14. Kapitel


Der eisige Wind zerrte an meinen Haaren und ließ sie wild durch die Luft wirbeln.
Mehr als einmal musste ich mir die lästigen Strähnen aus dem Gesicht streichen, um möglichen Hindernissen ausweichen zu können.

Die Straßen von Windfield waren immer noch eisig glatt und obwohl sich auf den Gehsteigen der Schnee türmte, rutschte ich mehr als einmal den Weg entlang.
Vielleicht lag es an den unzähligen Taschen und dem riesigen Koffer, den ich mit mir zog, dass ich immer wieder ins straucheln kam. Es war auch ziemlich mühevoll, mit meinem ganzen Gepäck vorwärts zu kommen.
Zudem hatte ich überhaupt keine Ahnung, wohin ich eigentlich wollte.

Ich könnte zwar immer noch Ava um ein trockenes Plätzchen bitten, aber ich fühlte mich nicht wirklich danach, Zeit mit meiner Freundin zu verbringen.
Ava würde sofort bemerken, dass etwas vorgefallen sein musste und würde solange bohren, bis ich ihr alles erzählen würde. Und da meine liebe Freundin eine kleine Tratschtante war, würde es nicht lange dauern, bis auch Harper von der ganzen Sache Wind bekam.
Streit hin oder her - Ava würde es sich nicht nehmen lassen, Harp davon zu erzählen, dass ich auf ihren ‚Rat' eingegangen war.

Ich will nicht, dass sie irgendetwas mit meinem Mitbewohner anfängt!

Bei der Erinnerung an Harpers Worten könnte ich mich selbst ohrfeigen.
Nicht nur, dass ich direkt nach Patricks Verrat in die Arme eines weiteren Arschlochs hüpfte, nein. Ich überging auch einfach den Wunsch meiner besten Freundin, nur weil ich meine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte.

Verzweifelt schüttelte ich den Kopf und kämpfte mich mühevoll weiter durch den vereisten Schnee.
Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass Blake mich küsste. Sobald seine Lippen auf die meinen getroffen waren, hätte ich reagieren müssen.
Ich hätte ihn von mir stoßen sollen. Am besten hätte meine Hand auch noch Bekanntschaft mit seiner Wange machen müssen, aber ich war einfach zu betört gewesen.
Die Gefühle, die mich überrollten, als Blake seinen Mund auf den meinen drückte, waren einfach faszinierend gewesen.

Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so empfunden hatte, als mich jemand küsste.
Vermutlich, als Patrick sich das erste Mal vorgewagt hatte. Immerhin war er meine erste große Liebe gewesen.

Unwillkürlich spielte ich mit dem Gedanken, dass ich über Weihnachten einfach zurück nachhause fahren sollte.
Ich hätte ein warmes Plätzchen und würde all das Chaos hier einfach hinter mir lassen.
Blake Adams hätte schon bald keine Bedeutung mehr in meinem Leben.
Aber was dann?

Sobald Patrick mitbekommen würde, dass ich wieder zuhause eingezogen war, würde er sofort dort auftauchen.
Er würde mich, vor den Augen meiner Eltern, umgarnen und um meine Aufmerksamkeit buhlen. Meine Eltern würden mich drängen, ihm zu verzeihen, ohne zu wissen, was er eigentlich getan hatte.
Und was war mit meinem Bruder? Wie würde es sein, wenn ich ihn wieder treffen würde? Könnte ich ihm jemals verzeihen?

Schnell verwarf ich diese Idee wieder und blieb ziellos vor einem Zebrastreifen stehen. Die Ampel zeigte rot, aber ich wusste sowieso nicht, ob ich die Straße überqueren wollte oder einfach rechts abbiegen sollte.
Mein Handy vibrierte in einen der unzähligen Taschen und ich fand nicht die Kraft, danach zu suchen.

Ich kniff die Augen zusammen.
Wo war ich hier eigentlich? Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, seit ich das Wohnung von Harper verlassen hatte. Wie weit war ich wohl gegangen?
Ich hob den Kopf und sah mich um. Irgendwie kam mir die Ecke von Windfield ziemlich bekannt vor.

