11. Kapitel
H O P E
Der Samstag schien ereignislos zu werden. Ich frühstückte, nachdem ich enttäuscht festgestellt hatte, diesen Morgen nicht in Dereks Armen aufzuwachen, und erledigte Hausarbeit. Ich schaltete das Radio ein und tanzte putzend durch die Wohnung. Danach fuhr ich noch in einen naheliegenden Supermarkt, um dort ein paar wichtige Lebensmittel für das Mittagessen zu besorgen.
Ich hatte gehofft, dass Derek noch vorbeischauen würde, doch er hatte bereits angekündigt, dass viel zu tun wäre. Stattdessen führte ich nur ein stundenlanges Telefonat mit meiner besten Freundin Brooke über ihn. Sie hatte so viele Fragen bezüglich ihn und unserer Verabredungen, auf die ich ihr jedoch keine genauen Antworten gab. Noch immer hielt ich es nicht für richtig, meinen Freunden zu erzählen, dass es sich bei dem besagten Mann um meinen Chef handelt, mit dem ich zuerst nur geschlafen und dann eine Beziehung angefangen hatte, von der aber vorerst niemand erfahren durfte. Es sollte sich nicht rumsprechen und von den anderen falsch verstanden werden, denn ich wollte auf keinen Fall für eine Frau, die ihren Chef für eine Beförderung oder für eine Gehaltserhöhung um den Finger zu wickeln versuchte, gehalten werden.
Brooke schien anfangs ein wenig beleidigt zu sein, weil ich mich ihr nicht anvertraute, doch dies verflog zugleich, als sich unser Gespräch anderen Themen widmet. Wir sprachen noch eine Weile über die verschiedensten Dinge, bevor wir einander ein schönes Wochenende wünschten und auflegten.
5:30 PM zeigten mir die Zeiger meiner Armbanduhr. Ich beschloss, all die restliche Arbeit auf den morgigen Tag zu schieben und mir stattdessen einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher zu machen. Nach einer kurzen Dusche schlüpfte ich in einen meiner bequemen Pyjamas, auf dessen Hose kleine Weihnachtsmänner gedruckt sind. Ich schaltete mich durch die Fernsehsender und wählte letztendlich eine romantische Komödie, die zur Weihnachtszeit spielte. Eine schöne Winterlandschaft erscheint im Intro auf dem Bildschirm. Ich schaute aus dem Fenster und stellte fest, dass es hier ebenfalls schneite. Dicke Schneeflocken fielen vom Himmel herab.
Nach einer halben Stunde, als die Spannung zwischen den beiden Protagonisten immer stärker und intensiver zu sein scheint, klingelt es an der Tür. Für einen Moment überlegte ich, die Person zu ignorieren und mich stattdessen auf den Film zu konzentrieren, doch bereits nach dem zweiten Ertönen der Klingel verwarf ich den Gedanken. Ich drosselte die Lautstärke, befreite mich von meiner bequemen Decke und öffnete dann die Wohnungstür. Vor mir stand niemand Geringeres als Derek. Er grinst schief.
»Schickes Outfit« murmelte er mit diesem Grinsen in seinem Gesicht. Ich sah an mir herunter. Es war nicht wirklich Kleidung, mit der man Männer beeindrucken und für sich gewinnen konnte.
Derek quetschte sich sogleich an mir vorbei und tritt in meine Wohnung ein. Ich starrte ihm perplex hinterher, weil ich einfach nicht mehr damit gerechnet hatte, dass Derek noch vorbeikommen würde.
»Was machst du hier?« fragte ich neugierig nach, als ich ihm ins Wohnzimmer folgte.
»Ich wollte dich abholen« Er ließ sich aufs Sofa fallen. Im Fernseher lief noch immer der Film. Gerade küsste sich das Pärchen, ohne zu wissen, dass es bald das reinste Chaos in ihrem jungen Glück geben wird.
»Am besten ziehst du dich schnell um und ich warte hier solange« meinte er, doch anstatt mich auf den Weg ins Schlafzimmer zu machen, um mich aus diesem peinlichen Pyjama zu befreien, blieb ich noch kurz einen Augenblick wie angewurzelt stehen. Ich öffnete meinen Mund einen Spalt breit, um nachzufragen, wo es denn hingehen sollte, doch Derek kam mir zuvor.
