22. Kapitel
Morgen war Weihnachten. Das Fest der Familie und Liebe. Ein Feiertag, den man gewöhnlicherweise nicht allein verbringt.
Aber ich habe keine Familie mehr. Und von Liebe will ich gar nicht erst anfangen.
Anstatt, wie der Rest Lakewoods, hektisch durch die Straßen zu wuseln und die letzten festlichen Vorbereitungen zu treffen, hatte ich mich in einer kuscheligen Decke eingewickelt und starrte durch die trüben Scheiben von Avas Golf.
Ich hatte es noch nicht über mich gebracht, den Wagen über die Grenze nach Pennsylvania zu lenken. Für solch eine lange Autofahrt fehlte mir schlicht weg die Kraft, aber ich konnte wohl kaum noch eine Nacht in Avas Wagen verbringen.
Seufzend richtete ich mich auf der Rückbank auf und starrte über den leeren Parkplatz.
Nach dem Streit mit meiner Familie hatte ich das Auto, blind vor Wut, durch die Innenstadt gelenkt, ehe ich auf dem Parkplatz eines Dinners zum Stillstand kam.
Während der Zorn in mir langsam abflaute, machte sich ein anderes Gefühl in mir bemerkbar: Enttäuschung.
Ich hatte geahnt, dass meine Eltern mir nicht glauben würden und das Cameron sich gegen mein Wissen absichern wollte, hatte mich darin bestätigt, dass es einen Funken Hoffnung gab, dass sie mir eventuell doch zuhören würden.
Immerhin hatte sich Cam vor der Reaktion unserer Eltern gefürchtet, doch sie hatten sich sofort auf seine Seite gestellt.
Ohne auf Camerons Aussage zu warten, hatten sie meine Worte angezweifelt und mich als Lügnerin dargestellt.
Sie hatten es meinem Bruder ziemlich leicht gemacht, meine Vorwürfe abzuwiegeln.
Er musste sich nicht einmal wirklich anstrengen.
Ich sollte nicht verletzt sein. Eigentlich könnte es mir scheiß egal sein, was meine Eltern von mir halten.
Ich hatte noch nie die Aufmerksamkeit und den Stolz meines Vaters auf mich lenken können und war damit auch prima zurechtgekommen. Ich brauchte seine Liebe nicht, um Erfolg im Leben zu haben.
Und dennoch zog sich meine Brust immer vor Schmerz zusammen, wenn ich daran dachte, mit was für einem Ausdruck meine Eltern mich gemustert hatte.
Meine Handy vibrierte und ließ mich aus meinem Selbstmitleid auftauchen.
Suchend sah ich mich im Wagen um, bis ich das erleuchtete Display auf der Mittelkonsole entdeckte.
Avas Name blinkte mir entgegen, als ich es zu mir auf die Rückbank hob.
Ava: Wie ist es gelaufen?
Ich: Scheiße. Cam will heiraten.
Ava: Cam? Wie Cameron Stone? Dein Bruder? :o
Ich: Yep.
Ava: Du klingst nicht begeistert.
Ich: Ich muss dir etwas erzählen.
Eine Weile blieb mein Handy still. Anhand der WhatsApp-Funktion konnte ich erkennen, dass Ava ein paar Mal zum schreiben ansetzte, aber immer wieder wechselte das schreib... auf online.
Ich legte mein Handy zur Seite und starrte wieder aus dem Fenster, als es plötzlich wie wild zu klingeln begann.
Ich senkte meinen Blick und entdeckte Avas Namen, der mir hektisch entgegen blinkte.
Mit einem tiefen Seufzer nahm ich ihren Anruf entgegen.
„Was ist los?", verlangte sie sofort zu wissen, ohne mich zu begrüßen oder auf meinen verzweifelten Laut einzugehen.
Ich atmete tief ein und zog mir eine Strähne zwischen die Lippen, ehe ich nervös darauf herumkaute.
„Du weißt ja, was zwischen Pat und mir vorgefallen ist", begann ich langsam und schloss die Augen, in der Hoffnung, die Worte somit leichter aus meinem Mund hervorpressen zu können.
„Nein", erwiderte Ava knapp und ich konnte es im Hintergrund rascheln hören. „Du erzählt mir ja nichts. Ich weiß nur, dass er dich mit irgendeiner Schlampe betrogen hat und selbst das hast du mir nicht selbst erzählt. Ich finde es ziemlich scheiße, dass Harp mir von deinen..."
„Ava", unterbrach ich sie schnell, ehe ihr Tirade weiter ausarten konnte. „Es tut mir leid."
„Was genau?", erwiderte sie misstrauisch.
