Phillis will kein Gott sein
Die After-Party war wild.
Es war vermutlich keine gute Idee gewesen, die irischen und amerikanischen Fans zu vermischen, denn sie beide fühlten sehr viel für dieses einfache Spiel und Phillis war sich noch nicht sicher, in welche Richtung der Abend letztendlich eskalieren würde: In einem Trinkgelage oder einer Prügelei. So oder so, sie wäre nicht überrascht, einen Teilaspekt von Dionysos zwischen den Leuten zu erblicken.
Sie selbst nippte nur hin und wieder an ihrer eigenen Wasserflasche und versuchte so auszusehen, als würde sie die Umgebung voll Politiker, Reporter und hochrangiger Fans genießen.
Lyall machte es besser.
Remus war ihm in dieser Hinsicht sehr ähnlich, denn er hatte die Fähigkeit, Phillis vergessen zu lassen, wie nervös sie große Mengen machten und sie immer in irgendwelche Gespräche zu verwickeln, die nie in eine Richtung gingen, über die Phillis nicht sprechen wollte.
Deswegen hatte Lyall wahrscheinlich noch mit keinem Wort das Spiel selbst erwähnt. Er hatte ihr zu ihrem Sieg gratuliert, aber nur in einem kurzen Satz und ganz simpel, als hätte er gespürt, wie sehr sie dieses Spiel eigentlich mitgenommen hatte.
Es war ein wenig wie in Trance gewesen. Sie hatte gewusst, dass die Amerikaner harte Gegner werden würden, die sich nicht vor Gewalt scheuten. Warum hatte sie dann gleich mit Gewalt reagiert? Es war ein wenig so gewesen, als hätte sie kein Quidditch-Match gespielt, sondern eine Schlacht angeführt und dieses Gefühl hatte sie schon immer beim Quidditch gehabt, aber dieses Mal war es irgendwie anders gewesen. Erst vor wenigen Tagen hatte sie Houdini gesagt, dass sie sich davor fürchtete, wie sehr sich ihre göttlichen Fähigkeiten verstärkten und wie sehr sie das Gefühl hatte, sie würde viel zu sehr in göttliche Angelegenheiten eingreifen. Aber bei diesem Spiel hatte sie einen Spieler einfach so hart mit dem Quaffel getroffen, dass es ihn vom Besen geworfen hatte. Sie hatte ihre göttlichen Kräfte nicht nur nicht unterdrückt, sondern sie auch noch offen gezeigt, vor einem riesigen Publikum. Und klar, sie hatte auch schon andere Dinge während Spielen getan, die an Wunder grenzten und deswegen war sie auch als die beste Spielerin seit Anbeginn der Aufzeichnungen bekannt, aber trotzdem fühlte Phillis sich schuldig.
Sie hätte sich zusammenreißen sollen, sich zurückhalten. Aber sie hatte es einfach satt, sich verstecken zu müssen – nicht nur ihre Herkunft und ihre Fähigkeiten, sondern auch ihren Ehemann, ihr Privatleben, ihr eigenes Heim. Jahre des Krieges hatten sie zu einer Person gemacht, die kaum jemand wirklich kannte und langsam tröpfelte hin und wieder ein wenig von ihr selbst heraus und die Leute waren überrascht, vielleicht sogar geschockt.
Phillis war von sich selbst geschockt, als sie bemerkt hatte, dass sie es genossen hatte, ihre göttlichen Kräfte zu benutzen – einfach nur, um anzugeben. Sie hätte das Spiel auch ohne gewinnen können und ein großer Teil von diesem Spiel hatten sie wahrscheinlich gewonnen, weil Phillis ein – nach Houdini – taktisches Genie war. Aber dieses Mal waren es auch ihre Fähigkeiten gewesen und Phillis wusste nicht, wie sie sich damit fühlen sollte.
Also genoss sie Lyalls Anwesenheit, der vielleicht ähnliche Gedanken hatte und sie später darauf ansprechen würde, aber jetzt noch nicht.
