19. Kapitel

Nachdenklich betrachtete ich mich selbst im Spiegel.
Die tiefen, fast schon bläulichen, Schatten unter meinen grünen Augen, die davon zeugte, dass ich bereits mehr als eine Nacht nicht mehr richtig geschlafen hatte.
Mein herzförmiges Gesicht mit den kindlichen Zügen. Die kleine Stupsnase und die kaum merklichen Sommersprossen, welche sie zierten.

Ich strich mir das kinnlange Haar zurück und verzog kurz das Gesicht, als mich die roten, geringelten Spitzen an der Wange kitzelten.
Meine Augen wanderten zu meinen blassrosa Lippen; sie waren nicht zu voll, aber auch nicht zu schmal. Einfach unauffällig, so wie der Rest meines Gesichts, dass wohl in meiner Kindheit eingefroren sein musste.

Langsam ließ ich meinen Blick über meine blasse Haut wandern, betrachtete jede einzelne Kurve und Kante meines Körpers, ehe ich mir selbst wieder in die trüben Augen starrte.
Was zum Teufel tat ich hier eigentlich? War es nicht mein Ziel gewesen, all das Drama in New Jersey zurückzulassen und neu anzufangen? Die dunklen Schatten meiner Vergangenheit zu vergessen?
Was war aus diesem Wunsch geworden? Mittlerweile fand ich mich in einem größeren Trubel wieder, als zuvor.

Mit einem leisen Seufzer wandte ich mich von meinem Spiegelbild ab und ließ mich auf Avas Gästebett nieder.
Was hatte ich in den vergangenen Wochen nur falsch gemacht? Hätte ich all das Drama verhindern können, wenn ich nicht nach Windfield gekommen wäre?
Aber was dann?

Vermutlich hätte Patrick es schon längst geschafft, zuerst meine Eltern und schließlich mich zu bequatschen. Ich würde ein trauriges Leben an seiner Seite führen; eingelullt in einer naiven Blase, die mich glauben ließ, dass er mich wirklich liebte.
Nein, da war mir meine jetzige Situation lieber.

Ich konnte Ava in der Küche hantieren hören. Vermutlich versuchte sie gerade, ihre, nicht vorhandenen, Kochkünste herauf zu beschwören, nur um dann letztendlich doch zum Telefon zu greifen, um uns eine Pizza zu bestellen.

Ava war in letzter Zeit ruhiger gewesen als sonst. Sie sagte es mir nicht, doch ich wusste, dass es an mir lag. Sie war, ebenso wie Harper, immer noch enttäuscht darüber, dass ich mich aus Angst vor ihnen versteckt hatte.
Ich hatte meine Freunde aus meinem Leben ausgeschlossen, war von meinem Freund betrogen worden und schwärmte dennoch seit geraumer Zeit für einen anderen, anstatt über die Verschwendete Zeit zu trauern.
Warum nur hatte ich mein Leben nicht im Griff? Es wurde Zeit, die Sachen endlich geradezubiegen.

Entschlossen richtete ich mich in dem Bett auf und ließ meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Meine Augen blieben an meinem Reisegepäck hängen, dass ich nur notdürftig entleert hatte. Die Hälfte meines Hab und Guts befand sich noch im Inneren der Taschen und Koffer.
Es würde nicht viel Zeit beanspruchen, das Nötigste zusammen zu suchen und aufzubrechen, um all den Chaos ein Ende zu bereiten.

„Stimmt das? Fährst du wirklich zurück nach Lakewood?" Harpers Stimme klang alarmiert, als sie durch die Lautsprecher von Avas Golf drangen.

Angestrengt versuchte ich meine Konzentration auf der Straße zu halten, während ich den Wagen holprig vorwärtsfuhr und meine Hand nach dem Lautstärkeregler ausstreckte.

