28. Kapitel


A D A M

Der nächste Tag begann mit dröhnenden Kopfschmerzen und einem schlechten Gewissen. Ich hatte gehofft, mich an meinen peinlichen Auftritt vor Hope nicht mehr erinnern zu können, doch als ich die Augen aufschlug, wusste ich alles. Ich erinnerte mich an meinen Versuch, sie zu küssen, an ihre ablehnende Haltung mir gegenüber und an meine anschließenden Worte, die ich lieber nicht hätte sagen sollen.

Wieso kam ich überhaupt auf diese schwachsinnige Idee, Hope anzurufen? In meinem Zustand war doch schon all das Chaos vorprogrammiert! In solchen Momenten tat ich lediglich das, wonach ich mich sehnte, und nicht, was am sinnvollsten wäre. Und Ablehnung ertrug ich auch nicht.

Ich schlug die Bettdecke zur Seite und schlürfte verkatert zu meinem Kleiderschrank, wo ich irgendeinen Hoodie herauskramte, um ihn mir kurzerhand überzuziehen. Dann öffnete ich die Tür zu meinem Zimmer und ging die Treppen nach unten in die Küche. Ich wollte meine Kopfschmerzen loswerden, denn das Pochen war fast unerträglich.

»Morgen« Mum und Dad saßen am Küchentisch und tranken genüsslich den Rest ihres Kaffees. Sie schienen schon fast fertig mit dem frühstücken zu sein. Als ich unauffällig einen Blick auf die Uhr warf, wunderte es mich auch nicht. Es war bereits elf.

»Morgen« grummelte ich müde zurück. Ich lief am Tisch vorbei zur Küchenzeile, wo ich erstmal ein Glas aus dem Hängeschrank schnappte und mit Wasser füllte. Ich trank es in einem Zug leer und stellte das leere Glas wieder ab. Im selben Moment hörte ich jemanden die Treppenstufen nach unten laufen. Ich hatte gehofft, dass diese Person Maddy sein würde, doch der Blick über die Schulter enttäuschte mich. Bei der Person handelte es sich lediglich um Tessa.

Nicht gerade begeistert davon drehte ich meinen Kopf wieder nach vorne und entschied mich, mir ebenfalls eine Tasse Kaffee zuzubereiten. Also holte ich eine Tasse hervor und stellte diese unter die Kaffeemaschine. Mein Kopf dröhnte immer noch und ich fühlte mich durch den wenigen Schlaf wie ausgelaugt. Da hatte ich keinerlei Interesse an einer Konversation mit Tessa. Vor allem jetzt, wo wieder einmal nur Hope in meinem Kopf schwirrte und ich mich am liebsten in Selbstmitleid verkriechen wollte.

»Hey« meinte Tessa mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen und stellte sich neben mich. Ich reagierte mit einem Nicken darauf, dann wandte ich mich wieder der Kaffeemaschine zu. Nach unserem kurzen Gespräch im Auto, als wir eigentlich nach Hause fahren wollten, dachte ich, sie hätte mittlerweile verstanden, dass es keine Zukunft für uns gab. Sie hatte sich von mir distanziert, doch nun suchte sie erneut meine Nähe auf. Und dazu hatte sie sich auch noch mächtig herausgeputzt. Während sie in den letzten Tagen nur sehr dezent geschminkt war, hatte sie sich für den heutigen Tag eine größere Menge an Make-Up ins Gesicht geschmiert. Ihre Lippen waren knallrot, ihre Nasenspitze glänzte vom Highlighter und ihre Augen wurden von aufgeklebten Wimpern umrundet. Dazu trug sie einen Pullover mit V-Ausschnitt, der so kurz war, dass man ein Stück ihres Bauchs zeigte, kombiniert mit einer engen Jeans. Doch anders als sie wahrscheinlich erwartet hatte, blieb ich unbeeindruckt. Ich war nicht mehr wie früher der oberflächliche Teenager, dem es nur wichtig war, dass die Frau gut aussah. Ich kannte ihr Inneres und das gefiel mir mit der Zeit so wenig, dass mich selbst ihr Aussehen nicht umstimmen konnte. Aussehen allein konnte nicht Liebe hervorbringen. Es ließ einen vielleicht auf die Person aufmerksam werden, aber danach zählten nur noch die inneren Werte.

