Kapitel 15
Ihr Körper zitterte.
Ob die nasse Kleidung oder die Aufregung Schuld war, konnte ich nicht sagen. Schnell schlang ich eine Decke um ihren schmalen Körper.
“Tori hat sie geschubst.”, murmelte Jason.
Er war es auch gewesen, der Amelie aus dem Wasser gefischt hatte.
“Erzähl nicht so einen Müll, sie ist selbst hineingefallen. Kein Wunder so betrunken wie sie ist.”
Tori hatte ihre Arme in die Taille gestemmt und ihr kühler Blick lag auf uns Dreien.
“Leute was ist hier los?”
Ben war mir nach draußen gefolgt und mittlerweile hatte die halbe Partygesellschaft eine Traube um uns gebildet.
“Die Kleine hat einfach ein bisschen übertrieben, nicht wahr?”, meldete sich nun auch Lukas, Lennox breit gebauter Freund zu Wort.
Von meinem Bruder selbst war mal wieder nichts zu hören. Schweigend stand er neben Tori und sein Blick kreuzte meinen.
“Komm hoch Amelie.”
Vorsichtig zog ich sie wieder auf die Beine.
“Einige deiner Freunde waren der Meinung, dass wir hier nicht mehr Willkommen sind.”, versuchte Jason die Lage zu erklären.
Ich beneidete ihn um die Ruhe in seiner Stimme, denn ich selbst war kurz vorm explodieren.
“Ihr könnt echt nicht einen Tag aufhören euch wie totale Arschlöcher zu benehmen?”, fauchte ich sie an.
Tori zog nur die Augenbrauen in die Höhe.
“Der Rotschopf ist hier von rechts nach links getorkelt. Ich hab sie nicht angefasst.”
Selbst wenn ich keine unfassbare Wut gegen die Blondine hegen würde, war klar, dass Amelie allerhöchstens etwas angetrunken war.
“Ich hab genau gesehen wie du sie geschubst hast und Lennox auch, er stand direkt daneben”, sagte Jason und schlang schützend seinen Arm um sie.
Mein Bruder dagegen zuckte nur kurz mit den Schultern.
“Leute ich hab nichts gesehen.”, schnaubend raufte ich mir die Haare.
“Ich sehe schon, wir sind hier wirklich nicht erwünscht, vielleicht ist es besser wenn wir fahren.”
Ich nahm Amelies andere Hand, die noch immer zitterte und drängte mich an den schaulustigen Leuten vorbei, als mich Ben zurück hielt.
“Warte, wir können das hier doch sicher klären.”
“Ben lass sie, sie scheinen verstanden zu haben, dass das hier nicht ihr Platz ist.”, mischte sich Lukas ein und auch Tori warf noch einen letzten Blick auf uns.
“Du wolltest die Benton doch eh nur rumkriegen, scheinst du ja geschafft zu haben. Und jetzt zieht ab.”
Schmunzelnd tippte sich die Blondie mit ihrem Zeigefinger an die Unterlippe und augenblicklich wurde mir bewusst, dass mein Lippenstift wahrscheinlich überall anders im Gesicht verteilt war.
Sofort schoss mir Röte in die Wangen, doch ich ließ mir nichts anmerken.
“Lasst uns verschwinden, ich halt es hier keine Sekunde länger aus.”
______
“Und wie küsst er?”
Amelie war wieder die Alte und zog neckend die Augenbraue hoch. Wir standen vor dem Badezimmerspiegel und putzten uns die Zähne und ich schüttelte nur lachend den Kopf.
“Gut, aber es war den Stress auf jeden Fall nicht Wert! Reden wir nicht weiter drüber.”
Doch ich lag selbst noch einige Stunden wach und dachte über das Geschehe nach.
Aufgewühlt überschlugen sich meine Gedanken.
Wieder hatte Lennox nur daneben gestanden und Nichts unternommen. Langsam musste ich mir wohl eingestehen, dass ich mit seiner Unterstützung nicht mehr rechnen konnte.
Und wie ich Bens Verhalten deuten sollte, ließ mich ratlos. Ich wollte ihm wirklich glauben, dass er tief im Inneren ein guter Kerl war, aber ich sträubte mich doch sehr dagegen. Am Schluss hatte er uns drei schließlich auch stehen gelassen.
Wir spielten hier einfach nicht für das selbe Team. Jeder konnte seine Seite wählen und ich war mit meiner mehr als zu zufrieden, zumindest konnte ich mich Frühs selbst noch im Spiegel anschauen.
Und das ist doch was zählte oder etwa nicht?
______
“Calypso hörst du mich?”
“Jap. Klar und deutlich.”
