20. Kapitel
A D A M
Der Gedanke an Hope ließ mich nicht mehr los. Jeder neue Tag begann und endete damit.
Tessa schien meine immer größer werdende Abneigung - wenn sie denn überhaupt noch größer werde konnte - zu spüren. Ihre Annäherungsversuche wurden nämlich weniger und sie ließ mich die meiste Zeit in Ruhe. Und ich verbrachte die restlichen Tage in meiner Heimatstadt damit, nachdenklich in der Hollywood-Schaukel auf der Veranda zu sitzen.
Ich beobachtete das alltägliche Geschehen auf den Straßen. Ein paar Männer kehrten den Schnee beiseite, Kinder spielten in den dicken Schichten weißer Schnee, indem sie Schneemänner bauten oder eine Schneeballschlacht veranstalteten. Manche fuhren am frühen Morgen mit ihrem Auto fort und kamen erst wieder am späten Nachmittag zurück.
Ich dachte über alles Mögliche nach und erwischte mich dabei immer wieder, wie ich an Hope, unsere gemeinsame Vergangenheit und natürlich auch über unser erstes Zusammentreffen nach Jahren vor ein paar Tage dachte. Es schwirrten sämtliche Gedanken darüber in meinem Kopf herum und ich wusste mich nicht abzulenken.
Die Tür des Hauses öffnete sich und Sekunden später stand Nick vor mir. Er sagte kein Wort, sondern hielt mir bloß eine Flasche Bier entgegen. Als ich diese annahm, setzte er sich neben mich und öffnete seine eigene Flasche, um daraus einen Schluck trinken zu können. Wir beide sahen stillschweigend nach vorne. In meinem Kopf herrschten noch immer die Gedanken rund um Hope. Ich überlegte, ob ich Nick davon erzählen sollte. Ich wusste, mit ihm konnte ich über so gut wie alles reden, und dennoch war ich mir recht unsicher, ob ich es wirklich tun sollte.
»Wo ist Tessa?« fragte Nick nach, um somit die Stille zu durchbrechen. Ich zuckte mit den Schultern. Um ehrlich zu sein wusste ich es gar nicht so sehr. Sie meinte bloß, sie würde für ein paar Stunden verschwinden, sich ein wenig in der Gegend umschauen, und ich hatte sie einfach gehen lassen, ohne näher nachzufragen oder ihr anzubieten, mitzukommen.
»Wahrscheinlich in der Stadt und mein Geld ausgeben« vermutete ich und nahm einen großen Schluck aus der Flasche.
»Was ist los mit euch?« fragte er näher nach und runzelte die Stirn. Er schien nicht ganz zu verstehen, wieso sie mir so egal geworden war. Ich verstand selbst nicht, wie einem jemand innerhalb so kurzer Zeit so gleichgültig werden konnte. Aber so war es. Ich verschwendete keinen einzigen Gedanken an sie und wenn sie mich eines Tages verlassen würde, dann würde ich eher Freudensprünge machen als Tränen zu verdrücken.
»Ist es wegen Hope?« Ich öffnete meinen Mund, doch bevor ich auch nur ein Wort sagte, stockte ich. Woher wusste er davon? Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihm jemals davon erzählt zu haben, dass sie noch immer in meinem Kopf herumspukte und ich sie nicht loslassen konnte.
»Woher -« Überrascht drehte ich meinen Kopf in seine Richtung und runzelte die Stirn, dachte nach und unterbrach mich sogleich, als mir alles klar wurde. »Maddy«
»Sorry. Sie hatte sich Sorgen um dich gemacht und brauchte jemanden, mit dem sie reden konnte. Mich« erklärte Nick. »Ich hoffe, du bist nicht sauer«
»Nein, schon gut« versicherte ich ihm. Wir beide sahen wieder geradeaus und schwiegen. Ich dachte wieder einmal an Hope und an unsere Begegnung vor ein paar Tagen. Ich sah ihr wunderschönes Gesicht vor meinen Augen und spürte schon wieder ein Stechen in meiner linken Brust. Ich atmete tief aus, dann redete ich mir den ganzen Schmerz von der Seele.
»Ich war ja letztens mit Tessa auf einem Geschäftsessen und da haben wir uns das erste Mal seit dem College wiedergesehen« begann ich langsam zu erzählen. Vor meinem inneren Auge spielte sich diese Szene, wie wir einander gegenüber standen und uns erschrocken ansahen, wider.
