30. Kapitel


A D A M

Wenn man von der Nachricht, dass ein geliebter Mensch gestorben ist, hört, spürte man diese Leere und diesen Schmerz in der Brust. Wenn man aber selbst mitansehen musste, wie dieser Mensch den letzten Atemzug nahm, bevor er von uns ging - auf dem dreckigen Asphalt und in seinem eigenen Blut liegend -, dann war noch viel schmerzhafter.

Ich schloss die Augen und atmete tief aus, versuchte das Bild aus meinem Kopf zu verbannen. Der Abschied von geliebten Menschen fiel schwer. Freunde in so jungen Jahren zu verlieren, war schrecklich. Der Schritt zu Nicks Grab würde der Schwierigste werden.

Ich öffnete meine Augen wieder und betrachtete mein Spiegelbild. Ich rückte die schwarze Krawatte zurecht und betrachtete meinen schwarzen Anzug, der meinen Körper umhüllte. Ich schluckte bei der Vorstellung, bald vor Nicks Sarg zu stehen und dem Bestatter dabei zuzusehen, wie er ihn unter die Erde brachte, schwer. In meinem Hals war wieder dieser schwere Kloß und ein bedrückende Gefühl in meinem Brustkorb, als könnte ich nicht richtig atmen.

Ich hörte ein leises Klopfen an meiner Tür, aber ich reagierte nicht darauf. Vielzusehr war ich damit beschäftigt, jegliche Tränen zurückzuhalten, die sich langsam in meinen Augen sammelten.

»Adam« Die sanfte Stimme meiner Mum erklang. Ich hörte, meine Zimmertür leise ins Schloss fallen, dann das leise Klappern ihrer Schuhe. Ich bewegte mich keinen einzigen Millimeter, ballte meine Hände zu Fäusten und versuchte, die Kontrolle über mich und meine Gefühle nicht zu verlieren. Der Schmerz wurde immer erdrückender, die Luftröhren schnürten sich immer weiter zu und die Tränen in meinen Augen wurden immer mehr.

Mum legte ihre Hand auf meine Schulter und strich behutsam mit ihrem Finger über den Stoff des Sakkos. Ich atmete zitternd ein und aus, schloss die Augen und schluckte die Tränen hinunter.

»Wir können los« meinte ich dann und sah das erste Mal in ihre Richtung. Sie schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, drückte meine Schulter, bevor sie sich umdrehte und mit mir das Zimmer verließ.

»Geh schonmal runter, ich warte noch auf deine Schwester« erklärte Mum, als wir vor Maddys Zimmer standen. Ich nickte und befolgte ihrem Rat. Unten warteten bereits Dad und Tessa. Dad trug wie ich einen schwarzen Anzug. Über sein Gesicht lag ebenfalls dieser trauernde Schatten.

»Geht's dir gut?« fragte er mich und sah mich besorgt an. Ich hatte meinen Dad schon lange nicht mehr so besorgt gesehen, weswegen es mir im ersten Moment leicht die Sprache verschlug. Ich nickte bloß als Antwort und bemühte mich um ein Lächeln, woran ich jedoch kläglich scheiterte und lediglich ein trauriges Lächeln zustande brachte.

Mein Blick wanderte hinüber zu Tessa. Sie schien sich in der Situation nicht sonderlich wohl zu fühlen. Sie hatte ihren Blick auf ihre Füße gerichtet und schien nicht so recht zu wissen, wohin mit ihren Händen. Sie trug ein dunkles Kleid, ihre Haare fielen in leichten Wellen über ihre Schulter und das Make-Up war diesmal sehr dezent.

Ich vergrub die Hände in die Hosentaschen und sah ebenfalls auf den Boden. Es herrschte eine bedrückende Stille zwischen uns und keiner schien so recht zu wissen, was in diesem Moment angemessen wäre.

»Hey Schatz, alles okay?« hörte ich meinen Dad mit ungewöhnlich sanfter Stimme zu sehen. Ich drehte mich um und erblickte Maddy, die sich an Mums Arm klammerte, als befürchte sie, jeden Moment zusammenzubrechen und zu Boden zu sinken. Als sie bei uns unten angekommen war, nahm Dad sie in den Arm und drückte ihr einen Kuss auf ihren Kopf. »Du bist stark, Maddy« murmelte er.