Etwas nervös ging ich vor dem Verhörraum auf und ab, während ich Bens Stimme im Ohr wahrnahm.
Immer wieder blätterte ich meinen Notizblock durch, um mir die aufgeschriebene Schritte zu verinnerlichen.
“Wir haben das tausend mal durchgesprochen, leg den Block weg, du kannst das auswendig.”
Ich wusste, dass er Recht hatte. Dennoch beruhigten mich seine Worte nicht.
“Kann man dich auch irgendwo auf stumm schalten Ben?”
Ich hörte ihn durch meinen kleinen Knopf im Ohr lachen.
Die Stimmung zwischen uns war eigentlich ganz normal, auch wenn ich seinen Blicken sehr oft auswich. Wir hatten uns stumm darauf geeinigt nicht darüber zu reden was Freitagabend passiert war.
Dennoch war da noch dieser Funken Wut gegen ihn und sein Verhalten gegenüber uns und ich wusste nicht, ob es nicht alles schlimmer machen würde nicht darüber zu reden.
Doch jetzt war keinesfalls der beste Zeitpunkt dafür.
Es war Sonntagvormittag und vor wenigen Minuten waren wir mit einem Fahrstuhl 50 Meter tiefer in die Kellergewölbe der Akademie gefahren. Viel davon hatte ich jedoch nicht gesehen, da sowohl der Eingang als auch die restlichen Vehörräume und Zellen vor mir verborgen gehalten wurden. Ich wäre nicht befugt dazu das zu sehen – hatte Ben gesagt, bevor er mir eine Augenbinde umgebunden hatte.
Danach hatte ich geschlagene 10 Minuten, ohne etwas zu sehen, seine zweideutigen Witze ertragen müssen, bevor er mich hier vor die schwere Holztür gestellt hatte. Er selbst befand sich einen Raum weiter und ich wartete nun darauf ein Signal zu bekommen, um mit dem Verhör zu starten.
Genau in diesem Augenblick knackte der Knopf in meinem Ohr.
“Du kannst eintreten. Denk daran was wir besprochen haben.”
Ich nickte und stammelte dann noch kurz ein “Ja”, als ich bemerkte, dass er mich jetzt grade nicht sehen konnte.
Der Raum war quadratisch und auf der einen Seite blitzte mir mein Spiegelbild entgegen.
Schnell strich ich meine schwarze Bluse glatt und richtete den hohen Pferdeschwanz.
Als letztes versuchte ich den etwas besorgten Gesichtsausdruck in einen ernsten/ strengen umzuwandeln.
“Calypso du siehst gut aus, jetzt setzt dich hin, wir wollen sie reinbringen.”
Natürlich war mir bewusst gewesen, dass Ben mich durch den Einwegspiegel beobachten konnte.
Ein weißes kühles Licht kleidete den sonst spärlich eingerichtete Verhörraum ein. Sonst befanden sich nur noch ein Tisch mit zwei gegenüberliegenden Stühlen in ihm und ich setzte mich auf die eine Seite.
Schnell atmete ich noch einmal tief durch und setzte eine Maske aus Selbstsicherheit und Arroganz auf.
So hatten wir es geübt, auch wenn ich mich keineswegs so fühlte.
Sehr viel länger konnte ich gar nicht über mein Verhalten nachdenken, denn dann öffnete sich schon die Tür des Verhörraumes und Ben brachte zusammen mit einem weiteren Mann eine zierliche Frau hinein.
Doch dafür, dass sie gut einen Kopf kleiner war als die Männer, machte sie ihnen ganz schön zu schaffen.
Immer wieder versuchte sie ihren schlanken Körper aus deren Griff zu befreien und schlug wild um sich. Sie schrie wütend auf und ihre lang braunen Mähne flog hin und her.
“Ich bring euch alle um! Nehmt eure Drecksgriffe von mir!”
Nur mit purer Muskelkraft schafften sie es Leija auf den Stuhl mir gegenüber zu zwängen. Schnell fixierte Ben mit Hilfe von Handschellen ihre Hände am Stuhl.
“Dich bring ich zuerst um Süßer. Wenn du mich noch einmal anfasst bring ich dich um.”
In ihrer Stimme lag ein schnurrender Unterton, doch der bebende Körper und die irren Augen sprachen für sich.
“Viel Spaß mit ihr.”, Ben zwinkerte mir zu, dann verschwanden Beide aus dem Raum und ich war allein mit dem Engel.
Leija schaute mich durchdringlich an und ich hatte das Gefühl, dass sie direkt in meine Seele blicken konnte.
Ihr Blick war so intensiv, dass es mir die Nackenhaare aufstellte.
Als ich ein kurzes goldenes Blitzen in den sonst so braunen Augen war nahm, fing ich mich schnell wieder.
