37. Kapitel


H O P E

Es war merkwürdig. Die ganze Zeit hatte ich darauf gewartet, dass Adam mir eine Antwort auf meine Frage geben würde, und als es endlich so weit war, ließ ich ihn überhaupt nicht zu Wort kommen. Wieso war ich in diesem Moment nur so gewesen? Wieso war ich so zickig? Ich hätte es gerne auf meine Tage geschoben, aber die bekam ich erst in zwei Wochen.

Die nächsten zwei Tage verbrachte ich deshalb damit, darüber nachzugrübeln, was er mir wohl sagen wollte. In meinem Kopf malte ich mir sämtliche Szenarien aus und dachte dann eine halbe Ewigkeit nach, wie ich darauf reagiert hätte. Was ich dabei empfunden hätte. Wie es dann mit Derek und mir weitergehen würde. Und das brachte mir eine Menge schlechtes Gewissen ein. Es war ihm gegenüber nicht fair, so viel Zeit damit zu verbringen, über jemand anderes und was verschiedene Worte seinerseits bei mir hätten auslösen können nachzudenken. Ich ging deshalb erst einmal auf Abstand. Derek merkte das natürlich sofort und sprach mich darauf an. Ich war jedoch nicht in sonderlich guter Stimmung wegen dem ganzen Chaos, das in meinem Kopf herrschte, weswegen ich eher zickig auf seine Frage reagierte. Damit entfachte langsam unser zweiter Streit.

»Ist es wegen deinem Ex?« fragte er und traf damit genau ins Schwarze. Es war wegen Adam, weswegen ich heute so abweisend zu ihm war und ständig seine Nähe mied. Es war vielleicht nicht richtig, aber in diesem Moment fühlte es sich einfach richtig an, erstmal auf Distanz zu gehen, bis ich mir genügend Gedanken über alles gemacht hatte und wieder wusste, was ich im Leben wollte.

»Nein, wie kommst du darauf?« log ich und das nicht einmal besonders gut. Meine Stimme war so zittrig, dass man mir sofort anmerkte, dass etwas nicht stimmte. So reagierte mein Körper immer, wenn mir etwas unangenehm wurde und ich nur mit einer Lüge aus dieser Sache herauskam. Dann fing meine Stimme an, zittrig zu klingen.

»Ach komm, ich hab euch beide in der Firma gesehen. Ich hab ihn gesehen. Ich bin nicht blöd. Ich weiß, dass er dich zurückwill« Jeder sagte mir in letzter Zeit, wie sehr sie es Adam ansahen, aber wieso sah ich es dann nicht? Ja, er suchte meine Nähe und sagte Worte oder tat Dinge, die man vielleicht als indirekte Liebeserklärung interpretieren könnte, aber da gab es auch solche Situationen, in denen er mir wieder die kalte Schulter gezeigt hatte. Ich war mir deshalb einfach nicht sicher, wie ernst er die Worte und Taten meinte.

»Die Frage ist nur, wie du das Ganze siehst. Ob du ihn auch zurückwillst« Ehrlich gesagt, ich wusste es nicht. In dieser Frage war ich wie in zwei Hälften gerissen. Die eine Hälfte von mir wollte sich den Gefühlen, die ich seit seinem Auftauchen wieder zu spüren schien, hingeben und sich auf alles einlassen, um herauszufinden, ob wir beide vielleicht doch noch eine gemeinsame Zukunft hatten, aber die andere Hälfte wollte Derek nicht verlieren und traute Adam nicht über den Weg, ob er es diesmal ernst meinen könnte und mich diesmal nicht wieder verletzen und fallen lassen würde, wenn ihm alles zu viel werden würde.

Ich sah Derek in die Augen und schluckte schwer. Neben all der Wut und Eifersucht sah ich immer noch diese Liebe, die er für mich spürte. Ich brachte es bei diesem Anblick nicht übers Herz, ihm genau das zu sagen, was ich soeben gedacht hatte.

»Derek, ich liebe dich« sagte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Ich hasste es, nicht ehrlich zu sein, aber wie sollte ich auch mit der Wahrheit herausrücken, wenn ich sie selbst nicht einmal kannte. Ja, da war etwas zwischen Adam und mir, das an alte Gefühle erinnerte, aber war es denn wirklich wert, die Beziehung mit Derek aufzugeben, ohne zu wissen, ob ich bei der Sache mit Adam schon von Liebe reden konnte?