Als ich einen Blick schweifen ließ fiel mir eine gelbe Hauswand ins Auge. Als ich das Gebäude genauer betrachtete, entdeckte ich die dünnen geschwungenen Buchstaben, die von einer riesigen Schneemenge bedeckt worden waren.
Und dennoch, ich war mir ziemlich sicher, dass es sich bei diesem kleinen Restaurant um Il miracolo handelte. Dem Italiener, zu dem mich Ava geschleppt hatte, als Patrick vor Harpers Wohnung aufgetaucht war.

Piccolo!", begrüßte Enzo mich überschwänglich, als ich mit einem leisen Bimmeln das Restaurant betrat.
Der Italiener umrundete den Verkaufstresen und hob erfreut die Hände.
Ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln. Es war schön, nach all der eisigen Kälte endlich ein warmes Gesicht zu sehen. Das er mich wieder als klein bezeichnete, ließ ich ihm dabei wohlwollend durchgehen.

„Wo hast du den Ava gelassen?", erkundigte er sich mit einem niedlichen Akzent und betrachtete mich neugierig.
Als er meine ganzen Taschen und den mintgrünen Koffer entdeckte zog er fragend eine Braue nach oben.
„Machst du eine Weltreise?"

„So was in der Art", erwiderte ich ihm und strich mir über das gefrorene Haar. „Ich bin auf Wohnungssuche."
Enzo musterte mich besorgt. Als ich seinem Blick begegnete, erschien ein kleines, vorsichtiges Lächeln auf seinen Lippen.
„Wie wäre es mit einer heißen Schokolade, ?", fragte er mitleidsvoll und trieb mir damit geradezu die Tränen in die Augen.
Ich brachte nicht mehr als ein klägliches Nicken zustande.
Enzo warf mir einen letzten Blick zu, ehe er sich umdrehte und durch eine Tür verschwand.
Ich sah ihm kurz nach und schloss schließlich resigniert die Augen.

Meine Nase und meine Zehen kribbelten, als sie langsam durch die wohlige Wärme des Restaurants aufgetaut wurden.
An meinen Wangen kitzelten einzelne Strähnen, die sich dank der plötzlichen Hitze zu kringeln und locken begannen.
Vorsichtig strich ich mir die dicke Winterjacke von den Schultern und hängte sie lieblos über meinen Koffer.
Ohne großartig darüber nachzudenken, ob mein Gepäck eventuell im Weg stehen könnte, ließ ich meine anderen Taschen zu Boden gleiten und sank auf den erstbesten Sitzplatz nieder.

Ich bettete meine Wangen in meinen kalten Händen und starrte gedankenverloren aus der Glasfront.
Der graue, wolkenbehangene Himmel spuckte einzelne Schneeflocken auf die Erde nieder und ließ sie wie wild im Kreis tanzen.
Ich fröstelte kurz und beobachtete eine ältere Frau, die mit einem kleinen Kind über den Gehsteig huschte.

Das kleine Mädchen hüpfte hinter ihrer Mutter her und streckte ihre Zunge dem Himmel entgegen.
Ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen, als ich ihre knallpinken Gummistiefel musterte.
Die Kleine schien so unbeschwert zu sein. Naiv und unberührt von den Enttäuschungen, die das Erwachsenwerden mit sich brachte.

Sehnsucht überflutete mich.
Es gab eine Zeit in meinem Leben, in der ich ebenfalls sorgenlos durch die Straßen hüpfen konnte. Egal, was mir Mutter Natur an den Kopf geknallt hatte - Hagel, Regen oder Schnee. Ich hatte mich dem Unwetter euphorisch entgegengeworfen.
Kinder hatten ein beneidenswertes Talent dafür, über das Böse in der Welt hinwegzusehen.
Es gab keine Grautöne in ihrem Leben, nur strahlendes weiß.