Sie schniefte, dann schenkte sie meinem Dad ein kleines Lächeln. »Danke«

Wir liefen alle gemeinsam zum Auto. Mum und Dad stiegen vorne ein, Maddy, Tessa und ich nahmen auf der Rückbank Platz. Es fühlte sich komisch an, so nahe neben Tessa zu sitzen. Die meiste Zeit schaute ich aus dem Fenster, um ihrem Blick nicht zu begegnen.

Ich versuchte, mich auf die Umgebung zu konzentrieren, anstatt die ganze Zeit an Nick oder daran, dass ich in wenigen Minuten Hope wiedersehen würde, zu denken. Ich beobachtete, wie Häuser und Bäume, andere Autos oder Passanten an uns vorbeiziehen. Auch heute schien wieder die Sonne und brachte den Schnee immer weiter zu schmelzen.

Als wir auf dem Parkplatz des Friedhofes Halt machten, versteifte ich mich. Der Moment war gekommen. Wir würden Abschied von Nick nehmen, der viel zu früh sterben musste. Ich würde meinen alten Freunden wieder begegnen, die ich teilweise seit Jahren nicht mehr gesehen oder gesprochen hatte. Ich würde Hope sehen, die vielleicht auch Mr. Chambers mitbringen würde. Ich war mir nicht sicher, ob ich all dem Stand halten konnte.

»Kommst du?« fragte Dad. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und sah, dass alle bereits ausgestiegen waren. Ich nickte und beeilte mich, den Gurt zu lösen und aus dem Auto auszusteigen. Einige der Trauernden waren bereits hier und warteten an ihren Autos oder in kleinen Gruppen auf dem Parkplatz verteilt.

Mein Blick landete sofort bei Hope, die mich ebenfalls ansah. Sie legte den Kopf schief und wirkte besorgt. Ich spürte einen Stechen in meiner linken Brust, als Mr. Chambers einen Arm um ihre Schulter legte, sie zu sich zog und einen Kuss auf ihre Schläfe platzierte. Ich wurde mal wieder mit der grässlichen Tatsache konfrontiert, dass ich verloren hatte.

Ich senkte meinen Blick auf meine Schuhe und schlug die Autotür zu, bevor ich meinen Eltern folgte. Ich spürte ihren Blick weiterhin auf mir ruhen und versuchte dabei zu ignorieren, wie mein Herz schneller schlug.

In den nächsten fünf Minuten wurden Händen geschüttelt, Beileid ausgesprochen und einander vorgestellt. Mum und Dad unterhielten sich mit Nicks Eltern, die auch meiner Schwester ihr Beileid aussprachen und tröstende Worte fanden. Ich hielt währenddessen Ausschau nach meinen alten Freunden und spürte mit jeder Sekunde die Nervosität steigen. Ich wusste nicht, wie ich mich ihnen gegenüber verhalten sollte, wenn wir uns das erste Mal nach Jahren wieder gegenüberstehen würden.

»Alles gut bei dir?« Ich drehte meinen Kopf zur Seite, wo Tessa stand. Das war das erste Mal für heute, das sie sprach. Sie war die ganze Zeit still gewesen und ist uns bloß hinterhergelaufen.

»Ja, alles gut« meinte ich abwinkend und sah wieder nach vorne. Ich vergrub die Hände in den Hosentaschen und beobachtete, wie der schwarze Mercedes von Jonas und direkt dahinter ein schwarzer Audi auf den Parkplatz fuhr und in einer leeren Lücke zum Stehen kamen. Hinter dem Steuer des Audis saß Damian. Wie ich schwer erkennen konnte, trug auch er ein schwarzes Sakko.

