33. Kapitel
H O P E
Der restliche Tag verlief eher ruhig. Ich hing meinen Gedanken nach, starrte dabei in die Ferne und schaffte es nicht, mich loszureißen, um etwas anderes zu tun. Derek schien zu denken, dass es wegen Nick war, weswegen er mir den nötigen Freiraum gab, aber ehrlich gesagt war es Adam, der dieses Chaos in meinem Kopf verursacht hatte. Und das brachte mir wiederum ein schlechtes Gewissen bis ins Unermessliche ein.
Besonders der Moment mit Adam auf der Bank, wo wir uns erst trauernd in den Armen lagen und danach mit einem kleinen Lachen an die lustigen Momente mit Nick zurückerinnerten, wollte mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Immer wieder sah ich vor meinem inneren Auge, wie ich ihn in meine Arme geschlossen hatte und dabei diese wohlige Wärme und das flatternde Gefühl in meiner Magengegend gespürt hatte. Es war, als würde ich diesen Augenblick ein zweites Mal erleben, denn mein Herz schlug augenblicklich um einiges schneller. Es schien so, als würden alte Gefühle aufleben, die niemals ganz verschwunden gewesen zu sein schienen. In seinen Armen hatte ich mich wie damals wohl gefühlt, so geborgen und geliebt, dass ich zuerst verdrängt und irgendwann vergessen hatte, dass ich mit einem anderen Mann - Derek - in einer Beziehung war.
Ich wandte meinen Blick von der Decke über mir ab und drehte den Kopf in Dereks Richtung. Dieser schlief friedlich - nichtsahnend, was mir für Gedanken durch den Kopf gingen. Ein kleines, immer stärker werdendes Stechen in meiner linken Brust machte sich bemerkbar. Es war nicht fair ihm gegenüber, wie ich mich derzeit aufführte. Er war so ehrlich, so fürsorglich und so liebevoll, aber anstatt es zu genießen, von einem Mann so gut behandelt zu werden, dachte ich an jemand anderes - an meinen Ex, der mir schon des öfteren das Herz gebrochen hatte.
Derek hatte so etwas nicht verdient. Und der Gedanke ließ mich besonders schlecht fühlen. Weil ich wusste, dass es nicht richtig war und es dennoch tat. An Adam denken.
Ich drehte mich auf die andere Seite, weil mich allein sein Anblick schuldig fühlen ließ. Ich versuchte, nicht weiter nachzudenken. Ich sollte schlafen, denn in ein paar Stunden würden wir schon wieder aufstehen und zur Arbeit gehen müssen. Doch an Schlaf war nicht wirklich zu denken. Neben den Gedanken an Adam und den Schuldgefühlen gegenüber Derek drängte auch noch die Angst vor der Reaktion meiner Kollegen in den Vordergrund. Sie würden uns morgen das erste Mal gemeinsam zur Arbeit kommen sehen und ich wusste nicht, wie sie das aufnehmen würden. Würden sie sich nichts weiter dabei denken und einfach ihrer Arbeit weitergehen? Oder würden sie sofort bemerken, dass da zwischen Derek und mir etwas war? Wenn es so wäre, dann war ich mir sicher, dass Stella dafür sorgen würde, jedem davon mitzuteilen, um alle ihrer Version zu glauben - welche das auch immer sein mochte.
Ich schloss die Augen, in der Hoffnung, weder an das eine noch an das andere zu denken, aber es wollte mir nicht so recht gelingen. Sofort sah ich Adam vor mir, mit diesem Lächeln im Gesicht, das ihm so viel besser als diese emotionslose Miene der letzten Tage stand. Ein wohliger Schauer breitete sich auf meinem Körper aus. Das Lachen von heute, als wir uns an die lustigen Zeiten mit Nick gemeinsam zurückerinnert hatten, hallte in meinem Kopf wider. Ich musste bei dem Gedanken lächeln. Dann tauchte die Nacht an Silvester und dieser Kuss zwischen uns auf und ich riss erschrocken die Augen auf und setzte mich kerzengerade auf, raufte mir die Haare und konnte nicht glauben, dass ich daran wirklich gedacht hatte. Ich hätte nicht geglaubt, dass mir der Kuss, der niemals hätte fallen dürfen, irgendetwas bedeuten könnte, aber er war im Nachhinein zu schön gewesen, um ihn einfach vergessen zu können.