»Oder möchtest du so gehen?« Wieder einmal zucken seine Mundwinkel nach oben. Es schien ihm Spaß zu machen oder in gewisser Weise zu belustigen, mich in solch einem Outfit anzutreffen.
Peinlich berührt drehte ich mich um und verschwand in meinem kleinen Schlafzimmer, ohne ihn über sein Vorhaben zu fragen. Ich wollte nicht länger diesen belustigten Ausdruck über mein Aussehen in seinem Gesicht sehen. Auch wenn er das sicherlich nicht böse gemeint war und ich das nicht so ernst nehmen sollte, spürte ich, wie sich mein Herz bei der Vorstellung, ihm so nicht zu gefallen, zusammenzog. Ich erinnerte mich zu gut an die Zeiten, in denen ich mein Äußeres gehasst hatte, weil es andere taten. Ich hatte lange gebraucht, um mich so zu akzeptieren, wie ich war, und mich nicht zu einem vollkommen anderen Menschen zu verändern, den die Gesellschaft gerne gehabt hätte. Ich wollte nicht wegen eines Mannes in alte Muster zurückfallen.
Ich verwarf schnell den Gedanken, Derek könnte mich nicht hübsch genug finden, wenn ich mich nicht gerade in ein supersexy Kleid oder in figurbetonte Kleidung für die Arbeit zwängte. Stattdessen beschäftigte ich mich damit, was ich anziehen sollte. Es war schwieriger als gedacht, etwas Passendes herauszusuchen, wenn man nicht wusste, wohin es gehen würde. Nach ein wenig Stöbern in meinem Kleiderschrank entschied ich mich für einen warmen Strickpullover und eine einfache Jeans.
Ich betrachtete mich damit im Spiegel und fuhr mit meinen Händen über den Pullover. Wieder einmal kamen die Zweifel von vorhin hervor und überdeckten alle anderen Gedanken. Ich überlegte, ob Derek das Outfit zu langweilig oder unsexy sein könnte, doch erinnerte mich kurz darauf an meinen Vorsatz, nie wieder wegen anderen Menschen an meinem Aussehen zu zweifeln.
Derek saß brav wartend auf dem Sofa. Sein Blick wechselte ständig vom Fernseher zu den Bilderrahmen, die darüber hingen. Es waren Fotos von meiner Kindheit und meiner Jugend, vom Kindergarten, der Schule und vom College, und meist mit meiner Familie oder mit meinen Freunden.
Ich räusperte mich. Sofort nahm Derek seinen Blick davon und sah stattdessen in meine Richtung. Sein Blick musterte mein neues Outfit mit einer Intensität, sodass ich mich sogleich unwohl fühlte. Ich legte eine Hand auf meinen Arm und sah unsicher an mir herunter.
»Ist das Outfit so okay?« hakte ich nach, auch wenn ich mir fest vorgenommen hatte, dass es mir egal sei, was er darüber dachte, solange ich mich darin wohl fühlte. Doch um ehrlich zu sein war es mir nicht egal, was er darüber dachte, und ich fühlte mich bei belustigten Blicken auch nicht wohl, so sehr mir das Outfit selbst auch gefiel.
Derek erhob sich von seinem Platz auf dem Sofa und kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen, als er direkt vor mir zum Stehen kam.
»Es ist perfekt« murmelte er und hauchte mir einen federleichten Kuss auf die Lippen. Die Erleichterung machte sich bemerkbar. Eine riesige Last fiel von meinen Schultern und all meine Sorgen und Zweifel bezüglich meines Aussehens waren wie weggeblasen.
Meine Arme schlangen sich um seinen Hals und ich erwiderte den Kuss mit all meinen Emotionen, die ich für ihn tief in meinem Inneren spürte. Es war eine gewaltige Ladung Glück und Verliebtheit, die sich durch meinen Körper bahnte. Ich wollte mit dem Küssen gar nicht mehr aufhören, doch ließ es zu, als er sich kurze Zeit später von meinen Lippen löste und mit diesen zu meinem Ohr wanderte.
»Aber deinen Pyjama fand ich auch ganz süß« raunte er mit tiefer Stimme, was mir einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Seine weichen Lippen berührten dabei mein Ohrläppchen. Mir stockte der Atem.
