25. Kapitel
H O P E
Dereks Arme schlangen sich von hinten um meinen Bauch und sein Kinn stützte sich auf meiner Schulter. Ich atmete den himmlischen Geruch seines Aftershaves ein und schloss die Augen. Ich versuchte, den Moment vollends zu genießen, doch immer wieder schlich sich der Gedanke in den Vordergrund, dass noch überall meine Kartons halb ausgepackt in der Wohnung herumstanden und es dadurch sehr chaotisch aussah.
»Das kannst du doch auch noch morgen machen« raunte er mir ins Ohr zu. Danach wanderten seine Lippen über meinen Hals, was mich beinahe um den Verstand brachte. Meine Haut kribbelte dort, wo er mich berührte, und ich selbst sehnte mich nach mehr.
Ich seufzte, dann schob ich schweren Herzens seine Hände von meinem Bauch und machte mich wieder an die Arbeit, eines der vielen Kleiderstücke aus dem Karton zu holen und in den Kleiderschrank zu räumen.
»Das war gemein!« schmollte Derek. Ich schüttelte bei diesem Anblick grinsend den Kopf. Es sah so witzig aus, wenn Derek diesen Schmollmund zog, als wäre er fünf und hätte gerade gesagt bekommen, er bekäme kein Eis oder sonst etwas, was er sich gerade gewünscht hatte.
Derek schmiss sich erschöpft auf das Bett und beobachtete mich, wie ich ein Kleidungsstück nach dem anderen zusammenfaltete oder auf einen Bügel hängte, um es danach in den Schrank zu legen beziehungsweise zu hängen, natürlich farblich sortiert - ein Tick, den ich einfach nicht ablegen konnte. Diese Blicke mit seinen smaragdgrünen Augen, die an meinem Körper hafteten, musterten mich so intensiv, dass ich mich immer weniger auf die Arbeit konzentrieren konnte. Stattdessen hatte ich bloß Derek in meinem Kopf und wie schön es doch jetzt wäre, wenn ich neben ihm im Bett liegen würde. Aber ich riss mich zusammen. Ich wollte nicht schwach werden. Also versuchte ich mich mit anderen Gedanken abzulenken. Aber alles, woran ich sonst denken könnte, wäre Adam und darüber wollte ich ebenfalls nicht denken müssen.
»Schau mich nicht so an!« meinte ich schließlich zu Derek, in der Hoffnung, es würde irgendwie helfen.
»Wieso? Mach ich dich nervös?« fragte er mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen. Er verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und wartete auf eine Antwort meinerseits. Die bekam er jedoch nicht. Stattdessen holte ich meinen Kulturbeutel hervor und verschwand damit flüchtend im Badezimmer. Derek lachte mit seiner rauen Stimme, was ihn nur noch unwiderstehlicher für mich machte.
Im Badezimmer versuchte ich dann, die Sachen unterzubringen. Ich konnte noch immer nicht fassen, dass das nicht mehr nur Dereks, sondern unsere Wohnung war. Dass das jetzt mein Zuhause war. Es fühlte sich alles so surreal an. Aber irgendwie auch einfach nur schön. Es war, als wäre ich endlich im Leben angekommen, auch wenn sich Adam und ab und an noch in mein Herz schlich und mich fragen ließ, ob ich ihn wirklich schon hinter mich gelassen hatte.
Zurück im Schlafzimmer begegnete ich sofort Dereks unwiderstehlichem Blick. Er zögerte nicht lange, sondern zog mich zu sich aufs Bett, als ich nahe genug bei ihm war. Ich landete kurzerhand unter ihm.
»Und was hast du jetzt vor?« flüsterte ich heiser und spürte mein Herz wild gegen meinen Brustkorb hämmern. Sein Gesicht schwebte nur wenige Zentimeter vor meinem. Mein Blick wanderten zwischen seinen smaragdgrünen Augen und seinen vollen, weichen Lippen. Eine Haarsträhne fiel ihm in die Stirn.