Mein Blick wanderte wieder zu Derek. Es war falsch. Ich lag neben diesem wundervollen Mann, der immer gut zu mir war und immer nur das Beste für mich wollte, der versuchte, mir jeden Wunsch zu erfüllen und immer zurücksteckte, nur um mich glücklich und zufrieden zu machen, aber ich ignorierte das in den letzten Tagen und dachte stattdessen bloß an meinen Ex und an diesen einen Kuss, der nicht hätte geschehen dürfen. Seitdem war das Gefühlschaos nämlich riesig und ich wusste nicht, was mir geschah. Seitdem spürte ich Gefühle, wenn ich in seiner Nähe war oder an ihn dachte, die ich glaubte, längst hinter mich gelassen zu haben.
'Derek war gut für mich, ich brauchte keinen Adam, der mein Leben nur ein weiteres Mal durcheinander bringen würde' redete ich mir ein, doch ich bezweifelte, dass es etwas an der momentanen Lage ändern könnte. Adam war nämlich nicht so leicht aus dem Kopf zu bekommen. Er hatte mir ganz schön den Kopf verdreht, so sehr ich mich auch dagegen gesträubt hatte. Die Frage war nur: 'Warum tat er das?'
Wie eine Blitzreaktion schnappte ich mir das Handy vom Nachttisch und suchte in meine Kontakte, bis sich kurzerhand das Nachrichtenfenster öffnete. Meine Finger huschten flink über die Tastatur. Ich tippte, ohne groß nachzudenken, doch als mein Finger über Absenden schwebte, hielt ich inne. War das wirklich eine gute Idee?
Es wäre die Frage, die mich am meisten belastete, vor allem, weil ich jedes Mal, wenn ich länger nachdachte, Angst davor hatte, verletzt zu werden, weil ich mich zu sehr in die Sache hineinsteigerte. Vielleicht war das für ihn ja auch nur ein dämliches Spiel, eine kleine Abwechslung, bevor er sich endgültig festlegte, oder er wollte erst einmal seine Möglichkeiten austesten, um danach zu entscheiden, welche Frau er behalten und welche er wie ein altes Spielzeug achtlos wegwerfen wollte, und ich wäre dann gerade dabei, einen naiven, dummen Fehler, wenn ich weiter darauf einging. Aber selbst, wenn es so wäre, würde er mir das niemals schreiben. Was hatte es also für einen Sinn, ihm diese Frage zu stellen, wenn ich mir nicht einmal sicher sein konnte, dass seine Antwort auch der Wahrheit entsprechen könnte?
Ich schüttelte den Kopf über mich selbst, wieso ich überhaupt auf diese Idee kam, ihm diese Nachricht zu schicken, und bewegte meinen Finger weg vom Absenden-Button hinüber zur Löschtaste. Dabei rutschte mir jedoch aus unerklärlichen Gründen das Handy aus den Händen und während ich versuchte, es wieder zu fassen zu bekommen, passierte das Schlimmste: Mein Finger berührte dabei den Button Absenden.
Wieso küsst du mich und sagst mir ständig diese Worte, obwohl du Tessa heiraten willst? stand da nun in unserem sonst so leeren Chat, und darunter zugestellt. Ich riss geschockt die Augen auf und meine Kinnlade klappte nach unten. »Fuck!«
Durch mein lautes Fluchen bewegte sich Derek neben mir und grummelte etwas Unverständliches. Bevor er womöglich noch wach wurde, schaltete ich den Bildschirm meines Handys aus, stopfte es in die Schublade meines Nachttisches und rollte mich zur Seite.
Ich kniff die Augen zusammen und konnte nicht wahrhaben, was da gerade eben geschehen war. Ich hoffte inständig, dass das alles nur ein dämlicher Traum war, aus dem ich jeden Moment aufwachen würde, um dann festzustellen, dass ich diese Nachricht nie abgeschickt hatte. Doch das war die bittere Realität. Ich hatte sie abgeschickt. Kann ich bitte im Erdboden versinken?