Er wusste, wer Phillis war.
Remus und sie hatten es ihm erst nach ihrer Hochzeit – ein oder zwei Jahre danach – erzählt und zuerst hatte er ihnen nicht geglaubt. Dann hatte er so getan, als würde er ihnen glauben, aber man konnte Phillis nicht anlügen und deswegen hatte sie gewusst, dass er ihnen noch immer nicht wirklich glaubte, aber ihnen zuliebe einfach so tat. Dann hatte er angefangen zu glauben, wollte es aber noch nicht glauben. Und dann hatte er es schließlich akzeptiert.
Und Phillis hatte nicht jede Gelegenheit mit ihm genutzt, um ihm zu beweisen, dass sie von einem waschechten Gott abstammte. Er hatte diese Hinweise von ganz allein gesehen – mit den Jahren war Phillis nämlich ihrem Vater immer ähnlicher geworden und jeder andere hätte sich vielleicht gefragt, was genau nicht mit ihr stimmte, aber Lyall hatte schon eine Antwort für seine Fragen gehabt und hatte die Indizien nur noch verbinden müssen.
Dann hatte er bei Phillis' letztem Spiel als Kapitänin der Harpies auch einen Blick auf Apollo selbst werfen können, als Phillis siegreich die Meisterschaft gewonnen hatte und Apollo selbst ihr einen Lorbeerkranz aufgesetzt hatte – es war ein wenig zu einer Tradition geworden und Apollo hatte noch keinen großen, wirklich wichtigen Sieg von Phillis verpasst. Und danach hatte er ihnen geglaubt und seitdem behandelte er es einfach wie eine alltägliche Information.
„Ist das Rita Kimmkorn?", raunte Lyall Phillis zu, in seiner eigenen Hand ein Humpen irischem Bier, wie er es bei jeder After-Party der Iren trank. „Bei Merlin, was trägt die da? Das sieht ja grässlich aus! Wie ein Haufen toter, zusammengenähter Hamster."
Phillis prustete ihr Wasser wieder aus, von dem sie gerade getrunken hatte und lachte auf.
Leute drehten sich tatsächlich zu ihr um, als sie diesen glockenklaren Ton hörten. Ein Lachen eines Kindes des Gottes der Musik.
Sofort verging Phillis das Lachen wieder, aber Lyall tat so, als wäre nichts passiert.
„Das erinnert mich daran, kommt ihr dieses Jahr zu Weihnachten zu mir?", fragte Lyall.
„Wie kommst du von toter Hamster auf Weihnachten?", fragte Phillis und runzelte amüsiert die Stirn.
„Ich habe daran gedacht, welchen hässlichen Pullover ich Remus dieses Jahr schenken kann", gestand Lyall.
„Weihnachten selbst sind wir in Hogwarts", beantwortete Phillis seine vorherige Frage. „Es ist keine gute Zeit für Remus, also bleiben wir den ersten Tag dort."
Lyall nickte wissend. Natürlich hatte er nicht vergessen, dass Weihnachten dieses Jahr auf einen Vollmond fiel.
„Aber am zweiten Tag sind wir frei. Wobei ich glaube, meine Mum plant dieses Jahr wieder, den Tag bei sich zu planen, wenn du Interesse daran hast, wieder zu uns zu kommen", bot Phillis an.
„Ich weiß nicht...", meinte Lyall und trank noch einen Schluck von seinem Bier. In dieser Hinsicht war er Remus auch sehr ähnlich und Phillis war nicht begeistert.
Sie blickte ihren Schwiegervater streng an. „Und wenn ich sage, dass meine Mum dich zu sich und Sturgis über Weihnachten einlädt, dann meine ich das nicht wirklich als Einladung, sondern als Befehl."
Lyall lachte auf. „Aye, aye, Kap'tän", lachte er und salutierte schlampig, bevor er das restliche Bier leerte und ein wenig enttäuscht auf sein Glas blickte. „Ich hole mir noch eines. Bete für mich, dass ich auf dem Weg nicht von einem deiner Spieler aufgehalten werde."