»War sie dort mit einem anderen Mann essen?« hakte Nick vorsichtig nach, um nachvollziehen zu können, wieso ich in den letzten Tagen so still und nachdenklich war. Ich schüttelte den Kopf.
»Sie ist die Sekretärin meines zukünftigen Geschäftspartners« erklärte ich ihm und er nickte langsam. Ich erzählte weiter, dass ich Hope schon länger im Kopf hatte und Tessa deshalb immer auf Distanz blieb. Ich erklärte ihm, dass dieses Desinteresse Tessa gegenüber immer größer wurde, je länger ich realisierte, dass ich Hope noch immer im Herzen hatte. Ich machte ihm bewusst, dass ich nicht für Tessa Gefühle hatte, sondern einzig und allein für Hope.
»Warum erzählst du das mir und nicht ihr?« meinte Nick anschließend, als ich das letzte Wort aussprach und sich wieder eine gewisse Stille über uns legte.
»Weil es keinen Sinn hat. Es ist zu spät« Aufgebracht fuhr ich mir durch die Haare. Ich dachte an die Nachricht, die ich von Damian erhalten hatte und die im Herzen weh tat.
»Für die wahre Liebe ist es nie zu spät« versuchte Nick mir klarzumachen, doch es überzeugte mich nicht wirklich. Hope hatte einen Neuen gefunden, der sie glücklich zu machen schien. Wieso sollte sie dann zu mir zurückkehren, zu einem Mann, der ihr immer wieder das Herz gebrochen und sie im Stich gelassen hatte, wenn es schwierig wurde? Sie war sicherlich nicht so dumm, solch einen Fehler ein drittes Mal zu machen. Ich war Gift für ihr Herz und wenn ihr dieses wichtig war, sollte sie sich wirklich fern von mir halten, denn ich würde es sicherlich nur komplett zerstören.
»Denk doch mal an Maddy und ich. Wer hätte gedacht, dass das zwischen uns klappen würde? Wahrscheinlich niemand. Aber das hat es und weißt du warum? Weil wir nicht aufgegeben haben. Ich habe immer um sie gekämpft, egal wie hoffnungslos es aussah«
»Aber Maddy war nie in einer anderen Beziehung. Sie hat sich in der ganzen Zeit nie auf einen anderen eingelassen« meinte ich gedankenverloren. Ich stellte mir vor, wie Hope mit einem anderen Mann durch die Stadt schlenderte und einfach wunschlos glücklich war. Dass sie keinen einzigen Gedanken mehr an mich verschwendete, weil ich ihr egal geworden war. Wie Tessa mir egal geworden war.
»Hat sie dir das gesagt?« hakte er nach und ich schüttelte ein weiteres Mal an diesem Nachmittag mit dem Kopf. »Damian hat es mir erzählt«
Einen Moment lang blieb es ruhig zwischen uns. Nick schien zu überlegen, wie er mich weiter davon überzeugen könnte, dass aufgeben keine Möglichkeit war.
»Na und? Nur weil sie in einer Beziehung ist, heißt das doch noch lange nicht, dass sie auch glücklich ist und dich komplett vergessen hatte« Ich öffnete meinen Mund, um ihm zu widersprechen und ihm klarzumachen, dass ich mir sehr sicher war, dass sie glücklich war, weil sie sonst keine Beziehung mit einem anderen Mann eingehen und allen etwas vorspielen würde, doch Nick ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen.
»Denk doch mal an dich und Tessa. Jeder Mensch würde doch denken, dass du glücklich bist, wenn sie von eurer Beziehung und eurer Verlobung hören würden. Aber bist du das? Bist du glücklich?«
»Nein« sagte ich entschlossen. »Aber das ist etwas ganz anderes ...« und während ich den letzten Satz aussprach, dachte ich über Nicks Worte nach. War es denn wirklich noch nicht zu spät?
»Als Tessa mich am Tisch geküsst hat und stolz von unserer Verlobung verkündet hat, ist Hope mit Tränen in den Augen auf den Damentoiletten verschwunden« murmelte ich, eher zu mir selbst sagend. Ich erinnerte mich an diesen einen Moment, der mich neu hoffen ließ. Und dann war doch noch dieser Blick auf dem Parkplatz, der mir sagte, dass tief in ihrem Inneren doch noch Gefühle für mich schlummern musste. Hätte sie mich denn sonst so angesehen?