Seine Lippen formten sich zu einem Grinsen und auch ich musste kurz auflachen, als ich an den Pyjama mit den vielen kleinen Weihnachtsmännern dachte.
»Du siehst in allem gut aus« fügte er hinzu und drückte mir einen kleinen Kuss auf mein Ohrläppchen, bevor er sich zurücklehnte und mich zufrieden angrinste. Ich zweifelte währenddessen an meinem Verstand, wieso ich auch nur eine Sekunde lang in Erwägung gezogen hatte, er würde mich nicht hübsch genug finden. Er hatte es mir schon so oft gesagt – da hatte er mich aber auch noch nicht in schlapprigen Schlafklamotten gesehen.
»Können wir los?« unterbrach Derek meine Gedanken. Er legte seinen Kopf schief und steckte seine Hände in die Hosentaschen seiner Jeans.
»Wenn du mir verrätst, wo es hingeht?«
»Lass dich überraschen«
Ich hasste Überraschungen. Dennoch schlüpfte ich in Jacke und Stiefel, zog mir Mütze und Schal über und folgte ihm nach draußen in die eisige Kälte. Der Schnee reichte mir bereits bis zu den Fußknöcheln und der Himmel schickte weiteren auf die Erde hinab. Eine einzelne Schneeflocke landete direkt auf meiner Nasenspitze. Derek sah mich mit diesem faszinierten und liebevollen Blick von seinem Auto aus an, wo er auf mich wartete. Als ich vor ihm zum Stehen kam, wischte er diese mit seiner Hand weg und küsste mich. In seinen grünen Augen spiegelte sich eine Liebe wider, die mein Herz erwärmte und in kürzester Zeit sogar zum Schmelzen brachte – und das in dieser Jahreszeit.
Im Auto herrschte eine angenehme Stille zwischen uns. Wir warfen einander verliebte Blicke zu, als schwebten wir im siebten Himmel, während im Hintergrund leise Musik ertönte. Ich hatte die ganze Zeit ein Grinsen im Gesicht, das nicht mehr wegzubekommen war. Meine Freude wurde sogar noch größer, als ich sah, dass wir aus der Stadt herausfuhren. So mussten wir uns nicht ständig nach bekannten Gesichtern umsehen, die unser Geheimnis aufdecken könnten, bevor wir bereit dazu waren.
In einem naheliegenden, kleinen Ort wartete dann die Überraschung auf mich. Ich sog jedes einzelne Detail in mich auf, um keinen möglichen Hinweis auf das, was er vorhatte, zu verpassen. Verschiedene kleine Läden am Straßenrand sind bereits geschlossen und auch sonst bleibt es eher ruhig auf den Straßen. Die Lampen schalteten sich bereits ein und erleuchteten die Gegend ein wenig. Im Gegensatz zu unserem Zuhause schneite es hier nicht und es lag auch keine große weiße Schicht auf den Straßen.
Wir fuhren wieder hinaus aus der Stadt des kleinen Ortes und stattdessen an einer endlos wirkenden Wiese vorbei. Derek machte im Nirgendwo Halt. Es war fast stockdunkel und ich erkannte nicht, was es hier geben sollte, womit er mich überraschen wollte. Skeptisch sah ich mich um und dann in Dereks Gesicht, der mich geheimnisvoll anlächelte. Dann stieg er aus und holte etwas aus seinem Kofferraum hervor. Ich folgte ihm nach draußen, in die etwas unheimlich wirkende Gegend, in der es so still war, dass man schon die Grillen hörte und der Kies unter meinen Füßen laut knirschend zu hören war.
Derek hielt mir seine Hand entgegen, in die ich sofort meine legte. Wir liefen ein gutes Stück in der Dunkelheit über den Kiesweg und dann half er mir über einige große Felsen, bevor wir an einem See vorbeikamen, umgeben von Kiessand. Der Mond spiegelte sich im Wasser und kleine Sterne tanzten am klaren Himmel.
»Gefällt es dir?« fragte Derek mit leiser Stimme nach. Er stand direkt hinter mir. Ich spüre seinen gleichmäßigen Atem in meinem Nacken. Sein trainierter Oberkörper streifte meinen Rücken.