• • •
Als wir am nächsten Morgen dem Firmengebäude immer näher kamen, stieg mein Puls und ich war kaum im Stande, richtig Luft zu holen. Ich stellte mir immer wieder vor, wie sich meine Kollegen verhalten würden, nachdem sie Derek und mich gemeinsam sichten und sich die wildesten Theorien zusammenspinnen würden. Wie sie womöglich auf den Fluren oder in der Küche tuscheln würden, wie sie jeden unserer Schritte beobachten würde und wie sie mich anschließend als jemand abstempeln würden, was ich nicht war.
»Alles okay?« fragte mich Derek plötzlich, als wir an einer roten Ampel zum Stehen kamen. Er hatte seinen Kopf in meine Richtung gedreht und ihn etwas schief gelegt, während er auf eine Antwort meinerseits wartete.
»Klar, was soll sein?« erwiderte ich unschuldig mit dieser Gegenfrage und setzte ein kleines Lächeln auf. Es fühlte sich nicht richtig an, ihn anzulügen, aber ich brachte es nicht übers Herz, ihm meine Zweifel mitzuteilen, denn ich wusste, wie froh er darüber war, dass ich nicht länger die Beziehung geheim halten wollte. Er hatte es nie laut ausgesprochen, aber ich hatte immer gespürt, dass er sich damit nicht besonders wohl gefühlt hatte.
»Keine Ahnung, du wirkst so nervös und bedrückt« murmelte er und kratzte sich am Kinn.
»Nein, alles gut« versicherte ich ihm, auch wenn er mit seiner Vermutung eigentlich genau ins Schwarze getroffen hatte. Er musterte mich eingehend, als wolle er mich mit seinen strahlend grünen Augen durchleuchten, um so herauszufinden, was wirklich los war. Ich zupfte meinen Rock zurecht und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie nervös ich allein durch seinen intensiven Blick wurde. Ich fühlte mich beinahe durchschaut und rechnete schon fast damit, dass er weiter nachhaken würde, doch dann schaltete die Ampel auf Grün und er richtete sein Blick wieder nach vorne auf die Straße. Stattdessen legte er bloß seine Hand auf meinem Oberschenkel ab.
Mein Blick wanderte von seiner Hand zu meinem Handy, auf das ich vorsichtig einen Blick warf. Neben dieser Angst vor der Reaktion meiner Kollegen fürchtete ich mich auch vor der Reaktion einer anderen Person, nämlich die von Adam auf meine ausversehen abgeschickte Nachricht. Doch er hatte nicht geantwortet, nicht einmal gelesen. Auch wenn es mich eigentlich beruhigen sollte, dass er sie nicht gelesen hatte - wo ich doch eigentlich gar nicht wollte, dass er sie jemals zu Gesicht bekam - war ich dennoch ein wenig enttäuscht. Anscheinend erhoffte ich mir doch mehr, als ich je für möglich gehalten hätte. . .
Ich verstaute das Handy zurück in meiner Tasche und beobachtete Häuser und Autos an uns vorbeiziehen. Dereks Hand auf meinem Oberschenkel brachte mich nicht auf andere Gedanken, sondern verstärkten lediglich das Gefühl von Schuld in meinem Inneren.
In der Tiefgarage kam das Auto dann zum Stehen. Am liebsten wäre ich niemals ausgestiegen, sondern ganz schnell nach Hause gefahren, doch stattdessen schnallte ich mich mit zittrigen Händen ab und folgte Derek nach oben zum Firmengebäude. Mein Herz schlug schneller und meine Beine fühlten sich wackelig an. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie die zukünftige Zusammenarbeit mit den anderen aussehen würde, sobald sie realisieren würden, was zwischen Derek und mir außerhalb der Arbeit lief.
Ich legte meine Hand auf mein Herz und atmete tief ein und aus. Ich versuchte, nicht länger über mögliche Reaktionen der anderen nachzudenken oder darüber, wie weit Derek vor den Augen unserer Kollegen gehen würde. Wir hatten zwar besprochen, eher unauffällig zu bleiben und nicht jedem unter die Nase zu reiben, dass wir ein Paar waren, aber wer wusste schon, ob wir dabei die gleichen Vorstellungen hatten.