Ich seufzte auf und lehnte mich zurück. Der Gurt stach mir zwischen die Schulterblätter, doch ich ignorierte das unangenehme Ziehen einfach. „Alles. Das ich dir nichts von der Sache zwischen mir und Pat erzählt habe. Das ich mich bei Enzo versteckt habe, ohne dir und Harp Bescheid zu geben. Einfach alles.."
Auf der anderen Seite der Leitung blieb es still. Lediglich Avas leiser Atem zeugte davon, dass meine Freundin noch am Handy war.
„Schon okay", murmelte sie schließlich und ich konnte förmlich vor mir sehen, wie sie sich mit einem Augenrollen die dunklen Haare aus dem Gesicht strich. „Immerhin rückst du ja jetzt mit der Wahrheit heraus. Was war zwischen dir und Pat?"
„Er hat mich betrogen", murmelte ich leise, wohlwissend, dass Ava diese Information bereits von Harper erhalten hatte. „Und zwar mit Cam."
Ich konnte hören, wie Ava geräuschvoll nach Luft schnappte, ehe der Wortschwall aus ihr herausbrach.
„WAS?! Cam?! Cam, dein Bruder? Der Cameron, der immer mein Bikinioberteil gemopst hat? Er ist schwul?!"
Ich gab Ava die Zeit, die sie brauchte, um meine Worte zu verarbeiten. Immer wieder fragte sie nach, ob ich mir denn sicher sei, dass es Cam gewesen war, der sich mit meinem Exfreund zwischen den Laken gewälzt hatte.
Immer wieder bejahte ich ihre Frage.
Ich kannte doch meinen Bruder. Seine dunkelblonde Mähne war mir so vertraut wie mein eigenes Haar. Und seine Stimme.
Nie wieder werde ich vergessen, wie die wichtigsten Personen in meinem Leben abwechselnd meinen Namen riefen, als ich wie ein Torpedo durch die Wohnung gefegt war.
„Verdammt, Ava! Wie oft denn noch? Ja, ich bin mir sicher, dass es Cam war. Ich weiß das er es war!", stieß ich schließlich genervt hervor, als meine Freundin erneut die Frage ansetzte.
„Sorry", murmelte sie nüchtern. Ich konnte die Fassungslosigkeit in ihrer Stimme hören. Aber da schwang auch noch einer anderer Ton mit. Mitleid.
„Wie geht es dir jetzt?", fragte Ava leise.
„Ziemlich beschissen", gestand ich ihr und rollte mich in dem Golf herum, damit ich mit dem Rücken auf die Sitzbank niedersinken konnte. „Cameron hat sich mit keiner Silbe dafür entschuldigt und als ich meinen Eltern die Wahrheit gesagt habe, hat er mich einfach als Lügnerin dargestellt."
„Macy... Das tut mir leid", Ava klang ehrlich besorgt, als sie meinen Erzählungen lauschte. „Wo bist du jetzt? Wann kommst du zurück?"
„Ich steh auf irgendeinem Parkplatz. Ich fühl mich nicht wohl bei dem Gedanken, jetzt zurück nach Windfield zu fahren", gestand ich ihr leise.
„Süße, soll ich dich abholen?"
Nachdenklich starrte ich auf die graue Decke des Wagens. Warum eigentlich nicht? Ava konnte sich bestimmt irgendein Auto borgen und mich zusammen mit Harp abholen, damit wir ihren Golf nicht mutterseelenalleine in Lakewood zurücklassen mussten.
„Wenn es dir keine Umstände macht...", begann ich einzunicken.
„Überhaupt nicht! Ich werde Milo nach seinem Auto fragen und wenn es gut läuft bin ich dreineinhalb Stunden da."
„Du willst heute noch kommen?", fragte ich überrascht nach und richtete mich etwas auf, um einen Blick nach draußen zu erhaschen.
Es begann jetzt bereits zu dämmern. Ich hatte mich so sehr im Selbstmitleid gewühlt, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass ich den ganzen Tag in Avas Auto verbracht hatte.
Kein Wunder, dass mir die Gäste des Diners schon schräge Blicke zuwarfen.
Ich sollte wirklich schleunigst verschwinden, bevor auch der Besitzer noch auf mich Aufmerksam wurde und mich höchstpersönlich vom Parkplatz verscheuchte.
„Natürlich will ich heute noch kommen!" Avas Stimme klang fast schon beleidigt.
Ein kleines Lächeln erreichte meine Lippen, als ich mich zurück auf den Rücksitz gleiten ließ und resigniert die Augen schloss.
„Okay, dann bis später."
„Schick mir deinen Standort. Und rühr dich ja nicht von der Stelle!", drohte mir Ava mit einem belustigten Unterton.