Seufzend neigte ich den Kopf zur Seite, als die Beiden sich aus meinem Sichtfeld begaben.
Warum konnte nicht alles so wie früher sein? Warum muss die Zeit weiterlaufen, wenn der Moment so perfekt scheint?
Ich würde nie wieder dahin zurückkommen, wo ich vor drei Jahren stand.
Mit zwei wunderbaren Freundinnen in erreichbarer Nähe und einem Familienfrieden, den ich in naher Zukunft nicht finden würde.

„Eine heiße Schokolade", riss mich Enzo in diesem Moment aus den Gedanken und stellte eine dampfende Tasse vor mir ab.
Augenblicklich hielt ich meine Nase in den warmen Luftschwall, der von der Tasse emporstieg. Genüsslich verzog ich das Gesicht.
Dankbar lächelte ich Enzo an und zog das Getränk zwischen meine Hände.
„Danke", murmelte ich leise.

Enzo umrundete den kleinen Tisch an der Fensterfront und nahm mir gegenüber Platz.
Während ich auf den dampfenden Kakao in meiner Tasse hinabsah, konnte ich spüren, dass seine wachsamen, dunklen Augen auf mir ruhten.
„Willst du mir nicht erzählen, was los ist, Piccolo?", fragte er nach einer Weile.
Unruhig hob ich den Blick.
„Was soll den los sein?", fragte ich mit kratziger Stimme und räusperte mich gleich darauf.
Um Enzos durchdringende Miene wieder entkommen zu können, senkte ich den Kopf und hob die Tasse an.

Der Kakao war noch verdammt heiß, weshalb ich mir augenblicklich die Zungenspitze verbrannte, als ich davon trank.
Ich zuckte abrupt zurück und beförderte die Tasse so schnell auf die Tischplatte zurück, dass einige Tropfen daneben gingen.
„Entschuldigung!", beeilte ich mich schnell zu sagen und wischte, ohne großartig darüber nachzudenken, mit dem Ärmel meines Pullis über den Tisch.
Die weiße Wolle meines Pullovers saugte sich augenblicklich mit dem Kakao voll, aber ich verschwendete nicht einen einzigen Gedanken daran, wie ich diesen Fleck da je wieder rausgebekommen wollte.

Das leise Knarzen von Enzos Stuhl verriet mir, dass der Restaurantbesitzer sich erhoben hatte. Als ich den Blick hob, umrundete er gerade wortlos den Tisch und verschwand hinter der Theke.
Nur wenige Minuten später kehrte er mit einem feuchten Lappen und einem Geschirrtuch zurück, das er mir stumm in die Hand drückte.
„Danke", murmelte ich leise und wischte zuerst über die Tischplatte, ehe ich versuchte, den Fleck, so gut es eben möglich war, zu entfernen.
Enzo beobachtete mich dabei, ohne ein einziges Wort von sich zu geben.

Erst als ich den Lappen von mir schob und die feuchte Stelle meines Pullovers mit dem Geschirrtuch zu trocknen versuchte, lehnte er sich geräuschvoll in dem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Brauchst du Hilfe, Piccolo?", er runzelte besorgt die Stirn und sah mich aus seinen dunklen, warmherzigen Augen fragend an.

Ich seufzte leise auf und warf einen kurzen Blick auf mein sämtliches Gepäck, dass sich am Eingang des kleinen Italieners staute.
Glücklicherweise kam keiner auf die Idee, bei diesem Schneetreiben vor die Tür zutreten, sodass ich Enzos mögliche Kunden ohnehin nicht behinderte.

„Ich glaube nicht, dass du mir helfen kannst", sagte ich mutlos und fuhr mit der Hand durchs Haar. Sanfte Locken kräuselten sich zwischen meinen Fingern und fielen mir augenblicklich wieder ins Gesicht. Missmutig klemmte ich sie mir hinters Ohr.
„Es sei denn, du könntest mir einen gut bezahlten Job und eine billige Wohnung besorgen. Am besten bringst du mir gleich ein Flugticket nach New Jersey, damit dieser Alptraum endlich ein Ende hat", meine Stimme triefte vor Sarkasmus und ich erwiderte Enzos ruhiges Blick zweifelnd.