»Ich werde nach dem Essen ein bisschen rausgehen. Vielleicht in den Park« erzählte sie. Ohne in ihr Gesicht schauen zu müssen, wusste ich, worauf sie hinauswollte: Sie wartete darauf, dass ich ihr vorschlug, mitzukommen. Sie wollte nicht alleine nach draußen gehen, sondern mit mir. Vielleicht um das letzte bisschen, das uns noch zusammenhielt, zu retten, um nicht alleine dazustehen.

»Schön« antwortete ich und hörte das Zischen der Kaffeemaschine. Als die Tasse kurzerhand mit Kaffee gefüllt war, nahm ich diese in die Hand und drehte mich in ihre Richtung. »Viel Spaß«

Ich sah in ihren Augen, wie enttäuscht sie war, auch wenn sie mit aller Macht versuchte, sich davon nichts anmerken zu lassen. Sie setzte ein kleines Lächeln auf, doch es war kein ehrliches. Es sah gequält und angestrengt aus. Sie versuchte, damit nur zu überspielen, wie verletzt sie eigentlich wegen mir war.

Ich schenkte ihr keinerlei Beachtung, auch wenn sich kurz ein wenig das Gefühl von Mitleid in meinem Inneren anbahnte. Mit der Tasse in der Hand verschwand ich aus der Küche. Seitdem Tessa unten aufgetaucht ist, hatte ich keine Lust mehr, mit meinen Eltern und womöglich auch mit ihr an einem Tisch zu sitzen und dabei die ganze Zeit diese merkwürdigen Blicke von Mum zugeworfen zu bekommen, als wolle sie damit herausfinden, was zwischen Tessa und mir los war.

»Willst du dich nicht zu uns setzen und in Ruhe frühstücken?« fragte Mum. Ich schüttelte den Kopf.

»Keine Zeit. Hab noch etwas für die Firma zu erledigen« begründete ich mein schnelles Verschwinden, auch wenn es nicht der Wahrheit entsprach. Ich würde mich oben der Arbeit widmen, aber nicht, weil es so dringend war, sondern der Ablenkung willens.

Bevor einer der drei noch etwas sagen konnte, eilte ich die Treppen nach oben und verschwand hinter der Tür meines alten Zimmers. Ich stellte den Kaffee auf meinem Schreibtisch ab und schaltete den Laptop ein. Zuerst checkte ich meine E-Mails, dann meinen Terminkalender für die nächsten Wochen. Ich führte einige Telefonate und erledigte weitere Dinge. Die Arbeit schaffte es tatsächlich, mich ab und an auf andere Gedanken zu bringen.

»Guten Morgen Mrs. ____ (Frau am Empfang). « meldete ich mich am Telefon, als ich von ihr einen Anruf erhielt. »Womit kann ich weiterhelfen?«

»Mr. Black wollte gerne mit ihnen sprechen. Sie sollen Ihn zurückrufen« erklärte sie mir.

»Okay. Worum geht es?« hakte ich nach, weil die Arbeit mit Mr. Black eigentlich seit November beendet war.

»Das hat er nicht gesagt«

»Okay. Dann geben Sie mir am besten einfach die Nummer durch« murmelte ich. »Ich suche noch schnell etwas zum Mitschreiben«

Auf meinem alten Schreibtisch herrschte das reinste Chaos. Überall lagen noch alte Schulsachen herum, die ich vor meiner Abfahrt nicht mehr weggeräumt oder weggeschmissen hatte. Ich suchte nach einem brauchbaren Zettel, auf dem ich mir die Nummer notieren konnte, doch stattdessen fand ich einen Fotostreifen, auf dem Hope und ich zu sehen waren, wie wir verschiedene Grimassen schnitten. Ich hielt es in meiner zittrigen Hand und erinnerte mich an den Tag auf dem Jahrmarkt, als ich sie dazu überzeugt hatte, ein paar Bilder zu machen. Wir waren in diesem kleinen Raum gesessen und haben auf dem ersten Bild eine dämliche Grimasse gezogen. Hope fand das so lustig, dass sie im nächsten Bild lachte, während ich sie ganz verliebt deswegen ansah. Auf dem nächsten Bild schenkte Hope dann eines ihres schönsten Lächelns und ich erwiderte es, während mein Blick immer noch auf ihr lag. Ich war damals so fasziniert, wie schön ihr Lachen klang und aussah, dass mein Herz heftig gegen meinen Brustkorb hämmerte und ich nirgends sonst hinschauen wollte.