»Hope, antworte einfach auf die Frage« unterbrach er mich. Seine Stimme klang unglaublich ruhig, aber ich musste nur einen Blick auf seine Augen richten, um zu wissen, dass es in seinem Inneren alles andere als ruhig aussah. Das Grün seiner Augen verriet das Chaos, das in ihm herrschte. Auch er schien in diesem Moment nicht zu wissen, wie er fühlen oder denken sollte. Ich sah da diese Wut und Eifersucht sowie diese Liebe, aber auch Angst. Angst vor meiner Antwort. Ich schluckte schwer.

»Ich weiß es nicht« murmelte ich und sank meinen Blick nach unten, um ihm dabei nicht in die Augen schauen zu müssen. Es würde mir nur das Herz zerbrechen, ihn traurig und verletzt zu sehen. »Ich weiß momentan einfach nicht, wie ich darüber denken oder fühlen soll«

Das war die einzige Antwort, die ich ihm zurzeit geben konnte. Das war die Wahrheit. Ich hatte absolut keinen Plan, wie ich darüber denken oder fühlen sollte, dass Adam mich anscheinend zurückwollte und bei jedem weiteren Treffen zwischen uns immer mehr Gefühle und Unsicherheiten, was meine Beziehung mit Derek betraf, aufkamen. Ich hatte es die ganze Zeit zu verdrängen versucht, aber mit jeder Minute, in der ich länger darüber nachdachte, wurde es mir bewusst.

Derek nickte langsam, machte ein paar Schritte nach hinten, bevor er auf dem Absatz kehrt machte und Richtung Flur lief. In seinen Augen zeigte sich Traurigkeit, was bei mir ein Stechen in meinem Herzen auslöste. Es tat weh, ihn verletzt zu sehen. Noch schmerzhafter war es, wenn man wusste, dass man diejenige war, die dafür verantwortlich war.

»Wo willst du hin?« fragte ich und folgte ihm. Er schlüpfte in seine Schuhe und zog sich seine Jacke über. Dann schnappte er sich seine Sporttasche vom Boden und warf sie über seine Schulter.

»Ich geh zum Sport« antwortete er mit gelangweilter Stimme. Er war gut darin, seine Gefühle zu verstecken. Sogar so gut, dass ich mir im ersten Moment nicht sicher war, ob er das Ganze vielleicht wirklich so locker sah. Aber dann sah ich ihm länger in die Augen, sah die Anspannung und den Ausdruck in seinem Gesicht. Die Worte waren für ihn alles andere als leicht zu verdauen.

»Derek, ich-« Ich wollte mich erklären, ihm klar machen, dass meine Gefühle für ihn echt sind und dass das sicherlich nur eine schwere Phase war. Dass ich ihn nicht verlieren wollte. Aber er fiel mir einfach ins Wort.

»Ich muss nachdenken« Am liebsten hätte ich ihm die Worte hinterhergerufen, doch stattdessen nickte ich bloß stumm. Irgendwie fiel es mir plötzlich schwer, die Worte über die Lippen zu bringen. Ich wusste nicht wieso dem so war, aber vielleicht lag es daran, dass ich so überfordert mit der ganzen Situation war, dass ich mir plötzlich nicht mehr sicher war, wie stark meine Gefühle für Derek wirklich waren. Er war mir wichtig, ja, aber warum fühlte es sich nicht annähernd so schmerzhaft an, wie meine damaligen Streitereien mit Adam?

»Und du solltest das auch tun« fügte Derek zum Schluss hinzu, bevor er die Tür hinter sich zuzog. Damit war ich den Abend über alleine in der Wohnung. Ich dachte wirklich über alles nach, über Derek, über Adam, über meine Gefühle und wie das Ganze weitergehen sollte. Doch das alles brachte kein Licht ins Chaos, sondern ließ es nur noch größer werden, je länger ich darüber nachdachte.

Irgendwann hielt ich es hier in seiner Wohnung nicht mehr aus, sodass ich mir meine Jacke schnappte und nach draußen verschwand, um frische Luft zu schnappen.

Draußen war es bereits dunkel. Nur noch die Straßenlaternen, Werbeanzeigen und ein paar Autoscheinwerfer brachten Licht auf die Straße. Ein kühler Wind kam mir entgegen, doch er war längst nicht mehr so kalt wie noch vor ein paar Wochen. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss. Einen Augenblick lang blieb ich auf der Stelle stehen. Ich erinnerte mich an Silvester, an kurz nach Mitternacht, als Adam plötzlich aufgetaucht war und mich plötzlich geküsst hatte. Ich hatte dabei dieses Kribbeln auf meinen Lippen gespürt, aber auch ein schlechtes Gewissen gegenüber Derek, weswegen ich den Kuss nicht erwidert und Adam von mir gestoßen hatte.

