23. Kapitel


H O P E

Die Situation zwischen Derek und mir war komisch. Seit Adams plötzlichem Auftauchen sprachen wir kaum ein Wort miteinander. Stattdessen packten wir stumm die restlichen Kartons zusammen und rührten unsere Pizza, die wenige Minuten später kam, kaum an. Am späten Abend fielen wir dann müde ins Bett. Derek blieb schweigsam, zog mich nicht an sich und gab mir auch keinen Kuss. Er warf mir nur einen kurzen Blick zu, bevor er sich zur Seite drehte und einschlief. Das war das letzte Mal, als ich ihn gesehen hatte. Denn am nächsten Morgen war einfach verschwunden, ohne mir Bescheid zu geben.

Mit einer Tasse Kaffee setzte ich mich auf das Sofa und starrte in die Leere. So viele Gedanken schwirrten durch meinen Kopf. Schon die halbe Nacht war ich deswegen wach gewesen. Ich hatte die Decke über mir angestarrt und dachte an alles Mögliche. An Adam, wieso er meine Adresse hatte, was er hier wollte, aber vor allem wie ich das mit Derek wieder geradebiegen könnte.

Er war sauer, ganz klar. Nicht nur, dass Adam, sein zukünftiger Geschäftspartner, urplötzlich vor der Haustüre seiner Freundin auftauchte und bei mir dann auch noch die ein oder andere Träne floss, sondern vielmehr weil ich ihn angelogen hatte. Nach dem Treffen mit Adam und Tessa hatte er mich noch gefragt, ob ich ihn denn schon vorher kannte, weil es so vertraut gewirkt hatte, und ich hatte ihn eiskalt angelogen, weil ich ihm gesagt hatte, ich würde ihn an diesem Tag ebenfalls zum ersten Mal in meinem Leben gesehen haben.

Jetzt dachte er wahrscheinlich erst Recht, dass zwischen uns beiden noch etwas lief. Dass das noch kein abgeschlossenes Kapitel war. Aber das war es doch, oder?

Zumindest dachte ich das immer. Er hatte sich nie gemeldet oder bei seinen ehemaligen Freunden nachgefragt. Selbst mit ihnen hatte er so gut wie den Kontakt abgebrochen. Es war, als wäre er von dem einen Tag auf den anderen verschwunden. Als hätte ihm davon nie etwas groß bedeutet. Aber wieso tauchte er dann nach all den Jahren wieder bei mir zuhause auf? Und wieso war er so gekränkt gewesen, als er von Derek und mir erfahren hatte? Hatte dieses Treffen in diesem noblen Restaurant doch etwas in seinem Inneren ausgelöst? War ich ihm doch nicht ganz egal gewesen?

Diese Fragen bereiteten mir Kopfschmerzen. Vor allem, weil ich nicht verstehen konnte, wieso er sich dann dieses Leben mit Tessa aufbaute, wenn er doch eigentlich etwas ganz anderes haben wollte. Wieso machte er ihr einen romantischen Heiratsantrag, wenn er noch etwas für mich empfinden würde? Nein, das machte keinen Sinn!

Ich verwarf diese Gedanken, weil es doch wahrscheinlich sowieso nur ein Wunschdenken von mir war. Stattdessen grübelte ich lieber darüber nach, wie ich nun mit Derek umgehen sollte. Ich wollte, dass es so schnell wie möglich wieder normal zwischen uns wurde. Es war verrückt: Kaum wollten wir unsere Beziehung öffentlich machen, um somit alle Probleme aus dem Weg zu schieben, befanden wir uns in einer kritischen Lage.

Nach einer weiteren Tasse Kaffee machte ich mich dann auf den direkten Weg in die Firma, denn ich hatte etwas wichtiges mit Derek zu klären. Ich musste ihm die Wahrheit sagen: Dass Adam und ich einst ein Paar waren, aber dass das vorbei war und ich nur mit Derek zusammensein wollte. Das war ich ihm schuldig. Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich es genauso wollen.

In der Firma angekommen lief ich schnurstracks auf sein Büro zu. Ich dachte gar nicht länger darüber nach, sondern riss einfach ohne anzuklopfen die Türe auf. Doch ich blieb abrupt stehen und hielt in meiner Bewegung, denn kaum sah ich ihn dort sitzen, schwand meine Selbstsicherheit. Vielleicht hätte ich doch erst einmal in mein eigenes Büro gehen sollen, um mir die Worte zurechtzulegen.

