Kapitel 12
“3 Minuten und 49 Sekunden. Nicht schlecht Benton, aber das geht doch bestimmt noch ein bisschen besser ?”
Nach Luft schnappend stützte ich mir die Arme in die Seite und schaute auf meine Zeit. Mir war bewusst, dass Ms Fond mich nur ermutigen wollte, dennoch setzte mir der Seitenhieb etwas zu.
“Ja nächstes mal werde ich schneller sein.”, schnaubte ich.
Müde setzte ich mich an den Rand und wartete, dass wir die Station wechseln würden. Aus meiner Gruppe war ich nur die 3. Schnellste gewesen. Eigentlich war ich immer eine der Besten, wenn nicht sogar die Beste im Sport gewesen. Selbst die Jungen aus meiner Klasse waren langsamer. Doch wurde mir einmal mehr bewusst, dass hier Amerikas Elite ausgebildet wurde. Ich würde mehr zusätzliches Training brauchen, um wieder an die Spitze zu kommen.
Doch wann genau ich dafür die Zeit nehmen sollte, war etwas kompliziert. Die Jahresaufgabe nahm jetzt schon meine gesamte Freizeit in Anspruch. Dabei hatte sie eigentlich noch gar nicht begonnen.
Frustriert beobachtete ich meine Mitschüler und meine Laune verbesserte sich schlagartig, als ich Amelie dabei zu schaute, wie sie die Hürden überwindete. Sie hatte leichte Schwierigkeiten damit ihre langen Beine zu koordinieren und nahm so das ein oder andere Hindernis mit.
Schnell war sie, doch mindestens genauso unkoordiniert.
Der Pfiff der Sportlehrerin ließ mich aufschauen.
"Stationswechsel, bewegt euch Leute!”
______
“Heute beim Geländetraining hat Michael aus meinem Jahrgang einen Guhl geköpft. Man hat das gespritzt, das hättet ihr sehen sollen. Man wusste gar nicht wo Michael anfing und der Guhlschnodder aufhörte.”
Angewidert ließ Amelie ihre Gabel voll mit Spaghetti wieder sinken.
“Jason warte das nächste Mal mit solchen Geschichten bis nach dem Mittagessen.”, seufzte sie.
Die Mensa war voll von Studenten, die zusammen aßen und lachten. Es lag eine gewisse Spannung in der Luft und man merkte, dass bald Wochenende war. Alle waren so voller Enthusiasmus, nur mich hatte es irgendwie noch nicht so erwischt.
Gedankenverloren stocherte ich in meinem Salat umher.
“Erde an Cally, was ist denn heute mit dir los?”, fragend waren die Blicke der Beiden auf mich gerichtet.
“Tut mir leid Leute, ich hab heute irgendwie einen Durchhänger.”
“Ich weiß was dir da helfen würde.”, lachte Jason und schaute mich mit großen Augen an.
“Heute Abend. Bisschen Musik und Alkohol. Wirkt Wunder glaub mir!”
Etwas schmunzeln musste ich ja schon bei dem Gedanken Amelie betrunken zu sehen.
“Eigentlich eine gute Idee, aber ich glaube ich brauch einfach nur eine große Portion Pizza und Schlaf. Aber das nächste Mal bin ich auf jeden Fall dabei.”
Amelie verzog ihr Gesicht zu einer Schnute, doch akzeptierte sie meine Entscheidung und aß weiter.
Der Tag zog sie wie Kaugummi und selbst als der Unterricht vorbei war und alle Anderen schon lachend in der Sonne lagen, zog ich mich für die zweite Sporteinheit des Tages um.
Schließlich erwartete mich Ben vor der Sporthalle für sein sogenanntes Extratraining.
Meine Vorfreude hielt sich in Grenzen, denn die Müdigkeit war den ganzen Tag nicht verschwunden und mir war eigentlich schon jetzt bewusst, dass das Training eher so mäßig gut werden würde.
Und, dass mich ausgerechnet Ben an einem schlechten Tag sehen würde, half nicht gerade dabei meine Laune zu verbessern.
Kurz vor 9 saß ich im Gras vor der Sporthalle und wartete auf ihn, meine Jacke lag neben mir, da es immer noch relativ warm war. Eigentlich ein toller Sommerabend, der Himmel klar, die Vögel zwitscherten und einige letzte Sonnenstrahlen kitzelten mein Gesicht.
Doch wollte ich mich nur in meinem Bett verkriechen.
Einige Minuten nach 9 sah ich Ben von weiten, wie er zu mir joggte.
"Na Benton. Ich glaube wir könnten uns Beide eine bessere Abendbeschäftigung vorstellen. Aber los, bringen wir dich mal ein bisschen zum Schwitzen.” Er schien ausgesprochen gute Laune zu haben.
Müde erhob ich mich aus dem Gras.
“Na los, lass es uns hinter uns bringen.”