Ich schüttelte den Kopf, um nicht länger an diese Erinnerung denken zu müssen, steckte die Hände in die Jackentasche und lief die Straße entlang. Ich dachte gar nicht darüber nach, in welche Straße ich als nächstes einbiegen sollte, sondern lief einfach.

Ich versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren, aber das Chaos in meinem Kopf wurde nicht ruhiger. Ich dachte an die Zeit, in der Adam hier wieder aufgetaucht und das ganze Chaos verursacht hatte. Und das ausgerechnet dann, als es gerade so gut mit Derek lief. Hätte ihm nicht früher einfallen können, dass er noch Gefühle für mich hatte? Bevor ich Derek kennengelernt hatte? Damit hätte er uns allen viel Schmerz ersparen können.

Ich schüttelte den Kopf. Ich sollte mir nicht so viele Gedanken über Adam, sondern stattdessen lieber welche darüber machen, wie ich das mit Derek wieder geradebiegen konnte. Aber wollte ich das überhaupt? Wollte ich wieder einmal alles verdrängen, nur dass alles dann wieder mit voller Wucht beim nächsten Aufeinandertreffen mit Adam zurückkehrte? War es denn Derek gegenüber fair, die Gefühle, die ich für Adam spürte, herunterzuspielen? Eigentlich belog ich mich damit doch nur selbst ...

Ich bog um die Ecke und stand wenig später vor unserer alten High School. Der Ort, an dem mit Adam alles angefangen hatte. Es waren harte Zeiten, die ich hier durchstehen musste, aber im letzten Halbjahr hatte sich alles zum Guten gewendet. Adam hatte den Mut gefunden, zu seinen Gefühlen zu stehe und wir hatten eine schöne Zeit - auch wenn dennoch ein oder anderes Mal noch ein dummer Spruch der Jungs oder Ashley und ihrer Clique fiel. Ich lächelte traurig, als ich daran dachte, wie wir am nächsten Tag, nach unserem Bekanntgeben unserer Beziehung, nach dem Vormittagsunterricht abgehauen und den restlichen Schultag geschwänzt hatten, um die Zeit am Strand zu verweilen und anschließend noch etwas essen zu gehen. Alles hatte sich plötzlich so unbeschwert und leicht angefühlt.

Eine Träne rollte über meine Wange, die ich schnell wegwischte. Ich hatte mir so sehr eine Zukunft für uns beide gewünscht, wollte dieses Gefühl, das ich in seiner Nähe spürte, und diesen Blick, den er mir jedes Mal zugeworfen und mir damit seine Liebe bewiesen hatte, niemals missen und doch hielt unser Glück nicht besonders lange. Die zwei restlichen Jahr auf dem College waren hart. Es war hart, ihn auf den Partys mit anderen Frauen zu sehen und wie er letztendlich sogar mit einer von ihnen, Tessa, eine Beziehung angefangen hatte. Einmal, da hatten wir im betrunkenen Zustand noch einmal etwas, aber am nächsten Morgen war das auch schon wieder vorbei und ein paar Tage später lief er dann händchenhaltend mit Tessa über den Campus. Ich hatte viel geweint, bin durch die ein oder andere Prüfung durchgefallen, wäre deshalb beinahe von der Uni geflogen, hatte den Abschluss doch noch geschafft, wurde wieder glücklicher, als ich den Campus verließ und in die Stadt, in der ich aufgewachsen war, zurückkehrte.

Eine weitere Träne verließ mein Auge und rollte ebenfalls über mein Gesicht. Ich wischte sie weg, bevor sie meine Lippen erreichen konnte. Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass mich ein Ort so sehr aus der Bahn werfen konnte, wie es gerade passierte.

Ich kehrte dem Schulgebäude den Rücken zu, doch anstatt von hier zu verschwinden, lief ich zum Sportplatz hinüber. Er war früher immer mein Rückzugsort gewesen, wenn ich von den neugierigen Blicken der anderen fliehen wollte oder einfach einen Moment Ruhe brauchte, um über alles nachdenken zu können. Und das brauchte ich jetzt auch. Einen Ort, an dem ich in Ruhe nachdenken konnte.

Ich lief die Tribüne hinunter, um mich irgendwo hinzusetzen, den Sternenhimmel über mir anzusehen und über alles in Ruhe nachzudenken. Meine Schritte wurden jedoch langsamer, als ich sah, dass ich nicht alleine war. Jemand, eine Person mit männlicher Statur, stand dort auf dem Rasen und warf einen Football. Er trug einen Hoodie, hatte die Kapuze über den Kopf gezogen. Ich kniff die Augen zusammen, doch die Person war zu weit entfernt und hatte den Rücken zu mir gekehrt, sodass ich die ihn nicht näher erkennen konnte.

