13. Kapitel


H O P E

Es ist der 24. Dezember. Der Schnee glitzerte durch die Sonnenstrahlen, die am frühen Morgen erschienen. An den Fenstern zeigten sich Eisblumen, so kalt war es in der gestrigen Nacht gewesen.

Bei der Erinnerung an gestern Abend musste ich unwillkürlich lächeln. Derek hatte eines der schönsten Dates für mich vorbereitet. Wir lagen einander in den Armen, hatten Stockbrot und Marshmallows über das Feuer gehalten und dabei den Sternenhimmel beobachtet. Wir hatten uns unterhalten, dabei gelacht und uns immer wieder geküsst.

Mein Finger wanderte automatisch zu meinen Lippen, die er gestern Nacht mit seinen berührt hatte. Ich spürte ein Kribbeln und schmeckte ihn noch immer, als würde ich den Moment ein weiteres Mal erleben.

Die Hausklingel schreckte mich aus meinen Gedanken. Ich stellte den Kaffeebecher auf der Tischplatte ab und lief mit einer Hoffnung, es könnte Derek sein, der wieder einmal seine Arbeit beiseitelegen würde, um Zeit mit mir zu verbringen, zur Tür und öffnete diese. Einen kurzen Moment durchflutete mich das Gefühl von Enttäuschung, als ich Damian im Türrahmen stehen sah.

»Hey« meinte er lässig und trat in die Wohnung ein. Ich versteckte die Enttäuschung hinter einem Lächeln.

»Du hast ja gar keine Weihnachtsdeko« sagte Damian irritiert und fassungslos, nachdem er seinen Blick einen Moment lang durch die Wohnung schweifen ließ. Auch mein Blick wanderte durch die Räume. Es stimmte: Meine Wände waren kahl und jegliche Lichter oder Schmuck fehlten dieses Jahr. »Du hast nicht einmal einen Weihnachtsbaum«

»Ich hatte gar keine Zeit und ehrlich gesagt brauche ich den ganzen Schnick Schnack auch gar nicht« versuchte ich mich zu erklären, doch Damian sah mich nur eindringlich an. Ich seufzte.

»Okay, einen Weihnachtsbaum hätte ich mir holen können« Ich dachte an die vielen Weihnachtsfeiern, als ich noch bei meiner Mum gewohnt hatte. Wir hatten jedes Jahr einen Weihnachtsbaum und jegliche andere Dekoration, um uns in diese weihnachtliche Stimmung zu versetzen. Je länger ich darüber nachdachte, umso mehr vermisste ich es.

»Dafür ist es noch nicht zu spät« Damian grinste. »Da vorne gibt es noch ein paar«

Ich schlüpfte nach kurzem Überlegen in meine Stiefel und in meine Jacke, bevor ich mich gemeinsam mit Damian auf den Weg zum Stand an der Straßenecke machte. Auf dem Weg dorthin schwiegen wir die meiste Zeit. Es waren nur ein paar Fragen, die man jedem Freund und Bekanntem stellte, wenn man nicht genau wusste, worüber man sich sonst unterhalten sollte. Es fühlte sich anders zwischen uns an, als würde etwas zwischen uns stehen. Doch ich wusste nicht, was es war.

Am Stand suchte ich dann nach dem perfekten Baum für meine Wohnung. Während Damian sogleich an den großen Tannenbäumen Gefallen hatte, fiel mir sofort ein etwas kleinerer mit Tannen in einem saftigen Grün ins Auge.

Kurze Zeit später verließen wir den kleinen Stand mit diesem Tannenbaum. Gemeinsam trugen wir ihn zu meiner Wohnung. Einzelne Schneeflocken fielen wieder einmal vom Himmel herab. Auf den Dächern, Autos und Bäumen lag bereits eine dicke Schneeschicht und auch auf den Straßen stapfte man durch eine hohe weiße Schicht.

In meiner Wohnung angekommen schlüpften wir aus Jacke und Schuhen, bevor wir uns sofort an die Arbeit machten. An unserer schweigsamen Situation hatte sich bislang nichts geändert. Wir wechselten einzelne Worte miteinander, aber das vertraute Gefühl bei unseren langen Gesprächen fehlte.