Aus dem Mercedes stieg zur selben Zeit Jonas von der einen Seite und Scott von der anderen Seite aus. Auch sie hatten sich einen Anzug übergezogen, der schwarz war. Ich beobachtete weiter, wie Jonas das Auto abschloss, während Damian auf die beiden zulief und sie mit einem Handschlag und einem Schulterklopfen begrüßte. Er sagte etwas zu den beiden, dann verschwand er in die Richtung, wo Hope gemeinsam mit Mr. Chambers stand. Die beiden fielen sich in die Arme, vergruben deren Gesichter in die Schulter des anderen und blieben in dieser Position eine ganze Weile stehen. Dann lösten sie sich voneinander, Hope sagte etwas, während sie zu Mr. Chambers zeigte, dem Damian daraufhin die Hand reichte.

Mein Blick richtete sich wieder auf Jonas und Scott. Die beiden unterhielten sich, während sie auf uns zugelaufen kamen. Ich rieb mir nervös die Hände an der Anzugshose ab, da sie vor Nervosität ganz schwitzig wurden. Ich überlegte fieberhaft, wie ich mich verhalten sollte und was ich sagen sollte, doch die beiden nahmen mir die Entscheidung ab.

Kaum standen Jonas und Scott vor mi, zogen sie mich nacheinander in eine freundschaftliche Umarmung, als wäre es erst gestern gewesen, wo wir uns gesprochen hätten. Mit Jonas hatte ich wenigstens noch ein bisschen Kontakt gehabt und er hatte mich auch schon ein paar Mal in New York besucht, aber Scott hatte ich nun schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.

»Ich freu mich, dass wir uns endlich mal wieder sehen« meinte Scott nach einer kurzen Pause, in der Stille zwischen uns dreien herrschte. »Auch wenn die Umstände bessere sein könnten«

Ich nickte und wir führten ein wenig Small Talk. Zu Beginn war unser Gespräch noch ein wenig holprig, aber bereits nach wenigen Minuten hatte sich die Anspannung gelockert und es war, als hätten wir uns nie auseinandergelebt. Wir sprachen nicht sonderlich viel über Nicks Tod, denn man sah es in ihren Gesichtern genauso wie in meinem, wie sehr ihnen mitgenommen hatte, davon zu hören und jetzt hier auf seiner Beerdigung zu stehen.

»Und wer ist das?« fragte Scott leise und zeigte mit dem Finger zu Tessa, die mit meinen Eltern etwas abseits von uns steht. Sie schien in ihren Gedanken versunken zu sein, dass sie nicht bemerkte, dass Scott gerade von ihr sprach.

»Das ist Adams Verlobte« murmelte Jonas und sah mich eindringlich an. Er wusste von meinen Problemen mit ihr und dass Hope noch immer in meinen Gedanken herumspukte. Von all den Geschehnissen, die geschehen sind, seitdem ich meine Heimat besucht hatte, hatte er allerdings keine Ahnung.

»Oh, wow« Scott schien einen Moment sprachlos zu sein. Er sah zwischen uns beiden hin und her und wirkte dabei so, als könnte er nicht glauben, dass Tessa und ich tatsächlich ein Paar und dazu auch noch verlobt waren.

»Ich wusste gar nicht, dass du verlobt bist. Glückwunsch« Er klopfte mir auf die Schulter und grinste breit. »Den Junggesellenabschied organisiere aber ich«

Ich lächelte nur schwach zurück, denn ich wollte gar nicht an eine Hochzeit mit Tessa denken. Ich liebte sie nicht und ich hatte eigentlich auch schon längst den Entschluss gefasst, mich von ihr zu trennen, nur hatte ich mit ihr noch nicht deswegen gesprochen.

»Adam, du alter Frauenheld! Lange nicht mehr gesehen!« rief Damian breit grinsend und lief auf uns zu. Auch er zog mich in eine freundschaftliche Umarmung und klopfte mir auf die Schulter. Er wirkte so gelassen und zufrieden, aber in seinen Augen sah ich deutlich den Schmerz, den wir alle seit Nicks Tod spürten. Er schien diese Traurigkeit überspielen zu wollen. Jeder trauerte nunmal auf seine eigene Art und Weise. Maddy alleine und mit Tränen und Schreien, Mum und Dad leise, wenn keiner ihrer Kinder dabei zusah und ich still und alleine in der einsamen Dunkelheit, wenn ich im Bett lag und die Decke über mir anstarrte.