Ich blieb stehen, überlegte kurz, doch machte dann auf dem Absatz kehrt, um wieder von hier zu verschwinden. Ich wollte alleine sein und die Person - wer auch immer es war - sicherlich auch, wenn er um diese Uhrzeit hierher kam. Der Plan, unauffällig von hier zu verschwinden, ging jedoch nicht auf. Ich übersah eine Stufe und stolperte. Mein Knie landete auf eine der Treppenstufen und hinterließ ein dumpfes Geräusch, von dem ich mir sicher war, dass es der Person auf dem Feld sicherlich nicht entgangen war.

»Hey, alles okay?« kam es kurzerhand später nach dem Geräusch von Schritten, die mir immer näher kamen. Ich hörte bei dem Klang der Stimme auf zu atmen. Auch wenn ich die Person hinter mir nicht sehen konnte, so hatte ich ihn gehört. Und Adams Stimme würde ich überall und zu jeder Zeit erkennen.

Ich rappelte mich schnell auf und drehte mich dann zu ihm um. Ein leichter Schmerz durchfuhr meinen Körper, doch ignorierte es. Ich konnte in diesem Moment an nichts anderes denken. Ich sah Adam in die Augen und schluckte schwer. Vor ein paar Minuten hatte ich so intensiv an ihn gedacht, dass mir sogar die Tränen gekommen waren und jetzt stand er einfach vor mir. Ich vergaß zu atmen.

Auch Adam wirkte überrascht, mich vor sich stehen zu sehen. Er öffnete den Mund einen Spalt, als wolle er etwas sagen, doch ihm schien es ebenso wie mir die Sprache verschlagen zu haben, dem anderen so plötzlich gegenüberzustehen. Sein Anblick, diese kleine Lücke zwischen seinen Lippen, ließ mein Herz wild gegen meine Brust hämmern. Er sah einfach so gut dabei aus, sodass es mir noch schwerer fiel, eine Antwort auf seine Frage zu geben.

»Ja, alles gut« brachte ich letztendlich hervor. Ich wollte seinem Blick ausweichen, doch das Braun seiner Augen beruhigte mich so sehr, dass ich mich nicht mehr davon losreißen konnte. All das Chaos in meinem Kopf schwand auf einmal dahin. Ich spürte das altbekannte Kribbeln auf meiner Haut, ohne dass er mich dazu berühren musste.

»Wieso bist du eigentlich hier?« fragte ich irgendwann, einfach um irgendetwas zu sagen und damit dieses Schweigen zwischen zu unterbrechen. Ich versuchte mich damit, aus diesem Bann zu ziehen, doch mein Blick wollte sich einfach nicht von seinen Augen lösen. Je länger ich ihm in dieser Stille in die Augen sah, umso stärker kamen die alten Gefühle für ihn auf und das wollte ich schnell unterbinden, bevor es Ausmaße annahm, die das Chaos nur noch größer machen würden.

»Ich schätze, ich musste einfach mal raus. Über alles nachdenken. An die schöne Zeit zurückdenken« murmelte er nachdenklich, ohne dabei seinen intensiven Blick von mir zu nehmen, mit dem er Gefühle in meinem Inneren auslöste, von denen ich nicht einmal mehr wusste, dass ich sie immer noch in mir trug und die mir zeigten, dass ich seit unserer Trennung solch starke Gefühle nie wieder gespürt hatte.

Ich bemerkte diese Traurigkeit in seiner Stimme, als er den letzten Satz ausgesprochen hatte. In mir machte sich währenddessen eine Hoffnung breit, er könnte mit 'An die schöne Zeit zurückdenken' unsere Beziehung meinen. Doch als ich nach unten sah, auf den Football, den er unter seinen Arm geklemmt hatte, da wurde mir bewusst, dass er damit auch seine gescheiterte Karriere als Profispieler in der NFL meinen könnte.

»Vermisst du es, Football zu spielen?« fragte ich nach, auch wenn ich die Antwort eigentlich längst wusste. Football war seine Leidenschaft, da war es naheliegend, dass er es vermissen würde. Aber bereute er es mittlerweile auch, so leicht aufgegeben zu haben, um mit mir am gleichen College zu studieren und somit dem Wunsch seiner Eltern nachzugehen, anstatt für seinen Traum zu kämpfen? Ich würde mich schuldig fühlen, wenn es tatsächlich so wäre. Natürlich lag es hauptsächlich daran, dass er kein Stipendium bekommen hatte, weswegen er diesen Traum aufgegeben hatte, aber dennoch hatte er mich und unsere Beziehung dem Footballspielen vorgezogen, indem er sich entschieden hatte, mit mir aufs College zu gehen.