Zum Aufwärmen joggten wir nebeneinander einige Runden um den Sportplatz.
Zu meiner Überraschung trainierte er mit mir zusammen und ließ mich nicht alleine meine Runden drehen.
Ich wusste nicht, ob er nett war oder er sich einfach nur beweisen wollte, dass er schneller als ich war.
Wahrscheinlich Letzteres.
Bereits nach der Erwärmung war ich schwer am Atmen.
“Benton schlapp machen wird dich nicht früher von hier weg bringen.”
Schnaubend verdrehte ich die Augen, doch mein Atem ging wirklich erstaunlich schnell.
“Was hast du dir denn als Abendprogramm vorgestellt? ”, schmunzelnd verdrehte er diesmal die Augen.
Langsam hatte ich mich an unseren kleinen Schlagabtausch gewöhnt. Ja ich würde sagen, ich wusste wie ich mit Ben umzugehen hatte.
“Wir werden etwas an deiner Schnelligkeit arbeiten und machen erstmal ein paar Sprinteinheiten. Danach nehmen wir uns den Nahkampf vor, vor allem die Selbstverteidigung. Je nachdem wie du dich schlägst - beziehungsweise mich- können wir auch noch andere Sachen vertiefen. Aber erstmal will ich sehen, was du so drauf hast.”
Das Sprinten verlief wie im Unterricht. Wir machten 5 Wiederholungen und jedes Mal war er mindestens 1 Sekunde schneller als ich.
Nachdem ich auch den letzten Sprint verloren hatte, raufte ich mir die Haare.
“Das kann doch nicht wahr sein!”
Auch wenn ich für meine Verhältnisse schnell gewesen war - Ben war einfach besser.
“So schlecht warst du doch gar nicht, eben hattest du mich fast.”
Wollte er mich etwa ermutigen? Woher kam das denn jetzt bitte?
Verwirrt zog ich eine Augenbraue hoch.
“Wirst du jetzt noch Motivationscoach?” , fragte ich genervt.
“Nein, aber wenn du von Gabriel umgebracht wirst, nur weil du eine Sekunde langsamer warst als er, dann hätte ich schon ein schlechtes Gewissen. Und außerdem eine schlechte Bewertung als Tutor, also streng dich gefälligst an.”, grinsend stütze er sich seine Arme in die Seite.
Wenigstens war auch er etwas außer Atem.
Für die Nahkampfübungen gingen wir in die Halle und legte uns einige Matten hin.
Draußen war es mittlerweile dunkel geworden und wir waren allein in der großen Sporthalle. Ich hatte aber auch eigentlich nichts anderes erwartet, schließlich war es Freitagabend.
“Okay ich gehe mal davon aus, dass du dich mit den Basics schon gut auskennst, oder diese gerade im Unterricht selbst übst. Deshalb würde ich dir lieber einige Sachen für spezielle Situationen beibringen, in die du vielleicht geraten könntest.”
Ich nickte und hörte weiter aufmerksam auf seine Stimme, die durch die Halle schallte.
“Es ist wichtig, dass du nicht alles auf deine Kraft setzt, denn dann hast du eigentlich sofort verloren. Erzengel - auch wenn sie gefallen sind - kannst du nicht mit einem normalen Menschen vergleichen. Du hast die Bilder gesehen, wie er ohne mit der Wimper zu zucken den Leuten dass Herz herausgerissen hat. “
“Ermutigende Worte wirklich.”
Ohne auf meinen Einwurf zu reagieren, fuhr er fort:
“Dein Freund wird die Taktik und deine Schnelligkeit sein, jede Bewegung muss sitzen, dann hast du eine Chance. Aber schauen wir erstmal was du alles so kannst.”
Ich nickte und wir gingen ein Stück auseinander. Ich wusste nicht, ob ich ihn angreifen sollte oder er mich. Doch die Entscheidung nahm er mir ab.
Bevor ich überhaupt zum Gegenschlag ansetzten konnte, knallte mein Rücken mit einer Wucht auf der Matte auf, dass mir die gesamte Luft aus der Lunge entwich.
“Zu langsam, komm steh auf.”
Nach Luft schnappend stand ich wieder auf, doch lange konnte ich nicht über meine Niederlage nachdenken, denn erneut setzte er zum Schlag an.
Diesmal blockte ich ihn mit dem Ellenbogen ab.
Ben war schnell und hinter jedem seiner Bewegungen steckte eine Kraft, die beängstigend stark war.
Zu spät bemerkte ich, dass er bereits genau gewusst hatte, dass ich blocken würde.
Das gab ihm die Möglichkeit meinen Arm zu packen und ihn schmerzhaft nach hinten zu verdrehen. Bevor ich mich versah drängte er mich im Polizeigriff auf die Knie.
Genervt von dem erneuten Misserfolg stand ich schnell wieder auf.
Diesmal wartete ich nicht darauf, dass er mich angriff, sondern holte mit meinem rechten Bein aus und versenkte es in seiner Seite.