Gleichzeitig kamen mir aber auch ihre letzten Worte wieder in den Sinn, die wie ein endgültiger Abschied klangen. Auch wenn sie vielleicht noch Gefühle für mich hegte, schien sie diese nicht ein weiteres Mal aufleben zu wollen.
Ich war hin- und hergerissen, was ich nun tun sollte. Ob ich diesen Hoffnungen in meinem Inneren folgen und Hope endlich meine Gefühl gestehen sollte, egal was komme, oder ob ich mein Herz doch lieber davor bewahren sollte, gebrochen zu werden, wenn sie wirklich keine Zukunft für uns beide mehr sah.
»Bruder, ich glaub, du bist wieder im Rennen« kommentierte Nick bloß mit einem freudigen Grinsen im Gesicht und schlug mir freundschaftlich auf die Schulter. Ich zwang mir ein kleines Lächeln auf die Lippen, war zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt, als dass ich mich mit ihm freuen und optimistisch sein konnte.
»Hör zu, ich kann für dich keine Entscheidung treffen, aber wenn du sie liebst - wirklich liebst -, dann lass sie bitte nicht gehen, ohne vorher um sie gekämpft zu haben« Nick sah mich eindringlich an. Er schien zu bemerken, wie ich innerlich mit meinen zwei Seiten kämpfte, die unterschiedliche Dinge wollten.
»Danke« meinte ich ehrlich. Nick war ein guter Freund, auch wenn wir manchmal Idioten zueinander waren. Wir stießen mit unserem Bier an und nahmen einen Schluck davon. Wir sahen wieder nach vorne, auf das Haus gegenüber, das weihnachtlich geschmückt war und die ganze Straße mit ihren bunten Lichtern erhellte.
»Ich war damals echt ein Idiot gewesen, als ich euch beiden wegen eurer Liebe fertig gemacht habe. Ich hab echt nicht gesehen, wie wichtig sie dir war, sondern hab nur darauf herumgehackt und unsere Freundschaft aufgegeben, als wäre sie nichts wert« Er wirkte schuldbewusst. Das wirkte er immer, wenn er sich versuchte, zu entschuldigen. Wir haben ihm zwar schon mehrfach verziehen, aber er schien sich gar nicht oft genug dafür entschuldigen zu können. So auch an diesem Nachmittag.
»Schon gut Nick. Ich hab dir verziehen. Das haben wir beide« fiel ich ihm ins Wort und er nickte langsam, auch wenn er nicht sonderlich überzeugt wirkte.
»Ich hab Hope gar nicht verdient« murmelte ich und war vollkommen in meinen Gedanken versunken - in meinen negativen Gedanken. Ich dachte bloß daran, dass ich Hopes Leben nur zerstören würde, wenn ich von ihr eine weitere Chance bekommen würde. Das hätte Hope nicht verdient und doch war ich zu egoistisch, um diesen Gedanken, sie genau darum zu bitten, ganz zu verwerfen.
»Quatsch. Natürlich hast du sie verdient. Ihr braucht einander« Ich wollte etwas darauf erwidern, doch im selben Moment öffnete sich die Verandatür und meine Schwester Maddy trat hinaus. Sie stellte sich neben Nick und legte ihre Hände auf seinen Schultern ab.
»Ich will euch beide nur ungern stören, aber wir haben gleich den Termin bei der Frauenärztin« Nicks Augen begannen zu leuchten. Er war noch immer überglücklich darüber, Vater zu werden. Er sprang von seinem Platz auf und holte eilig seine Autoschlüssel aus seiner Jackentasche heraus.
»Kommst du klar?« Ich nickte und so machten sich die beiden auf den Weg zu seinem Auto. Ich hörte sie dabei noch fragen, was los sei und wie er bloß ihren Namen sagte, als würde das vollkommen ausreichen, um zu wissen, wieso ich so nachdenklich war. Dann stiegen sie in seinen Wagen und fuhren in die Stadt zur Ärztin.
Augenblicklich musste ich wieder an Hope und diese verzwickte Situation denken. Ich ließ jeden Gedanken in meinem Kopf kreisen, sodass ich bald Kopfschmerzen davon hatte. Doch danach war mir einiges umso klarer. Ich würde mich nicht einfach so geschlagen geben und mich wieder nach New York verkriechen. Ich würde Nicks Ratschlag befolgen und um unsere Liebe kämpfen.