»Ja« murmelte er und schaute auf den Football, den er unter seinen Arm geklemmt hatte. »Manchmal stelle ich mir die Frage, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn es mit dem Stipendium geklappt hätte«

»Ich kenne mich zwar mit dem ganzen Prozess nicht aus, aber wenn es eine Möglichkeit gibt, solltest du sie nutzen. Du hast so hart trainiert. Du kannst es immer noch schaffen, da bin ich mir sicher« meinte ich und hoffte, ihn nicht mehr so niedergeschlagen sehen zu müssen, denn es brach mir immer wieder aufs Neue das Herz.

»Danke« Seine Mundwinkel zuckten. »Es ist schön zu hören, dass jemand an mich glaubt«

»Das hab ich immer«

»Ich weiß« murmelte er mit heiserer Stimme. »Dafür liebe ich dich auch«

Moment, was? War das gerade eine indirekte Liebeserklärung? Ich meine, er hatte es in der Gegenwartsform, nicht in der Vergangenheit gesagt. Das hieß doch dann, dass er es immer noch tat, oder? Oder interpretierte und hoffte ich schon wieder zu viel? Mein Herz hämmerte vor lauter Aufregung wild gegen meine Brust.

»Ich glaube, es ist wohl kein Geheimnis mehr, was ich für dich fühle« fügte er hinzu, während er sich die Kapuze vom Kopf schob und sich anschließend am Hinterkopf kratzte. Er wirkte regelrecht nervös und eine Spur verlegen. Mein Herz machte einen Hüpfer bei seinen Worten, doch es erstarb sogleich wieder. »Aber keine Sorge, ich hab's kapiert. Ich lass dich ab sofort in Ruhe«

Eigentlich sollte ich mich darüber freuen. Kein Chaos mehr, keine Worte oder Taten von ihm, die mich an der Beziehung mit Derek zweifeln lassen könnten und damit auch keine weiteren Streitereien zwischen Derek und mir deswegen. Doch stattdessen machte sich Enttäuschung in mir breit.

»Und wieso bist du hier?« fragte Adam nach einem Moment der unangenehmen Stille. Ich sah in seinen Augen, dass er ebenfalls nicht sonderlich darüber erfreut war, sich ab sofort von mir fernzuhalten und die Beziehung zwischen Derek und mir hinzunehmen. Am liebsten hätte ich darauf etwas erwidert, ihm gesagt, dass ich nicht wollte, dass er auf Abstand ging, aber irgendetwas hinderte mich daran. Vielleicht das schlechte Gewissen gegenüber Derek. Vielleicht auch die Angst vor Enttäuschungen.

»Ich schätze, wegen dem selben Grund, wegen dem du hier bist« antwortete ich stattdessen bloß. Ich sah ihm in die Augen und hatte Angst, die falsche Entscheidung zu treffen. Anfangs war ich fest davon überzeugt, dass ich unter keine Umstände auf Adams Versuche eingehen sollte, weil ich Derek an meiner Seite hatte und er mich glücklicher machte, aber mittlerweile war ich mir bei der ganzen Sache nicht so sicher. Warum war ich sonst so enttäuscht gewesen, als er mir eben versprochen hatte, sich ab sofort von mir fernzuhalten und meine Beziehung mit Derek hinzunehmen?

»Und? Könntest du noch eine Mitspielerin gebrauchen?« fragte ich plötzlich nach, ohne vorher groß nachzudenken, ob es denn richtig war, mit ihm wie in alten Zeiten Football zu spielen, während Derek wahrscheinlich unter unserem Streit und der Tatsache, dass ich mir nicht mehr sicher über meine Gefühle war, litt. Doch das schlechte Gewissen trat für einen Augenblick in den Hintergrund und in meinem Kopf war nur dieser Wunsch, noch nicht getrennte Wege gehen zu wollen.

Adam wirkte von meinem Vorschlag erst überrascht, dann nickte er mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen, das mein Herz zum Schmelzen brachte. »Klar«

Wir liefen die Tribüne hinunter und über das Feld, um uns dann dort den Football hin und her zu werfen. Anfangs herrschte zwischen uns eine unangenehme Spannung und keiner wusste so recht, wie er sich dem anderen gegenüber verhalten sollte. Wir blieben auf Distanz und vermieden jeglichen Körperkontakt. Es war irgendwie seltsam, weil dieser Moment so stark an unsere Vergangenheit erinnerte, sich aber nicht wie damals anfühlte. Mit der Zeit lockerte sich jedoch diese Anspannung. Zuerst wechselten wir ein paar Worte, dann kamen wir einander näher und letztendlich rannten wir über das Feld und alberten herum wie zwei frisch verliebte Teenager.