In meinem Hals bildete sich ein riesengroßer Kloß, den ich nicht einfach hinunterschlucken konnte. Diese Fotos erinnerten mich wieder einmal schmerzlich daran, dass ich das größte Glück in meinem Leben weggeworfen hatte. Hope war das Beste, was mir je in meinem Leben geschehen war, und ich hatte sie einfach im Stich gelassen, mit dem lächerlichen Glauben, dass sie nicht die Einzige war, die mich glücklich machen konnte. Und jetzt, wo ich endlich gecheckt hatte, dass dies nicht der Fall war, und mir eingestanden hatte, dass ich nur sie liebte, war sie nicht mehr erreichbar. Ihr Herz war an einen anderen Mann verschenkt und ich hatte jede Chance vermasselt. Ich hätte sie all die Jahre haben können, aber ausgerechnet in dem Jahr, in dem sie einen neuen Mann in ihr Leben gelassen hat, kam ich erst auf die Idee, um eine weitere Chance zu kämpfen.

»Hallo? Sind sie noch dran?« hörte ich die Stimme der Dame am Empfang durch den Hörer. Erst jetzt realisierte, dass ich gerade im Gespräch war und eigentlich nach einem Zettel gesucht hatte, um die Telefonnummer aufzuschreiben. Ich legte das Foto zurück auf den Schreibtisch und fuhr mit meiner Hand über meine Augen. In ihnen hatten sich bereits Tränen gebildet, die ich versuchte, wegzuwischen.

»Ähm... ja klar ... Können- Können Sie mir die Nummer vielleicht per E-Mail schicken?« fragte ich aufgeregt nach, um so schnell wie möglich das Gespräch mit ihr zu beenden. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sondern war viel zu sehr damit beschäftigt, krampfhaft jegliche Träne zurückzuhalten.

»Ähm klar, Mr. McLane« murmelte sie irritiert. Bevor sie daraufhin etwas sagen konnte, legte ich auf und hielt mein Handy verkrampft in den Händen. Mein Blick huschte wieder zu dem Foto auf meinem Schreibtisch. Ich erinnerte mich wieder einmal an unser gestriges Aufeinandertreffen. Wie ich ihr gesagt hatte, dass ich sie vermisste. Wie ich sie geküsst hatte. Wie sie mich von sich gestoßen hatte. Wie ich ihr daraufhin gekränkt Worte an den Kopf geworfen hatte, die ich zutiefst bereute. Wie ich sie als eine Person hingestellt hatte, die sie gar nicht war. Und das alles nur, weil ich mich und meine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte. Weil mein Herz zu zerbrochen war, als dass ich in diesem Moment hätte mit dem Verstand handeln können.

Mein Blick wanderte zurück zu meinem Handy in meiner Hand. Ich biss mir auf die Unterlippe und überlegte einen Augenblick, als ich in meinen Kontakten ihren Namen las. Eigentlich wäre es in solch einer Situation angemessen, sich für mein gestriges Verhalten zu entschuldigen, um ihr klar zu machen, dass ich das alles nicht so meinte und ich sie definitiv nicht für so eine Person hielt, wie ich es gestern gesagt hatte. Aber würde sie diese Entschuldigung überhaupt annehmen? Sie hatte es früher immer getan, egal was ich wieder einmal angestellt hatte, aber würde sie das auch heute tun? Sie hatte sich verändert. Sie war selbstbewusster geworden und ließ sich nicht mehr alles gefallen. Sie liebte mich nicht mehr.

Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Als sich das Nachrichtenfenster öffnete, suchte ich nach irgendwelchen angemessenen Worten, aber mein Kopf schien zuerst wie leer gefegt zu sein. Und dann kam nur Unsinn heraus.

Das, was ich gestern gesagt habe, war nicht so gemeint. Ich hab zu viel getrunken und nicht nachge - tippte ich ein, doch stoppte inmitten meiner Nachricht, um sie gleich wieder zu löschen. Das mit dem Alkohol klang lediglich wie eine billige Ausrede. Ich wollte nicht, dass sie sich verarscht vorkommt und deswegen noch wütender auf mich war. Also verwarf ich den Gedanken, den Alkohol in meiner Nachricht zu erwähnen, ganz schnell wieder und machte mich an einen neuen Versuch.