„Ava?"
„Ja?"
„Ich hab dich lieb."
„Ich dich auch, Süße."
Es war bereits stockdunkel, als die Scheinwerfer eines einbiegenden Jeeps meine Aufmerksamkeit erregten.
Neugierig beugte ich mich vor und versuchte, mithilfe der Beleuchtung des Diners, einen Blick auf den Fahrer zu erhaschen.
In den vergangenen zehn Minuten sind viele Autos auf den Parkplatz eingebogen, die die Wiedersehensfreude in meiner Brust anschwellen ließen.
Ich konnte es kaum erwarten Ava und Harper, nach diesem niederschmetternden Gespräch mit meinen Eltern, endlich in die Arme zu schließen und meinem Kummer freien Lauf zu lassen.
Langsam kam der Wagen neben Avas Golf zum Stillland. Als das Licht der Scheinwerfer verglomm, sprang auch schon meine beste Freundin aus dem Jeep und eilte zum Auto.
„Macy?" Mit zusammengekniffenen Augen drückte sie ihre Nase an die Fensterscheibe und starrte zu mir ins Innere. Als sie mich auf dem Rücksitz ausmachen konnte, erhellte sich ihre besorgte Miene.
Sofort stieß ich die Tür auf, rutschte von der Sitzbank und fiel meiner Freundin geradewegs in die Arme.
„Woah, da hat mich aber jemand vermisst", kicherte sie leise, als sie meine Umarmung erwiderte.
„Wo ist Harp?", entgegnete ich, ohne sie loszulassen. Meine Stimme wurde durch ihre dunklen Locken gedämpft, doch sie verspannte sich dennoch unter meiner Berührung.
Irritiert zog ich mich so weit zurück, dass ich in ihre schuldbewussten Augen blicken konnte.
„Sie ist nicht mitgekommen", meinte sie vorsichtig und verzog entschuldigend das Gesicht. „Sie wollte wirklich mitfahren. Vor allem als ich ihr von der Scheiße erzählt habe, die Cam abgezogen hat - Ich hoffe das war okay. Aber, Macy, sie hätte kastriert! Deine Familie wäre nicht mehr sicher, wenn Harp in dieses Auto gestiegen wäre!"
Theatralisch deutete Ava auf den Jeep hinter sich und brachte mich somit zum Lachen.
„Ist schon okay", sagte ich leise und versuchte, meine aufkeimende Enttäuschung mit einer weiteren Umarmung meiner Freundin zu erstsicken.
Ava lachte auf, als ich mich wieder in ihre Arme flüchtete und strich sich meine roten Strähnen aus dem Gesicht.
„Wenn du wüsstest, wenn ich stattdessen mitgebracht habe, würdest du mich nicht mit deiner Liebe überhäufen."
Zögernd löste ich mich von ihr und warf einen neugierigen Blick auf die Fahrerkabine des Wagens.
„Milo?", fragte ich hoffnungsvoll, dass der schwarze Lack des Jeeps langsam Erinnerungen in mir weckte.
Ich hatte dieses Auto schon einmal gesehen. Ich war mir auch ziemlich sicher, dass ich bereits auf der Rückbank diesen Jeep gesessen hatte. Zusammen mit Milo und Harper.
Das war Blakes Wagen!
Alarmiert sah ich Ava an, doch sie zuckte nur entschuldigend mit den Schultern. „Milos Auto ist in der Werkstatt und Blake hat sich sofort angeboten, als ich ihm die Situation erklärt habe."
Tatsächlich. Noch während Ava sprach, öffnete sich die Fahrertür langsam und Blake kam zum Vorschein.
Er richtete sich auf, streckte den Rücken durch und ließ die Schultern kreise, ehe er die Tür wieder hinter sich schloss.
Sein Blick glitt einmal quer über den Parkplatz, ehe seine Augen an uns hingen blieben.
Ein amüsiertes Grinsen verzerrte sein Gesicht. „Da ist ja unser Notfall."
„Die Sache mit Pat und Cam hab ich ihm natürlich nicht erzählt", flüsterte mir Ava leise zu.
Ich spürte einen Hauch von Erleichterung, die mich bei Avas Worten durchfloss. Mein Blick war jedoch weiterhin auf Blake gerichtet.
Es war das erste Mal, dass ich ihn nach dem Abend im Boother sah. Und verdammt, er sah wirklich gut aus.
Die dunkeln Haare waren völlig zerzaust, als hätte er sie in den vergangenen Stunden mehr als einmal mit seinen Fingern bearbeitet. Das wunderschöne Blau seiner Iris konnte ich, trotz der beachtlichen Entfernung, gut erkennen.