»Ich werde dich jetzt küssen« raunte er und klang dabei unfassbar verführerisch. »Wir müssen doch das von gestern nachholen«
Gestern. Wenn ich nur daran dachte, drehte sich bei mir schon der Magen um. Ich hatte noch immer nicht ganz verdaut, was Damian mir vorhin deswegen erzählt hatte. Er liebt dich immer noch hatte er gesagt. Aber was sollte das heißen? Bedeutete das, dass Adam das mit uns wieder geradebiegen wollte, wäre Derek zum Zeitpunkt seines Auftauchens nicht bei mir zuhause gewesen? Das ist doch offensichtlich hatte Damian gemeint, aber wieso ergab das dann für mich keinen Sinn? Adam war mit Tessa verlobt. Wieso sollte er eine Frau heiraten, wenn er sich noch immer an die Liebe einer anderen - an mich - klammerte? Und wieso kam er dann erst jetzt, nachdem so viele Jahre vergangen waren, in denen ich gelernt hatte, ohne ihn zu leben? Wieso hatte er sich dann überhaupt auf eine andere Frau eingelassen, anstatt sich um mich und unsere Beziehung zu bemühen? Wieso hatte er alles so schnell hingeschmissen, wenn er mich angeblich so sehr liebte, dass diese Liebe selbst nach vielen Jahren nicht erloschen war?
Aber die große Frage war doch, wie hätte ich darauf reagiert, wenn Derek nicht anwesend gewesen wäre und Adam mich um eine zweite Chance gebeten hätte? Was wäre dann meine Antwort gewesen?
Ich schloss die Augen und atmete tief ein, während Dereks Finger sanft über meine Wange strichen. Ich redete mir ein, dass es nicht wichtig sei. Und deshalb sollte ich mir auch nicht länger den Kopf zerbrechen, sondern die stattdessen lieber die Zeit mit Derek genießen.
Ich öffnete wieder meine Augen und begegnete seinen hungrigen Augen. Dann lagen bereits seine Lippen auf meinen. Der Kuss war zuerst vorsichtig, doch er gewann recht schnell an Intensität und Schnelle. Seine Zunge war fordernd. Währenddessen wanderten seine Hände meinen Körper auf und ab. Ich zitterte förmlich vor Verlangen und mit jeder Sekunde, die verstrich, verbannte ich Adam vollends aus meinem Kopf. Für mich gab es nur noch Derek und mich. Und dieser atemberaubende Kuss.
Seine Hand wanderte bald schon unter mein T-Shirt und strich über meine Haut. Ein Kribbeln breitete sich dort aus. Ich wollte mich fallen lassen, aber da klingelte keine Sekunde später bereits mein Handy.
»Geh nicht ran« raunte Derek mit heiserer Stimme und sah mich mit seinem intensiven Blick an. Die Haarsträhne baumelte noch immer vor seiner Stirn. Für einen Moment spielte ich ebenfalls mit dem Gedanken, das Handy einfach klingeln zu lassen, doch irgendwie hatte ich das ungute Gefühl, dass es wichtig sein könnte. Während Derek mit seinen Lippen Küsse auf meine Wangen und auf meinen Hals hauchte, streckte ich also den Arm aus und tastete den Nachttisch nach meinem Handy ab. Ich warf einen Blick auf das Display. Damians Name leuchtete auf. Spätestens jetzt hatte ich den Gedanken weggeworfen und ich nahm den Anruf entgegen, denn es musste etwas wichtiges passiert sein. Sonst würde er mich doch nicht nach so kurzer Zeit nach unserem Treffen anrufen, oder?
»Ja?« Meine Stimme war nur ein Krächzen und Dereks Küsse und Berührungen brachten mich weiterhin fast um den Verstand. Auch jetzt unterbrach er diese nicht. Seine Lippen wanderten weiter meinen Hals entlang und anschließend zu meinem Schlüsselbein und meiner Schulter.
Zuerst herrschte vollkommene Stille am Ende der anderen Leitung, dann hörte ich jemanden zitternd ausatmen. »Hope?«
Ich erschrak beim Klang seiner Stimme, so verletzlich und schmerzerfüllt. Ich hatte ihn noch nie so gehört, nicht einmal nach der Trennung mit seiner ersten festen Freundin, in die er damals total verschossen war. Was ist nur in der Zeit, in der ich mich fröhlich und nichtsahnend mit meinem Freund im Bett gewälzt hatte, passiert?
