› 3 ‹ Von Besitzansprüchen und Gute-Nacht-Wünschen
irony - christopher
Siran [19:57]: hey, du schuldest mir noch die wahrheit, mein lieber
»Was machst du da?« Erschrocken schnelle ich herum und reiße damit meinen Blick von den zwei grauen Häkchen weg, die ich seit zwei Minuten anstarre, als könnten sie dadurch blau werden.
»Ich hab nur einer Freundin schnell geschrieben, sie hat mich etwas gefragt«, antworte ich, beinahe zu hastig. Glücklicherweise geht meine Tante nicht darauf ein.
»Wollen wir zwei heute einen Film schauen? Vielleicht kommt etwas Schönes im Fernsehen«, schlägt sie wenig motiviert vor und lässt neben mir nieder, die Beine elegant übereinander geschlagen.
»Ich weiß nicht, aber wir können ja schauen, was heute so läuft.« Ich lächle höflich und reiche ihr die Fernsehzeitschrift, die neben mir auf dem Boden liegt, keine Ahnung, wie sie da hin gelangt ist.
»Danke.« Sie blättert vor, bis sie am Freitag ankommt und liest sich konzentriert die Titel der verschiedenen Filme durch, während ich hin und wieder einen kurzen Blick auf mein Handy werfe, das jedoch keine neue Nachricht anzeigt.
Kann er sich bitte mal beeilen?
Ich beiße nervös an meiner Unterlippe herum, auf einen Film kann ich mich heute sicherlich nicht konzentrieren, wenn es so weitergeht.
»Hm, das klingt alles nicht gut. Entweder kommen hier Kinderfilme oder so blödes ScienceFiction-Zeug. Dann wird das heute wohl nichts«, seufzt Jacky, fast klingt sie erleichtert.
Ich verbeiße mir einen Kommentar, denn ich finde Independence Day gar nicht so schlecht. Den Titel habe ich bei einem Blick auf die Zeitschrift entdeckt.
»Dann können wir morgen vielleicht einen Film anschauen, die scheinen besser zu sein.« Sie erhebt sich. »Schlaf gut und bleib nicht so lange wach.« Mit einer Wasserflasche in der Hand läuft sie aus dem Zimmer und schließt die Tür hinter sich.
Seufzend sehe ich auf mein Handy, immer noch blinkt keine neue Nachricht auf. Leyan lässt sich aber wirklich Zeit.
Mit meinen Schlafsachen und meiner Zahnbürste und Zahnpaste in der Hand begebe ich mich ins Badezimmer direkt neben der Küche.
Während des Zähneputzens blicke ich in meine dunkelbraunen Augen, die vor wenigen Jahren noch viel heller gewesen waren. Durch meine schwarze Brille, die ich jedoch nur in der Schule trage, wirken sie noch größer.
Schnell wende ich meinen Blick ab und betrete wenige Minuten später bettfertig das Wohnzimmer.
Auf meinem Handy blinkt eine neue Nachricht auf und ich tippe meinen PIN so eifrig ein, dass ich mich sogar einmal verhaspele.
Leyan [20:12]: Du stellst schon Besitzansprüche, Engel?
Empört öffne ich den Mund, als könne er meine unausgesprochenen Worte hören. Ich dachte, er würde mit etwas Hilfreiches antworten oder wenigstens fragen, was er mir alles erzählen solle. Aber so etwas… das habe ich wirklich nicht erwartet.
Siran [20:16]: ganz sicher nicht. aber jetzt antworte endlich. was ist heute passiert?
Leyan [20:18]: Es könnte etwas länger dauern, das zu erzählen
Siran [20:19]: dann nimm dir die zeit. aber hauptsache, ich erfahre die wahrheit noch
Leyan [20:27]: Da gab es zwei Typen, die heute sehr angepisst von mir waren. Aber morgen haben die's schon vergessen, also kein Grund zur Sorge, Engel. Die wollten mich verprügeln, das hätte ihnen Genugtuung gegeben. Denn Geld hatte ich keines dabei.