Damit hatte er nicht gerechnet und stolperte einen Schritt zurück. Schnell setzte ich mit einem Kinnhaken nach, doch umfasste er meine Faust und verdrehte sie in einem solchen Winkel, dass ich aufschrie.
Ohne Reaktion beförderte er mich erneut auf die Matte.
“Nur weil du ein Mädchen bist, wird dein Gegenüber kein Mitgefühl mit dir haben.”
Erschöpft blieb ich kurz liegen und atmete durch. Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte, er hatte ja Recht.
“Kämpf nicht wie ein typisches Mädchen. Lass das kein Nachteil sein, mach dein Geschlecht zur Waffe."
Ich wusste nicht, ob es sein Ziel war mich zu provozieren, doch genau das hatte er geschafft.
Ich stand auf und sofort griff ich ihn an.
Der Schlag landete gezielt im Dreieck unter seinem Brustbein und ich hörte, wie ihm die Luft entwich.
Ben ließ sich jedoch Nichts anmerken und drängte mich mit mehreren Schlägen rückwärts.
Immer wieder versuchte er mich aus dem Gleichgewicht zu bringen, um mich zum Fall zu zwingen.
Seine Schläge waren hart und präzise und einige Male erwischte er mich auch.
Schließlich duckte ich mich ab und Ben schien sich seinem Sieg etwas zu sicher zu sein und wurde unachtsam. Meine linke Hand packte seinen Arm und ich zog Ben zu mir heran.
Er schien verwirrt zu sein und blitzschnell drehte ich mich um und warf ihm über meine Hüfte, sodass dieses mal Bens Rücken hart auf der Matte aufschlug.
Grinsend schaute ich auf ihn herab.
Ich hatte ihn geschlagen und urplötzlich war die Müdigkeit einer aufkommenden Euphorie gewichen.
Anders als ich nahm Ben seine Niederlage mit Fassung .
“Das war eine Wurftechnik aus dem Judosport nicht wahr? Gut gemacht, damit hätte ich rechnen müssen."
Irgendwie konnte ich mit Komplimenten von Ben nicht umgehen und so erwiderte ich Nichts und hielt ihm die Hand hin, um ihn wieder auf die Beine zu helfen.
Er nahm sie, doch zog er mit einem Ruck an meinem Arm und trat mir mit seinen Beinen die Meinen weg, sodass ich neben ihm auf die Matte fiel.
Bevor ich mich über die linke Situation beschweren konnte, saß er auf mir und fixierte meine Arme.
“Ey was soll das, ich wollte nur nett zu dir sein, du hattest eh schon verloren."
Bens Gewicht auf meinem Brustkorb ließ mich schwer atmen. Er grinste mich an, seine Hände immer noch die Meinen nach unten drückend.
“Nur weil jemand am Boden ist, heißt das noch lange nicht, dass er verloren hat.”
“Du bist so ein schlechter Verlierer Ben.”
Lächelnd lockerte er seinen Griff, was mich dazu brachte meine Hände zu befreien und mit einem Schlag auf seinen Kopf zu zielen.
Reflexartig wich Ben nach hinten aus, sodass ich mich über ihn drüber rollen konnte und nun ich ihn unter mir hatte.
Schnell fixierte ich ihn mit meinen Unterarmen und war selbst etwas überrascht über meinen Konter.
Wir waren beide außer Atem, doch traute ich mich nicht die Spannung zu lösen, aus Angst, dass er meine Situation wieder ausnutzen würde.
Und so schaute ich auf Ben herab, der mich mit seinem Blick fixiert hatte.
Es war so still in der Sporthalle, alles was man hörte, war mein Herz, dass mir bis zum Hals schlug.
Erst jetzt bemerkte ich, wie nah unsere Gesichter uns waren und wie Ben meines musterte.
Immer wieder wanderte sein Blick zu meinen Lippen und Röte stieg mir in die Wangen.
Schnell wich ich zurück worauf er anscheinend nur gewartet hatte.
Grinsend schubste er mich von sich runter und knallte mich mit dem Gesicht voran auf die Matte. Doch diesmal bestand er nicht weiter darauf mich festzuhalten und zog mich schnell wieder auf die Beine.
“Ich hoffe du hast verstanden, was ich dir mit dieser Lektion zeigen wollte. Du bist eine Frau, eigentlich solltest du deinen Gegenüber mit Leichtigkeit um den Finger wickeln können. Nutzt das aus und lass dich selbst nicht so leicht aus dem Konzept bringen.”
Ich nickte, immer noch verwirrt von der Aktion.
"Ich glaub wir machen erstmal eine kurze Pause, ich hab dich ja total um den Verstand gebracht.”
Genervt verdrehte ich die Augen. Da war ja wieder der Ben, wie ich ihn kannte.
Belustigt grinste er mich an und warf mir meine Wasserflasche zu.
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