21. Kapitel
Es wurde schlagartig still, als ich hinter meiner Mutter den Salon meines Elternhauses betrat. Mein Vater hob sofort den Kopf als wir, nach einem zaghaften Anklopfen meiner Mutter, in den geräumigen Raum traten.
Bei meinem Anblick legte er irritiert die Stirn in Falten und ein gefährlicher Ausdruck huschte über sein Gesicht.
„Macy", begrüßte er mich leise. Seine Stimme klang beherrscht von Wut, aber ich meinte auch, einen Funken von Erleichterung in seinen Augen aufblitzen zu sehen.
„Was erweist uns die Ehre?"
Ich musterte meinen Vater. Die grauen Haare, die er sich jeden morgen sorgefältig in die Stirn kämmte, um sie dann mit einem überteuerten Haarspray aufquellen zu lassen.
Die strengen Falten, die sein Gesicht durchzogen und ihn deutlich älter aussehen ließen, als er eigentlich war. Und diese eisig blauen Augen die mich abwartend fixierten.
Ich betrachtete kurz das blütenweiße Hemd, dessen oberste Knöpfe geöffnet waren, ehe ich meine Aufmerksamkeit auf meinen Bruder legte.
Ich hatte nicht vor meinen Besuch mit albernen Höflichkeitsfloskeln zu beginnen, nur um meinen Vater dann um Verzeihung zu bitten, dass ich den Ruf unserer Familie gefährdet hatte. Zudem tat es mir überhaupt nicht leid.
Cameron war derjenige der sich schämen sollte.
Cam begegnete meinem Blick ausdruckslos. Mit gestrafften Schultern und durchgestrecktem Kreuz hielt er meiner forschen Mimik herausfordernd stand.
Er wirkte auf den ersten Blick nicht so, als würde ihn mein Auftauchen beunruhigen, doch das nervöse Zucken seine Hände verriet ihn.
Ein falsches Lächeln erreichte meine Lippen. Das Cameron auf meine Anwesenheit so unsicher reagierte, war Balsam für meine Seele.
„Macy", murmelte er schließlich mit fester Stimme, als das Schweigen im Salon schon fast unerträglich wurde. „Wir haben dich vermisst."
Lügner.
Ein kurzer Seitenblick auf meinen Vater verriet mir, dass er alles andere als erfreut über mein Auftauchen war. Und das ich auch noch den Nerv hatte, mich für mein Verschwinden nicht zu entschuldigen, schien ihn zusätzlich zu verärgern.
Mit zusammengepressten Lippen beobachtete er jede einzelne Bewegung meinerseits.
„Ich brauchte eine Auszeit", erwiderte ich und taxierte Cams Gesicht mit forschem Blick. „Ich bin auch eigentlich nur gekommen, um euch mitzuteilen, dass ich gerne in Pennsylvania bleiben würde."
Ein erleichterter Ausdruck huschte über das Gesicht meines Bruders, als er sich entspannt in den Sessel zurücksinken ließ und sich durch die dunkelblonden Haare fuhr.
„Ach, Liebes, meintest du nicht, du wolltest uns etwas über deinen Konflikt mit Patrick erzählen?", warf meine Mutter ein und ignorierte meine Entscheidung, Lakewood endgültig zu verlassen geflissen.
Als der Name meines Exfreundes fiel, wurden mein Vater und mein Bruder augenblicklich hellhörig. Doch während Cameron nervös die Hände im Schoß zu kneten begann und mir einen besorgten Blick zu warf, lehnte sich mein Vater interessiert im Stuhl vor.
„Willst du deine Entscheidung überdenken?", fragte er mit einem so hoffungsvollen Unterton, dass ich nur die Augen verdrehen konnte.
„Nein."
Neben mir seufzte meine Mutter leise auf. Niedergeschlagen schob sie sich an mir vorbei und ließ sich auf die Armlehne meines Vaters sinken. Theatralisch führte sie ihre Hand an ihre Brust und warf ihrem Ehegatten einen kurzen Blick zu.