»Schaust gut aus« meinte er, als er sich wieder von mir löste und sich neben Jonas stellte. Hinter ihm tauchten auch Hope und Mr. Chambers auf. Sie warf unsicher einen Blick in meine Richtung, dann sah sie zu den anderen Jungs, die neugierig den Mann neben ihr musterten.

»Hey« Es war bloß ein heiseres Flüstern, das sie herausbrachte. Nervös biss sie sich auf die Unterlippe - eine Angewohnheit, die so wohl immer noch nicht ablegen konnte. Jonas und Scott umarmten sie zur Begrüßung. Ich hingegen blieb wie angewurzelt stehen und spürte die Anspannung in jeder einzelnen Faser meines Körpers. Eigentlich wäre ich jetzt an der Reihe, sie zu begrüßen, aber zu allem, was ich im Stande war, war ein kleines Nicken.

»Das ist Derek. Mein Freund« brachte Hope zögernd hervor und schielte unsicher in meine Richtung, als warte sie auf eine Reaktion meinerseits ab. Doch ich sah sie bloß mit emotionsloser Miene an, während in meinem Inneren die Wut brodelte und gleichzeitig die Traurigkeit hervorkroch. Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen, als ich die beiden wieder nebeneinander stehen sah, wie sein Arm um ihre Hüfte geschlungen war.

Derek reichte meinen Freunden die Hand und wechselte ein paar nette Worte mit ihnen wie 'Oh, Hope hat schon viel von euch erzählt' oder 'Ich freue mich, euch endlich mal kennenzulernen, auch wenn das nicht der beste Zeitpunkt ist'. Dann wandte er sich an mich und streckte mir die Hand hin.

»Wir kennen uns ja bereits« meinte er. Ich nickte. Dann nahm ich seine Hand.

»Hallo« murmelte ich mit monotoner Stimme. Mein Kiefermuskel zuckte.

Ich spürte die Blicke aller auf mir ruhen. Jonas musterte mich argwöhnisch und auch die anderen schienen zu bemerken, dass es mir mehr ausmachte, dem neuen Freund meiner Ex-Freundin die Hand zu reichen, als sie wahrscheinlich die ganze Zeit vermutet hatten.

»Da seid ihr ja, Kinder« hörte ich meine Mum sagen. Die Jungs schmunzelten über die Tatsache, dass sie uns Kinder nannte.

»Hallo Mrs. McLane« antworteten sie im Chor und umarmten sie nacheinander. Sie wechselten ein paar Worte, bei denen Mum wieder einmal anmerken musste, wie groß und erwachsen sie geworden sind und dass sie sich freut, alle wieder zu sehen. Auch Derek lernte sie kurzerhand kennen. Sie schüttelte ihm die Hand und schenkte ein kleines Lächeln. Eine merkwürdige Situation, meine Mutter die Hand des neuen Partners der Ex-Freundin ihres Sohnes zu schütteln.

»Hope, wie schön du geworden bist! Lass dich mal drücken« sagte Mum dann freudig und zog Hope in eine Umarmung. Ich musste meiner Mum Recht geben: Hope war wunderschön. Das Haar, das über die Jahre länger geworden war, fiel seidig glänzend über ihre Schultern. Der schwarze Stoff ihres Kleides schmiegte sich an ihren Körper und betonte ihre Figur. Ihre Augen strahlend in diesem wunderschönen Blau, in denen ich schon damals stundenlang versinken konnte. Und wenn ich nur daran dachte, wie gut es sich angefühlt hatte, ihre Lippen auf meinen zu spüren, steigerte sich mein Herzschlag und ich vergaß für einen Moment all die Trauer. Doch dann erinnerte ich mich auch gleichzeitig daran, wie sie mich von sich geschoben hatte, weil sie keinen Kuss zwischen uns wollte. Und dann begann mein Herz wieder weh zu tun.