»Ni-Nick ... E-Er ist t-tot« stotterte er.
»Was?« Ich setzte mich kerzengerade auf, ohne Derek dabei zu beachten, der bis eben noch über mich gebeugt war, und starrte geschockt die Wand mir gegenüber an. Meine Augen waren weit aufgerissen und ich war nicht im Stande, meinen Mund wieder zu schließen. Nick war was?
»Er i- ... Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Er... Er-« Damian konnte nicht mehr weiterreden. Seine Stimme versagte inmitten seiner stotternden Worte. Seine Stimme bebte. Er stand völlig unter Schock. Und ich ebenfalls.
»Ganz ruhig, Damian. Ich komm zu dir, okay?« brachte ich mühselig hervor. Auch mir fiel das Sprechen erheblich schwer. Der Schock saß tief in den Knochen, aber ich versuchte, den Schmerz und die Traurigkeit beiseite zu schieben, um für Damian besser da sein zu können. Denn das brauchte er gerade mehr als alles andere. Eine Freundin, die ihn in den Arm nahm und einfach für ihn da war.
Es dauerte eine Zeit lang, bis Damian eine Antwort von sich geben konnte, danach legten wir auf und ich ließ meine Hand sinken, während ich immer noch mit großen Augen die Wand anstarrte. Mein Kopf wollte nicht glauben, dass das die Wahrheit war. Ich wartete noch immer auf den Moment, dass mich jemand aufweckte und alles wie immer war - dass Nick am Leben war. Aber dieser Moment kam nicht.
»Was ist los?« fragte Derek mit vorsichtiger Stimme. Erst jetzt realisierte, dass ich gar nicht alleine war und Derek einfach von mir gestoßen habe. Ich schluckte schwer, wusste nicht, wie ich diese schreckliche Nachricht über meine Lippen bringen sollte oder wie ich überhaupt aufstehen sollte. Mein ganzer Körper fühlte sich steif an, als könnte ich mich nicht bewegen.
»Ich muss zu Damian!« sprudelte es dann aufgeregt aus mir heraus, als wäre ich gerade aus meiner Schockstarre erwacht. Ich sprang von meinem Platz auf, zog mir meinen Pullover über und schlüpfte in meine Schuhe, die hier herumstanden. »Nick ... Ein Freund ist gestorben. Ich weiß nicht, was passiert ist und ich Damian ist total fertig deswegen. Ich ... Ich« Plötzlich wusste ich nicht mehr was ich sagen sollte. Meine Lungen schnürten sich zusammen, die Sicht vor meinen Augen verschwamm für ein paar Sekunden und ich verlor das Gleichgewicht, sodass ich beinahe gefallen wäre, hätte ich mich nicht noch in letzter Stunde irgendwo festgeklammert.
»Shit« brachte Derek hervor, als die Worte meine Lippen verließen, und er sprang sofort auf, als er sah, wie ich kaum einen Schritt nach vorne machen konnte, ohne dabei zu fallen. Er legte seine Hände auf meine Hüfte, um mir Halt zu geben.
»Du solltest jetzt nicht in diesem Zustand Auto fahren« Vielleicht hatte Derek Recht und es war wirklich keine gute Idee, in so einem Zustand Auto zu fahren, aber ich musste auf der Stelle zu Damian. Er brauchte mich. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, ich brauchte ihn auch.
»Aber ich muss zu ihm!« Ich klang vollkommen verzweifelt und das war ich auch. Ich war völlig durch den Wind, konnte nicht mehr klar denken, wusste nicht einmal wo rechts und links war.
»Keine Sorge, ich fahr dich zu ihm« Ich nickte. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg nach unten zu seinem Auto. Der Weg war mühsam und wäre Derek nicht hinter mir und würde mich die ganze Zeit festhalten, wäre ich sicherlich schon die Treppen hinuntergepurzelt. Meine Beine fühlten sich wie Wackelpudding an und die Sicht vor meinen Augen wirkte immer wieder ein wenig verschwommen.