Derek hielt mir die Türe zum Ausgang auf und schenkte mir ein charmantes Lächeln. Ich erwiderte es und ein kleiner Teil der Last fiel mir bei diesem Anblick von den Schultern. Dieses Lächeln auf seinen Lippen hatte eine beruhigende Wirkung auf mich.
»Guten Morgen, Mr. Chambers. Guten Morgen, Miss Collins« begrüßte uns die Dame am Empfang. Sie musterte uns einen kleinen Augenblick, wie wir nah beieinander liefen, sich dabei ab und an unsere Fingerspitzen berührten, und ich könnte schwören, sie bemerkte diese Spannung, die zwischen uns lag. Wahrscheinlich sind ihr auch seine Blicke in meine Richtung, die kleinen Berührungen unserer Finger oder die Tatsache, dass wir das erste Mal gemeinsam hier auftauchten und Derek mir dabei so nahe kam, obwohl er sonst immer auf großer Distanz zu seinen Mitarbeitern blieb, aufgefallen.
»Morgen« meinte Derek gutgelaunt, bevor wir weiter zum Aufzug gingen. Als wir davor warteten, spürte ich seinen stechenden Blick auf mir ruhen, was die Nervosität nur noch größer werden ließ. Auch im Aufzug warf er mir immer wieder Blicke zu und ich war mir sicher, dass diese den anderen nicht entgangen waren. Ich schaute nach unten auf meine Füße und rieb mir die schwitzigen Hände am Rock ab. Als sich die Fahrstuhltüren öffneten, atmete ich erleichtert aus. Ich hatte mich noch nie so sehr darauf gefreut, aus dem Aufzug wieder aussteigen zu können, wie heute.
Ich versuchte, mit eiligen Schritten in mein Büro zu flüchten, denn auf dem Flur befanden sich einige Mitarbeiter, die zu einem der Räume liefen oder sich mit ein paar Mitarbeitern unterhielten, doch Derek hielt mich ab. Er umfasste sanft mein Arm und zog mich näher zu sich. Ich sah zu ihm auf, in diese wundervollen grünen Augen, die mich für einen Moment vergessen ließen, wo wir uns gerade befanden und wer uns alles womöglich zuschaute.
»Wir sehen uns nachher. In meinem Büro« meinte er mit seiner rauen Stimme, die mir einen wohligen Schauer über den Rücken laufen ließ. Ich könnte seiner Stimme stundenlang zuhören.
Was er danach tat, realisierte ich zu spät, um es verhindern oder darauf reagieren zu können. Seine Lippen landeten für einen klitzekleinen Augenblick auf meinen, dann wandte er sich wortlos ab und verschwand in Richtung seines Büros. Ich sah ihm verdattert hinterher, bevor ich meinen Blick langsam auf die anderen richtete, die ihren ebenfalls von Derek abwandten und stattdessen mit aufgerissenen Augen und heruntergeklappten Kinnladen in meine Richtung sahen. Das blanke Entsetzen war allen ins Gesicht geschrieben. Ganz vorne stand Stella. Sie musterte mich von oben bis unten mit einem abschätzigen Blick, als würde sie angestrengt danach suchen, was Derek davon überzeugt haben könnte, sich auf mich einzulassen.
Alles erinnerte mich an meine Vergangenheit. Ich fühlte mich in der Zeit zurückversetzt, als Adam mich damals zum ersten Mal vor anderen geküsst hatten. Auch er ist nach dem Kuss direkt verschwunden und hatte mich mit den überraschten und erschrockenen Gesichtern der Mitschüler und seiner Freunde allein gelassen. Sie hatten mich angesehen, als wäre ich eine Außerirdische, als wäre der Kuss zwischen Adam und mir etwas Unvorstellbares gewesen. Dieser Moment schien sich nun zu wiederholen. Damals geschah es im Schulgebäude, heute im Firmengebäude. Damals sah mich Ashley und ihre Freundinnen mit diesem abschätzigen Blick an, heute tat es Stella. Damals war es Adam, heute ist es Derek.
