27. Kapitel


H O P E

Heute war Silvester. Eigentlich hatte Damian dieses Jahr eine kleine Party bei sich zuhause geplant, mit all unseren Freunden, bei der ich ihnen auch Derek als meinen neuen Partner vorstellen wollte, aber nach den gestrigen Ereignisse hatte keiner einen Kopf fürs Feiern. Deshalb verbringen wir den heutigen Tag relativ unspektakulär zuhause.

Derek und ich verbrachten den Abend alleine auf dem Sofa. Wir unterhielten uns über alles Mögliche und Derek setzte alles daran, dass ich nicht wieder der Trauer verfalle. Er erzählte mir lustige Geschichten aus seiner Kindheit und Jugend, von seinen Studienfreunde, mit denen er viel Unsinn erlebt hatte. Ab und an entlockte er mir damit ein kleines Lachen.

Kurz vor Mitternacht verschwand Derek in der Küche, holte den Champagner hervor und schenkte ihn in zwei Gläser ein. Ich stellte mich derweilen ans Fenster und beobachtete, wie sich immer mehr Leute auf den Straßen versammelten und bereits einige Raketen in die Luft geschossen wurden. Ich war froh, dass ich nicht mit den anderen unten stand. Momentan war ich nicht in der Stimmung, anderen fröhlich in die Arme zu fallen, wenn gestern ein Freund gestorben war.

Es war kaum zu glauben, was in dieser kurzen Zeit alles passiert ist. In dieser einen Woche gab es so viele Höhen und Tiefen wie in keiner anderen. Zuerst war da kurz nach Weihnachten dieses erste Aufeinandertreffen mit Adam nach unserem Abschluss am College, was meine Gedanken und Gefühle kräftig durchgewirbelt hatte. Für einen Moment hatte ich wirklich daran gezweifelt, ob ich wirklich für eine neue Beziehung bereit war oder ob ich noch viel zu sehr an Adam und an unserer Vergangenheit hing. Doch kurz darauf kam dieses Angebot von Derek, bei ihm einzuziehen, und ich entschloss mich, solche Zweifel zu verdrängen und diese glücklichen Momente zu genießen, denn ich wollte Derek nicht verlieren. Das hatte mir spätestens diese komische Situation zwischen uns nach Adams plötzliches Auftauchen ein paar Tage nach dem Geschäftsessen gezeigt, als Derek nicht viel gesprochen hatte und am Morgen einfach verschwunden war. Aber auch Adams Auftauchen bei meiner alten Wohnung hatte mich noch einmal ganz schön durcheinander gebracht. Und das Gespräch mit Damian am nächsten Tag hatte das noch ein bisschen verstärkt. Aber das Schlimmste in dieser Woche war der Anruf von Damian, nur paar wenige Stunden später. Die Nachricht von Nicks Tod hatte mich wirklich fertig gemacht und machte mich auch immer noch fertig. Ich hatte den Schock noch immer nicht ganz verdaut und auch die Trauer war noch lange nicht bewältigt.

»Auf ein glückliches neues Jahr« Derek stand plötzlich neben mir mit den beiden Sektgläsern in seinen Händen. Eins davon hielt er mir entgegen. Ich schreckte aus meinen Gedanken und kehrte zurück in die Gegenwart. Ich nahm das Glas und stieß mit ihm an. Draußen wurde es plötzlich lauter und heller. Die letzte Minute des alten Jahres war vergangen und alle Menschen begrüßten mit den vielen Lichtern das neue Jahr. »Auf uns«

Derek stellte das Glas nach einem Schluck zurück, schlang seine Arme um meinen Körper und küsste mich. Der Kuss fühlte sich wie ein Versprechen an, dass er immer für mich da sein und mich immer lieben wird.

Eng umschlungen standen wir noch einige Minuten vor dem Fenster, sahen ein paar der Leute unten Feuerwerk anzünden oder wie sie einander in die Arme fielen und sich ein frohes Neues Jahr wünschen. Ab und an erreichte mich auf dem Handy eine Nachricht von Freunden, dass sie mir ein gutes neues Jahr wünschten. Ich schrieb ihnen das gleiche zurück, danach widmete ich mich wieder Derek und unserer Zweisamkeit, wie wir stillschweigend das Feuerwerk ansahen. Danach kehrten wir zurück aufs Sofa und führten einige Gespräche. Irgendwann wurde Derek dann so müde, dass er einfach einschlief. Ich blieb an ihm gekuschelt und starrte die Wand gegenüber an. Ich dachte an alles Mögliche nach.