Wie in Trance nannte ich Derek die Adresse, die er daraufhin in sein Navi eingab. Ich starrte geradeaus und konnte noch immer nicht fassen, was Damian vor ein paar Minuten gesagt hatte. Dass Nick tot war. Dass er weg war und nie wieder zurückkommen wird. Dass vor allem meine Freunde einen wichtigen Menschen in ihrem Leben verloren haben. Und dass Maddys Herz wahrscheinlich in tausend kleine Stücke zerbrochen ist. Genauso wie das von Damian, Scott, Jonas ... oder das von Adam. Ich schluckte schwer bei dem Gedanken an seinen Namen, wollte mir nicht ausmalen, wie schmerzhaft es sich für ihn anfühlen musste, wo er doch sowieso schon gestern so verletzlich ausgesehen hatte.
»Danke« sagte ich dann zu Derek, als das Auto zum Stehen kam und wir uns in der Straße befanden, in der Damian wohnte. »Nicht dafür« meinte er nur. Ich sah diese Besorgnis in seinen Augen.
»Willst du mitkommen?« fragte ich leise und versuchte weiterhin, mich und meinen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen.
»Ich glaube nicht, dass das der richtige Zeitpunkt ist, deine Freunde kennenzulernen« Ich nickte. Er hatte Recht. Das wäre jetzt unpassend und würde für ihn nur unangenehm sein, neben uns zu sitzen, wie wir um einen Freund trauern, den er nicht kannte.
Ich beugte mich zu ihm herüber und hauchte ihm einen federleichten Kuss. Ich brauchte diese Nähe zu ihm in diesem Augenblick zu sehr. Ich wollte die Bestätigung, dass es jemanden gab, der für mich da war. So wie ich es jetzt für Damian sein werde.
»Es tut mir leid, dass ich jetzt einfach so abhaue und-« Er schüttelte den Kopf und unterbrach mich sogleich, legte seine Hand auf meine Wange und strich mit seinem Daumen behutsam darüber.
»Hör auf dich schuldig zu fühlen. Du hast nichts falsch gemacht« murmelte er und ich nickte langsam. Eine Träne rollte über meine Wange, die er mit seinem Daumen sofort einfing und wegwischte. »Deine Freunde brauchen dich jetzt mehr als ich«
Ich presste die Lippen zusammen und schloss ein paar Sekunden lang die Augen, um mich wieder zu beruhigen. Ich schenkte ihm ein kleines Lächeln, formte mit meinen Lippen ein stummes "Danke" und stieg dann aus dem Wagen aus. Ich winkte ihm von der Tür aus ein letztes Mal zu, dann verschwand ich im Hauseingang und lief die Treppen nach oben. Dieser kurze Augenblick mit Derek hatte mir gut getan. Es fühlte sich so an, als hätte er mir Kraft gegeben, die ich brauchte, um die nächsten Stunden durchzustehen.
Als ich Damian im Türrahmen stehen sah, zerbrach mein Herz. Er stand mit gekrümmten Schultern da und sah mich aus blutunterlaufenen Augen an. Seine Wangen waren stark gerötet und im Ganzen sah er vollkommen zerbrochen am Schmerz aus.
Ich dachte nicht lange nach, sondern schlang meine Arme einfach um seinen Hals und drückte ihn fest an mich. Vorhin, da wirkte er wie eine leere, leblose Hülle, und mit dieser Umarmung vergewisserte ich mich, dass er noch da war. Ich drückte ihn fest an mich, als hätte ich Angst, ihn auch noch zu verlieren, und ihm schien es ebenfalls so zu ergehen. Der Damm brach und aus seinem Mund drangen Schluchzer hervor. Tränen liefen über sein Gesicht und landeten teilweise auf meinem Mantel. Ich selbst spürte die ein oder andere salzige Träne über meiner Wange, blieb jedoch stumm.
Wir standen eine halbe Ewigkeit so da, ganz egal ob gleich einer der Nachbarn uns so sehen würden, bevor wir uns dann ins Wohnzimmer begaben und uns auf das Sofa fallen ließen. Damian rieb sich mit den Händen über Augen und zog die Nase hoch. Dann sah er mich einfach nur an. Mein Herz blutete. Er sah so gebrochen und verletzt aus wie noch nie zuvor.