Während Damian versuchte, den Baum gerade aufzustellen, suchte ich nach Weihnachtsbaumschmuck. Als wir uns danach an die Arbeit machten, Lichterketten, Kugeln und Lametta an die Tannen zu hängen, baute sich langsam ein lockeres Gespräch zwischen uns beiden auf. Ich fühlte mich augenblicklich wohler in seiner Nähe. Es war nicht mehr ein einfaches Gespräch zwischen Bekannten, sondern ein Gespräch, wie man es sonst nur mit besten Freunden hatte. Er erzählte mir Sachen, die bislang noch keiner wusste, zum Beispiel von einer neuen Frau, die er bei seiner Geschäftsreise kennengelernt hatte. Sie war die Stewardess in Flugzeug und bei beiden hatte es anscheinend sofort gefunkt, als sie sich gesehen und miteinander gesprochen hatten.

»Und wie läuft es bei dir mit deinem neuen Lover?« fragte er dann und lenkte damit auf ein unangenehmes Thema. Ich fühlte mich schlecht. Er hatte sich mir anvertraut und mich um Rat gefragt, ob dranbleiben und sie auf ein Date einladen sollte, und ich konnte ihm nicht einmal ein paar Infos über meine neue Beziehung geben, weil das alles viel zu kompliziert war. Er war mein Chef und ich seine Sekretärin. Was würde er im ersten Moment über mich denken? Und würde er es wirklich für sich behalten können? Was, wenn es ihm herausrutschen und plötzlich alle Bescheid wussten?

»Gut« antwortete ich bloß und wandte mich dem Baum zu, an dem ich eine weitere Kugel hängte.

»Komm schon Hope, du musst mit mir reden. Ich brauche Details« Sein Blick blieb auf mir haften und war so intensiv, als würde er versuchen, durch mich hindurchzuschauen, um all meine Geheimnisse zu erfahren.

»Ich mag ihn. Sehr sogar. Er ist gut zu mir« sagte ich dann, ohne dabei zu verraten, wer dieser neue Mann in meinem Leben war. »Wir sind jetzt so etwas wie ein Paar, schätze ich«

»Was?« Damian riss überrascht die Augen auf, doch schnell wandelte sich diese Verblüffung in Freude.

»Wer ist er?« hakte er nach. Ich schluckte laut, dann drehte ich mich zum Tannenbaum und betrachtete die Kugeln. Ich konnte es ihm nicht sagen. Ich fühlte mich nicht bereit dazu und hatte zu sehr Angst vor den möglichen Konsequenzen.

Damian seufzte. Eine bedrückende Stille legte sich über uns. Wir beide widmeten uns dem fast fertig geschmückten Tannenbaum. Als ich zu ihm schielte, bemerkte ich die Enttäuschung in seinem Gesicht. Nachdem er sich mir anvertraut hatte, schien er gehofft zu haben, ich würde das gleiche tun. Mich ihm anvertrauen. Doch stattdessen übermittelte ich ihm ein weiteres Mal das Gefühl, ich würde ihm nicht vertrauen. Und in gewisser Weise tat ich das auch nicht, denn ich zweifelte immer wieder daran, ob er es auch für sich behalten könnte. Es stand zu viel auf dem Spiel, um dieses Risiko einzugehen.

»Es tut mir leid. Ich kann es dir nicht sagen« murmelte ich.

»Wieso nicht?« Er sah mich unglaubwürdig an.

»Wir wollen, dass das vorerst unter uns bleibt«

Damian schnaubte und schüttelte den Kopf, als könne er nicht fassen, was ich gerade zu ihm gesagt hatte.

»Noch eine geheime Beziehung? Hast du aus der ersten nichts gelernt?« Seit Langem musste ich einen Moment lang zurück an Adam denken, doch bevor es im Herzen weh tun konnte, schob ich den Gedanken an ihn wieder beiseite.

»Diesmal geht es von mir aus« versuchte ich mich zu verteidigen, doch er warf mir weiterhin ungläubige Blicke zu. Ich fühlte mich so unwohl, dass ich ihm den Rücken zukehrte und stattdessen den Weihnachtsbaum betrachtete. Er funkelte so wunderschön, dass ich einen Moment das qualvolle Gespräch mit Damian vergessen konnte. Doch er holte mich schnell zurück auf den Boden der Tatsachen.