„Aber warum nicht, Liebling?", fragte sie zaghaft. „Patrick war doch so ein lieber und ausgesprochen intelligenter Junge. Ihr wart so ein süßes Paar."
Neben ihr nickte mein Vater zustimmend.
„Nun ja", begann ich langsam und warf meinem Bruder einen vielsagenden Blick zu. Cameron senkte sofort den Kopf, doch ich konnte sehen, wie seine Augen alarmiert zu meinen Eltern hinüberhuschten. Bestimmt überlegte er schon, wie er sich unbeschadet aus der Affäre ziehen konnte.
„Leider scheint es so, als würde Patrick meine Gefühle nicht erwidern. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass ich nie diejenige war, die er geliebt hat."
„Ach, Macy! Rede doch keinen Unsinn!", warf meine Mutter empört ein und klopfte meinen Vater hilfesuchend auf den Unterarm.
„Deine Mutter hat Recht, Macy. Es ist albern, eine potenzielle Beziehung zu zerstören, nur weil man ein mulmiges Gefühl hat", mischte sich mein Vater ein.
Es kostete mich viel an Überwindung, um mich bei der Wortwahl meines Vaters nicht zu übergeben. potenzielle Beziehung. Das ich nicht lache.
Doch anstatt die Missgunst meines Vaters noch mehr auf mich zu ziehen, neigte ich den Kopf etwas zur Seite und lächelte meine Eltern gehorsam an.
„Natürlich wäre das albern", stimmte ich meinem Vater zuckersüß zu. „Glücklicherweise habe ich mich aber nicht auf ein mulmiges Gefühl verlassen, sondern durfte Zeugin davon werden, wie Patrick mich hintergangen hat. Ich habe ihn mit jemand anderes im Bett erwischt."
Meine Mutter zog geräuschvoll die Luft ein und tastete fassungslos nach dem Arm meines Vaters, während sie mich einfach mit aufgerissenen Augen anstarrte.
Dann hatte meine Vermutung wohl der Wahrheit entsprochen. Patrick hatte sich wirklich bei meinen Eltern eingeschleimt und meinen emotionalen Ausbruch mit einer kleinen, albernen Meinungsverschiedenheit abgetan.
Wie konnte ich jemals irgendetwas für diesen Kerl empfinden? Er war absolut manipulativ und das Einzige was im am Herzen lag war die Gunst meiner Eltern.
Vermutlich hatte er in den vergangenen Jahren eine intimere Beziehung mit den Beiden geführt als mit mir.
Verächtlich verdrehte ich die Augen.
Meine Mutter hatte inzwischen den Arm meines Vaters zu fassen bekommen und krallte sich haltesuchend daran fest. Mein Vater strich mit seinen Fingern über ihre Hand und starrte mich nachdenklich an.
Vermutlich versuchte er einzuschätzen, wie glaubhaft meine Offenbarung war. Ob er meine Worte wirklich über die von Patrick stellen sollte.
Pfff... Als ob ich einen Grund hätte, meine Eltern dermaßen an der Nase herumzuführen.
Mein Vater räusperte sich geräuschvoll und tauschte einen kurzen Blick mit meiner Mutter. „Davon hat uns Patrick gar nichts erzählt."'
„Natürlich hat er das nicht", entgegnete ich und strich mir eine rötliche Strähne aus dem Gesicht. Kurz huschten meine Augen zu Cameron hinüber, der mein Geständnis mit weniger Schock entgegengenommen hatte.
Mit zusammen gekrampften Schultern und gesenktem Blick saß er zusammengesunken auf seinem Stuhl.
Unwillkürlich musste ich lächeln. „Patrick hatte vermutlich befürchtet, ihr würdet nach der Person fragen, mit der er seine kleine Affäre ausgeführt hat."
Der Kopf meiner Mutter zuckte herum. „Willst du damit etwa sagen, wir kennen diese abscheuliche Persönlichkeit?"
Mein Grinsen wurde breiter. „Ja, ihr kennt sie sogar besser, als ihr denkt."
Langsam und demonstrativ wandte ich mich meinem Bruder zu und verschränkte die Arme vor der Brust. „Oder sollte ich besser sagen, ihn?"