»Willst du darüber reden, was passiert ist?« fragte ich vorsichtig nach. Ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte, denn ich hatte Angst, ihn jeden Moment noch mehr verletzen zu können, wenn ich etwas Falsches sagen würde.
»Er- Er ist zum Juwelier gefahren« begann er zu erzählen. Ich hörte ihm aufmerksam zu. Er starrte geradeaus an die Wand gegenüber, an der sein Fernseher hing. In seinem Gesicht machten sich noch immer lauter Tränenspuren bemerkbar. Ich schluckte schwer. Ich wollte nicht, dass mein bester Freund, der doch sonst immer so vor Freude strahlte, weinte.
»Als er dann zurückfahren wollte, ist er mit einem Auto zusammengestoßen ... und ist dabei so schwer verletzt, dass er noch an der Unfallstelle ... starb« Die Mauer, die er für seine Erzählung aufgebaut zu haben schien - so gefühllos und monoton seine Stimme klang -, schien mit jedem Wort immer mehr zu bröckeln. »Maddy und Adam waren dort. Aber da war es schon zu spät« Bei den letzten Worten kniff er die Augen zusammen, seine Stimme wurde weinerlich und seine Schultern bewegten sich dadurch auf und ab. Tränen liefen erneut über seine Wangen. Die Mauer in seinem Inneren war gefallen.
Ich war nicht im Stande, etwas zu sagen, weil kein Wort der Welt in dieser Situation angemessen schien. Also schwieg ich und legte stattdessen bloß meine Hand über seine und drückte sie fest, um ihm zu zeigen, dass er nicht alleine war.
»Warum musste das passieren? Wieso musste er sterben?« fragte er unter all den Schluchzer und Tränen. Ich hatte keine Antwort darauf. Ich verstand es selbst nicht einmal. Das wusste keiner.
»Er wollte heiraten! Er wird in ein paar Monaten Vater! Also wieso, wieso musste er ausgerechnet jetzt sterben?« Seine Stimme wurde laut. Neben all der Trauer schwang nun auch eine geballte Wut mit sich.
Auch ich kämpfte mit den Tränen. Es nahm mich so sehr mit, dass die beiden in ihrer glücklichsten Zeit auseinandergerissen wurden. Ich wusste nicht, dass Maddy schwanger war oder dass Nick einen Heiratsantrag geplant hatte. Und dass dieses Kind jetzt ohne einen Vater und Nick seinem Kind nicht beim Aufwachsen zusehen konnte, zerbrach mir das Herz.
Nick und ich waren nie beste Freunde. Am Anfang schien es, er hasste mich regelrecht dafür, dass ich mit Adam zusammen war, aber wir hatten uns schnell zusammengerauft. Er hatte sich entschuldigt für sein Verhalten. Von da an war er bei fast jedem Treffen mit Adams Freunden dabei. Es war immer lustig mit ihm und mit Maddy an seiner Seite wirkte er so glücklich und zufrieden.
Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie weh es Maddy tun musste, dass der wichtigste Mensch in ihrem Leben, von dem sie ein Kind erwartete und mit dem sie ihre Zukunft geplant hatte, von der einen Sekunde auf der anderen einfach weg war. Nicht nur in einer anderen Stadt oder einem anderen Land, sondern wirklich aus der Welt. Und auch für Adam musste es unerträglich sein. Der Gedanke daran, dass er ebenfalls am Boden zerstört ist, ließ mein Herz noch ein wenig mehr schmerzen.
Ich schlang meine Arme um Damians Körper und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab. Ich versuchte, ihn zu trösten und ihm Kraft zu geben, auch wenn das sicherlich nicht genug war. Niemand konnte ihm das geben, was er verloren hatte.
Als er sich dann ein wenig beruhigt hatte, ging ich in die Küche und kochte uns beiden einen Tee. Die meiste Zeit schwiegen wir. Wir nahmen uns einfach in den Arm und waren dankbar dafür, einander zu haben. Wir trauerten um einen guten Freund und versuchten uns letztendlich ein wenig von unseren Schmerzen abzulenken.