Ich flüchtete. So schnell ich konnte, lief ich in mein Büro, wo ich mich für die nächsten Stunden verschanzte. Ich schlug die Tür hinter mir zu und lehnte mich tief ausatmend dagegen, schloss dabei die Augen und sah das vorherige Geschehen vor mir. Derek hatte mich geküsst. Vor allen anderen. Das verstand er also unter unauffällig verhalten.
Frustriert darüber, wie der heutige Tag angefangen hatte, und ein wenig sauer, dass Derek genau das wiederholen musste, was Adam damals getan hatte, lief ich hinüber zu meinem Schreibtisch, wo ich für die nächsten Stunden versuchte, meine Arbeit möglichst gut zu erledigen. Ich ließ die Gedanken nicht länger an mich heran, so groß das Chaos in meinem Kopf auch war. Ich tippte an meinem Laptop, ohne ein einziges Mal das Büro zu verlassen, so sehr ich mich auch nach einer Tasse Kaffee sehnte.
Als die Arbeit erst einmal erledigt war, versuchte ich, mich anderweitig abzulenken. Ich ging auswendig gelernte Songtexte durch, nur um nicht darüber nachzudenken, wie sich die anderen wohl mir gegenüber verhalten würden, wo sie nun von Derek und mir wussten. Als mir keine mehr einfielen, suchte ich mich mit meinem Blick im Raum um blieb letztendlich an meinem Handy hängen, das auf dem Schreibtisch neben meinem Laptop lag. Sofort tauchten die Gedanken an Adam und mein peinliches Missgeschick, als ich die Nachricht ausversehen abgeschickt hatte. Das war nicht die Art von Ablenkung, die ich gesucht hatte . . .
Ich fragte mich augenblicklich, ob er mittlerweile meine Nachricht gelesen und darauf geantwortet hatte. Meine Neugier stieg ins Unermessliche, sodass ich am liebsten sofort nachschauen wollte, aber gleichzeitig fürchtete ich mich auch davor, seine Antwort zu lesen. Letztendlich siegte meine Neugier, weswegen ich mir das Handy schnappte und nachschaute. Ich öffnete unseren Chat und spürte ein kleines Stechen in meiner linken Brust. Da stand keine Antwort seinerseits, nur ein gelesen.
Hatte ich etwas falsch gemacht, war er genervt von mir, war es ihm doch nicht so ernst mit mir oder warum antwortete er mir nicht?
Ich schüttelte den Kopf und redete mir ein, dass es nicht wichtig war, doch insgeheim wusste ich, dass es mir mehr ausmachte, dass er mir nicht zurückgeschrieben hatte, als es womöglich sollte. Ich versuchte, es nicht länger an mich ranzulassen, doch während der Arbeit erwischte ich mich immer wieder dabei, wie ich immer aufs Neue nach einer plausiblen Erklärung für sein Verhalten suchte - so wie auch jetzt.
Was hatte ich eigentlich erwartet? Dass er mir schmeichelte, mir die große Liebe gestand und damit alles, was damals geschehen war - womit er mir weh getan hatte - vergessen war? Ich schüttelte den Kopf und schnappte mir erneut das Handy vom Schreibtisch. Ich öffnete die Liste meiner Kontakte und blieb an seinem hängen. Sagte man nicht 'Keine Antwort ist auch eine Antwort'? War das also seine Antwort auf meine Frage? Dass es keinen ersichtlichen Grund für sein Verhalten gab oder dass es ihm einfach nicht wichtig genug war, mir den Grund für sein Verhalten zu nennen?
Ich schüttelte den Kopf und tippte auf seinen Kontakt. Ich sollte nicht länger über Adam grübeln und was er mir mit seinen betrunken ausgesprochenen Worten und dem Kuss sagen wollte, sondern stattdessen lieber auf Derek und unsere bevorstehende Zukunft konzentrieren. Wahrscheinlich hatte Adam meine Nachricht längst vergessen oder gar gelöscht und sitzt mit Tessa auf der Terrasse, um deren Hochzeit zu planen.