»Ich hoffe, du weißt, was du tust« Die Kälte in seiner Stimme erschreckte mich. Hinzu kam der verachtende Unterton. Ich schlang die Arme um mich selbst und spürte einen ungewohnten Schmerz in meiner Brust. Es fühlte sich genauso an, wie damals, als Jonathan mich vor der ganzen Schülerschaft bloßgestellt hatte und Adam währenddessen danebenstand und anschließend abgehauen ist. Ich stellte mir vor, wie es sich anfühlen könnte, wenn Derek mich so kalt und emotionslos vor anderen behandeln würde, und spürte augenblicklich, wie sich meine Luftröhren zuschnürten. Hatte Damian Recht?

Nach ein paar wenigen Handgriffen war der Baum fertig geschmückt, doch die unangenehme Atmosphäre blieb. Wir sprachen kein Wort mehr miteinander und ich glaubte so etwas wie Wut in seinen Augen zu sehen.

Ich floh in die Küche und bereitete für uns beide eine heiße Schokolade vor. Wie in alten Zeiten.

»Tut mir leid wegen vorhin« Damian lehnte sich gegen den Türrahmen. Seine Hände steckten in seinen Hosentaschen. Wir warfen einander einen vorsichtigen Blick zu. In seinen Augen schimmerte Angst und Sorgen.

»Ich hab einfach nur Angst, dass er mit dir spielt und dir weh tut« Ich nickte langsam. Ich konnte ihn verstehen. Er hatte damals miterlebt, wie verletzt ich deswegen war, dass Adam nicht zu mir und zu seinen Gefühlen stand. Es tat weh, einen Mann zu lieben, aber diese Liebe nicht ausreichend zu spüren. Allein der Gedanke an diese Zeit versetzte mir einen Stich in mein Herz.

»Das wird nicht passieren. Ich weiß, worauf ich mich einlasse und bin okay damit. In gewisser Weise übernehme ich diesmal den Part von Adam« versicherte ihm. Es fühlte sich merkwürdig an, seinen Namen nach all den Jahren wieder auszusprechen, doch ich ließ dieses beklemmende Gefühl nicht zu. Ich schluckte den aufkommenden Kloß herunter und verdrängte jeden einzelnen Gedanken an ihn aus meinem Kopf. Es fiel mir außerordentlich leicht. Ich hatte ihn noch nie so schnell wieder vergessen können wie heute. Aber es fühlte sich gut an. Befreiend.

»Und jetzt Themenwechsel« Ich überreichte ihm eine Tasse heiße Schokolade und setzte mich mit ihm an den Küchentisch. Wir unterhielten uns über alles Mögliche, nur nicht über Derek oder Adam. Ich verschwendete auch keinen einzigen Gedanke daran, sondern konzentrierte mich einzig und alleine auf das Gespräch mit Damian. Zum ersten Mal seit Langem fühlte es sich auch wie ein Gespräch unter besten Freunden an, ohne dabei den anderen traurig oder wütend zu stimmen. Wir redeten und lachten ausgelassen. Manchmal neckte er mich auch, was mich jedoch nicht verärgerte, sondern zum Schmunzeln brachte.

Nach seiner Reaktion zu der geheimen Beziehung mit Derek hatte ich selbst meine Zweifel gehabt, ob er vielleicht Recht haben könnte und ich einen riesengroßen Fehler beging. Ich war mir selbst nicht mehr sicher, inwiefern es eine richtige Entscheidung war, mich ein weiteres Mal auf eine vorerst geheime Beziehung einzulassen, wenn die erste Probleme und gebrochene Herzen verursacht hatte. Gleichzeitig konnte ich es mir aber auch nicht vorstellen, weder allen von unserer Beziehung zu erzählen noch Derek zu verlassen. Wir liebten uns und wieso sollten wir uns dann wegen ein paar kleinen Problem unterkriegen lassen? Adam und ich hatten so vieles durchgestanden ... und doch hatte es am Ende nicht gehalten.