Ich hatte mir mein Silvester etwas besser vorgestellt. Mit all meinen Freunden, denen ich dann glücklich Derek vorgestellt gekonnt hätte. Aber jetzt werden sie ihn wahrscheinlich erst auf der Beerdigung von Nick kennenlernen. Nicht gerade der beste Anlass, um anderen den neuen Partner vorzustellen. Und auch für Derek äußert unangenehm, Freunde und Bekannte der Partnerin an solch einem Tag kennenzulernen.

Mein Handy riss mich aus meinen Gedanken. Es klingelte wild auf dem Wohnzimmertisch. Bevor Derek wieder aus seinem Schlaf gerissen wurde, stand ich auf und verschwand mit dem klingelnden Handy in einem anderen Raum. Auch er hatte gestern so gut wie gar nicht geschlafen, weil er die ganze Nacht für mich da sein und mich trösten wollte.

Auf dem Bildschirm erschien eine mir unbekannte Nummer. Neugierig darüber, wer das bloß sein könnte, nahm ich den Anruf recht schnell entgegen. »Ja?«

Im ersten Moment meldete sich niemand am anderen Ende der Leitung. Stattdessen war nur dumpf das Krachen von Feuerwerk und Hintergrundgespräche zu hören. Ich wollte zuerst auflegen, doch dann hörte ich plötzlich jemanden sprechen.

»Hope?« Mein Herz setzte für einen - oder auch zwei - Schläge aus, als ich seine Stimme hörte. Hinter dieser unbekannten Nummer versteckte sich Adam. Hatte er nach all den Jahren immer noch meine Nummer in seinem Handy gespeichert gehabt? Oder hatte ihm auch diese Damian weitergegeben?

»Adam?« hakte ich nach, als wolle ich sichergehen, dass es sich bei der Person wirklich um Adam handelte. Mein Herz schlug so heftig gegen meine Brust, dass ich befürchtete, es würde jeden Augenblick herausspringen. In meinem Hals bildete sich ein riesengroßer Kloß. Auch wenn ich mir immer eingeredet hatte, vollkommen über ihn hinweg zu sein, machte mir die Situation wieder einmal klar, dass ich das ganz entscheidend nicht war. Würde mein Körper sonst so reagieren, wie er es gerade tat?

»Frohes neues Jahr« meinte er euphorisch. Er nuschelte etwas. Irgendetwas an seiner Sprechweise erinnerte mich an damals, als wir noch aufs College gingen und er mich damals mitten in der Nacht betrunken angerufen hatte. Waren wir wieder in dieser Situation?

»Was willst du, Adam?« fragte ich nach und seufzte. Ich schloss die Türe des Schlafzimmers hinter mir und setzte mich aufs Bett. Ich versuchte, meinen schnellen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen, genauso wie den Rest meines Körpers, der allein durch den Klang seiner Stimme verrückt zu spielen schien.

»Was? Darf ich meiner Ex nicht mehr ein frohes neues Jahr wünschen?« fragte er, fast schon ein wenig empört.

»Nein, natürlich nicht. Aber ich bin mir sicher, dass das nicht der einzige Grund sein wird, warum du mich anrufst, oder?« erwiderte ich und versuchte, mir nichts von meiner Nervosität anmerken zu lassen.

»Du hast Recht« nuschelte er in den Hörer. Ich presste mir das Handy ans Ohr, um auch alles verstehen zu können. »Eigentlich wollte ich nur deine Stimme hören« Aus unerklärlichem Grund schlug mein Herz nach diesen Worten deutlich schneller und ich konnte nicht leugnen, dass es mich freute, so etwas aus seinem Mund nach so vielen Jahren zu hören.

»Kommst du runter, dass ich dich auch sehen kann?« Mein Atem stockte. Er war hier? Vor der Wohnung? Woher wusste er, dass sich hier Dereks und seit wenigen Tagen auch meine Wohnung befand? Aber die viel wichtigere Frage war: Was sollte ich antworten? Sollte ich überhaupt nach unten gehen oder wäre das die falsche Entscheidung, weil wir mit jeder Sekunde, in der wir einander gegenüber standen, dem anderen nur noch mehr verletzten, weil wir uns womöglich nach unserer Vergangenheit - nach unserer gemeinsamen Vergangenheit - sehnen würden?