„Versteck dich lieber von ihnen, oder sie fordern dich wieder zu einem Wetttrinken auf", warnte Phillis amüsiert und blickte ihrem Schwiegervater hinterher, wie er zwischen der Menge verschwand.
Sobald er außer Sichtweite war, verschwand das lockere Lächeln aus Phillis' Gesicht und sie ließ sich auf dem nächsten freien Sitzplatz fallen. Sie blickte sich vorsichtig um und immer schien jemand in ihre Richtung zu blicken und sie voll Bewunderung anzusehen und das war wohl auch kein Wunder, immerhin war sie eine sehr berühmte Person.
Aber ihr Fuß schmerzte und nachdem das Adrenalin der Schlacht (oder des Spiels eben... Phillis musste sich abgewöhnen, es in ihren Gedanken eine Schlacht zu nennen...) abgeklungen war, spürte sie auch, dass diese Tritte gegen den Quaffel nicht ohne Konsequenzen für ihren Körper waren.
Ein göttliches Talent in einem sterblichen Körper – das war keine gute Mischung.
Sie hatte mit Houdini darüber gesprochen, dass sie mit dem Alter auch mächtiger wurden, aber es war noch keine klare Erklärung dafür gewesen, warum sie früh sterben mussten. Eine Idee war, dass die Götter nicht wollten, dass ihre Kinder noch mächtiger wurden und Phillis konnte das verstehen. Nachdem Laertes gestorben und Hermes aufgetaucht war, hatte Marty den Göttern beinahe den Krieg erklärt und Phillis hatte irgendwie gewusst, dass er eine tatsächliche Chance hatte, den Göttern wirklich Schaden zuzufügen. Vielleicht hätte er sie nicht stürzen können, aber ihr Ego anknacksen und sie selbst an ihre eigene, göttliche Art von Sterblichkeit zu erinnern, das hätte funktioniert.
Nach diesem Spiel fragte Phillis sich, ob das Problem ihre sterblichen Körper waren. Sie waren nicht dazu gedacht, göttliche Macht in sich zu tragen und nun, nach diesem wirklich göttlichen Spiel, fühlte sie es in ihrem Körper. Alles tat ihr weh und ihr Fuß war sehr wahrscheinlich gebrochen – obwohl, vielleicht auch nur angebrochen. Außerdem war ihr zu heiß und Lyall hatte auch erwähnt, dass er in ihrer Nähe gleich schwitzte – sie war wärmer, als sowieso schon, als hätte sie zu viel ihrer Magie zum Heilen gebraucht, ohne jemanden zu heilen, oder zu viel Nektar zu sich genommen.
Nektar und Ambrosia würde einen Sterblichen sofort verbrennen, Demigötter konnten gewisse Mengen davon vertragen. Vielleicht war das auch ein guter Indikator dafür, wie viel göttliche Macht ein Demigott ertragen konnte.
Phillis musterte ihren Fuß und blickte wieder auf. Jeder schien sie anzustarren, sie durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Sie war Phillis Lupin, eine Heldin unter Demigöttern und Sterblichen zugleich. Ein einfacher, gebrochener Fuß hatte sie noch nie aufgehalten und so auch dieses Mal nicht.
Sie überlegte sich trotzdem, ob sie sich unauffällig wegschleichen konnte, um doch noch einen Heiler aufzusuchen – nur, um sicher zu gehen. Oder sie kam zu ihrer Tasche und nahm ein wenig Ambrosia, das sie dort hatte. Aber sie war jetzt schon zu heiß und hatte zu viel von ihrer Macht gebraucht, was würde das Ambrosia noch machen. Sie wünschte sich, Marty wäre hier oder Chiron oder ihr Vater, die sie danach hätte fragen können. Vielleicht hätte sie mit Houdini auch eine Antwort zu ihren Fragen gefunden – sie waren zusammen gut darin, alle Probleme irgendwie zu lösen.