»Ja« flüsterte ich, während ich weiter die schöne Aussicht auf den See genoss. An manchen Stellen war etwas Schilf zu sehen. Das Wasser bewegte sich kaum, so windstill war es gerade. Und hier ist auch nicht so eisigkalt und verschneit, wie zuhause.
Ich drehte mich wieder zu Derek um, der inzwischen etwas vorbereitet hatte. Er legte Feuerholz auf einen Haufen und versuchte dieses anzuzünden. Daneben stand noch ein Korb, aus der eine Decke hervorlugte.
Ein Lagerfeuer an diesem wunderschönen See – ist das nicht romantisch?
Nachdem sich das Holz entzündet hatte und Flammen um sich schlugen, schenkte Derek mit ein zufriedenes Lächeln. Er ließ sich in den Kiessand fallen und klopfte mit seiner Hand neben sich. Als ich mich neben ihn setzte, holte er aus dem Korb die Decke hervor und warf sie um uns. Ich rutschte näher an ihn und legte meine Hand auf seiner Brust ab. Kurze Zeit später spürte ich seinen Arm um meinen Schultern liegen.
»Danke« murmelte ich und schloss für einen Augenblick die Augen, um diese schöne Atmosphäre vollends zu genießen.
»Für dich nur das Beste« raunte Derek in mein Ohr, bevor er einen federleichten Kuss auf meine Schläfe hauchte. Mir wurde warm ums Herz.
Irgendwann hielten wir Stockbrot und Marshmallows über das Feuer und unterhielten uns über die verschiedensten Dinge. Wir lernten einander kennen, lachten zusammen und genossen die Zweisamkeit miteinander, die wir durch die Umstände bedauerlicherweise viel zu selten hatten.
Ich staunte, wie leicht es mir fiel, über Dinge zu sprechen, über die ich mein Leben lang nicht gesprochen hatte: meine Vergangenheit. Ich erzählte von Träumen und Wünschen, die ich damals hatte, ohne dabei ein einziges Mal Adam zu erwähnen oder an ihn zu denken. Der Gedanke an ihn war wie erloschen aus meinem Kopf und ich vermisste es ehrlich gesagt nicht.
Ich hatte Derek, einen Mann, dem ich vertrauen konnte und der mir niemals weh tun würde. Er war fürsorglich und liebevoll. Er vertraute mir und liebte mich. Er hatte es zwar noch nie gesagt, aber er zeigte es mir mit jedem Blick, jedem Kuss und jeder Berührung, sodass ich diese drei Worte auch gar nicht erst hören musste.
»Oh schau mal, eine Sternschnuppe« flüsterte ich und zeigte in den Himmel. »Du musst dir etwas wünschen«
»Okay, dann wünsche ich mir –« fing er an, doch ich unterbrach ihn sofort.
»Das darf man doch nicht laut sagen, sonst geht es nicht in Erfüllung«
Anstatt seinen Satz zu beenden und mir damit seinen Wunsch zu verraten, beugte er sich zu mir herüber und küsste mich innig. Ich wusste nicht, wieso genau in diesem Moment, aber es war mir eigentlich auch egal. Ich spürte, wie sich seine Arme um meine Hüfte schlangen, um mich näher an seinen Körper heranzuziehen. Unsere Lippen bewegten sich synchron zueinander.
»Wunsch in Erfüllung gegangen« murmelte Derek gegen meine Lippen und ich musste unwillkürlich grinsen.
»Noch eine Sternschnuppe« meinte Derek, als er sich wieder von mir löst und in Richtung Himmel sah. »Jetzt musst du dir etwas wünschen«
»Ich brauch' mir nichts zu wünschen« Derek sah mich irritiert an und hob eine Augenbraue in die Höhe.
»Ich hab' doch schon alles« erklärte ich ihm weiter. In seinen Augen erkannte ich ein Strahlen und seine Lippen formten sich zu einem ehrlichen Lächeln. Er sprühte förmlich vor Glück.
Dann näherten sich unsere Gesichter ein weiteres Mal. Seine Lippen landeten auf meinen. In diesem Kuss steckten so viele Gefühle, wie es kein Wort beschreiben könnte.
Ich war wunschlos glücklich.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top