Tut mir leid wegen gestern. Lass uns das einfach vergessen tippte ich stattdessen ein, doch als ich es mir noch einmal durchlas, war ich mehr als unzufrieden. Die Entschuldigung wirkte nicht ehrlich genug. Es klang eher so, als würde ich das beiläufig erwähnen, dass das gestern nicht okay war, wie ich mich verhalten hatte, und als würde es mir gar nicht richtig leid tun. Und ich wollte auf keinen Fall vermitteln, dass ich sie eigentlich immer noch wie eine "Schlampe" sah, das aber lieber für mich behalten wollte. Also löschte ich auch diesen Entwurf.

Ich versuchte es noch mit ein paar anderen Versuch, aber bei keinem wollte es mir so richtig gelingen. Es war von einem einfachen Tut mir leid bis hin zu einer langen ausschweifenden Erklärung, in der ich meine Gefühle miteinbrachte, alles dabei, aber letztendlich löschte ich sie alle wieder. Ich pfefferte das Handy frustriert auf meinen Schreibtisch und fuhr mir mit der Hand übers Gesicht und durch die Haare. Eine solche Nachricht bei unserem komplizierten Verhältnis war schwieriger als gedacht. Es schien hoffnungslos und deshalb wollte ich es dabei belassen.

Als ich die Hände von meinem Gesicht nahm, sah ich direkt auf den Schreibtisch, wo das Handy direkt neben dem Fotostreifen lag. Es fiel mir schwer, mich nicht bei ihr zu melden, aber irgendwie erschien es mir für die bessere Lösung. Die Situation war so oder so hoffnungslos. Hope würde niemals Mr. Chambers für jemanden wie mich hängen lassen, denn seien wir mal ehrlich: Er wird sie wahrscheinlich niemals so verletzen, wie ich es schon zig mal getan hatte.

Ich nahm das Foto in die Hände, zerknüllte es und warf es achtlos hinter mich. Es war besser so, die Sache zu akzeptieren und nach vorne zu schauen.

Ich setzte mich wieder an meinen Laptop und sah in meinem Kalender nach. Anfang nächster Woche würde Nicks Beerdigung sein. Ich schluckte bei dem Gedanken schwer. Ich hätte niemals gedacht, das Jahr damit zu beginnen, auf eine Beerdigung einer meiner besten Freunde zu gehen. So ganz hatte ich seinen Tod auch noch nicht verarbeitet. Ich hoffte noch immer, dass ich mich gerade nur in einem schlechten Alptraum aufhielt und Nick jeden Moment in mein Zimmer platzen würde, um mit mir das nächste Footballspiel anzuschauen oder irgendeinen Unsinn von sich zu geben, um damit gute Laune zu verbreiten.

Ein paar Tage später hatte ich dann den Termin mit Mr. Chambers. Auch hier musste ich laut schlucken, wenn ich nur daran dachte, Mr. Chambers und Hope gegenübersitzen zu müssen und dabei ganz genau zu wissen, dass die beiden nicht nur beruflich, sondern auch privat miteinander zu tun hatten. Ich war mir nicht sicher, ob ich das je verkraften könnte. Aber ich musste versuchen, privat und geschäftlich voneinander zu trennen - was die beiden anscheinend nicht geschafft hatten.

Ich schloss die Augen und versuchte, das alles nicht mehr so nah an mich heranzulassen. Ich wollte für den restlichen Tag weder an Nick, den ich in dieser Situation als guten Freund dringend gebraucht hätte, noch an Hope und ihre Beziehung mit ihrem Chef denken. Ich schloss den Kalender auf meinem Laptop und widmete mich stattdessen der E-Mail mit der Nummer von Mr. Black. Ich telefonierte mit ihm und erfuhr, dass er für eine weitere Zusammenarbeit interessiert wäre. Wir vereinbarten einen Termin für in zwei Wochen. In New York.

Ich öffnete den Web Browser und suchte nach einem freien Hotelzimmer in New York. Ich wollte mir und Tessa nicht länger etwas vorspielen, sondern mit ihr darüber sprechen und dann solange im Hotel übernachten, bis ich für mich eine neue Wohnung gefunden hatte. Auch wenn ich nie wieder eine Chance bei Hope haben werde, wollte ich nicht länger mit Tessa zusammen sein und eine glückliche Beziehung vorspielen. Ich liebte sie nicht. Und das werde ich ihr auch klar und deutlich beibringen, sobald wir wieder zuhause sein würden.

