde ewig mit Derek zusammensein, auch wenn es einmal schwierig und ich mich zu einer alten Liebe hingezogen fühlen würde. Aber die Gefühle für Adam und das schlechte Gewissen gegenüber Derek waren zu stark, um genau so weiterzumachen.

»Ich muss mit Adam sprechen« Ihre Mundwinkel zuckten, sodass sich ein kleines Lächeln auf ihre Lippen schlich, kaum hatte ich mit aufgeregter Stimme nach Adam gebeten, doch es erstarb sogleich wieder.

»Adam ist schon losgefahren«

»Nein« flüsterte ich und drehte mich um. Tatsächlich stand nirgends am Straßenrand sein Auto. Vor lauter Aufregung hatte ich vorhin gar nicht darauf geachtet. Ich war so enttäuscht, dass ich dachte, ich hätte meine Chance verspielt.

»Ruf ihn an« meinte Maddy daraufhin und klang dabei schon fast ein wenig fordernd. Ich nickte und beeilte mich, das Handy mit meinen zittrigen Fingern aus der Tasche zu kramen. Es dauerte einen Moment, bis ich ihn in meinen Kontakten ausfindig gemacht hatte und bereit dazu war, ihn anzurufen. Mein Kopf war vollkommen leergefegt, als ich mein Handy gegen mein Ohr presste, aber das war egal.

Maddy sah mich mit einem freudigen Grinsen an und ich konnte mir ein kleines Lächeln voller Vorfreude auch nicht verkneifen.

»Ja?« Mein Atem stockte. Jetzt war der alles entscheidende Moment gekommen.

»Adam, ich muss dir was sagen«

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Tags: #romantik