38. Kapitel
A D A M
Ein unglaublicher Druck lag auf meinen Lippen. In meinem Magen kribbelte es vor Aufregung. Ihre Hände in meinem Nacken zu spüren, während sie mich fest an sich zog, verursachte ein Kribbeln - zuerst an der Stelle, dann auf meinem gesamten Körper. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an diesen Kuss und wie schön es sich anfühlte, Hope endlich wieder so nahe zu sein und diese alten Gefühle wieder zu spüren.
Als sie den Kuss abrupt beendete und mich nicht ansah, fing mein Herz an, zu zerbrechen. Ich sah, wie sie nicht mich, sondern zu einem der Fenster, hinter dem sich wahrscheinlich ihre gemeinsame Wohnung mit Mr. Chambers befand. Dass sie wieder einmal zuerst an ihn und seine Gefühle dachte, tat weh. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt bemerkte, wie weh sie mir jedes Mal, mit dem sie Rücksicht auf die Gefühle ihres neuen Freundes nahm, tat.
Am liebsten hätte ich ihr das gesagt und meiner Wut freien Lauf gelassen. Aber stattdessen trat ich bloß einen Schritt zurück und fraß den Schmerz weiter in mich hinein. Ich sah ihr Gesichtsausdruck, erschrocken und hin- und hergerissen. Ich hätte es niemals so weit kommen lassen sollen, denn dann hätte ich Hope nicht schon wieder in eine solche Lage gebracht und mir hätte ich eine weitere Enttäuschung erspart.
Ich versuchte, all den Schmerz und die pure Enttäuschung zu verstecken, doch so wie sie mich kurzerhand ansah, als ihr Blick vom Fenster zu mir wanderte, wusste ich, dass sie es wusste. Und das machte die ganze Situation noch schwieriger.
»Es tut mir leid« flüsterte sie. »Ich kann das nicht. Nicht, solange ich mit Derek zusammen bin«
»Was hat das zu bedeuten?« hakte ich mit ruhiger Stimme nach. In meinem Inneren brodelte neben dem Schmerz eine unglaubliche Wut. Ich hasste es, dass sie mich ständig an sich ran ließ, nur um mich dann in der nächsten Sekunde wieder vor den Kopf zu stoßen. Gleichzeitig tat sie mir leid. Ich wusste, wie schwierig es manchmal war, auf die Gefühle aller wichtigen Menschen Rücksicht zu nehmen. Ich hatte sie damals in der High School auch des öfteren vor den Kopf gestoßen, weil ich Rücksicht auf meine Freunde und deren Meinung genommen hatte. Ich wusste, wie falsch es war, konnte dennoch nichts machen. Ihr ging es vermutlich ähnlich. Sie wollte keinem von uns weh tun, aber durch diese Zerrissenheit geschieht das genaue Gegenteil: Sie verletzte damit beide.
»Ich weiß es nicht« murmelte sie. Ihre Augen glänzten. Ich sah den verzweifelten Gesichtsausdruck, die Traurigkeit in ihren Augen, sodass ich sie am liebsten sofort in ihre Arme schließen wollte. Jedoch blieb ich stillschweigend stehen und bewegte mich keinen Millimeter von meinem Platz.
Eine unangenehme Stille breitete sich wie der endlose Sternenhimmel über uns aus. Ich hörte, wie sie schwer schluckte. Sie sah mich aus ihren glänzenden Augen an, presste die Lippen fest aufeinander und schüttelte den Kopf. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und eilte zur Haustür. Ich hielt sie nicht auf. Ich wusste, sie brauchte Zeit für sich und wollte sicherlich alleine sein, um über alles nachdenken zu können. Auch wenn es mir einen Stich in der linken Brust versetzte, sie so zu sehen und gleichzeitig diese Enttäuschung und den Kuss in Erinnerungen zu haben, blieb ich regungslos stehen. Ich sah ihr hinterher, wie sie in das Innere des Hauses verschwand und mir einen letzten Blick zuwarf, bevor die Türe ins Schloss fiel und sie mich damit alleine zurückließ.