Aber ihr Ausflug zu einem Heiler würde sich wohl verschieben müssen, denn jemand trat in ihr Blickfeld und sofort war Phillis wieder auf den Beinen, als würde ihr Fuß nicht stechenden Schmerz bis in ihre Hüfte hinaufschicken, und sie grinste, als wäre sie nicht innerlich erschöpft, als wäre sie schon seit Tagen wach.
„Ich weiß, dass du irgendwie geschummelt hast, ich weiß nur noch nicht, wie." Troy Duvall, der Kapitän des amerikanischen Teams, trat nun zu ihr und blickte von oben auf sie herab, aber trotzdem schaffte es Phillis irgendwie, dass sie größer wirkte.
Einen Moment lang überlegte sie, wie sie auf diese unwillkommene Begegnung reagieren sollte, bis ihr einfiel, dass sie bei Duvall schon angefangen hatte, so zu tun, als wäre sie überheblich und selbstbewusst, also konnte sie einfach damit weiterarbeiten.
Sie grinste und obwohl sie zu ihm aufblicken musste, wirkte sie überhaupt nicht eingeschüchtert. War sie auch nicht – sie hatte gegen Drakons gekämpft, als wären es einfache Höllenwelpen, ein Sterblicher war nichts dagegen.
Einen Moment lang tadelte Phillis sich selbst für diesen Gedanken – sie sollte nicht anfangen, von anderen als „Sterbliche" zu denken.
„Ich nehme das einmal als Kompliment, ich muss nämlich nicht schummeln, um zu gewinnen", konterte Phillis. „Wobei ich mich bei dir entschuldigen muss. Diese Vorstellung heute war vielleicht ein wenig zu dick aufgetragen, aber ich verspreche, dass ich mich bei meinen nächsten Spielen wieder ein wenig zurückhalten werde."
„Niemand kann so stark einen Ball treten, dass es Heidelberger vom Besen wirft." Duvall kam noch einen bedrohlichen Schritt auf sie zu. „Welchen Zauber hast du benutzt? Sag es gleich oder ich werde eine Untersuchung einleiten."
Phillis dachte einen Moment lang darüber nach. Aus Erfahrung wusste sie, dass die Zauberer nichts in ihrem Blut finden würden, das ihnen seltsam vorkam – vermutlich dank des Nebels, wenn sie raten müsste, denn normal konnte das Blut eines Demigottes nicht sein. Aber es würde auch negative Presse für sie bedeuten und es interessierte sie eigentlich nicht, was die Zeitungen über sie schrieben, aber es bedeutete immer, dass sie noch mehr Aufmerksamkeit bekam und das brauchte sie im Moment auf jeden Fall nicht.
„Überhaupt kein Zauber, das bin alles ich", sagte sie schließlich grinsend und breitete in einer überheblichen Geste ihre Arme aus.
Duvall sah nun so aus, als wäre er bereit, zu versuchen, sich mit Phillis zu prügeln (es wäre kein sehr langer Kampf geworden), aber jemand rettete ihr.
„Leg dich mit Leuten an, die dir gewachsen sind." Birget hatte wohl instinktiv bemerkt, dass Phillis dabei war, eine Szene zu machen und hatte sie gefunden, noch bevor ein Kampf ausbrechen konnte. Eigentlich ironisch, dass eine Tochter des Kriegsgottes einen Kampf verhindern wollte.
Duvall kannte Birget nicht, hörte aber ihren texanischen Akzent und schien sie wohl für einen amerikanischen Fan zu halten. Er grinste überheblich und blickte auf Phillis herab. „Keine Sorge, ich würde Lupin kein Haar krümmen."
„Ich habe mit Phillis gesprochen", bemerkte Birget trocken und trat näher, stieß Duvall einfach zur Seite und stellte sich selbst Phillis gegenüber, die ihre angriffslustige Haltung nicht fallenließ und nun Birget mit einem amüsiert herausfordernden Blick musterte. „Leg dich mit jemanden in deiner Größe an, Leprechaun."