Wild entschlossen stand ich auf und verschwand in das Hausinnere. Ich suchte in meinem alten Zimmer nach meinen Autoschlüssel und als ich diese endlich gefunden hatte, rannte ich die Treppen nach unten. Im Flur stoppte ich vor dem Spiegel, überlegte, ob ich so gehen konnte, und fuhr mir noch einmal mit der Hand durch die Haare, um diese zu richten. Dann lief ich eilig weiter. Ich konnte es plötzlich kaum erwarten, vor ihr zu stehen und ihr endlich zu sagen, was ich fühlte. Ich glaubte plötzlich nur noch an das Gute, an ein Happy End für uns. Ich ließ keine negativen Gedanken länger zu.
Ich zog die Haustür hinter mir zu und sah Tessa gerade die Treppen zur Veranda hochlaufen. Wie nicht anders erwartet hatte sie einen Haufen Tüten in ihren Händen und schenkte mir ein kleines Lächeln, als sich unsere Blicke kreuzten.
»Schau mal, was ich mir schönes gekaufte h-« Tessa deutete auf ihre Tüten und wirkte überglücklich mit ihren Einkäufen, doch ich ignorierte sie geflissentlich und lief einfach an ihr vorbei, als sei sie bloß Luft. Ihr Lächeln erstarb und ich spürte, wie sie mir hinterherkam, doch drehte mich kein einziges Mal mehr zu ihr nach hinten. Ich hatte nur noch Hope im Kopf und wollte nichts sehnlicher, als vor ihr zu stehen.
»Wo willst du hin?« rief sie mir hinterher, doch ich gab ihr keine Antwort, sondern stieg einfach in mein Auto, um davonzufahren. Ich startete den Motor und fuhr los, doch kaum stand ich am Ende der Straße, fiel mir ein, dass ich gar nicht ihre Adresse wusste. Für einen kurzen Moment dachte ich, umzudrehen und die ganze Sache abzublasen, doch da kam mir die Idee, Damian nach der Adresse zu fragen. Ich tippte schnell eine Nachricht auf meinem Handy und erhielt wenige Sekunden später bereits die gesuchte Adresse.
Was hast du vor? schrieb er dazu, doch ohne ihm eine Antwort zu geben, packte ich das Handy zurück in meine Hosentasche und fuhr weiter. Die Fahrt kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor, dabei war ihr Zuhause nicht weit von meinem entfernt. Es fühlte sich so an, als würde ich nie ankommen. Jedes Auto vor mir war viel zu langsam. Für mich konnte es nicht schneller gehen. Aber der Verkehr war um diese Zeit viel zu schleppend, als dass ich in Windeseile bei Hope zuhause ankommen konnte.
Ich hatte diese riesige Hoffnung in mir, ohne dabei an die andere Seite zu denken: dass sie mich von sich stoßen und mir klarmachen konnte, sich für einen anderen Mann entschieden zu haben. Für mich wirkte es plötzlich so sicher, dass sie mir verzeihen wird. Ich war mir sicher, dass sie mich noch liebte. Wie naiv ich in diesem Moment doch war!
Nach einer Viertelstunde kam ich dann endlich vor ihrer Wohnung stehen. Ich schaltete den Motor aus und beobachtete durch die Scheibe das Mehrfamilienhaus mit der Nummer siebenundzwanzig, in dem Hope wohnen sollte. Neben der Vorfreude trat nun auch die Unsicherheit und Nervosität auf. Was sollte ich bloß sagen, wenn ich gleich vor ihr stand? Ich war noch nie besonders gut darin gewesen, meine Gefühle für jemanden in Worte zu fassen, und auch heute schien mir nichts Sinnvolles einzufallen. Ich schloss meine Augen, führte alle Gefühle, die ich je für sie empfunden hatte, vor, um in Kürze direkt aus dem Herzen sprechen zu können.
Ich schnallte mich langsam und mit zittrigen Händen ab, stieg aus dem Auto aus und lief über den gepflasterten Weg auf das Gebäude zu. Mit jedem Schritt, mit dem ich dem Haus und damit auch Hope näherkam, spürte ich mein Herz um einiges schneller schlagen. Mein Puls raste, als ich meinen Finger auf die Klingel mit dem Namen "Collins" legte. Es dauerte einen Moment, dann ertönte dieses nervige Geräusch und ich drückte die Tür auf.
Der Moment der Wahrheit war gekommen.
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