Ich schüttelte den Kopf. Ich durfte meine Beziehung mit Derek nicht ständig mit der zu Adam vergleichen. Die beiden waren vollkommen verschiedene Menschen und auch ich hatte mich in den Jahren gewandelt. Derek war nicht Adam und ich war nicht mehr das schüchterne Mädchen, das sich alles gefallen ließ. Auch die Situation war eine völlig andere gewesen. Adam und ich waren jung und ohne jeglichen Erfahrungen. Wir machten deshalb ständig Fehler, weil wir nicht wussten, wie man eine richtige Beziehung führte. Ich könnte es Adam zum Vorwurf machen, wie er mich damals in der High School behandelt hatte, nur weil er sein Ansehen und die Freundschaft mit Jonas und Co. nicht verlieren wollte, aber er war nicht der Einzige gewesen, der Fehler gemacht hatte. Und wenn ich heute zurückdenke, konnte ich zum ersten Mal nachvollziehen, wie er sich gefühlt haben musste. Ich kann mich auch nicht dazu überwinden, mit Derek vor aller Öffentlichkeit als Paar aufzutreten, genauso wie Adam mit mir damals. Nicht, weil ich Derek nicht genug liebte, sondern weil ich Angst vor den Veränderungen und den Konfrontationen hatte. Ich hatte mich in die Firma eingelebt und zum ersten Mal das Gefühl, dazuzugehören – sollte ich das in Gefahr bringen?

Ich war mir sicher, dass auch Adam das damals nicht aus mangelnder Liebe zu mir getan hatte, sondern aus Angst. Angst vor Veränderungen. Konnte ich ihm das zum Vorwurf machen? Hatten wir nicht alle davor Angst?

Irgendwann, am späteren Nachmittag, entschieden wir uns dazu, einen Weihnachtsfilm im Fernsehen anzusehen. Kevin – Allein zu Hause, unser Klassiker am Weihnachtsabend. Seit wir miteinander befreundet sind, schauen wir diesen Film am 24. Dezember an – so auch dieses Jahr.

Mit Plätzchen und noch mehr heißer Schokolade machten wir es uns auf dem Sofa bequem und starteten den Film. Einen Moment lang dachte ich an die vielen Weihnachtsabende zurück, an denen wir bei mir zuhause oder im Studentenwohnheim diesen Film zusammen gesehen hatten. Gleichzeitig dachte ich damit an Adam zurück, der an diesen Abenden ebenfalls anwesend war. Allein die Erinnerung daran, wie ich in seinen Armen gelegen war, ließ mich seinen einzigartigen Geruch riechen, als würde er in diesem Moment wirklich neben mir sitzen. Als wäre diese Vorstellung real.

Ich schüttelte den Kopf und starrte auf den Bildschirm. Ich konzentrierte mich auf die Geschichte und auf Damians Lachen, um mich abzulenken. Für eine Zeit lang funktionierte dies auch erstaunlich gut, doch kaum tauchte Adams und meine Lieblingsszene auf, war nicht mehr an Ablenkung zu denken. Ich sah seine Mundwinkel nach oben zucken und hörte sein Lachen. Eine Gänsehaut breitete sich über meinen Körper aus.

»Alles okay?« fragte Damian neben mich und sah mich mit gerunzelter Stirn an. Er schien sich zu wundern, dass ich nicht wie immer in schallendes Gelächter ausbrach, sondern stumm und mit nachdenklichem Gesicht dasaß und den Film nicht länger zu beachten schien. »Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen«

Ich löste mich aus meiner Starre und versuchte, das Bild von einem lachenden Adam aus meinem Kopf verschwinden zu lassen.

»Nein, alles gut. Ich war nur kurz in Gedanken« meinte ich abwinkend und setzte ein kleines Lächeln auf, als ich in seine Richtung sah. Damian nickte.

Wir wandten uns wieder dem Fernseher zu. Ich atmete tief ein und blockte jeden Gedanken an Adam ab. Adam war ein bedeutendes Kapitel in meinem Leben, aber ich musste endlich damit abschließen und ein neues Kapitel beginnen. Adam gehörte der Vergangenheit an. Derek war die Zukunft.

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Tags: #romantik