»Fuck!« fluchte ich laut auf und tritt wahllos gegen die Mülltonne. Wieso hatte ich es überhaupt so weit kommen lassen, dass wir uns wieder einmal geküsst hatten? Vielleicht wäre es dann wenigstens ein Stückchen weniger kompliziert zwischen uns und vielleicht würde tief in meinem Inneren nicht schon wieder Hoffnung aufkeimen.
Der Gedanke, dass Hope den Kuss nicht nur zugelassen, sondern gleichzeitig auch begonnen hatte, ließ mich die ganze Nacht nicht los. Ich musste nahezu immer wieder an den Moment denken, als Hopes Hände meinen Nacken umfasst hatten, sie mich zu sich gezogen hatte und dann ihre Lippen mit meinen berührt hatte, genauso wie ich mich an den Moment erinnerte, wie ich auf dem Footballplatz unserer alten High School über ihr gelandet war und wir uns einander tief in die Augen gesehen hatten. Es fühlte sich beinahe wie damals an.
Sie konnte mir nicht erzählen, dass sie dabei rein gar nichts für mich empfand. Da war dieser alles verratene Ausdruck in ihren Augen und vor allem dieser Kuss.
Ein kalter Wind strich durch die Straßen. Der Himmel war wolkenlos und eine Decke voller funkelnder Sterne erstreckte sich über mich. Ich blieb mitten auf der Straße sehen, als mein Blick auf den Friedhof fiel. Mir wurde wieder einmal schmerzlich bewusst, was ich die letzten Tage zu verdrängen versucht hatte: Nick war tot.
Ich schluckte schwer, während Bilder von unserem letzten Gespräch, von dem Anblick, wie er regungslos auf dem Boden lag, von seiner Beerdigung und all die Tage, an denen er nicht mehr mit uns am Tisch saß. Mir wurde schwer ums Herz, während meine Füße mich automatisch zu seinem Grab führte.
Ich ertrug den Anblick des Grabsteins mit seinem Namen und dem Datum, das alles auf den Kopf gestellt hatte, beinahe nicht. In meinen Augen traten Tränen hervor, die ich nicht zurückhielt. Ich hasste den Gedanken, dass er nie wieder zurückkehren wird. Ich hasste jeden einzelnen Gedanken, der mit seinem Tod verbunden war.
Ich ging in die Hocke und kniff für ein paar Sekunden die Augen zusammen. Dann lächelte ich traurig. »Hey Kumpel«
Im ersten Moment fühlte es sich komisch an, mit seinem Grabstein zu sprechen, doch schon ein paar Sätze später legte sich das Gefühl und es tat gut, mit ihm zu sprechen, auch wenn er nicht direkt vor mir saß.
»Ich hatte heute einen echt beschissenen Abend« murmelte ich. »Obwohl es eigentlich erst richtig gut angefangen hatte. Nur das Ende war ziemlich beschissen«
Ich seufzte, bevor ich begann, von meiner Idee, auf dem Footballfeld unserer alten Schule den Kopf freizubekommen und wie ich dabei Hope begegnet war, zu erzählen. Ich sprach von unseren Albereien und von diesem magischen Moment zwischen uns, als wir uns in die Augen sahen und sich alles wie damals angefühlt hatte, und musste bei diesem Gedanken lächeln. Ich stellte mir vor, wie Nick vor mir sitzen und mir aufmerksam zuhören würde, wie er bei den Worten selbst für eine winzige Sekunde lächeln musste, wenn er jetzt hier wäre. Ich schluckte bei dem Gedanken schwer, dann führte ich meine Erzählung fort. Über den Kuss zu erzählen, fiel mir deutlich schwerer. Ich spürte einen riesigen Kloß in meinem Hals, der von Wort zu Wort größer wurde und mir damit immer mehr Raum zum Atmen nahm.