“Leija mein Name ist Alice und ich habe heute ein paar Fragen an Sie.”, sagte ich kühl.
Wir hatten aus Sicherheitsgründen meinen Namen geändert.
Doch Leija schien es gar nicht zu interessieren, dass ich mit ihr redete, denn jetzt starrte sie an den Spiegel hinter mir, so als ob sie genau wüsste, dass Ben hinter ihm uns beobachtete.
Ihr schmaler Körper hatte sich mittlerweile wieder beruhigt und ihr Atem ging gleichmäßig.
“Leija verstehen Sie mich?”
Wieder sprach ich in meiner monotonen Verhörstimme. Keine Emotionen, dass war der Leitspruch von Ben gewesen.
Nur langsam löste die Brünette ihren Blick vom Einwegspiegel und richtete ihn auf mich.
Ihre Augen hatten etwas Katzenartiges. Allgemein war ihr Gesicht vollkommen makellos.
Sie war ein Engel, was hätte ich anderes erwarten sollen?
“Süße du bist Kanonenfutter. Ich weiß ganz genau wie das hier läuft. Aber um deine Frage zu beantworten: Ja ich versteh dich eindeutig.”
Ich räusperte mich und tat so, als ob Etwas von meinem Notizblock ablesen würde.
“Gut. Bitte beantworten Sie nun folgende Frage: Wie sind Sie auf die Erde gelangt?”
Sie seufzte und legte ihren Kopf in den Nacken. Natürlich hatten mindestens ein Dutzend anderer Leute sie vor mir schon befragt.
“Pass auf. Ich kann auch dir nur genau das gleiche sagen, wie den Personen vor dir.”
Sie machte eine Pause und suchte meinen Blick. Ben hatte mir vorher schon gesagt, dass sie erst versuchen würde Blickkontakt aufzubauen, um mich dann danach in ihren Bann zu ziehen.
“Ich kann mich daran nicht erinnern. Das erste was ich weiß ist, dass ich in einem Nadelwald aufgewacht bin, den Mund voller Erde und dass es verdammt kalt war.”
Ich versuchte den Blickkontakt aufrecht zu erhalten, doch die Intensität schüchterte mich etwas ein und ich schaute weg.
“Calypso du muss dich darauf einlassen, anders wirst du es nicht üben können!”, meldete sich Bens Stimme in meinem Ohr.
Natürlich hatte er Recht und ich fixierte Leijas braune Augen, als ich fortfuhr.
“Wir haben Informationen, dass Sie mit einem Erzengel zusammenarbeiten. Wie haben Sie sich getroffen?"
Wieder schüttelte sie wild ihre Locken.
“Denkst due wirklich, dass ausgerechnet du auch nur irgendwas aus mir rausbekommen wirst?”
In ihren Augen lag etwas Wildes und wie vom Teufel höchstpersönlich besessen, schrie sie los und stemmte sich mit ihrer gesamten Kraft gegen die Handschellen.
Überrascht zuckte ich zusammen, auch wenn ich wusste, dass sie so etwas in der Art tun würde.
“Bleib ruhig, das ist nur ihre allgemeine Show. Gleich wird sie versuchen, dich dazu zu bekommen sie zu befreien, halt dich bereit.”, Ben klang etwas nervös und ich versuchte so unbeeindruckt wie möglich zu wirken.
Immer wieder schrie sie und ich hoffte nur, dass die Handschellen, welche extra für Engel angefertigt worden waren, ihren kleinen Wutanfall überlebten.
So schnell wie ihr Anfall gekommen war, so schnell hatte sie sich auch wieder beruhigt.
“Weißt du Süße ich weiß, dass du auch nur eine ihrer vielen kleinen Schachfiguren bist. Aber du hast dich jetzt hier in was eingemischt, was viel zu groß für dein Verständnis ist.”
Ihre Stimme war nun ruhig, schmeichelnd und ein gewissen Klang brachte mich dazu mich zu entspannen.
“Ich persönlich versuch ja den Kollateralschaden möglichst gering zu halten.”
Ihre braunen Rehaugen fixierten mich und ich hoffte, dass sie nie aufhören würde mit mir zu sprechen.
“Du weißt, was ich für eine Kraft besitze und wenn ich erstmal hier raus bin - und das ist nur eine Frage der Zeit - oh dann werden es all die Personen den Tag bereuen, an denen sie nicht die Chance ergriffen haben mir zu helfen.”
Es war komisch, ich verstand den Sinn hinter ihren Worten, doch sie klangen so melodisch, so süß, dass ich sie einfach nicht richtig verarbeiten konnte.