Mit dem Football in der Hand versuchte ich, wegzurennen, doch wie nicht anders zu erwarten war Adam immer noch schneller als ich, sodass er mich schnell eingeholt hatte. Er schlang die Arme um meinen Bauch, verloren das Gleichgewicht und landeten letztendlich auf dem Boden. Ich mit dem Rücken auf dem Rasen, er auf mir. Bei dieser Berührung, als sich seine Arme um meinen Bauch geschlungen hatten, konnte ich bereits keinen klaren Gedanken mehr fassen, aber jetzt, wo er über mir schwebte, unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren und wir diesen intensiven Blickkontakt hatten, da war mein Kopf komplett leergefegt, wusste nicht einmal mehr, wo rechts und links war.

Ich schluckte schwer. Mein Herz pochte wild gegen meine linke Brust. Seine Augen wanderten währenddessen zwischen meinen Augen und meinen Lippen hin und her. Ich konnte es nicht beschreiben, aber das, was ich in diesem Moment fühlte, das hatte ich nur mit Adam.

Ich stellte mich bereits auf einen Kuss ein, doch bevor ich meine Augen schließen und selbst die Initiative zu ergreifen, mein Verlangen zu stillen, schien er sich an seinen Vorsatz, mich in Ruhe zu lassen, zu erinnern. Er rappelte sich schnell auf und mit ihm verschwand sofort diese Wärme und dieses unbeschreibliche Gefühl, das mein Herz höher schlagen ließ. In meinem Inneren machte sich eine riesengroße Enttäuschung breit, gleichzeitig fühlte ich mich dämlich. Die ganze Zeit versuchte ich, ihn von mir fernzuhalten, ihm klarzumachen, dass ich mit Derek zusammen war und es für uns beide keine Zukunft gab, und kaum hatte er es verstanden und akzeptiert, änderte ich meine Meinung, wollte seine Nähe, seine Berührungen, seine ständigen indirekten Liebeserklärungen, die ich lange Zeit dummerweise nie als solche interpretiert hatte.

Er streckte mir seine Hand entgegen, um mir aufzuhelfen. Ich nahm sie und als sich unsere beiden Hände berührten, da zuckten wie Stromschläge durch meinen Körper. Das altbekannte Kribbeln an meinen Fingerspitzen breitete sich bald auf meiner Hand und dann sogar auf meinem Arm aus. Ich versuchte, es zu ignorieren, aber es war zu intensiv, dass es unmöglich erschien. Auch für Adam schien es mehr als eine einfache Berührung zu sein. Ich sah es seinem Blick an, mit dem er meinem entgegnete. Er schien die Distanz genauso wenig zu wollen, aber im Gegensatz zu mir war er bemühter und damit auch erfolgreicher. Er war auch jetzt derjenige, der diesen Moment unterbrach.

Mit der Hand fuhr er sich stattdessen durch die Haare und kratzte sich anschließend am Hinterkopf. Er wirkte plötzlich so nervös, dass er mir nicht mehr richtig in die Augen sah. Mir ging es in diesem Moment nicht anders. Ich strich meine Haare glatt, weil ich nicht wusste, wohin ich sonst meine Hände tun sollte, und schaute überall, nur nicht direkt in seine Augen.

Es war eine merkwürdige Stimmung, seitdem wir einander so nahe waren. Und je länger wir schwiegen und ich darüber nachdachte, umso stärker wurde das schlechte Gewissen gegenüber Derek. Er dachte sicherlich, ich sei zuhause, würde auf ihn warten und mit ihm alles klären wollen, sobald er nach Hause kommen würde, doch stattdessen stand ich mit Adam auf dem Footballfeld, hatte mit ihm herumgealbert und wäre fast so weit gegangen, ihn zu küssen, als er auf mir lag und mich mit diesen intensiven Blicken angesehen hatte. Es war vielleicht nicht richtig gewesen, aber wieso hatte es sich dann zu diesem Zeitpunkt als das einzig Richtige angefühlt? Was hatte das zu bedeuten?

»Ich glaube, wir sollten langsam gehen. Es ist schön spät« meinte Adam und unterbrach damit meine wirren Gedanken. Ich nickte langsam.