Mein Finger schwebte bereits über der Löschtaste, um ihn aus meinem Handy und damit hoffentlich auch bald aus meinem Kopf zu löschen, doch in genau diesem Moment klopfte es an der Tür, weshalb ich es auf nachher verschieben musste. Ich legte mein Handy beiseite und entdeckte Cole, wie er seinen Kopf hereinsteckte. »Kann ich reinkommen?«
Als ich nickte, trat er mit einem vorsichtigen Lächeln in den Raum und schloss hinter sich die Tür. Er besuchte mich eher selten in meinem Büro und als ich seinen unsicheren Gesichtsausdruck bemerkte, hatte ich bereits eine kleine Vorahnung, worüber er gleich mit mir sprechen wollte: Der Kuss zwischen Derek und mir. Ich hatte ihn zwar nicht in der Menge gesehen, die direkt dabei gewesen war, als es geschah, aber ich war mir sicher, dass es bereits die Runde machte.
»Was ist los? Stella erzählt überall herum, du hättest mit Mr. Chambers rumgeknutscht« meinte er und ließ sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen. Er lehnte sich zurück in die Lehne und musterte mich argwöhnisch, als könne er nicht glauben, dass das, was Stella in der ganzen Firma verbreitete.
»Das stimmt doch nicht, oder?« hakte er nach, lachte auf und trug ein breites Grinsen auf den Lippen, als sei das alles nur ein blöder Scherz, den sie sich ausgedacht hatte. Als er jedoch meinen nervösen Blick bemerkte, erstarb dieses Lächeln und sein Blick wechselte von Belustigung zu Irritation. »Echt jetzt?«
Ich nickte langsam und biss mir unsicher, wie er darauf wohl reagieren würde, auf die Unterlippe.
»Krass« murmelte er vor sich hin und schien einen Moment lang nicht zu wissen, was er sagen dazu sagen sollte. Meine Nervosität stieg und langsam fing ich an, mich für meine Gefühle zu schämen. War es denn falsch, seinen Gefühlen zu folgen, auch wenn das bedeutete, mit meinem Vorgesetzten, meinem Chef, zusammenzusein?
»Schlimm?« hakte ich nach.
»Quatsch nein!« beteuerte er. Er öffnete den Mund, um weiterzureden, doch ich kam ihm zuvor.
»Ich weiß, es sieht komisch aus, weil er mein Chef ist ... deswegen haben wir es auch erst geheim gehalten, weil ich eben wusste, welche Kreise das mit sich ziehen würde, aber -« versuchte ich, mich zu rechtfertigen, doch Cole unterbrach mich mitten im Satz.
»Du musst dich nicht für deine Gefühle rechtfertigen. Es ist vollkommen okay, wenn ihr zusammen seid« Es war erleichternd, diese Worte zu hören und dennoch blieb ich verunsichert. Das schien er auch zu bemerken.
»Ehrlich, ich freu mich für dich« fügte er mit einem ehrlichen Lächeln auf den Lippen hinzu. Ich erwiderte es und spürte, wie mir ein Teil der Lasten von den Schultern fielen. Ich war so froh darüber, dass meine Freunde gelassen mit dieser Situation umgingen. Wieso konnten das nicht auch die anderen tun?
»Und jetzt lass uns einen Kaffee trinken gehen. Du kannst nicht ewig hier bleiben« Er stand entschlossen auf und sah mich abwartend an. Ich dachte wieder daran, wie Stella von Mitarbeiter zu Mitarbeiter ging und ihnen von Derek und mir und ihre dazugehörige Theorie erzählte. Womöglich dachten bereits ein Großteil der Firma, wenn nicht sogar schon alle, ich wäre berechnend und würde für eine Gehaltserhöhung oder Beförderung selbst solche Dinge tun. Meine Luftröhren schnürten sich zu.
»Aber die anderen« brachte ich stockend hervor und versuchte, den Kloß herunterzuschlucken - ohne Erfolg.
»Ist doch egal, was die anderen darüber denken« meinte er abwinkend. Wenn das nur so einfach wäre, wie er sagte ...