“Am besten ergreifst du jetzt die Gelegenheit und hilfst mir hier raus. Danach werden ich dich mit all dem belohnen, was du dir schon immer gewünscht hast.”
Mir war bewusst, dass sie mich beeinflusste, doch folgte ich einfach nur dem melodischen Klang ihrer Stimme.
Gleichzeitig bemerkte ich, wie sie es schaffte ihre Emotionen auf mich zu übertragen.
Ich war wütend auf Ben, auf alle Mitglieder der Akademie. Sie hatten ihr Unrecht getan und sie hier eingesperrt, niemand war ihr zur Hilfe gekommen.
Gleichzeitig überschüttete sie mich mit einer derartigen Kraft von Wärme und Zuneigung, dass ich nicht anders konnte als mich von Leija angezogen zu fühlen.
Ich wollte ihr helfen. Ich konnte ihr helfen. Als ob sie wusste was ich dachte, fiel ihr Blick auf ihre Handschellen. Ben hatte den Schlüssel, also müsste ich zu Ben gehen und ihn ausschalten, danach konnte ich Leija befreien.
“Bitte Alice hilf mir, glaub mir du wirst es nicht bereuen.”
Ich bemerkte, wie ich aufstand, ich war nicht mehr Herr meines eigenen Körpers.
“Hilf mir Alice.”, als ich wahrnahm wie sie meinen Codenamen aussprach, brachte es mich wieder zurück in die Gegenwart und erschrocken bemerkte ich, wie ich einen Schritt weg von der Tür stand.
Sie hatte es tatsächlich hinbekommen.
“Sehr gut Calypso, ich wusste, dass du die Kurve bekommen würdest.”, meldete sich Ben und ich begab mich gefasst zurück auf den Stuhl.
Kurzzeit erhaschte ich einen Ausdruck der Überraschung auf Leijas Gesicht, bevor sie mich wieder ausdruckslos anstarrte.
Keine Spur mehr von der gebrochenen Frau, die um Hilfe wimmerte, wie zwei Minuten zuvor.
“Nicht schlecht, du bist besser als die Lakaien vor dir.”
Ihre Stimme klang nicht mehr melodisch, nein hart spuckte sie mir jedes einzelne Wort entgegen.
“Aber das wird dir Nichts bringen. Gabriel ist stark, sehr viel stärker, als ihr es euch alle je in eurem Leben erträumen könntet.”
Ihre Worte wurden immer lauter und am Ende schrie sie, dass der Rau nur noch von ihrer Stimme erfüllt war.
“Er wird dich vernichten, die bist Nichts! Ein Nichts! Mickrige Menschen. Ihr denkt doch nicht wirklich, dass ihr es mit einem Erzengel aufnehmen könnt! Er kann ganze Existenzen mit einem Fingerschnipsen zerstören!”
Plötzlich verstummte sie, nur um mich mit ihrem Blick zu fixieren, es lag etwas Katzenartiges in ihren Augen. Sie war ein Raubtier, ganz eindeutig.
“Weißt du, ich glaube du könntest ihm gefallen. Er wird viel Spaß haben, sich an dir zu vergehen. Er mag Frauen wie dich. Und glaub mir es wird dir genauso gefallen. Und dann wirst du mehr haben wollen. Aber lass mir dir eins über Gabriel sagen.”
Die letzte Worte flüsterte sie, ein Hauch ihrer Stimme durchzog den Raum. Dann war es vollkommen ruhig, nichts.
Doch dann plötzlich schrie sie, so laut, dass der Klang von den Wänden hallte.
“Er wird dich zerstören! Er wird dir dein menschliches Herz aus der Brust reißen und du wirst ihm dabei zusehen! Er wird dich umbringen! Dich, Deine Freunde und deine Familie! Er wird sie alle töten! TÖTEN! TÖTEN!”
Die letzten Worte schrie sie immer und immer wieder, bis ich nichts mehr anderes hörte, als ihre Stimme.
Geschockt starrte ich in ihr irres Gesicht und sie begann zu lachen.
“Okay Calypso wir beenden das heute hier.”
Kaum hatte ich Bens Stimme in meinem Ohr gehört, kam er auch schon in den Raum gestürmt und rammte der schreien Leija ein Spritze in den Oberarm und ließ sie damit augenblicklich verstummen.
Noch immer starrte ich sie geschockt an und ihre Worte klangen in meinem Ohr nach.
“Okay Calypso es ist vorbei. Geht es dir gut?”, besorgt schaute Ben mich an und streifte meinen Arm.
Ich zuckte zusammen, das war das erste Mal, dass er mich wieder berührt hatte, nach Freitagabend.
Ich stand auf und nahm meinen Block.
“Ja alles gut.”, doch das glaubte ich mir noch nicht einmal selbst.
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