»Okay«

Adam bestand darauf, mich zu begleiten, und ich ließ es ohne Widerworte zu. Genauso wie zwischen uns herrschte auf den Straßen Stille. Ab und an fuhr noch ein Auto an uns vorbei, doch ansonsten war es hier menschenleer. Diese unangenehme Anspannung zwischen Adam und mir war seit diesem Moment, in dem wir uns beide beinahe geküsst hatten, nicht mehr wegzudenken. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich es tatsächlich in Erwägung gezogen hatte, Adam sogar von meiner Seite aus zu küssen, während ich offiziell mit Derek zusammen war. Das hieß, ich war bereit gewesen, ihn zu betrügen, und hatte in diesem Moment nicht einmal ein schlechtes Gewissen gehabt. Ich hatte nicht einmal an ihn gedacht.

Ich versuchte, den Gedanken zu verdrängen, aber ich konnte nicht loslassen. Genauso wenig konnte ich seit diesem Tag leugnen, dass da zwischen Adam und mir rein gar nichts mehr war. Ich hatte es die ganze Zeit nicht für möglich gehalten, nach all den Jahren noch so viel für ihn empfinden zu können, doch der heutige Tag hatte mir das Gegenteil bewiesen. Doch was sollte ich nun tun? Auf mein Herz hören und mich von meinen Gefühlen leiten lassen, auch wenn das bedeuten könnte, von Adam erneut verletzt zu werden und deshalb zum Schluss wieder alleine dazustehen? Oder mich doch lieber darauf konzentrieren, was mein Verstand zu sagen hatte, nämlich Derek nicht zu verlassen, auch wenn das bedeuten könnte, eventuell mit einem Mann zusammen zu sein, den ich nicht so sehr lieben konnte wie Adam? Moment, was hatte ich da gerade eben gedacht? Hatte ich gerade behauptet, Adam zu lieben? Konnte ich denn bereits so weit gehen und von Liebe sprechen oder war das vielleicht doch nur eine Schwärmerei, die irgendwann verschwinden würde, wenn ich mich von ihm fernhalten würde.

Ich wollte die Hände über den Kopf zusammenschlagen, so verzweifelt und hin und hergerissen war ich wegen der ganzen Sache. Adams Anwesenheit machte es nicht besser. Je länger ich neben ihm herlief und spätestens als sich für einen winzigen Augenblick unsere Fingerspitzen berührt hatten, umso mehr bezweifelte ich es, dass mich Derek genauso glücklich machen könnte, wie es Adam könnte. Ich hatte es mir immer eingeredet, aber tief in meinem Inneren wusste ich immer, dass er es war, den ich wollte. Einzig und allein Adam. Ich hatte mich die ganze Zeit bloß mit dem Gedanken, dass ich Adam nicht haben konnte, abgefunden, und als er wieder zu haben war, redete ich mir ein, dass es zu spät war und er sowieso nicht der richtige war, weil ich Angst davor hatte, vielleicht erneut enttäuscht und verletzt zu werden, wenn ich mich zu sehr auf die ganze Sache einließ.

Wir bogen in die Straße ein und standen kurzerhand vor dem Haus, in dem ich mit Derek wohnte. Ich warf einen Blick nach oben zu unserer Wohnung, um zu schauen, ob er zuhause war. Dem Licht zu urteilen war er es. Das machte mich bei unserer Verabschiedung noch nervöser. Ich wollte nicht, dass Derek es so erfuhr, dass ich heute Abend mit Adam Zeit verbracht hatte. Es würde ihm womöglich das Herz brechen und ich könnte mir nicht verzeihen, wenn ich einem Menschen mit meinen Taten so weh tat.

Ich sah von den Fenstern zurück zu Adam. Meine Nervosität stieg ins Unermessliche, als er den Blick von seinen Füßen hob und damit direkt meinem entgegnete. Unschlüssig, wie der nächste Schritt aussehen sollte, standen wir uns unschlüssig gegenüber. Schließlich hielt Adam mir seine Hand entgegen.

»Freunde?« Dieser Vorschlag kam so plötzlich, dass ich für einen Moment wie eingefroren auf meinem Platz stand. Ein kleines Stechen machte sich in meiner linken Brust bemerkbar. Ich konnte mir nicht erklären, wieso es mir so viel ausmachte, dass er plötzlich nur noch Freundschaft von mir wollte, wo ich doch immer noch Derek an meiner Seite hatte, aber vielleicht lag es daran, dass ich Angst davor hatte, er würde seine Gefühle für mich verlieren, sodass ich irgendwann mehr für ihn empfände, als er für mich. Trotzdem nahm ich seine Hand entgegen.