»Oder ich komme einfach nach oben« nuschelte und ich hörte daraufhin leise Schritte.

»Nein« rief ich aufgeregt und sprang von meinem Bett auf. Das war sicherlich keine gute Idee, wenn Derek im Wohnzimmer schlief, jedoch jeden Moment aufwachen und ihn sehen könnte. Das letzte Mal, als Adam bei uns urplötzlich auftauchte, war danach total komische Stimmung zwischen uns und das wollte ich kein zweites Mal.

»Gut, ich komme« meinte ich dann seufzend. Ich legte einfach auf und schlüpfte leise in Schuhe und Mantel. Draußen schloss ich die Wohnungstür so leise, damit Derek nicht aufwachte und ich ihm eine Erklärung schuldig war, wieso ich mich jetzt nach draußen schlich. Wenn er dann erfahren würde, dass unten Adam auf mich wartete, wäre er sicherlich sauer und das wollte ich vermeiden.

Im Flur lehnte ich mich mit geschlossenen Augen gegen die Türe. Ich fragte mich, was mich dazu gebracht hatte, zuzustimmen und jetzt tatsächlich auf dem Weg nach unten zu sein. Eigentlich wollte ich so gut es ging den Kontakt mit Adam meiden, weil es mich nur immer wieder in die Vergangenheit zerrte und ich mir immer wieder die Frage stellte, ob es das war, was ich im Leben wollte? Ein Leben ohne Adam?

Ich beschloss, ihn nach Hause zu schicken und dann ganz schnell wieder nach oben zu verschwinden, um ihm keine Möglichkeit zu lassen, mich wieder an den Punkt zu bringen, an dem ich erst vor ein paar Tagen war. Dass ich wieder über unsere Vergangenheit nachdachte und mich fragte, ob ich denn wirklich über Adam hinweg und deshalb für eine neue Beziehung bereit war.

Draußen erreichte mich sofort eine eisige Kälte und der Geruch nach einem Feuerwerk. Ein paar Leute standen noch auf den Straßen, die anderen verschwanden langsam zurück in den Wohnungen, um dort weiterzufeiern. Adam stand alleine auf dem Gehweg und starrte die Türe an, aus der ich nun gekommen war. Ich lief mit zittrigen Beinen auf ihn zu und auch er kam auf mich zu. Er schwankte ein wenig. Er war definitiv betrunken!

»Was tust du hier?« fragte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Als wir uns gegenüberstanden, betrachtete ich sein wunderschönes Gesicht. Seine Haare waren etwas länger, aber es sah noch immer so weich aus. Eine Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht, als er zu mir nach unten sah. Er war noch immer ein Riese und ich neben ihm trotz meiner 1,70 wie ein Zwerg.

»Das hab ich dir doch schon gesagt« murmelte er leise, während er mich mit diesem intensiven Blick, aus dem ich mich nicht mehr befreien konnte, musterte. Ich atmete zitternd aus und spürte, wie mein Herz wild gegen meine Brust hämmerte. Selbst nach all den Jahren hatte er noch immer so eine unglaubliche Wirkung auf mich. Musste sich da nicht doch noch irgendein Gefühl für ihn in meinem tiefsten Inneren verborgen sein? Würde mein Körper sonst so reagieren?

»Und du musst mir eine Frage beantworten« Er machte eine kurze Pause, dann sprach er weiter. »Wenn Mr. Chambers nicht da gewesen wäre und ich dir das Gleiche und ... noch ein bisschen mehr gesagt hätte, wie hättest du reagiert?« Ich schluckte schwer. Mit so einer Frage wollte ich nicht konfrontiert werden, denn er war nicht der Einzige, der sich darüber den Kopf zerbrach. Ich fragte mich das auch ständig, doch aus Angst vor einer Antwort, die mir nicht gefallen könnte, weil ich damit Derek verletzen würde, verdrängte ich sie schnell wieder.

»Du solltest nach Hause gehen« meinte ich, von der Frage ablenkend, und schloss die Augen, um seinen Blicken besser ausweichen zu können. Als ich sie wieder öffnete, stand er noch immer vor mir und sah mir direkt in die Augen. In seinen spiegelten sämtliche Emotionen wider.

»Ich vermisse dich« flüsterte er und seine Stimme klang dabei etwas brüchig. Er machte einen Schritt auf mich zu, sodass wir nun viel dichter voreinander standen. Ich hatte das Gefühl, nicht genügend Raum zum Atmen zu haben.