»Alles gut?« fragte Jonas. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und bemerkte, wie sein Blick zwischen Hope und mir hin und her wanderte. Ich sagte nichts dazu, sondern versuchte bloß, diesen Schmerz zu verdrängen, der sich mit der Trauer über Nick vermischte und deshalb unerträglich wurde.

»Ich weiß, dass du Hope vermisst. Ich seh das an deinem Blick, den du ihr ständig zuwirfst« fügte er hinzu, als er von mir keine Antwort bekam. Ich wandte meinen Blick von ihm ab und sah wieder zu Hope. Sie war in ein Gespräch mit meiner Mum verwickelt. Ich sah das kleine Lächeln in ihrem Gesicht und spürte wieder einmal das kleine Stechen in meiner linken Brust.

Ich schloss meine Augen, machte auf dem Absatz kehrt und folgte den anderen zum Eingang der Trauerhalle. Jonas seufzte, dann folgte er mir, ohne noch ein einziges Wort über Hope zu verlieren. Am Eingang blieb ich abrupt stehen. Die Türe stand offen und dadurch sah ich bereits den Sarg vorne liegen. Daneben stand ein großes eingerahmtes Bild von ihm, auf dem er breit in die Kamera grinste. Der Kloß in meinem Hals kehrte zurück und wurde größer und größer. Jonas legte seine Hand auf meiner Schulter ab und wartete, bis ich bereit war, in das Gebäude einzutreten. Wir setzten uns zu Damian und Scott in die zweite Reihe, direkt hinter meinen Eltern und meiner Schwester, die gleich in der ersten Reihe Platz nahmen.

Kurz darauf betrat auch Hope mit Derek die Trauerhalle. Damian winkte die beiden zu unsere Reihe und forderte die beiden auch, sich zu uns zu setzen ... und damit genau neben mich. Hope zögerte. Sie versuchte, in meinem Blick herauszulesen, was ich von der ganzen Sache hielt, doch ich wandte schnell meinen Blick nach vorne und zwang mich, sie nicht weiter anzusehen. Ich verkrampfte mich augenblicklich, mein Kiefermuskel zuckte und meine Hände umklammerten das Holz der Bank, auf dem ich saß, als sich Hope direkt neben mich und Derek neben sie setzte. Mein Puls raste und ich biss die Zähne zusammen. Ich versuchte, die Gefühle zu verdrängen und redete mir mehrmals ein, dass es mir egal war, ob Hope mit ihrem Chef neben mir saß.

Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie er ihre Hand zu sich zog und sie mit seiner umklammerte.

»Was sollte das? Musst du Adam das wirklich antun?« zischte Jonas Damian zu. Er schien erst jetzt zu realisieren, in was für eine Situation er uns gebracht hatte. »Oh«

Ich sah nach vorne und versuchte, alles um mich herum auszublenden - vor allem die Situation, in die Damian mich gebracht hatte, weil er einfach nicht nachdenken konnte, bevor er seinen Mund aufmachte und irgendetwas von sich gab.

Kurz bevor es losging, lief Tessa zügig den Gang entlang nach vorne zu meiner Familie. Ich spürte Hopes Blicke und die meiner Freunde, wie sie erst zu mir und dann zu Tessa schauten, die mich enttäuscht ansah, während ich regungslos dasaß, sie nicht einmal ansah oder mich darum scherte, mich neben sie zu setzen. Tessa fühlte sich unwohl, so ganz allein auf einer Trauerfeier von jemanden, den sie erst seit ein paar Tagen kannte.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Hopes Blick auf mir ruhte. Sie musterte mich eingehend, als wolle sie herauslesen, was gerade in mir vorging und was mein Verhalten gegenüber Tessa zu bedeuten hatte. Wieder einmal zuckte mein Kiefermuskel.