Cam zuckte unter meinen Worten zusammen und warf meinen Eltern einen nervösen Blick zu, welche nach meiner Aussage jedoch verwirrt die Stirn runzelten.
„Was willst du damit sagen, Macy?", hakte meine Mutter mit hochgezogenen Augenbrauen nach, während mein Vater langsam meinem Blick folgte.
Mit zusammengekniffenen Augen musterte er seinen Sohn, ehe sich das kalte Blau seiner Iris wieder mir zuwandte.
Wut und Verachtung schmückten seine Mimik, als er sich ruckartig erhob.
„Das ist eine widerliche Anschuldigung, Macy! Entschuldige dich sofort bei deinem Bruder!"
„Pah!", lachte ich verächtlich auf und rollte mit den Augen. „Ich soll mich entschuldigen? Für was? Das ich mich ausgerechnet in den Mann verliebt habe, den er vögeln muss? Das ich mit Patrick Schluss gemacht habe und die Beiden es nicht mehr hinter meinem Rücken treiben können?"
Wütend stampfte ich mit dem Fuß auf und stierte meinen Vater mit der vernichtensten Mimik an, die mein kindliches Gesicht zu bieten hatte.
„Macy! Was ist das für eine Ausdrucksweise!", keuchte meine Mutter überrascht auf, ohne auf meine gesagten Worte wirklich einzugehen.
Ist das ihr Ernst? Ich hatte gerade die Wahrheit offenbart. Patrick hatte mich mit meinem eigenen Bruder betrogen und dieser hatte nicht einmal den Anstand, für seinen Verrat geradezustehen! Anstatt sich bei mir zu entschuldigen stürzt er sich einfach in eine beliebige Ehe und versteckt sich hinter dem Zorn unseres Vaters.
Er versuchte nicht einmal, meinen Eltern klar zu machen, dass ich tatsächlich die Wahrheit ausgesprochen hatte.
Das er schwul war und sich ausgerechnet mit meinem Freund einlassen musste, anstatt sich irgendeinen anderen Kerl zu suchen, der nicht bereits an seine Schwester vergeben war.
Mein Körper bebte vor Zorn, als ich den warnenden Blick meines Vaters herausfordernd erwiderte.
Wütend ballte ich meine Hände zur Faust und grub meine Fingernägel in die Handballen.
Ich war ihre Tochter! Ich hatte mich stets damit zufriedengegeben, im Schatten meines Bruders aufzuwachsen. Cam hatte alles bekommen. Die Liebe und Zuneigung meiner Eltern. Die teuren, personalisierten Geschenke und den Stolz meines Vaters.
Und jetzt bekam er auch noch ihren Glauben. Das Vertrauen, dass er mich nicht betrogen hatte. Das er niemals ein Auge auf meinen Freund geworfen hatte und es auch nicht so weit getrieben hatte, mit Patrick ins Bett zu steigen.
„Es tut mir leid, Cam!", fauchte ich schließlich und wirbelte zu meinem Bruder herum.
Er hatte den Kopf mittlerweile erhoben und in seinen Augen konnte ich die Erleichterung aufblitzen sehen, dass sich meine Eltern gegen mich wandten. Das sie mir nicht glaubten, obwohl ich die Wahrheit gesprochen hatte.
Bei meiner Entschuldigung zuckte er nicht einmal mit der Wimper. Er mimte lediglich den geschockten Ausdruck unserer Eltern nach und starrte mich einfach nur an.
„Es tut mir leid, dass du zu einem Arschloch geworden bist! Es tut mir leid, dass du keine Grenzen mehr erkennst. Es tut mir leid, dass du keine Gefühle mehr hast! Verdammt, wie kannst du eine Frau heiraten, die du nicht liebst? Wie konntest du dich auf Pat einlassen und mir jeden Tag zuhören, wie ich davon schwärme, wie sehr ich ihn liebte? Es tut mir leid, dass du kein Herz besitzt!"
Verzweifelt warf ich die Hände in die Luft und raufte mir die Haare.