Die restliche Zeit in meiner alten Heimat werde ich damit verbringen, für Maddy da zu sein. Die Beerdigung mit ihr planen. Ihr Arbeit abnehmen. Sie auf andere Gedanken bringen. Sich um sie und um ihr Kind in ihrem Bauch zu kümmern.

Eigentlich wollte ich mich auch längst bei meinen Freunden melden, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Bis auf Jonas hatte ich sie schon lange nicht mehr gesehen oder mit ihnen gesprochen. Also was sollte ich sagen?

Ich fuhr mir mit den Händen durch die Haare und wusste nicht mehr, was ich tun und was ich lieber lassen sollte. Die Gedanken rund um Hope, Nick und meine restlichen Freunde - wenn wir das überhaupt noch waren - quälten mich tage- und nächtelang. Ich konnte an nichts anderes mehr denken, außer dass ich diese Distanz zwischen Hope und mir hasste und dass ich Nick vermisste. Ich hätte ihn in Situationen wie diesen gebraucht. Er hätte mir hilfreiche Tipps gegeben oder versucht, mich gemeinsam mit Maddy aufzumuntern. Wir hatten immer eine gute Zeit - abgesehen von den High School Tagen, an denen meinen Freunde nicht akzeptieren konnte, dass ich Gefühle für Hope hegte. Aber jetzt war er fort. Für immer.

Bevor mir noch die Tränen kamen, stand ich auf und ließ die Arbeit liegen. Ich schnappte mir mein Handy und die AirPods, bevor ich die Treppen hinuntereilte und aus dem Haus verschwand.

»Ich geh joggen« rief ich noch meiner Mum zu, die mich fragend dabei beobachtete, wie ich in Windeseile in meine Schuhe schlüpfte. Draußen kam mir ein frischer Windzug entgegen. Die Sonne kroch hinter den dichten Wolken hervor und ließ den Schnee immer weiter schmelzen. Die Nachbarskinder spielten sorglos im Vorgarten mit einem Ball.

Ich steckte mir die Ohrstöpsel ins Ohr und schaltete eine meiner Playlists an. Es lief Eminem, während ich die Straße bis zum Park entlang rannte. Ich versuchte, mich auf die Musik und auf meine Schritte zu konzentrieren, einen kühlen Kopf zu bekommen, aber gefühlt jeder zweite Ort erinnerte mich an sie.

Auf der Parkanlage war nicht besonders viel Betrieb. Ein paar Besitzer kamen hier mit ihren Hunden her, um diese auf der riesigen Wiese austoben zu lassen. Zwei weitere Personen waren ebenfalls hier, um zu joggen. Ansonsten war hier keine Menschenseele zu sehen.

Mein Blick wanderte beim Vorbeilaufen auf den einen Baum mitten auf der Wiese. Unter diesem saß ich oft mit meinen Freunden, als wir noch zur Middle School gingen. Wir sind nachmittags immer mit unseren Fahrrädern hier hergefahren, hatten sie ins Gras geworfen und stundenlang Football gespielt. Manchmal hatten wir uns beim Eisverkäufer ein Eis geholt und uns mit diesem auf die Wiese gesetzt. Ich erinnerte mich mit einem kleinen Lächeln daran.

Als wir älter wurden, trafen wir uns seltener hier. Stattdessen hingen wir lieber auf den sämtlichen Party herum, die stattgefunden hatten, oder spielten den ganzen Nachmittag bloß Videospiele bei einem von uns zuhause.

Als ich an dem Basketballplatz ankam, blieb ich stehen. Ich schnaufte von dem vielen Rennen und rieb mir mit der Hand den Schweiß von der Stirn. Mein Blick blieb auf diesem Platz haften, während ich mich daran erinnerte, dass das der Ort war, an dem wir nach dem Unterricht an der High School stundenlang abgehangen hatten, wenn wir nicht gerade an der Konsole saßen oder uns auf irgendwelchen Partys betranken - oder für das nächste Footballspiel trainierten. Einmal, da hatte mich Hope von hier abgeholt, in unserem letzten gemeinsamen Sommer, bevor es ans College ging und ich einen großen Teil meiner Freunde nicht mehr jeden Tag sehen konnte. Ich hatte ab der Sekunde, in der ich sie entdeckt hatte, nur noch Augen für sie. Ich erinnerte mich mit einem kleinen Lächeln, wie ich deswegen den Basketball an der Schulter abbekommen hatte, weil ich auf den Pass von Jonas trotz seiner ständigen Rufe nicht reagiert hatte. Die Jungs hatten sich danach auch noch Tage später lustig über mich gemacht und mich ständig damit aufgezogen. Und Hope hatte es auch ein kleines Lachen entlockt. Sie hatte noch versucht, es vor mir krampfhaft zu unterdrücken, doch sie scheiterte daran.