»Freunde« murmelte ich, während sich unsere Hände berührten und das angenehme Kribbeln auf meiner Haut zurückkehrte. Der darauffolgende Blickkontakt zwischen uns war so intensiv, dass ich mich in diesem sanften Braun seiner Augen verlor. Ich sah in ihnen die wahren Gefühle, die mehr als Freunde bedeuteten, aber er sprach sie nicht aus. Sein Blick wanderte stattdessen zu meinen Lippen hinunter, dann wieder rauf zu meinen Augen und dann geschah es: Anstatt meine Hand loszulassen und als Freunde auseinanderzugehen zog er mich an sich und küsste mich. In meinem Inneren explodierte ein Feuerwerk, als sich unsere Lippen berührten, aber ich war im ersten Moment zu perplex, um irgendwie darauf zu reagieren. Adam schien mein Verhalten falsch zu interpretieren. Schnell löste er sich von mir.

»Tut mir leid« murmelte er. Ich schüttelte den Kopf.

»Nein, du kannst ruhig weitermachen« hauchte ich mit heiserer Stimme, legte meine Hände um seinen Nacken und zog ihn zu mir nach unten, um den Kuss fortzusetzen. Ich dachte in diesem Moment nicht an Derek und dass er diesen Kuss jederzeit mitansehen könnte, was mir später in einem ruhigen Moment sicherlich zu schaffen machen wird. Ich hörte bloß auf mein Herz und das schrie nach einem Kuss. Und dieser Kuss war unbeschreiblich.

Adams Hände umklammerten meine Hüfte und zogen mich noch näher an ihn heran. Ich spürte diese Wärme, das Kribbeln und dieses Flattern in meiner Magengegend. Unsere Lippen bewegten sich synchron zueinander und alles fühlte sich plötzlich wie damals an. Ich wollte plötzlich nichts weiter, als ihn an meiner Seite. Doch dieser Moment hielt leider nur für eine kurze Zeit an. Kurz danach kamen die Erinnerungen an die Vergangenheit, in der so viel schief in unserer Beziehung gelaufen war. Ich erinnerte mich an unsere Trennung und letztendlich an Derek, der in diesem Moment oben am Fenster und auf uns herab schauen könnte.

Ich unterbrach den Kuss. Sofort fehlte diese Wärme und dieses unbeschreibliche Gefühl, das ich all die Jahre über vermisst hatte. Adam runzelte verwirrt die Stirn. Als er bemerkte, wie ich nach oben zu der Wohnung schaute, in der Derek womöglich schon auf mich wartete - nichtsahnend von dem, was gerade zwischen Adam und mir passiert war -, seufzte er und machte einen Schritt nach hinten.

»Es tut mir leid« flüsterte ich und sah den Schmerz in Adams Augen. Genauso wenig wie ich wollte, dass Derek traurig war, wollte ich es bei Adam sehen.

»Ich kann das nicht. Nicht, solange ich mit Derek zusammen bin« erklärte ich ihm und spürte Tränen aufkommen. Ich war so verzweifelt wegen der ganzen Sache und fühlte mich so elend, dass ich mit meinem Verhalten gerade womöglich beide verletzen würde.

»Was hat das zu bedeuten?« hakte er nach. Er war verletzt und auch ein bisschen wütend, doch kaum sah er mir tief in die Augen, wurde sein Blick weicher. Womöglich hatte er meine Verzweiflung und die Tränen bemerkt.

»Ich weiß es nicht« murmelte ich und spürte immer mehr Tränen aufkommen. »Ich muss nachdenken«

Mit diesen letzten Worten machte ich auf dem Absatz kehrt und verschwand schnellstmöglich im Hauseingang. Meine Hände zitterten so stark, dass ich mit dem Schlüssel mehrmals das Schlüsselloch verfehlte. Adam lief mir zum Glück nicht hinterher. Er wusste, dass ich meinen Freiraum brauchte, um über alles nachzudenken. Als ich es in den Hauseingang geschafft hatte und die Türe zumachte, sah ich Adam immer noch an seinem Platz stehen, wie er mir hinterher sah. Dann fiel die Tür ins Schloss und ich war alleine.

Verzweifelt lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die Tür und ließ den Tränen freien Lauf. In meinem Inneren herrschte das reinste Gefühlschaos. Der Kuss war wunderschön gewesen und mein Herz sehnte sich nach nichts anderes mehr, als nach weiteren solchen Momente mit Adam, aber gleichzeitig wollte ich Derek und unsere Beziehung nicht verlieren. Er war mir in dieser kurzen Zeit so wichtig geworden, dass ich es nicht übers Herz bringen würde, ihm das Herz zu brechen.

Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen.

Was tat man, wenn man mit einem Mann zusammen war, aber man plötzlich merkte, dass man den Ex immer noch liebte, mehr als den Mann, mit dem man in einer Beziehung war, man aber Angst hatte, sich auf seinen Ex einzulassen, weil man durch ihn schon oft verletzt und im Stich gelassen wurde?

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Tags: #romantik