„Ihr kennt euch?", fragte Duvall, der wohl nicht erkannte, wann er besser ging – vielleicht hatte auch er ein irisches Bier zu viel getrunken.
„Sie ist meine Cousine", antwortete Birget ihm genervt, wohl in der Hoffnung, die Antworten würden ihn dazu bringen, wegzugehen.
„Cousine?", wiederholte Duvall. „Aber du bist eine Amerikanerin! Willst du mir damit weismachen, dass Lupin hier beinahe für uns hätte spielen können?" Bei diesem Gedanken schien er für einen Moment zu vergessen, dass er Phillis eigentlich hasste und sich gerade noch mit ihr prügeln wollte. Der Gedanke, dass diese unglaubliche Spielerin beinahe in seinem Team hätte sein können, schien alle anderen Gefühle zu verdrängen.
„Mein Dad lebt in New York", winkte Phillis locker ab. „Aber ich habe wahrscheinlich mehr Worte mit dir gewechselt, als mit ihm – ich bin Irin, durch und durch."
„Aber die Möglichkeiten...", murmelte Duvall noch immer beeindruckt.
„Verschwinde einfach!", schnaubte Birget endlich frustriert. „Du willst keinen Streit mit Phillis anfangen – ich habe dabei zugesehen, wie sie ihre Feinde auf dem Schlachtfeld umgebracht hat, ohne auch nur einen Moment lang zu zögern. Du bist groß und hältst dich für stark, aber diesen Kampf kannst du nicht gewinnen."
Duvall schien sich zum ersten Mal daran zu erinnern, dass Phillis mit einem Fußtritt einen Quaffel so stark getreten hatte, dass dieser seinen Hüter vom Besen geworfen hatte. Er funkelte Phillis ein letztes Mal finster an, bevor er in der Menge verschwand.
Phillis schnaubte. „Ich brauche deine Hilfe nicht – ich hätte das schon geregelt."
Birget antwortete nicht sofort, sondern musterte sie mit einem strengen Blick, der Phillis an Chiron erinnerte. Wie auch bei Chiron wünschte Phillis sich in diesem Moment, Birget würde sie nicht so ansehen – sie hätte es bevorzugt, wenn Birget sie angeschrien hätte, sie geschlagen hätte, mit ihr gestritten hätte. Aber stattdessen starrte Birget nur.
„Blutest du noch rot?", fragte sie schließlich.
Die Frage verwirrte Phillis für einen Moment so sehr, dass sie vergaß, provozierend auszusehen und sich stattdessen eine besorgte Miene in ihrem Gesicht ausbreitete. Sie antwortete nicht sofort, sondern kratzte mit ihrem Daumennagel an der Haut um den Nagel ihres Zeigefingers – sie neigte dazu, daran zu zupfen, wenn sie nervös war, also dauerte es nicht lange, bis sie leicht blutete. Sie musterte die Wunde einen Moment lang überrascht, als wäre sie selbst nicht ganz überzeugt von dem eigentlich offensichtlichen Ergebnis gewesen. Dann zeigte sie ihren Finger Birget.
„Rot", sagte sie, als wäre es absolut klar gewesen und als hätte Phillis die Antwort nicht selbst für einen Moment hinterfragt.
Birget nickte zufrieden. „Was war das dann heute?"
Phillis wollte sie verspotten und ihr sagen, dass sie eben sehr gut in ihrem Job war. Sie wollte Birget anschreien, dass das sie überhaupt nichts anging. Sie wollte um sich schlagen und allen beweisen, dass sie ihr Leben absolut unter Kontrolle hatte.
Aber stattdessen traten Tränen in ihre Augen und Phillis fluchte, als sie eilig mit ihren Händen über ihre Augen wischte, damit niemand sehen konnte, dass sie weinte.