Derek saß in einem seiner perfekt sitzenden Anzügen an seinem Schreibtisch, starrte auf den Bildschirm seines Computers und massierte sich die Schläfen. Doch kaum hatte ich die Türe aufgerissen, lag sein Blick auf mir. Sein Gesicht war ausdruckslos, sodass ich nichts daraus ablesen konnte. War er sauer auf mich? Wollte er eine Entschuldigung von mir hören? Oder wollte er von mir lieber in Ruhe gelassen werden?

»Können wir kurz reden?« fragte ich vorsichtig. Als er nickte, schloss ich die Türe leise hinter mir und stellte mich auf die andere Seite des Schreibtisches. Meine Hände zitterten vor Aufregung und ich suchte in meinem Kopf verzweifelt nach ein paar passenden Worten, mit denen ich das Gespräch anfangen könnte.

Derek sah mich stillschweigend an. Er bewegte sich keinen Millimeter, verzog nicht die Miene oder sonst etwas. Dass ich nicht wusste, wie er dachte und inwiefern er sauer oder enttäuscht war, machte mich besonders nervös.

»Tut mir leid, wie das gestern Abend verlaufen ist« Seinem Blick standzuhalten fiel mir schwer, weswegen ich meinen auf meine Füße richtete. Zwischen uns herrschte eine unangenehme Stimmung und er fühlte sich so weit entfernt von mir, dabei stand nur dieser Schreibtisch zwischen uns.

»Und es tut mir leid, dass ich dir nicht ganz die Wahrheit gesagt habe« Ich holte tief Luft, bevor ich weiter zu erzählen begann. »Ja, ich kannte ihn schon vorher. Wir waren zusammen auf der High School und ... und wir waren zu dieser Zeit ein Paar« Ich erzählte weiter davon, dass wir gemeinsam aufs College gingen und dass wir eine gute Zeit hatten, aber dass wir einfach aus zwei komplett verschiedenen Welten kamen und es irgendwann einfach nicht mehr geklappt hatte. Dass es zu viele Missverständnisse und Schwierigkeiten gegeben hatte. Auf der einen Seite hasste ich es, über diese Zeit sprechen zu müssen, aber auf der anderen Seite fühlte es sich befreiend an, ehrlich zu sein.

»Ich gebe zu, es hatte lange Zeit wehgetan, aber als ich dich kennengelernt hatte, konnte ich darüber hinwegkommen. Natürlich wird Adam und unsere Zeit immer in meinem Gedächtnis bleiben, aber meine Zukunft ... die möchte ich nur mit dir verbringen« versicherte ich ihm und sah ihm seit erstem Mal wieder in seine Augen. Noch immer zeigte sich keinerlei Regung in seinem Gesicht. Er saß bloß stumm da und starrte mich mit seinen emotionslosen grünen Augen an. Das verunsicherte mich noch mehr.

»Wenn du das noch möchtest« fügte ich also vorsichtig nach und wartete ungeduldig auf eine Reaktion seinerseits. Ich biss mir auf die Unterlippe und spürte, wie mein Herz so wild gegen meine Brust hämmerte, dass ich Angst hatte, es würde jeden Augenblick herausspringen.

»Natürlich möchte ich das noch« meinte er mit ruhiger Stimme. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Erleichtert atmete ich aus und spürte meine Mundwinkel nach oben zucken. Derek stand währenddessen von seinem Platz auf und lief auf mich zu, bis er so nahe vor mir stand, dass ich meinen Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen sehen zu können. Sein Aftershaves stieg mir in die Nase und plötzlich war diese Distanz überwunden. Er fühlte sich wieder so nahe wie sonst auch an.

»Ich kann verstehen, dass einem manchmal die Vergangenheit einholt« murmelte er und strich eine Haarsträhne hinter mein Ohr. »Und ich vertraue dir, wenn du sagst, dass da nichts mehr ist«

Er lehnte sich vor und küsste mich sanft auf die Schläfe. Ich schloss die Augen, genoss diese Nähe. Ich dachte nicht länger an Adam oder warum er bei mir zuhause aufgetaucht war, denn im Grunde genommen ist es egal. Adam war Vergangenheit und für uns beiden gab es keine gemeinsame Zukunft. Für Derek und mich hingegen schon. Und die wollte ich mir nicht wegen ein paar Gedanken und Tränen wegen eines anderen Mannes kaputt machen.

»Danke, dass du ehrlich zu mir warst« raunte er mir in mein Ohr. Seine Lippen waren dem so nahe, dass ich sie auf meinem Ohrläppchen spürte. Seine Hände ruhten währenddessen auf meiner Hüfte. Ich spürte ein Kribbeln an diesen Stellen, welches sich rasch auf meinem gesamten Körper ausbreitete.

