22. Kapitel


A D A M 


Ich rannte die Treppen eilig nach oben und wartete dann ungeduldig vor geschlossener Türe darauf, Hope vor mir stehen zu sehen und ihr all meine Gefühle zu gestehen. Doch es kam alles anders. 

Plötzlich stand ein Mann vor mir, der mir nur allzu bekannt war. Mr. Chambers. Mein Geschäftspartner und Hopes Vorgesetzter, mit dem ich noch vor ein paar Tagen auf unsere zukünftige Zusammenarbeit angestoßen habe. Anders als bei unserem Geschäftsessen trug er bequeme Freizeitklamotten. 

»Ist doch nicht der Pizzabote« rief er durch die Wohnung, dann sah er mich wieder an. Er runzelte die Stirn und wusste im ersten Moment auch nicht so recht, was er sagen sollte. Das war doch ein Scherz! Hope und ihr Chef gemeinsam in ihrer Wohnung, überall stehen Kartons wie bei einem Umzug herum und sie beide warteten auf den Pizzaboten? Was ging hier vor sich?

»Was machen Sie denn hier?« fragte er dann an mich gewandt. Mr. Chambers wirkte genauso überrascht, mich hier anzutreffen, wie ich über seine Anwesenheit überrascht war. Dann tauchte auch noch Hope neben ihm auf und sah mich aus erschrocken aufgerissenen Augen an. Ich sah zwischen den beiden hin und her und konnte nicht glauben, dass Hope eine Affäre mit ihrem Chef zu haben schien. Weshalb sollte er sonst am späten Nachmittag in seinen Freizeitklamotten bei ihr Zuhause sein und mit ihr auf den Pizzaboten warten, während im Flur überall Umzugskartons herumstanden?  Ich verstand nicht, was um mich geschah und ich spürte, wie sich in meinem Inneren eine immer größer werdende Leere ausbreitete. Tief in meinem Inneren wusste ich bereits, dass ich sie verloren hatte. Dass es heute kein Happy End geben würde. 

Hope bat Mr. Chambers, uns für einen Moment alleine zu lassen. Er nickte und gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. Ich könnte kotzen!

»Ich pack dann mal weiter« meinte er und verschwand nach einem letzten eindringlichen und merkwürdigen Blick in meine Richtung. Dann waren Hope und ich alleine. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, weswegen ich sie schweigend ansah und versuchte, das Gefühlschaos in meinem Inneren zu beseitigen, um wenigstens einen klaren Gedanken fassen zu können. Doch das einzige, an was ich denken konnte, war, dass der Mann, dem ich einer Zusammenarbeit zustimmte meine große Liebe vögelte, und das gefiel mir überhaupt nicht. 

Hope stellte mir irgendwelche Fragen. Ich konnte ihr nicht richtig zuhören, zu sehr war ich auf diese Eifersucht, die die immer größer wurde, fokussiert. Ich weiß, ich hatte kein Recht, eifersüchtig zu werden, da wir seit vielen Jahren getrennte Leute waren, aber dieses Gefühl ließ sich in diesem Moment nicht aufhalten. 

»Vögelst du jetzt mit deinem Chef?« fragte ich geradeaus. Diese Verletzlichkeit und dieses Gekränkte in meiner Stimme war kaum zu überhören. Ich begegnete standhaft ihrem Blick, mit dem sie mich besorgt und entschuldigend ansah. Ich versuchte, meine Maske nicht fallen zu lassen und ihr nicht zu zeigen, wie weh dieser kleine Kuss, den er ihr gegeben hat, im Herzen tat, doch es kostete mich so viel Kraft wie noch nie. Sie schwieg, presste die Lippen aufeinander und umklammerte nervös mit der einen Hand die Tür. 

Es war nicht richtig, sie zu verurteilen, ohne zu wissen, was zwischen den beiden vorging, und ich hasste mich für diesen ersten Gedanken, den ich hatte, aber es war nicht zu verhindern, dass ich sie für einen Bruchteil der Sekunde als Schlampe sah, die mit ihrem Chef schlief, um sich eine höhere Position oder sonst einen beruflichen Vorteil zu ergattern. 

»Adam« druckste sie herum und ich wusste genau, was das zu bedeuten hatte. Ich wusste, was die Antwort auf ihre Frage war und doch musste ich es ausgesprochen, aus ihrem Mund, hören. Ich wollte es hören, um dann anschließend endgültige Gewissheit zu haben und mit dem Kapitel abschließen zu können. Ich weiß, es würde unbeschreiblich wehtun, und ich wollte sie nicht gehen lassen, aber was brachte es, um sie zu kämpfen, wenn sie ihr Herz längst einem anderen Mann geschenkt hatte? 