Was würde ich nur dafür geben, sie noch einmal so umbeschwerlich lachen zu hören oder Nick sich noch einmal so über mich lustig zu machen. Ich seufzte und spürte diesen dicken Kloß in meinen Hals. Ich vermisste ihn. Seit der Sekunde, in der er aufgehört hatte, zu atmen.

Ich kehrte dem Basketballplatz den Rücken und rannte weiter. Ich hörte durch die Ohrstöpsel Drake zu einem Beat rappen, während ich versuchte, von den Erinnerungen wegzurennen. Als ich in der Nähe des Sees war, versuchte ich, meinen Kopf nicht zur Seite zu drehen. Denn dann würde ich wieder an Hope denken müssen, wie sie oft an diesen Ort gekommen war, um sich von ihren Gedanken zu befreien. Doch diesmal reichte allein der Gedanke an den See, um mich an weitere Momente mit Hope zu erinnern.

Ich kehrte dem Basketballplatz den Rücken und rannte weiter. Ich hörte durch die Ohrstöpsel Drake zu einem Beat rappen, während ich versuchte, vor den Erinnerungen wegzurennen. Ich wollte so schnell es ging das Parkgelände verlassen, doch ich kam nicht besonders weit. Eine weitere Erinnerung wartete bereits auf mich. Der See.

Ich sah die zugefrorene Fläche und wie einige sich dort zum Schlittschuh fahren verabredet hatten. Eltern mit ihren Kindern, Jugendliche oder Paare fuhren über die dicke Eisschicht, manche langsam und vorsichtig, andere schnell und wild. Ich blieb stehen und stützte meine Hand am Baum ab. Sofort erinnerte ich mich wieder daran, dass Hope des Öfteren nach der High School hier hergekommen ist, sich an den Baum angelehnt hingesetzt und gelesen hatte, um sich von ihren Gedanken zu befreien. Ich schluckte schwer, als ich das Bild von ihr vor meinem inneren Auge hatte. Dann hob ich meinen Blick, als würde mich etwas wie magisch anziehen. Ich sah auf den zugefrorenen See und entdeckte sie inmitten der Menschenmenge. Aber sie war nicht allein. Neben ihr stand Derek, ihr Chef, ihr Vorgesetzter, ihr ... ihr Freund. Sie fuhr vorsichtig über das Eis, als hätte sie Angst, jeden Moment hinzufallen, während er die ganze Zeit direkt neben ihr blieb. Der Kloß in meinem Hals wurde größer.

Ich wollte meinen Blick von den beiden abwenden und von hier verschwinden, doch irgendwie konnte ich es nicht. Es war, als wäre ich nicht mehr im Stande mich zu bewegen. Mein Herz schmerzte.

Hope lächelte, doch dann schien sie das Gleichgewicht zu verlieren und drohte, hinzufallen. Derek war direkt hinter ihr und konnte deshalb rechtzeitig reagieren, um sie aufzufangen. Die beiden lachten, dann wollte sie sich zu ihm umdrehen. Dabei wanderte ihr Blick direkt in meine Richtung. Ihr Lachen verschwand aus dem Gesicht. Ich schluckte schwer und als sie ihren Kopf kurz in Dereks Richtung drehte, weil dieser etwas zu ihr gesagt hatte, entschied ich mich, schnellstens von hier zu verschwinden. Also machte ich auf dem Absatz kehrt und rannte davon. Ich redete mir ein, dass mich Hope wahrscheinlich gar nicht erkannt hatte, auch wenn ich eigentlich ganz sicher wusste, dass sie mich gesehen hatte.

Ich spürte dieses erdrückende Gefühl in meiner Brust. Mein Herz zog sich immer wieder krampfhaft zusammen, wenn ich an Hope und Derek dachte. Ich rannte schneller und schneller, als könnte ich somit von allem wegrennen. Aber der Schmerz und die Probleme blieben.

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Tags: #romantik