Du willst wissen, was ich angestellt habe, nicht wahr? Wenn du das erfährst, wird sich dein Bild von mir etwas verändern. Aber so neugierig, wie du bist, brennst du nur darauf, es zu wissen. Also will ich es dir verraten, Siran.
Gebannt überfliege ich die einzelnen Zeilen und sauge seine Worte wie lebensnotwendigen Sauerstoff in mich auf. Ich sehe, dass er schreibt und warte, ungeduldig mit den Fingern auf meine Knie trommelnd, auf seine Erklärung.
Leyan [20:49]: Ich hab Schulden bei denen und muss ihnen das Geld zurück zahlen, das wissen sie auch. Nur bin ich sehr spät dran und muss schauen, wie ich das alles zusammen bekomme. Aber es wird schon. Da du sicherlich wissen willst, woher die Schulden kommen, hier die Antwort: Ich hab mir von ihnen Geld geliehen - ganz einfach. Ich musste Alkohol für die Jungs holen, weil wir feiern wollten. Und die Entscheidung fiel auf mich. Dumm gelaufen, nicht wahr? Ich hatte kein Geld - das habe ich immer noch nicht - deswegen musste ich es mir so besorgen. Wie ich es ihnen zurück zahle, ist die andere Frage. Aber mach dir keine Sorgen. Ich schaffe das schon, Engel
Siran [20:55]: das ist echt… kein wunder wolltest du das nicht in der straßenbahn erzählen. aber solche freunde würde ich nicht wollen, wenn sie dich beauftragen, ihren alkohol zu holen, obwohl sie doch sicher wissen, dass du kein geld hast
Leyan [21:20]: Ich brauche den Alkohol, die Feiern mit ihnen. Da kann ich vergessen, die Sorgen abstreifen wie einen Mantel, den ich am Ausgang wieder umwerfe. Vielleicht verstehst du es nicht, ich kann mir nicht vorstellen, dass du dich jedes Wochenende auf einer Feier betrinkst, wirklich nicht. Aber das ist meine Welt
Siran [21:26]: du gibst also offen zu, dass du ein alkoholiker bist?
Leyan [21:41]: Ich mag deinen Humor, Engel. Aber nein, ein Alkoholiker bin ich noch lange nicht, da kenne ich noch ganz andere. Und ob du's glaubst oder nicht, ich vertrage nicht viel
Siran [21:42]: das heißt noch nichts
Siran [21:43] ich habe eine frage
Leyan [21:53]: Dann stell sie bitte, es wird dich niemand davon abhalten, hoffe ich
Siran [22:00]: können wir eine regel aufstellen? entweder schreibt man nichts oder die wahrheit. ich weiß, eigentlich war deine nummer nur dazu da, die wahrheit zu erfahren. aber das ist für den fall der fälle. ich will keine lügen um mich herum
Leyan [22:07]: Weißt du, Engel, ich glaube, wir werden noch mehr schreiben. Von dem her finde ich deine Regel gut. Aber dann muss ich dich vorwarnen. Vielleicht werde ich dir dann nicht immer alles erzählen. So wie du es wolltest
Siran [22:19]: damit kann ich umgehen, glaub mir. ich hab auch schon genug erlebt
Siran [22:22]: aber ich muss jetzt schlafen gehen, sonst meckert meine tante morgen wieder rum, dass ich so „unausgeschlafen“ bin. und du willst meine tante nicht angepisst erleben. von dem her. gute nacht, leyan
Leyan [22:29]: Kein Problem. Schlaf gut, Engel
Ich habe wirklich gewartet, bis er mir antwortete. Sieben Minuten saß ich vor meinem Handy und starrte auf das Display, hoffend, dass sich die Häkchen endlich blau verfärbten.
War das nicht irgendwie komisch?