»Hör auf damit! Sag mir einfach die Wahrheit!« brachte ich wütend hervor und stoppte damit ihre anfängliche Rede. Meine Stimme war lauter und aggressiver als beabsichtigt. In mir kochten die Emotionen. Ich hatte mich kaum noch im Griff. Am liebsten würde ich alles zusammenschlagen. 

»Wir sind zusammen« Da war es, dieser Satz, der mich in ein tiefes Loch zog, in der alle Hoffnungen von der einen Sekunde auf der nächsten wie eine Seifenblase zerplatzte. Ich hatte sie verloren. Endgültig. 

»Bist du glücklich?« fragte ich weiter und jedes einzelne Wort fiel mir schwer. Eigentlich brach ich mir mit jeder weiteren Frage unnötigerweise noch mehr das Herz, doch es fühlte sich so an, als müsste ich die Fragen stellen. Als könnte ich sie erst loslassen, wenn ich mir wirklich sicher sein konnte, dass diese Beziehung mit Mr. Chambers genau das Richtige für sie war, um wieder glücklich und vollends zufrieden zu sein. Ich wollte aus ihrem Mund hören, dass sie mit diesem Typen glücklich war. Dann würde ich ihrem Glück auch nicht länger im Wege stehen. Ich würde wieder nach New York verschwinden, Tessa heiraten und mein restliches Leben mit einer Frau verbringen, die ich kein Stück liebte. Ich würde der ganzen Welt weiter vorlügen, ich sei mit meinen Entscheidungen glücklich und zufrieden. Und auf dem Sterbebett würde ich mir erst wieder eingestehen, dass es die ganze Zeit Hope war, für die mein Herz schlug. 

»Ja« antwortete sie nach einer kurzen Pause, in der wir uns in die Augen sahen. Ich nickte. Jetzt war alles gesagt. Jetzt war auch der letzte Traum von einer gemeinsamen Zukunft geplatzt. 

Ich stieß mich von dem Türrahmen ab und wollte einfach nur noch verschwinden, bevor meine Fassade weiter bröckelte und jeder zu Gesicht bekam, wie mein Herz langsam aber sicher in klitzekleine Scherben zerbrach. 

»Adam!« Hope schien mich nicht gehen lassen zu wollen, ohne noch etwas loszuwerden, doch ich wollte das alles nicht länger hören. Ich wollte nicht noch mehr vor Augen geführt bekommen, wie verliebt und glücklich sie mit Mr. Chambers war. Ich wollte einfach in Ruhe gelassen werden. Und ja, momentan wollte ich sie auch nie wieder sehen. Denn sie hatte mir mein Herz gebrochen. So sehr wie kein anderer, so sehr wie noch nie. 

»Es ist alles gesagt« sagte ich zum Abschluss, spürte Tränen aufsteigen und drehte mich um, um die Treppen nach unten zu rennen und von hier zu verschwinden. Weg von Hope, weg von allen schmerzlichen Erinnerungen an meine glücklichste Zeit in meinem Leben. 

Ich verdrängte all meine Gefühle so gut es ging während der Autofahrt, schluckte die aufkommenden Tränen herunter und spürte die ganze Zeit bloß diese unglaubliche Wut in meinem Inneren, wie sie durch meinen ganzen Körper rauschte. Ein wenig auf Hope, weil sie mir das Herz gebrochen hatte, ein wenig auf Nick, weil er mich erst auf diese schwachsinnige Idee gebracht hatte, aber vor allem auf mich selbst, weil ich mir diese dämlichen Hoffnungen gemacht hatte und weil ich durch mein jahrelanges Warten diesem Mr. Chambers überhaupt erst diese Chance gegeben habe, ihr Herz zu gewinnen. 

Ich fuhr an meiner alten High School vorbei und später an einem Diner, in dem wir ab und an nach der Schule abgehangen hatten. Eine unglaubliche Ladung an schöne Erinnerungen traf mich und dieser immer größer werdende Schmerz und diese immer größer werdende Leere waren kaum noch auszuhalten. 

Ich hielt es in der ganzen Stadt nicht mehr aus. Mein Entschluss stand fest. Es ging zurück nach New York. Keine Sekunde würde ich länger an diesem Ort verbringen. 