»Das hätte ich schon viel früher tun sollen«

Wir blieben noch eine Weile so dastehen, küssten uns oder genossen einfach diese Nähe zueinander. Uns war es egal, ob jeden Moment Stella oder sonst wer hier auftauchen und uns beim Kuscheln sehen könnten, denn wir wollten nicht länger dieses Theater spielen. Wir wollten uns einfach nahe sein und dem anderen zeigen, wie wichtig er dem anderen war. Wie groß unsere Liebe zueinander war.

Dennoch verhielten wir uns recht unauffällig. Wir kamen uns den restlichen Tag nicht näher, weil es sich einfach zu merkwürdig und nicht richtig anfühlte, plötzlich vor allen anderen Kollegen in der Küche der Firma oder vorm Empfangstresen rumzuknutschen.

Derek hatte am späten Nachmittag noch ein paar Termine zu erledigen, ich hingegen hatte bereits Feierabend. Spontan traf ich mich mit Damian in unserem Lieblingscafè. Dieser saß wie immer an unserem Platz am Fenster und zog mich in eine feste Umarmung, als ich dort ankam. Ich fragte, wie es ihm ging und wie sein heutiger Arbeitstag verlief. Er erzählte von einem stressigen Morgen, der damit begann, dass er verschlafen hatte und der Motor seines Autos nicht angesprungen war.

Unser Gespräch wurde kurzerhand von einer jungen Frau unterbrochen, die unsere Bestellung aufnehmen wollte. Damian bestellte für uns zwei Kaffees, seinen schwarz und meinen mit Milch. Dann verschwand sie wieder und ich war ein wenig enttäuscht darüber, dass Scott nicht derjenige war, der uns bediente, denn ich hätte gerne ein paar Worte mit ihm gewechselt.

»Gibt's was Neues bei dir?« fragte er beiläufig, doch sein Blick wirkte dabei so, als wüsste er mehr, als er zugab.

Ich überlegte und stellte kurzerhand fest, dass tatsächlich ziemlich viel passiert war. Die Beziehung zu Derek wurde immer intensiver und ernst. Ich hatte Adam nach all den Jahren wiedergesehen. Er ist jetzt der neue Geschäftspartners meines neuen Freundes. Er ist Tage danach vor meiner Haustüre aufgetaucht und hat damit als Erster von meiner Beziehung mit meinem Chef erfahren. Adam verschwand mit zerbrochenem Ausdruck und brachte dabei auch mich ein wenig zum Weinen. Derek und ich ziehen zusammen. Wir wollen unser Versteckspiel aufgeben.

Wie lange hatte ich Damian nicht mehr gesehen? Es waren doch höchstens ein paar Tage, nicht einmal eine ganze Woche, und doch ist so vieles in meinem Leben geschehen, als wäre bereits ein ganzes Jahre zwischen unserem letzten Treffen und heute vergangen.

Ich überlegte, wie ich Damian das alles sagen sollte und was ich davon überhaupt sagen wollte. Er war mein bester Freund und ich konnte mit ihm über alles reden, aber wollte ich denn überhaupt schon wieder das Thema anschneiden? Würde es mir nicht bloß wieder zusetzen? Wie sollte ich denn auch endgültig damit abschließen, wenn ich ständig in Situationen komme, in denen es nur um Adam geht.

Damian schien ungeduldig zu sein. Er wartete nicht länger eine Antwort meinerseits ab, sondern übernahm wieder das Reden.

»Adam ist wieder in der Stadt« meinte er mit eindringlichem Blick, als würde er mir damit auf die Sprünge helfen wollen, was ich ihm erzählen wollte. Mein Herzschlag setzte aus. Nicht, weil ich geschockt über diese Nachricht war - schließlich wusste ich davon ja schon -, sondern weil er das Thema ansprach und ich darauf reagieren musste. Und ich wusste nicht, wie.

»Adam ist wieder in der Stadt?« fragte Scott überrascht. Ich hatte bis eben nicht bemerkt, dass er an unserem Tisch war und unsere bestellten Kaffees vorbeibrachte.

»Ja. Er wollte ihre Adresse« sagte Damian und nickte mit dem Kopf in meine Richtung. Seine Stimme klang ein wenig vorwurfsvoll, als sei er enttäuscht darüber, dass ich ihm nicht sofort davon erzählt hatte, sondern es anscheinend versucht hatte, vor ihm zu verheimlichen. Und ich realisierte, dass Adam meine Adresse von ihm bekommen haben musste. Woher sollte er sonst davon wissen?

Ich schluckte schwer, sah zwischen den beiden hin und her, und wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Die beiden sahen mich eindringlich an und warteten eine Erklärung ab. »Ich ... Er ...« stotterte ich und strich mehrmals eine Haarsträhne hinters Ohr.