Eine Melodie läutete die Trauerfeier ein. Der Pfarrer begann zu sprechen. Immer wieder drang ein Schluchzen durch den ganzen Raum, gefolgt vom Rascheln der Taschentücher oder von weiteren Schluchzern. Ich betrachtete das Foto von Nick und konnte immer noch nicht realisieren, dass er nun für immer fort war. Er hatte so viel vor in seinem Leben, wollte noch so viel erreichen und so viel erleben. Er wollte meine Schwester heiraten, mit ihr ihr gemeinsames Kind aufwachsen sehen, weitere Kinder bekommen und mit Maddy alt werden. Aber das konnte er nun alles nicht mehr. Wegen eines blöden Unfalls.

Auch Hope nahm die Rede des Pfarrers emotional mit. Ich sah, wie ihr ein paar Tränen über die Wangen rollten, als ich zu ihr hinüberschielte. Am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen und ihr die Tränen aus dem Gesicht gewischt, doch das übernahm nun Derek. Er legte einen Arm um ihre Schulter, zog sie an sich heran und legte sein Kinn auf ihrem Kopf ab.

Irgendwann übergab der Pfarrer das Wort an meine Schwester. Sie stand mit wackeligen Beinen auf. In ihren zittrigen Händen hielt sie einen zusammengefalteten Zettel, auf dem eine vorbereitete Rede stand. Sie saß gestern den ganzen Nachmittag daran, aber musste immer wieder unterbrechen, weil der Schmerz einfach zu tief saß und die Tränen immer wieder ihren Blick verschleierten.

»Hallo, i-ich bin Maddy...« stellte sie sich mit brüchiger Stimme der Trauergemeinschaft vor. Das Sprechen fiel ihr erheblich schwer. Sie wirkte schwach und ausgelaugt. Unter den Augen zeichneten sich tiefe Augenringe ab, bei denen selbst Make-Up nicht sonderlich weiterhalf.

»Wir sind hier, um uns von Nick zu verabschieden ... Nick-« Sie unterbrach ihre Rede, schloss die Augen und faltete den Zettel wieder zusammen. Dann öffnete sie wieder ihre Augen, in denen sich zahlreiche Tränen widerspiegelte. Dann fuhr sie fort, um diesmal aus dem Herzen heraus zu sprechen. Sie erzählte davon, wie die beiden sich kennengelernt hatten und entlockte damit den anderen ein kleines Lachen, als sie von seiner tollpatschigen Art und seinem machomäßigen Getue berichtete. Auch ich lächelte traurig und sah dabei auf das Foto. Auch dort hatte er dieses freche Grinsen aufgetragen, das wir alle von ihm kannten.

»Wir hatten viele schöne gemeinsame Momente erlebt. Er konnte mich immer zum Lachen bringen« redete Maddy nach einer kurzen Pause weiter. »Ich vermisse diese Zeiten. Ich vermisse ihn« flüsterte sie heiser und mit brüchiger Stimme. Ein Schluchzen entwich ihr. Mein Gesicht verzog sich schmerzhaft, denn ich ertrug es kaum, sie so leidend zu sehen.

»Ich werde dich immer lieben, Nick. Ich- Ich weiß nicht, wie ich ohne dich leben soll Du- Du warst alles für mich« Sie schüttelte den Kopf, während Tränen über ihre Wangen rollten und mehrere Schluchzer ihren Mund verließen.

»Ich- ... Ich-« Sie rang nach Worten, während immer wieder ihre Stimme versagte. Sie versuchte, sich zusammenzureißen, aber sie schaffte es nicht. Ihre Beine gaben nach und sie sank zu Boden. Ohne nachzudenken sprang ich von meinem Platz auf, quetschte mich an Hope und Derek vorbei und stürmte zu ihr nach vorne. Ich kniete mich und nahm sie in die Arme. Ich drückte sie an mich und strich behutsam über ihren Rücken. Auch in meinen Augen bildeten sich Tränen, die ich nicht kaum zurückhalten konnte. Es war ein beklemmendes Gefühl neben seinem Sarg zu sein und zu wissen, dass sein lebloser Körper dort lag.

»Psscht« flüsterte ich, während ich sie in meinen Arm wog. Auch meine Stimme wurde immer brüchiger und diese Tränen in meinen Augen wollte einfach nicht verschwinden.

Abschied nehmen war schwer.

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Tags: #romantik