Ich schlug wütend die Autotür zu und anschließend die Tür zum Haus meiner Eltern. Maddy kam auf mich zu. 

»Schau mal, unser erstes Ultraschallbild von unserem Ki-« begann sie ganz freudig mit dem Bild zwischen den Händen zu erzählen, doch verstummte sogleich, als sie meinen Gesichtsausdruck sah. »Was ist passiert?«

»Ich verschwinde« meinte ich bloß, lief an ihr vorbei und ließ Maddy gemeinsam mit Nick, Mum und Dad, die dazukamen, irritiert im Flur stehen. Ich stürmte nach oben in mein altes Zimmer, wo ich auf Tessa traf. Auch sie wirkte heute besonders glücklich und lächelte mich mit einem ihrer neu gekauften Kleidern an ihren Körper haltend an. Doch auch ihr Lächeln erstarb sogleich, als sie mir ins Gesicht sah. Darin spiegelte sich meine blanke Wut und noch viel mehr wider. 

»Was ist los?« fragte sie vorsichtig nach. 

»Pack deine Sachen!« presste ich wütend unter zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wir fahren nach Hause. Jetzt!«

»Wieso?« Die Verwirrung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie schien sich meinen plötzlichen Umschwung nicht erklären zu können. Vor ein paar Tagen verlängerte ich unseren kleinen Urlaub in meiner Heimatstadt, weil es sich gut anfühlte, alte Freunde und Familie um sich haben, und heute wollte ich urplötzlich von hier verschwinden? Ich hätte es an ihrer Stelle wahrscheinlich genauso wenig verstanden. Aber ich musste hier schleunigst raus. Alles fühlte sich beklemmend an, als würde ich hier keine Luft mehr bekommen, je länger ich mich an diesem Ort aufhielt. Allein in meinem alten Zimmer, in dem wir für die Prüfungen gelernt haben, in denen wir herumgealbert haben, in dem wir so vieles getan haben, erinnerte ich mich zu sehr an die schönen Momente mit Hope und das führte mir nur wieder einmal vor Augen, was für ein Idiot ich war, dass ich sie überhaupt jemals verlassen hatte. 

»Pack verdammt nochmal deine Koffer!« schrie ich ihr entgegen und haute mit der Faust gegen die Wand. Sie zuckte zusammen. Dann beeilte sie sich, das Kleid zurück in ihre Tüte von der heutigen Shoppingtour zu packen. Ihre Finger zitterten dabei gewaltig. 

»Geht das nicht schneller?« fragte ich gereizt und ließ meiner Wut freien Lauf. Sie kniete auf dem Boden, nahm eines ihrer Pullover und packte es sorgfältig in ihren Koffer. Mir dauerte das alles viel zu lange. Also schnappte ich all ihre Kleider auf einen Haufen und schmiss sie ihr entgegen in den Koffer. 

Ich hatte Angst, dass meine Mauer einstürzen würde. Ich wollte diesen unerträglichen Schmerz nicht spüren, sondern verdrängen. Und das ginge um so besser, je schneller ich von hier verschwinden würde. 

»Was ist passiert? Bitte rede doch mit mir. Ich bin deine Verlobte« redete sie mit bebender Stimme weiter auf mich ein und unterbrach dabei ihre Arbeit. Sie stand auf und näherte sich mir langsam an, doch ich wollte das alles nicht. Ich wollte ihr nicht noch näher sein, ich wollte mit ihr nicht darüber sprechen, denn das Einzige, was ich wollte, was von hier abzuhauen und die letzten paar Stunden zu vergessen. Am liebsten wäre es mir, ich hätte Hope nie so kennengelernt. Am liebsten wäre es mir, ich wäre dieser Arsch geblieben. Dann wäre ich jetzt nicht so zerbrochen. Und vielleicht hätte ich mich dann auch mit einer Frau wie Tessa zufrieden gegeben. 

»Du bist gar nichts!« Alles in mir schrie danach, die Wahrheit zu sagen. Ich konnte mich nicht mit einer Frau wie Tessa zufriedengeben, wenn ich nur daran dachte, zuvor eine tausendmal bessere gehabt zu haben. »Gib mir diesen scheiß Ring!«

»Was?« fragte sie entgeistert. 

»Tessa, ich liebe dich nicht und ich habe dich noch nie geliebt! Du bedeutest mir nichts!« rief ich ihr genervt entgegen. Sie zuckte zusammen und Tränen laufen über ihre Wangen. 

»Du bist nicht du selbst« murmelte sie zu sich selbst, als wolle sie sich selbst davon überzeugen, dass das alles nicht so gemeint war. 