Ehrlich gesagt überraschte es mich kein bisschen, dass Harper sich bereits jetzt, vier Minuten nachdem ich Avas Wohnung verlassen hatte, meldete.
Ich konnte mir lebhaft vorstellen wie meine Freundin, nur wenige Sekunden nach unserem Gespräch, zu ihrem Handy gesprungen war, um Harper von meiner Abreise zu erzählen.

„Nur übers Wochenende", wiegelte ich ab und lenkte das Auto vorsichtig nach rechts auf den Highway. „Hat dir Ava das nicht gesagt?"
Am anderen Ende der Leitung konnte ich es leise Rauschen hören, als Harper leise schnaubte. „Doch, hat sie. Und ich finde deine Idee absolut bescheuert. Deine Eltern werden dich nie wieder aus dem Haus lassen."
Ich rollte mit den Augen, obwohl ich Harpers Sorge durchaus teilte.

Ich hatte mir auch schon Gedanken darüber gemacht, ob mich mein Vater je wieder der Freiheit entlassen würde. Ich hatte ja schon mitbekommen, dass er von meiner abrupten Flucht alles andere, als begeistert gewesen war. Anscheinend hätte mein Verschwinden und meine Trennung mit Pat ja unseren wertvollen Ruf geschädigt.
Ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen als ich daran dachte, wie angekratzt unser Ruf wohl sein würde, wenn ganz Lakewood von Patricks Vorlieben erfuhr. Und von Cams.

Es war wirklich eine Verlockung, meinem Vater in die dunklen Geheimnisse meines Bruder einzuweihen. Nach diesen Nachrichten wäre er bestimmt nicht mehr die Nummer eins. Der Platz würde automatisch auf mich überwandern und ich könnte mich endlich im Stolz meines Vaters suhlen.
Aber diesen Traum hatte ich schon lange aufgegeben. Es war nicht mehr mein Wunsch, dem Maßstab meiner Familie zu genügen.
Die Zeit in Windfield hatte mir gezeigt, dass es wichtigeres gab, als die perfekte Fassade zu wahren.

„Macy!" Harpers ungeduldige Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Unwillkürlich zuckte ich hinter dem Lenkrad zusammen, wodurch das Auto einen kleinen Schleuderer zur Seite machte. Jemand hupte.
„Verflucht, Harp! Ich versuche ihr Auto zu fahren!", zischte ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
„Das hört man" Ich konnte die Skepsis in Harpers Stimme hören und rollte mit den Augen.

Zwar hatte ich meinen Führerschein inzwischen fast schon drei Jahre, doch da ich permanent von Patrick oder dem Chauffeur meiner Eltern herumkutschiert wurde, hatte ich es bisher vermieden, selbst hinter das Lenkrad zu steigen.
Ich war eine verdammt unsichere Fahrerin, die bei jeder Kleinigkeit auf die Bremse trat.

„Ich hoffe nur, du machst keinen Fehler."
„Ich auch."
„Viel Glück, Macy."
„Danke." Mit einem leisen Seufzer beugte ich mich vor, um den Anruf mit Harper zu beenden.

Langsam ließ ich mich zurück in den Fahrersitz gleiten und kniff konzentriert die Augen zusammen. Warum nochmal hatte ich mich gegen die einfacher Variante entschieden und war nicht mit dem Zug gefahren? Dann könnte ich mich jetzt entspannt zurücklehnen und mir ein paar Sätze zurechtlegen, damit ich meinen Eltern vorbereitet entgegentreten konnte.

Unwillkürlich schweiften meine Gedanken zu dem Leben, dass ich in New Jersey zurückgelassen hatte. Zu meiner Familie, zu meinen Freunden, die eigentlich immer nur Patricks Freunde gewesen waren, zu meinem Dasein als Hausfrau und der gemeinsame Wunsch mit Pat, bald das erste Kind im Arm halten zu können.
Glücklicherweise war ich nicht schwanger geworden. Dann wäre ich jetzt nicht nur Einsam und verlassen, sondern auch noch Alleinerziehend.
Wie bringt man seinem Kind bei, dass sein Vater ein absolutes Arschloch ist? Vermutlich hätte ich Patrick in meiner Fantasie einfach sterben lassen, damit sein Nachkomme von einer besseren Variante träumen hätte können.
Von einem Mann, der seiner Freundin treu war.