Ich war nach New Jersey zurückgekommen, um die Kluft zu meiner Familie zu schließen, doch stattdessen hatte ich sie vergrößert. Aus der Kluft wurde ein riesiges Loch, das jegliche familiäre Gefühle, die ich für Cam und meinen Vater noch übrighatte, mit sich zog.
Wie konnte ich nur glauben, dass meine Eltern mir glauben würden? Niemals würde Cameron, ihr Liebling, solch etwas grausames tun. Er war doch so perfekt.
Nein, das hässliche Entlein musste diejenige sein, die lügt.
Wütend schüttelte ich den Kopf und wich einen Schritt von meiner Familie zurück.
Mein Vater war rot angelaufen vor Zorn. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ihn mein Verhalten zum explodieren bringen würde. Doch das war mir egal.
„Ich hab die Wahrheit gesagt", murmelte ich mit zittriger Stimme und schloss resigniert die Augen. Als ich sie wieder öffnete, streifte mein Blick Cam. „Wenn du wirklich mein Bruder wärst, dann würdest du ihnen die Wahrheit sagen."
Etwas regte sich in Camerons Augen. War es Reue? Mitleid? Triumph? Ich weiß es nicht.
Mein Bruder räusperte sich leise und richtete sich in dem Stuhl auf. Ich konnte deutlich erkennen, wie er mit seinen inneren Dämonen kämpfte, als er die Schultern nach hinten bog und den Blick meines Vaters suchte, ehe er sich wieder mir zuwandte.
„Ich bin dein Bruder, Macy. Aber ich werde nicht deinetwegen unseren Ruf schädigen. Denk doch nur Mal daran, was für Gerüchte du in der Nachbarschaft mit deinem labilen Verhalten aufkochen lässt!"
Ich zuckte vor Cameron zurück. Es war, als hätte er mir mit einem Messer mitten ins Herz gestochen.
Er hatte mich nicht nur verraten, sondern auch meinen Eltern zum Fraß vorgeworfen, nur um seinen eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Er hatte mich zurückgelassen. Ohne mit der Wimper zu zucken.
Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Der Schmerz pochte in meiner Brust und hinter meinen Augen begann es heftig zu hämmern.
Egal wie tief Cameron gesunken war. Egal wie sehr er mich mit Patricks Seitensprung verletzt hatte. Ich hatte immer noch die Hoffnung in mir gespürt, dass er all seine Fehler begleichen würde. Um mich zu retten. Weil er mich liebte.
„Macy, was ist nur in dich gefahren!", hauchte meine Mutter kopfschüttelnd. Enttäuschung funkelte in ihren grünen Augen, als sie sich von der Armlehne erhob und zu Cameron hinübereilte. Sorgsam zog sie ihn in seine Arme und streichelte behutsam über seine Schultern.
„Du warst schon immer ein eifersüchtiges Kind gewesen, aber das geht entschieden zu weit! Ist es, weil dein Bruder heiraten will? Bist du neidisch auf sein Glück?"
Mühsam kämpfte ich gegen die Tränen an, die sich langsam in meinen Augenwinkeln sammelten.
Sie glaubten wirklich, ich wäre eifersüchtig. Lächerlich, wenn man betrachtete, dass ich schon vor vielen Jahren aufgab, gegen Cameron anzukämpfen.
Irgendwann hatte ich mich mit der Zuneigung der Angestellten zufriedengeben. Ich hatte schnell gelernt das es besser war von meinen Eltern nicht beachtet zu werden, anstatt an ihren Nerven zu ziehen und ihren Zorn auf mich zu lenken.
Ich hatte es nicht nötig, neidisch auf meinen Bruder zu sein. Auf keinen Fall wollte ich so werden wie er.
Entschieden machte ich auf meinem Absatz kehrt und trat an die Tür, wo ich noch einmal innehielt.
„Du hast dich nicht einmal entschuldigt, Cam", murmelte ich leise, jedoch laut genug, dass er mich hören konnte.
Ohne meiner Familie einen letzten Blick zu würdigen, verließ ich erst den Salon und dann das Haus.
Finally - Macys großes Geheimnis ist gelüftet :o
Was haltet ihr davon?
Habt ihr damit gerechnet?
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