„Komm mit", bot Birget ihr sanft an und legte eine Hand auf ihren Rücken. „Gehen wir – weg von deinem Ruhm."
Und Phillis nahm das nur allzu gerne an und Birget führte sie nach draußen. Es war kühl, also war niemand draußen und sie waren allein.
Aber trotzdem wollte Phillis sich nicht erlauben, offen zu weinen, aber sie musste nicht mehr verstecken, wie glasig ihre Augen waren. Die Sonne war schon untergegangen und es war schon dunkel – niemand konnte das sehen.
„Ich weiß nicht, was mit mir los ist, Birget", sagte Phillis leise und lehnte sich an die Reling der Terrasse, die an dem Haus angebaut war, in dem die Feier stattfand. Sie war aus einem Metall und angenehm kühl auf ihrer brandheißen Haut. „Ich fühle mich seltsam."
„Göttlich?", schlug Birget vor.
Phillis schüttelte sofort den Kopf, zögerte dann aber, als ihr auffiel, dass das eigentlich das Wort war, das das alles am besten beschrieb. Marty hätte sie vielleicht besser verstanden, aber Birget war wohl eine gute zweite Wahl, wenn es um dieses Thema ging. „Ja", antwortete Phillis also ehrlich. „Aber es fühlt sich falsch an."
„Was hat sich verändert?", fragte Birget.
„Ich trage jetzt wohl auch die Krankheit in mir", schnaubte Phillis abfällig. „Bisher ist es mir nur zweimal passiert – beim Training habe ich einen von unseren Bäumen damit umgebracht. Und dann bei einer Hydra, die Houdini und mich beinahe umgebracht hat – ich habe sie mit nur einem Pfeil getötet."
„Also ist es stark", überlegte Birget. „Marty hat die Krankheit schon immer in sich getragen und sie schon immer benutzt, aber meistens war es für die anderen kaum mehr als eine starke Grippe – für Demigötter nur eine leichte Erkältung. Umgebracht hat er damit seine Gegner nur, wenn er das auch wollte, bis es eskaliert ist und er sie überhaupt nicht mehr hat kontrollieren können."
„Es ist eine neue Entwicklung, ich kann es auch nicht kontrollieren", gestand Phillis. „Mein Blut ist noch nicht giftig", wie um das zu beweisen, hielt sie ihren leicht blutenden Finger hoch, „aber manche meiner Pfeile sind es. Es ist schwer, sie beim Training zurückzuhalten."
„Du bist auch heiß", bemerkte Birget.
Phillis grinste – das überhebliche Grinsen, von dem Remus sagte, dass sie dann genau wie ihr Dad aussah.
Birget fluchte leise. „Du weißt, was ich meine! Deine Körpertemperatur! Ich bin keine Heilerin, aber du glühst förmlich, wie Apollo, wenn er sich nicht zusammenreißt."
„Ich bin mir ziemlich sicher, Dad würde alles in seiner Nähe verglühen lassen, wenn er sich überhaupt nicht zusammenreißen würde", bemerkte Phillis, aber sie wusste, worauf Birget hinauswollte. „Ich habe mir heute auch den Fuß gebrochen – denke ich. Ich habe ihn noch nicht ansehen lassen."
Birget sah sie streng an. „Warum nicht? Es gibt doch Heiler dafür!"
Phillis überlegte einen Moment. Warum war sie nicht sofort nach dem Spiel zu einem Heiler gegangen? „Ich glaube, ich will keine Schwäche zeigen?"
„Das klingt wie eine fatale Schwäche eines Kindes des Ares", bemerkte Birget humorlos. „Seid wann bist du so eitel?"
„Es ist nicht wirklich Eitelkeit", schnaubte Phillis. „Aber seit Ruths Tod bin ich gezwungen worden, eine Anführerin zu sein – vielleicht schon davor! Und eine Zeit lang habe ich es genossen, aber dann bin ich in den Krieg gegen Voldemort involviert worden und Götter bewahre, wenn ich auch nur einen Moment lang Schwäche gezeigt habe! Jedes Mal, wenn ich da versucht habe, ein normales Leben zu führen, haben alle sofort Panik bekommen! Ich glaube, ich habe diese Erfahrung nie wirklich ablegen können – das kann wohl keiner von uns."