Mit einem Gähnen richte ich mir mein Bett - oder vielmehr einfach die Couch - hin und lege mich dann darauf. Es ist etwas unbequem, aber für zwei Nächte im Monat völlig auszuhaltend.
Ich werfe noch einen raschen Blick auf mein Handy - man kann ja nie wissen - und lege es dann zur Seite. Mit dem Blick auf die Decke gerichtet versuche ich zu schlafen, doch es gibt zu viele Gedanken, die mich davon abhalten.
Und sie drehen sich alle um eine Person.
Leyan ist seltsam, das ist mir klar. Ich weiß nicht, was für Geheimnisse er hütet, was in seinem Kopf vor sich geht, eigentlich weiß ich rein gar nichts außer seinen Namen.
Aber das ist sogleich das Verlockende an der Sache. Ich will unbedingt mehr über ihn herausfinden, ihn kennenlernen. Es juckt mich in den Fingern, ihn auszuquetschen.
Dieses Gefühl hatte ich noch nie - mich hat aber auch noch nie jemand in der Straßenbahn als Schutzengel zweckentfremdet.
Obwohl unser Treffen weniger als eine Viertelstunde dauerte, brannte sich sein Gesicht ganz genau in mein Gehirn ein. Als wolle es seine scharf geschnittenen Kieferknochen und die dunklen Augen nie wieder vergessen.
Und vielleicht will ich das auch nicht.
‹.•°•.›
Als ich meine Augen öffne, sehe ich den hellerleuchteten Raum vor mir, in dem ich geschlafen hatte. Außer der Tatsache, dass die Tür nur noch angelehnt ist, hat sich nichts geändert. Sogar die Lampe neben dem Sofa brennt noch.
Ich muss wohl irgendwann eingeschlafen sein.
Müde drehe ich mich auf die Seite und sehe auf die große Uhr, die an der Wand hängt. Kurz nach 8 Uhr. Viel zu früh für einen Samstagmorgen.
Aus der Küche höre ich bereits das Klappern von irgendwelchen Gerätschaften. Sicher ist Jacky schon länger wach. Ich frage mich immer noch, wie sie das schafft, wo sie sonst doch immer verkatert durch den Alkohol sein müsste.
Langsam setze ich mich auf und reibe mir träge über die Augen. Als ich mein Handy anschalte, sehe ich, dass Leyan mir noch zwei Nachrichten geschrieben hat. Was will er denn?
Leyan [02:39]: Du ziehst das echt durch so früh schlafen zu gehen. Du bist wirklich nicht mehr online gewesen seit ich dir gute Nacht gewünscht habe
Was soll daran jetzt so besonders sein? Ich weiß eben, dass meine Tante am Wochenende gerne früh aufsteht
Leyan [07:38]: Guten Morgen, Sonnenschein
Zwischen den beiden Nachrichten liegt gerade einmal eine Distanz von beinahe fünf Stunden. Braucht er eigentlich keinen Schlaf? Denn er ist sicher davor nicht schon mal schlafen gewesen. Und dann auch noch so gut gelaunt am frühen Morgen.
Der Typ ist echt verrückt.
‹.•°•.›|•|‹.•°•.›
1. Endlich geht's weiter hahahah
2. Was zur Hölle habe ich damals für ein Zeichen zur Abtrennung gemacht, da braucht man ja ne Minute um's zu tippen
Aber erstmal herzlich willkommen an alle, die noch dabei sind. Warum auch immer. Manche Unterhaltungen zwischen den beiden sind echt cringe.
Mir ist aufgefallen, dass vielleicht noch eine Triggerwarnung angebracht wäre, nur zur Sicherheit. Es werden Themen wie Selbstverletzung, Depression etc angesprochen.
Nochmal sorry, dass es so ewig gedauert hat. Aber Absturznächte wird nie mein Lieblingsbuch werden
Bis nächste Woche <3
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