Ich verzog das Gesicht und verbannte Patrick endgültig aus meinen Gedanken. Ich hatte die letzten Wochen so gut überstanden; kaum eine Träne war seinetwegen geflossen. Das würde ich jetzt sicherlich nicht nachholen.
Ich schüttelte den Kopf und zwang mich, an etwas Schöneres zu denken. An irgendetwas, dass mich zum Lächeln bringen würde.

Augenblicklich funkelte ein wohlbekanntes Gesicht vor meinem inneren Auge auf. Markante Züge, ein frostblaues Augenpaar. Blake.
Ein dumpfer Schmerz erfüllte meine Brust, als ich an unsere letzte Begegnung dachte.
Blake schien gar nicht mehr an unsere gemeinsame Nacht zu denken. Er hat mich angesehen, als würde er mein distanziertes Verhalten nicht verstehen. Als wäre nichts zwischen uns geschehen.

Ich seufzte tief und kniff konzentriert die Augen zusammen. Der Golf scherte unwillkürlich nach links aus, als mich ein silberner Wagen von rechts überholte. Erneut ein Hupen.
Ich hatte Glück, dass ich Harpers Ratschlägen, mit Blake zu reden, nicht gefolgt war. Offenbar sah der Dunkelhaarige kein Problem, welches zwischen uns stand.
Bestimmt hätte er mich lediglich mit einem süffisanten Grinsen empfangen, wenn ich ihn von meinen Gefühlen erzählt hätte.
Wie kam meine Freundin auch auf die Idee, er könnte mich leiden? Blake war bestimmt kein Mann, der lang herumdruckste. Wenn er wirklich etwas für mich empfinden würde, hätte er es mir bestimmt schon mitgeteilt.

Ich schüttelte frustriert den Kopf. Über Blakes Gefühle nachzugrübeln half mir jetzt auch nicht weiter. Ich sollte die Zeit lieber nutzen, um mir zu überlegen, wie ich meiner Familie gegenübertreten sollte.
Ich wollte all die Unklarheiten und Lügen endlich aufdecken, aber konnte ich das wirklich tun, ohne meinen Bruder an den Pranger zu stellen?

Verzweifelt fuhr ich mir durch die rötlichen Strähnen und lehnte mich etwas im Sitz zurück.
Ich wusste, das ich nach all den Geschehnissen keinerlei familiäre Gefühle mehr für Cam hegen sollte, aber ich konnte ihn meinen Eltern einfach nicht zum Fraß vorwerfen. So ein Mensch war ich einfach nicht.

Nach langer Zeit endlich Mal wieder ein Kapitel. Ich weiß nicht wieso, aber zurzeit wollen die Worte einfach nicht fließen. Vermutlich werde ich das Kapitel auch bald überarbeiten, weil ich überhaupt nicht damit zufrieden bin :c
Auf mich wirken die Sätze gequält und erzwungen :/

Aber ja: Ich wollte euch noch eine kleine Änderung mitteilen, die (bisher) in den ersten sechs Kapitel stattgefunden hat & die Geschichte beeinflussen.
Zumal ist Macy jetzt ein richtiger Rotschopf geworden, allerdings wurden ihr die Haare gekürzt :D Und Ava baggert Blake nicht allzu offensiv an, wie zuvor.

Und noch eine kurze Frage: Hättet ihr Lust darauf, dass ich euch die Bilder zeige, nach denen ich die Charaktere gerichtet habe? Ich weiß ja, dass das manchmal ziemlich kritisch ist, da ihr euch Macy, Harper, Ava & Co. bestimmt anders vorgestellt habt, als ich; aber vielleicht habt ihr ja Interesse daran :D


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