Birget sagte nichts dazu. Vielleicht war die Erwähnung von Ruth zu viel für sie gewesen. Vielleicht hatte Phillis auch nur zu viel Schwäche gezeigt und ihre langjährige Freundin hatte nun auch den Glauben an sie verloren.
„Ich glaube, du solltest mit Mr D sprechen", sagte Birget schließlich und Phillis hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Es war kein Geheimnis, dass Birget dem Camp komplett den Rücken gekehrt hatte und während sie selbst und Houdini ein paar Mal dort gewesen waren, seit der Krieg gegen Voldemort beendet worden war, war Birget niemals mit ihnen gekommen. Sie hatte ihren Platz gefunden – fern von der Welt der Götter.
„Mr D?", wiederholte Phillis ungläubig. „Wie kann der mir helfen?"
„Rede mit ihm", redete Birget auf sie ein, aber Phillis hörte schon gar nicht mehr zu. Sie stieß sich von der Reling ab und wandte sich wieder dem Gebäude zu und der Party, die darin stattfand.
„Lyall sucht bestimmt nach mir – ich will nicht, dass er sich wieder mit dem Team betrinken muss", sagte Phillis kühl. „Danke für das Gespräch, Birget."
Sie ging einfach wieder hinein, suchte aber nicht wirklich nach Lyall, wie sie gesagt hatte, dafür rasten ihre Gedanken viel zu sehr. Sie kam mit ihrem Fuß falsch auf und Schmerz schoss ihre Wirbelsäule hoch und einen Moment lang vergaß Phillis ihre Haltung und zischte vor Schmerz auf. Aber dann war sie wieder die alte und sah so aus, als wäre alles in Ordnung.
„Ein unglaubliches Spiel." Sie hatte diesen spanischen Akzent seit dem Spiel gegen die Spanier nicht mehr gehört, aber sie hatte sich die Stimme angehört, wenn sie Briefe von ihr gelesen hatte: Carmen Garcia.
Phillis begann breit zu grinsen und kam auf ihre Brieffreundin zu. „Carmen! Du bist hier?"
„Ich versuche, so viele Spiele von dir... euch zu sehen, wie ich kann", antwortete Carmen und zog Phillis in eine Umarmung, die vielleicht einen Moment zu lange dauerte, aber Phillis genoss das, bevor sie sie losließ und ein Küsschen links und rechts auf ihre Wange drückte. „Und heute habe ich es nicht bereut. Eine Göttin in Aktion zu sehen, wird nicht alt – immer und immer wieder unglaublich."
„Dabei hast du noch nicht einmal meine besten Tricks gesehen", grinste Phillis, vielleicht ein wenig flirtend. Im Augenwinkel bemerkte sie, wie Birget ebenfalls wieder hereinkam – sie war so groß, man konnte sie gar nicht übersehen, aber Phillis ignorierte sie.
„Das klingt wie eine Einladung", bemerkte Carmen und hob eine Augenbraue.
Phillis lachte auf und Carmens Augen begannen zu leuchten, als sie eine weitere Bestätigung für ihre Theorie hörte, dass Phillis eine Göttin sein musste – mit so einem Lachen konnte es nicht anders sein.
„Sehen wir, wohin der Abend führt", bot Phillis an. „Ich trinke zwar nicht, aber darf ich dich zu einem Drink einladen?"
„Eine Einladung von einer Göttin lehnt man wohl kaum ab", erwiderte Carmen darauf und ließ sich von Phillis zur Bar führen, während Phillis versuchte, die Unterhaltung mit Birget zu vergessen, während sie verdrängte, dass ein unterbewusster Teil von ihr es ein wenig genoss, von Carmen eine „Göttin" genannt zu werden.
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