»Du hast getrunken. Du bist nicht du selbst«

»Aber sagen Betrunkene nicht immer die Wahrheit?« konterte er und legte seine Hand auf meiner Wange ab. Sein Daumen strich über meine Haut und löste damit ein angenehmes Kribbeln aus. Es breitete sich eine wohlige Wärme aus und am liebsten hätte ich einfach nur die Augen geschlossen und diesen Moment mit ihm genossen. »Das, was sie in ihrem tiefsten Inneren wirklich spüren«

Kaum hatte Adam diese Worte ausgesprochen, beugte er sich zu mir und küsste mich. Für einen Augenblick war ich so überrascht, seine Lippen auf meinen zu spüren, dass ich mich nicht bewegen konnte. Mein Verstand wollte sich bereits ausschalten, doch bevor auch der letzte Funken von Verstand verschwinden konnte, legte ich meine Hand auf seine Brust ab und schob ihn sanft von mir.

»Das können wir nicht tun« murmelte ich, während ich am ganzen Leib zitterte. Mein Herz schrie danach, nicht an Vernunft zu denken, sondern meinem Gefühl zu folgen, aber der Gedanke, Derek damit zu verletzen, brach mir fast das Herz. Er hatte es nicht verdient, so mit seinen Gefühlen spielen zu lassen, genauso Adam, der sich damit nur falsche Hoffnungen machen würde - wenn er denn wirklich noch etwas empfinden würde und das nicht allein dem Alkohol zu verschulden ist.

»Klar« Er klang plötzlich gekränkt. Für die erste Sekunde war ein glänzender Schimmer über seine Augen gelegt, doch dann war da wieder diese Wut, die dominierte.

»Aber deinen Chef zu ficken, damit hattest du keine Probleme« murmelte er und in seinen Augen zeigte sich plötzlich so etwas wie Verachtung, vermischt mit Enttäuschung und Wut. »Wo ist da die ach-so-moralische-Hope gewesen, huh?«

»Das ist nicht fair« murmelte ich und versuchte, mich vor den Tränen zu bewahren. Diese Worte verletzten mich mehr als ich jemals vermutet hatte. Es wäre nie schön, von einem Menschen so abgestempelt zu werden, aber wenn es sich dabei um Adam handelte, tat es doppelt oder gar dreifach so stark weh.

»Aber mich immer wieder vor dem Kopf zu stoßen und mir jedes Mal das Herz zu brechen?« erwiderte er und ich fühlte mich schlecht, zu wissen, dass ich einem Menschen weh tat. Und dann auch noch einen Menschen, der mir auch nach all den vorgefallenen Dingen viel bedeutete.

»Es tut mir leid, Adam« flüsterte ich und presste die Lippen aufeinander. Mein Herz zog sich bei dem Anblick, ihn so gekränkt und verletzt zu sehen, zusammen.

»Ach komm, hör doch auf mit dieser Scheiße« Er sah mich so verachtend an, dass es wehtat. Kein anderer Mensch könnte mich mit diesem Blick so verletzen, wie er es gerade tat. Dazu bedeutete er mir zu viel.

Er sah mir ein letztes Mal in die Augen, dann machte er ein paar Schritte nach hinten, bevor er sich umdrehte und davonlief. Ich spürte ein Stechen in meiner linken Brust, das immer größer wurde, je weiter er sich von mir entfernte. Ich wollte nicht wahrhaben, dass er mich tatsächlich so sehr für die Sache, dass ich mit meinem Vorgesetzten eine Beziehung eingegangen war, verachtete, aber ich konnte mich nach seinen Worten und nach seinen Blicken nur schwer davon überzeugen. Er hatte mir schon öfters aus Wut und Kränkung Sachen an den Kopf geworfen, die er gar nicht so meinte, aber das hier fühlte sich irgendwie anders an.

Ich war traurig, aber auch ein wenig wütend auf ihn. Er warf mir vor, ich würde ihm immer wieder das Herz brechen, aber er schreckte nicht zurück, dasselbe mit mir zu tun.

Und während ich die Treppen nach oben zur Wohnung lief, stellte ich mir mal wieder diese entscheidende Frage: Wie hätte ich vor wenigen Tagen reagiert, wenn er mir solche Worte gesagt und mich nach einer weiteren Chance gefragt hätte und Derek nicht dabei gewesen wäre?

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Tags: #romantik