Als er sich langsam auf uns zu bewegte, begann mein Herz augenblicklich aufgeregt zu klopfen.
Ich hätte ihn gerne begrüßt. Wenn ich Avas freches Mundwerk hätte, hätte ich ihm bestimmt mit irgendeiner kecken Bemerkung ein Lächeln entlocken können. Ich hätte aufreizend mit den Hüften gewackelt und mit einer hinreißenden Bewegung meine Haare über die Schulter geworfen.
Aber ich war nicht Ava. Und natürlich besaß ich das gesunde Selbstbewusstsein meiner Freundin nicht.
Und so sah ich Blake einfach nur mit aufgerissenen Augen und leicht geöffneten Lippen entgegen, als er gemächlich auf mich zu schlenderte.
Erst Avas kräftiger Stoß zwischen meine Rippen, ließ mich aus meiner Erstarrung erwachen.
„H-Hey", begrüßte ich Blake scheu und senkte den Blick auf seine abgewetzten Sneakers.
Ich konnte Avas stechenden Blick auf mir spüren, doch ich brachte es einfach nicht über mich, meinen Kopf zu heben.
Die Tatsache, dass Blakes Kuss bei mir mehr Spuren hinterlassen hatte, als ich ursprünglich gedacht hätte, war mir einfach unglaublich peinlich.
Ich wusste das es albern war, aber ich hatte das Gefühl, dass er all meine Emotionen und Gedanken lesen konnte, sobald ich seinem Blick begegnen würde.
Und diese Blöße konnte und wollte ich mir einfach nicht geben. Vor allem, da ich mir sicher war, dass Blake meine Gefühle nicht erwidern konnte.
Ein unangenehmes Schweigen trat ein. Weder Ava noch Blake schienen sich verantwortlich dafür zu fühlen, dass Gespräch in die Gänge zu leiten.
Ich konnte die beiden Augenpaare auf mir spüren, als ich unruhig mit meinem rechten Fuß über den Asphalt schabte.
Nach einer Weile atmete ich schließlich geräuschvoll ein. „Danke, dass er mich abholt."
„Kein Problem", erwiderte Blake prompt und anhand des Knirschens konnte ich erkenne, dass er sich von uns abgewandt hatte. Augenblicklich hob ich den Kopf.
Blake hatte seinen Blick auf das Diner gerichtet, welches mit seinen leuchtenden Fassaden und blinkenden Schildern weiterhin auf sich Aufmerksam machte. Ava folgte seinem Blick.
„Habt ihr Hunger? Ihr könnt gerne noch etwas Essen, bevor wir fahren", schlug ich vorsichtig vor.
„Nein", lautete Blakes schlichte Antwort, während Ava ein, „Ja", entfuhr.
Unbehaglich zog ich die Schultern hoch, als die Beiden einen Blick tauschten. Auf dem Gesicht meiner Freundin breitete sich ein hämisches Grinsen aus.
„Wie wäre es, wenn ich meinen Appetit mit ein paar Waffeln stille und euch Beiden Turteltäubchen einen Vorsprung verschaffe?", fragte sie neckisch und zog auf meinen entgeisterten Blick hin lediglich die Augenbraue nach oben. „Ich denke, dass ihr einige Missverständnisse zu klären habt. Ich hab nur ein paar Minuten mit euch verbracht und fühle mich unwohler denn je! Diese Anspannung ist ja nicht zum Aushalten!"
Beschämt senkte ich den Blick, während das Blut in den meinen Kopf schoss und meine Wangen rosig färbte. Wie konnte Ava mich in eine solch unangenehme Situation bringen? Und das auch noch so offensichtlich genießen?
Die Wut auf meine Freundin kämpfte gegen die Scheu in mir an, doch obwohl ich Ava gerade am liebsten den Hals umdrehen würde, konnte ich mich nicht dazu bewegen, den Kopf zu heben und einen Blickkontakt mit Blake zu riskieren.
Eine Weile herrschte wieder Stille, die lediglich durch das leise Geflüster der Gäste des Diners unterbrochen wurden, die ein und aus gingen.
Doch schließlich konnte ich den rauen Klang von Blake vernehmen, als er die Stimme erhob.
„Das klingt nach einer guten Idee.
So langsam sprudeln die Sätze wieder aus mir hervor - Zwar noch nicht so energiereich wie ich es mir wünschen würde, aber immerhin sitze ich nicht 10 Minuten vor dem Laptop, ohne irgendetwas zu tippen :D
Und? Habt ihr Pläne für die Osterferien (ihr habt doch jetzt Osterferien, oder?) :)
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