Ich schnappte nach Luft und blinzelte eine Träne weg. Vor meinem inneren Auge spielte sich der Abend wie ein Film in Dauerschleife ab. Ich sah den schmerzlichen Ausdruck in ihren Augen, als stehe sie vor mir und sähe mich genau so an. Ich ertrug den Anblick nicht, sodass ich schnell versuchte, an etwas anderes zu denken. Doch es gelang mir nicht. Und ich wusste, solange ich ihr und Mr. Chambers im Weg stehen würde, wird dieser Ausdruck in Hopes Augen nicht verschwinden. Diese Verzweiflung, der Schmerz, die Unsicherheit, einfach alles, was ich ihr nicht antun wollte. Ich atmete tief aus. Dann öffnete ich die zuvor geschlossenen Augen wieder und starrte Nicks Grabstein an.
»Du hast mir gesagt, ich soll sie nicht gehen lassen, bevor ich um sie gekämpft habe« Meine Stimme war kratzig und rau. »Ich glaub, ich bin jetzt an diesem Punkt. Ich werde sie für immer loslassen«
Nick antwortete nicht. Natürlich antwortete er nicht und das hasste ich so sehr, dass sich in meinem Inneren plötzlich eine unglaubliche Wut aufbaute. Ich hasste diese Stille. Ich hasste es, mit seinem Grabstein sprechen zu müssen, weil er nicht mehr da war. Aber so schnell, wie diese Wut kam, so schnell löste sie sich auch wieder auf. Ich dachte wieder zurück an meine Worte.
»Ich weiß, ich hab das schon so oft versucht« murmelte ich. Ich erinnerte mich an das Gespräch mit Jonas zurück, als ich ihn vor ein paar Tagen alles erzählt hatte. Das ganze Gefühlschaos, das ganze Durcheinander, das mich seit dem ersten Aufeinandertreffen mit Hope plagte. 'Nach der Beerdigung hatte ich nochmal Sex mit Ashley. Ich hab das als einen schwachen Moment abgetan. Vielleicht solltest du das gleiche mit Hope tun' hallten seine Worte durch den Kopf, die mich letztendlich dazu gebracht hatten, aufzugeben und Hope loszulassen. Das hatte nicht wirklich geklappt, denn kurz nachdem ich Hope davon berichtet hatte, küssten wir uns und alles fühlte sich für einen Moment so an, wie ich es mir in den letzten Monaten zurückgewünscht hatte.
»Aber dieses Mal werde ich es wirklich durchziehen. Ich werde morgen zurück nach New York fahren und dort sein, bis ich mich damit endgültig abgefunden habe«
Ich hasste es, zurück nach New York zu fahren. Gerade jetzt, als ich mich wieder mit meinen alten Freunden zusammengerauft hatte und Maddy mich brauchte, musste so etwas dazwischen kommen, bei dem ich mir nicht anders zu helfen wusste, als abzuhauen. Ich musste Abstand zwischen der ganzen Situation gewinnen, um damit abschließen zu können. Es würden harte Monate werden, vor allem, wenn ich in New York ganz alleine war, aber ich wollte es weder Hope noch mir antun, rückfällig zu werden, wenn ich ihr gegenüber stehen würde. Es war die einzige Möglichkeit, jemals über den Schmerz und den Verlust hinwegzukommen. Maddy wird bestimmt nicht glücklich darüber sein, wenn ich ihr morgen früh davon erzähle, aber ich war mir sicher, dass sie es verstehen konnte.
»Keine Sorge, ich komm bald wieder zurück. Ich lass Maddy mit eurem Baby nicht alleine« versprach ich ihm und meinte jedes einzelne Wort ernst. In ein paar Monaten, wenn ich mich endlich mit der Tatsache, dass Hope in einer Beziehung war und es für uns kein Happy End gab, abgefunden hatte, würde ich zurückkehren und für meine Schwester und das Baby da sein.
»Wir sehen uns irgendwann, Bruder« meinte ich und stand wieder auf. Ein kalter Wind strich über den Friedhof. »Halt mir einen Platz frei, wo auch immer du gerade bist«
Dann machte ich auf dem Absatz kehrt und lief nach Hause, bereit, alles hinter mich zu lassen und zurück nach New York zu gehen.
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