Ich selbst hatte das alles noch gar nicht so richtig realisiert. Es fühlte sich noch immer so surreal an, dass Nick nicht mehr unter uns weilte. Es war unvorstellbar, dass er in so jungen Jahren schon sein Leben verlor. Wegen eines blöden Unfalls.
Am späten Abend verabschiedete ich mich schließlich von Damian. Er wollte alleine sein, versprach mir aber, sich sofort bei mir zu melden, wenn etwas sein sollte. Derek schlief sicherlich schon, weswegen ich ihn nicht anrief, um mich abzuholen. Stattdessen lief ich durch die dunklen Straßen, spürte die eisige Kälte in meinem Gesicht und hörte den Schnee unter meinen Füßen knirschen. Die Straßen waren von den Laternen nur spärlich beleuchtet.
Meine Gedanken kreisten rund um Nick, Damian, Maddy und Adam. Nick hatte es nicht verdient, so früh aus dem Leben gerissen zu werden. Und all seine Freunde und Familie hatten es nicht verdient, ihn so früh und so plötzlich zu verlieren. Besonders nicht jetzt, wo er und Maddy dabei waren, eine eigene kleine Familie zu gründen. Aber nicht nur für Maddy war es sicherlich unerträglich, sondern auch für all seine Freunde. Damian war am Boden zerstört. Jonas, Scott und Adam ging es sicherlich nicht anders. Und auch mich ließ es alles andere als kalt. Ich ließ diese Gefühle nur nicht allzu sehr zu. Ich versuchte, diese krampfhaft zurückzuhalten, doch das hielt nicht ewig. Das wusste ich und doch hoffte ich inständig, dass es nicht so war.
Zuhause war alles dunkel und ruhig. Wie erwartet schien Derek bereits zu schlafen. Ich schloss deshalb die Türe so leise wie möglich und spürte bereits dabei, wie diese Mauer in meinem Inneren wie aus dem Nichts zusammenfiel. Eine unglaubliche Leere und ein unerträglicher Schmerz breitete sich aus. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Türe, presste die Lippen fest zusammen, um Derek nicht mit einem meiner Schluchzer aufzuwecken - obwohl ich ihn gerade am liebsten bei mir hätte -, und kniff meine Augen zusammen, während sämtliche Tränen über meine Wangen rollten. Ich hatte es lange genug zurückgehalten, aber nun war der Moment gekommen, all die Trauer herauszulassen. Wie gesagt, Nick und ich waren nie die besten Freunde, aber wenn ich daran dachte, dass er bei keinem der Treffen mehr dabei sein würde, zerbrach es mir das Herz. Er war anfangs nicht besonders nett zu mir gewesen, aber er hatte sich entschuldigt und danach wirklich gebessert. Wir hatten uns immer besser verstanden. Ich würde seine schlechten Witze und seine lustigen Geschichten aus der Vergangenheit über seine Tollpatschigkeit vermissen. Ich werde dieses breite Grinsen, wie das eines kleines Kindes, das gerade einen Streich gespielt hatte, vermissen.
Das Licht ging an und als ich meine Augen öffnete, sah ich verschwommen die Silhouette von Derek, wie er im Türrahmen stand und mich einen Moment lang einfach nur ansah. Auf seiner Stirn bildete sich eine Sorgenfalte und in seinen Augen spiegelte sich diese Sorge wider. Mit langsamen Schritten kam er auf mich zu und schloss mich anschließend in seine Arme. Ich schluchzte, hielt keine Träne länger zurück. Ich vergrub mein Gesicht in seinem T-Shirt, während er seine Arme fest um meinen Körper schlang. Er drückte mir liebevoll einen kleinen Kuss auf meine Schläfe.
»Er... Er ist tot! Ich... er ... Er hat es nicht verdient!« brachte ich unter all den Tränen hervor, doch meine Stimme erstickte sogleich wieder und ich spürte, wie sich mein Herz weiter zusammenzog.
»Psssh« flüsterte Derek. »Ich bin hier« Er drückte mich noch fester an seinen Körper und ich war ihm dankbar dafür, dass er mich hielt und einfach für mich da war. Er konnte mir zwar nicht diesen Schmerz nehmen, aber er konnte mir die nötige Kraft geben, es durchzustehen.
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