Bevor ich noch etwas sagen konnte, machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand aus meinem Zimmer. Mit dem Türknall endete auch meine letzte Beherrschung. 

»Fuck!« brüllte ich und pfefferte ich die Sachen von meinem Schreibtisch, sodass sie mit einem dumpfen Knall auf dem Boden landete. Danach haute ich mit der Faust gegen sämtliche Möbel und Wände in meinem Zimmer, bis die Fingerknöchel rot und teilweise blutig waren.

Ich nahm einen Haufen meiner Klamotten und stopfte sie energisch in den Koffer. Ich spürte, wie die Wut langsam schwand. Plötzlich war sie wie weggeblasen und ich fühlte mich kraftlos. Ich setzte mich auf den Boden, mit dem Rücken gegen das Bett lehnend, sah auf meinem Handy alte Bilder von Hope und mir an und kniff anschließend meine Augen zusammen, um loszuheulen. Diese Mauer, die sonst allem standhielt, brach in sich zusammen, und von mir blieb nur noch ein Wrack übrig. »«

Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal geweint hatte, aber es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Mein Herz fühlte sich zerquetscht und in tausend Stücke gerissen an. Die Leere wurde so groß wie noch nie, so dass ich kaum Luft bekam. 

Ich sank meine Hand, in der ich verkrampft das Handy, auf dem eines von vielen Bildern von Hope und mir, wie wir glücklich miteinander waren, zu sehen war, hielt, weil ich selbst dafür keine Kraft mehr hatte. Ich wusste nicht mehr wohin mit all den Tränen und mit all dem Schmerz.

Ich fühlte mich wie ein Wrack. Alles um mich herum verschwamm und erschien mir egal zu sein. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Ich hatte es mir so sehr gewünscht, wieder mit Hope zusammen zu kommen. Plötzlich erschien es mir so lächerlich. Wie konnte ich auch nur daran denken, zwischen uns könnte wieder alles wie damals werden? 

Die Tür zu meinem Zimmer öffnete sich und Maddy streckte ihren Kopf herein. Ich reagierte nicht darauf, sondern sah einfach nur in die Leere. Mein Leben wirkte für den einen Moment wie zerstört. Noch nie hatte ich mich so elend und leer gefühlt wie heute, nachdem Hope mir endgültig klar gemacht hatte, dass es kein "uns" mehr gab und es definitiv kein "uns" mehr geben würde. 

Maddy setzte sich neben mich und legte ihren Kopf auf meiner Schulter ab. Sie schwieg, weil sie wusste, dass es in diesem Moment nichts gab, was sie sagen könnte. 

»Es ist vorbei. Endgültig« murmelte ich mit heiserer Stimme. Mein Hals schmerzte bei jedem Wort, das ich sprach. Maddy sah mich mitfühlend an. 

»Es tut mir so leid« Nick war ebenfalls aufgetaucht und stand unsicher in der Tür, die Hände in den Hosentaschen vergraben. 

 »Sie ist jetzt mit ihrem Chef zusammen« meinte ich und sah ein weiteres Mal diesen Moment vor meinen Augen, wie Mr. Chambers mir die Tür geöffnet hatte und wie er Hope auf die Schläfe geküsst hatte. Ich hörte ihre Worte widerhallen, wie sie mir sagte, dass sie mit ihm zusammen war. Ich schluckte aufkommende Tränen hinunter und spürte dieses unerträgliche Brennen in meiner Kehle. 

»Autsch« meinte Nick und sah mich mitleidig an. 

»Ich muss von hier verschwinden« meinte ich fest entschlossen und stand auf, um weiterhin meine Koffer zu packen. In meinem Inneren hatte sich plötzlich ein Schalter umgelegt. Wie von selbst baute sich diese unsichtbare Mauer auf, die nichts und niemanden mehr an mein Herz oder besser gesagt an das, was davon noch übrig geblieben ist, heranließ. Es war, als wäre dieser Gefühlszusammenbruch niemals passiert. Es war, als gäbe es diese Gefühle überhaupt nicht. Und doch schmerzte noch alles. 

»Aber das kannst du doch auch noch morgen früh« meinte Nick und Maddy stimmte ihm sofort zu. »Heute machen wir es uns zu dritt erst einmal gemütlich« schlug meine Schwester vor. Ich überlegte einen kleinen Moment lang. Dann nickte ich.

»Aber morgen bin ich weg«

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top

Tags: #romantik