»Was wollte er von dir?« hakte er nach und ich fühlte mich wie in einem Verhör. Fehlte bloß noch eine Tischlampe, die sie mir ins Gesicht scheinen lassen könnten.

Scott ließ die Arbeit für einen Moment ruhen und setzte sich auf den Stuhl neben Damian. Auch er schien neugierig zu sein, was Adam wohl bei mir wollte, wo wir uns doch nach so vielen Jahren nicht mehr gesehen hatten. Aber welche Antwort sollte ich den beiden geben? Ich wusste es doch selbst nicht einmal, wieso er bei mir war.

»Ich weiß es ehrlich gesagt gar nicht so genau« murmelte ich. Die Jungs warfen mir einen ungläubigen Blick zu. Sie runzelten die Stirn, schienen nicht ganz verstehen oder glauben zu können, warum ich davon nichts wusste. Also redete ich weiter.

»Es war eine blöde Situation. Derek hatte die Tür geöffnet, weil er dachte, es wäre der Pizzabote, und dann hat Adam auch noch die Kartons im Flur herumstehen sehen, sodass es gar nicht das gesagt hat, was er eigentlich sagen wollte« beeilte ich aufgeregt zu erzählen.

»Moment! Derek? Kartons?« unterbrach mich Derek. Er hob fragend eine Augenbraue in die Höhe und schien mittlerweile gar nichts mehr zu verstehen. Scott schien es dabei nicht besser zu gehen.

»Wir sind jetzt ganz offiziell zusammen ... und ich ziehe bei ihm ein« stellte ich klar. Sie wussten zwar noch immer nicht, wer Derek war, aber das schien Damian gerade auch nicht wichtig zu sein. Vielmehr war er geschockt darüber, dass ich mit einem Mann umgezogen war, ohne ihm darüber Bescheid zu geben.

»Du ziehst um und das erfahr ich erst jetzt?«

»Es ist ja noch relativ frisch« versuchte ich mich da herauszureden. Es war mir unangenehm und vor allem fühlte ich mich auch ein wenig schlecht, dass ich ihm in letzter Zeit so wenig von meinem Leben preisgab. Für Damian schien das Thema auch noch nicht ganz beendet zu sein und er wollte darauf gerade etwas erwidern, aber Scott fiel uns ins Wort.

»Warte mal kurz! Und du hast wirklich keinen Plan, was Adam bei dir wollte?« Er beugte sich über den Tisch und wartete gebannt auf eine Antwort. Gleichzeitig schien er angestrengt nachzudenken.

Ich schüttelte den Kopf. »Er wirkte ziemlich angespannt, als er Derek und die vielen Kartons gesehen hatte. Dann hat er mich gefragt, ob ich mit ihm zusammen bin und ob ich glücklich sei. Und als ich beides bejaht hatte, ist er wieder verschwunden. Er sah dabei gekränkt aus«

»Oh fuck!« murmelte Scott, eher zu sich selbst. Er drehte seinen Kopf zur Seite und wechselte mit Damian einen Moment lang einen merkwürdigen Blick.

»Wie? Hast du eine Idee-« hakte ich neugierig nach, doch bevor ich meinen Satz zu Ende sprechen konnte, stand er auf, schob den Stuhl zurück an seinen Platz und verschwand wieder hinter der Theke. Ich sah ihm einen Moment lang hinterher und dachte über sein Verhalten nach, doch konnte mir keinen Reim machen. Der ahnt doch was!

»Weißt du, was plötzlich los ist? Er ahnt doch was ...« wandte ich mich wieder Damian zu. Er sah mich stumm an und wenn ich daran dachte, wie die beiden sich vor ein paar Sekunden noch angesehen hatten, war mir klar, dass er genauso dachte wie Scott. Und das machte mich rasend, weil ich die Einzige zu sein schien, die nicht verstand, was hier vor sich ging.

»Du weißt doch auch was« vermutete ich und versuchte ihn damit zu bringen, mit der Sprache herauszurücken. Er seufzte.

»Also entweder willst du es nicht sehen oder du bist manchmal ganz schön blöd« Ich verdrehte die Augen.

»Was ist es denn? Rück endlich raus mit der Sprache« zwang ich ihn und sah ausnahmsweise darüber hinweg, dass er in Erwägung zog, ich sei zu dumm, um diese Situation verstehen zu können. Woher sollte ich wissen, wieso Adam bei mir plötzlich aufgetaucht ist? Es gab doch eigentlich überhaupt keinen Grund.

»Das ist doch offensichtlich« meinte Damian schließlich. Einen Moment haderte er noch mit der Antwort, dann fügte er hinzu: »Er liebt dich immer noch«

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Tags: #romantik