Mit zittrigen Beinen stand ich auf und nahm seine Hand, die er mir entgegen streckte. Gemeinsam verließen wir mein Büro. Er legte mir freundschaftlich einen Arm um die Schulter, als könne er mich so vor den abschätzigen Blicken und dem Getuschel der anderen bewahren. Er redete einfach los, von seinem peinlichen Verhalten an Silvester und über das Date mit einer Frau, die sich mehr als merkwürdig verhalten hatte, aber die gar nicht wieder so leicht loszuwerden war. Ich versuchte, mich auf seine Worte zu konzentrieren, aber immer wieder befürchtete ich, Stella könnte auftauchen und mir einen blöden Spruch hindrücken, wie Ashley und ihre Freundinnen damals. Die Befürchtung wurde dann auch wahr.
»Hope. Wie ich sehe, hast du dir schon den nächsten Typen hier in der Firma geangelt« Sie musterte mich von oben bis unten mit einem abschätzigen Blick und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Ein paar Kollegen blieben stehen und warfen unauffällige Blicke in unsere Richtung. Sie taten so, als wären sie in Gespräche oder tief in ihre Arbeit vertieft, aber ich wusste, dass sie einzig und allein uns dabei belauschten, was Stella zu der Aktion mit Derek zu sagen hatte.
»Stella, hör auf mit dem Scheiß« mischte sich Cole ein, dessen Arm ich schnell von meiner Schulter geschoben hatte. Er sah Stella mit einem auffordernden, warnenden Blick an, doch sie ignorierte das geflissentlich.
»Echt armselig, dass du dir nur mit solchen Mitteln zu helfen weißt, um befördert zu werden oder mehr Geld für deine "Arbeit" zu bekommen« Bei dem Wort 'Arbeit' machte sie mit ihren Händen Anführungszeichen und spielte damit direkt auf die Dinge, die sie zwischen Derek und mir vermutete - Sex - an.
»Es reicht, Stella!« warf Cole ein und wollte sich schützend vor mich stellen, doch ich hielt ihn am Arm fest und warf ihm einen bedeutenden Blick zu. Ich wollte nicht auch noch schwach gelten, als eine, die sich nicht selbst verteidigen konnte.
»Obwohl ich wirklich nicht weiß, was Mr. Chambers dazu gebracht hat, sich auf jemanden wie dich einzulassen« Es folgte wieder dieser abschätzige Blick, mit dem sie mich musterte. »Viel zu gewöhnlich«
Die Tränen schossen in die Augen und ich konnte sie nur mit größter Mühe zurückhalten. Es war nicht die Tatsache, dass sie mich gewöhnlich nannte, die mich zu Tränen brachte, sondern dass sie mich damit an die schlimmste Zeit meines Lebens erinnerte, als meine Mitschüler ständig mein Äußeres kritisiert hatten.
Bevor ich vor versammelter Gruppe doch noch in Tränen ausbrach, machte ich auf dem Absatz kehrt und lief davon.
»Naja, wenigstens weiß jetzt jeder, dass du mit jedem in die Kiste springst, sobald es dir einen Vorteil bringen könnte« rief sie mir hinterher - so laut, dass es jeder in unserer Nähe klar und deutlich hören konnte. Ich brauchte mich nicht umdrehen, um zu wissen, wie sie in diesem Moment zufrieden grinste.
»Du bist ein richtig ekelhafter Mensch« sagte Cole zu ihr, dann hörte ich Schritte, die meinen immer näher kamen, bis ich seine Hand meinen Arm umklammern spürte. Doch ich wollte in diesem Moment nur allein sein, weswegen ich sie abschüttelte und meine Schritte beschleunigte. Ich sah die ganze Zeit auf meine Füße und spürte, wie die Tränen in meinen Augen immer weiter die Sicht verschwimmen ließen.
Ich spürte alle Blicke auf mir ruhen und ausgerechnet jetzt tauchte auch noch Derek auf, in den ich beinahe hineingelaufen wäre. Er sah mich irritiert und besorgt an, als er meinem tränenverschleierten Blick begegnete. Er hob eine Hand, um sie auf meine Wange zu legen, öffnete den Mund einen Spalt breit, um etwas zu sagen, doch ich quetschte mich an ihm vorbei und eilte weiter zu meinem Büro, wo ich mir meine Sachen schnappen würde, um dann schleunigst von hier zu verschwinden.
Ich schlug die Tür meines Büros hinter mir zu und lief hinüber zu meinem Schreibtisch. Ich versuchte, nicht zu weinen und nicht darüber nachzudenken, wie sehr ich mich darin getäuscht hatte, dass alles gut verlaufen würde. Meine Sorgen war berechtigt gewesen und genau diese Dinge sind nun auch eingetreten.
Die Tür wurde aufgerissen. »Was ist los?«
Derek stand in meinem Büro und sah mich besorgt und irritiert zugleich an. Er schien noch nicht mitbekommen zu haben, was für Gerüchte durch die Firma über uns gingen. Dass unsere "Beziehung" nur auf ein Plan, befördert zu werden, beruht.
Ich gab ihm keine Antwort, hatte immer noch mit den Tränen in meinen Augen und dem Kloß in meinem Hals zu kämpfen. Ich schnappte mir mein Notizbuch und mein Handy, um es in meine Tasche zu stopfen. Meine Hände zitterten, während ich vergeblich versuchte, den Reißverschluss zu schließen. Meine Luftröhren schnürten sich zu und ich hatte das Gefühl, kaum atmen zu können.
»Hope?« hakte er nach und kam um den Tisch herum. Ich sah nicht auf, sondern auf meine zitternden Hände, hörte nur die Schritte und sah kurz darauf eine seiner Hände, wie er sie auf meine ablegte, um mich zu beruhigen. Mit der anderen umfasste er vorsichtig mein Kinn und zwang mich damit, ihm in die Augen zu sehen. »Hope, rede mit mir!«
»Wieso hast du das getan?« brach es einfach aus mir heraus. Er runzelte die Stirn. »Wieso hast du mich vor allen geküsst?«
»Ich-Ich dachte, das wäre für dich okay« antwortete er irritiert und stockte immer wieder.
»Gar nichts ist okay!« schrie ich ihm ins Gesicht. Wie ein brechender Damm strömten die Tränen aus meinen Augen und rollten über mein Gesicht. »Wegen dir denken jetzt alle, ich sei ein Flittchen, das mit jedem für ein bisschen mehr Geld oder Erfolg ins Bett hüpft!« warf ich ihm vor und riss mich von ihm los.
Es war nicht fair, ihn für alles schuldig zu machen, wo ich ihm klargemacht hatte, dass ich kein Problem mehr haben würde, es öffentlich zu machen, aber in diesem Moment platzte es einfach aus mir heraus, sodass ich die Worte nicht zurückhalten konnte.
»Lauf jetzt nicht weg!« Derek stellte sich mir in den Weg, als ich gerade dabei war, aus dem Büro zu verschwinden. »Du hast gesagt, du willst das mit uns nicht mehr geheim halten. Du wolltest es allen sagen« verteidigte er sich.
»Aber doch nicht so!« erwiderte ich und fuchtelte aufgeregt mit den Händen in der Luft herum. »Wir haben besprochen, unauffällig zu bleiben und was machst du? Du küsst mich gleich bei der erstbesten Gelegenheit, wenn ganz viele zuschauen und haust dann einfach ab!«
»Ich-« wollte er etwas darauf erwidern, doch ich unterbrach ihn sofort. »Du hast mich einfach im Stich gelassen, anstatt mir beizustehen und klarzustellen, dass das nicht einfach nur eine Affäre ist« Ich versuchte, mich zu beherrschen, um nicht allzu laut zu werden, doch es fiel mir schwer.
»Oder ist es für dich doch nicht so viel mehr?« Ich spürte den stechenden Schmerz in meiner Brust, dachte gar nicht über meine Worte nach.
»Doch, natürlich ist es mehr als eine dämliche Affäre. Ich liebe dich! Deswegen hab ich dich auch vor allen geküsst, damit alles noch besser wird. Dass wir endlich ganz normale Dinge tun können«
»Damit hast du aber alles nur noch schlimmer gemacht« flüsterte ich heiser und bevor ich wieder in Tränen ausbrach, lief ich an ihm vorbei und lief davon. Weg von meinem Büro, weg von Derek.
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