Enzos Miene blieb unbewegt. Er wirkte zwar immer noch besorgt, aber ansonsten reagierte er überhaupt nicht auf das, was ich gesagt hatte.
Unruhig wandte ich mich unter seinem Blick und schob unwillkürlich den Lappen und das Geschirrtuch in die Mitte des Tisches.
„War nur ein Scherz", murmelte ich nach einer Weile, nachdem Enzo immer noch nicht geantwortet hatte.

„Du kannst gerne eine Weile bei mir wohnen, wenn du nichts anderes findest, Piccolo. Ich wohne direkt über dem Restaurant und wir haben noch ein Zimmer frei", meinte Enzo schließlich und ein mildes Lächeln erreichte seine Lippen. „Einen Job könnte ich dir auch anbieten, wobei der Lohn allerdings alles andere als gut bezahlt ist."

Perplex blinzelte ich Enzo an.
Hatte er mir gerade wirklich angeboten, bei sich zu wohnen? Und dazu noch einen Job?
„Enzo, das... das kann ich nicht annehmen", stotterte ich unsicher und schüttelte den Kopf. „Das wäre wirklich zu viel verlangt."
Enzo zuckte mit den Schultern und stützte seine Ellbogen auf der Tischplatte ab.
„Ach was. Wir haben genug Platz und ich könnte sowieso eine Aushilfe hier gebrauchen", winkte er ab.

„Wir?", fragte ich irritiert nach, während die Gedanken sich in meinem Kopf überschlugen.
Er hatte mir wirklich gerade angeboten, bei sich zu wohnen. Bei ihm zu arbeiten. Aber warum sollte er das tun?
Enzo kannte mich kaum. Es gab für mich keinen ersichtlichen Grund, warum er so großzügig zu mir sein sollte.
Was hatte er davon? Warum sollte er mir helfen?

In der Welt, in der ich aufgewachsen bin, gab es keine Hilfsbereitschaft. Selbst Gewürze wurden zwischen Nachbarn nur ausgetauscht, wenn für den anderen etwas dafür heraussprang.
Meine Eltern hatten mir immer erklärt, dass man seine Reserven schützen sollte. Es würden auch schlechte Zeiten kommen, in denen die Familie selbst ihr Hab und Gut benötigte.
Das Enzo seine Wohnung mit mir teilen wollte, konnte ich deshalb nicht verstehen.

„Meine Freundin und ich", riss mich Enzo schließlich aus meinem Gedanken.
Verwirrt hob ich den Blick und zog eine Augenbraue nach oben. Ich hatte die Frage, die ich ihm zuvor gestellt hatte, schon längst wieder vergessen.
„Ich wohne seit einem Jahr mit meiner Freundin zusammen."

„Wird sie denn nichts dagegen haben, wenn ich für eine Weile bei euch bleibe?", hackte ich skeptisch nach.
Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendeine Frau auf dieser Welt begeistert davon wäre, wenn ihr Freund, ohne es vorher mit ihr abzusprechen, ein wildfremdes Mädchen dazu einlädt, mit ihnen zu wohnen.
Selbst Mutter Theresa würde bestimmt ihre Vorwände dagegen einbringen.

„Sie wird nichts dagegen haben", versprach mir Enzo mit einem warmen Lächeln und sah über meine Schulter hinweg auf den Taschenberg, den ich vor seiner Eingangstür hinterlassen hatte.
„Mit deinem Gepäck würdest du da draußen sowieso nicht mehr weit kommen", fügte er mit einem schiefen Grinsen hinzu.
„Aber nur, wenn sie wirklich nichts dagegen hat", meinte ich schließlich und versuchte mich an einem kläglichen Lächeln.

Kaum läuft es mit dem Schreiben wieder besser, fängt auch die Schule schon wieder an '-'
Ich hoffe, dass ich trotzdem irgendwie Zeit finden werde, ab und zu an den einzelnen Kapiteln weiter zu arbeiten, wobei ich leider befürchte, dass es bis März ganz schön stressig werden kann :/
Aber wir werden ja sehen, ob ich zwischen all den Prüfungen und den Fahrstunden nicht doch ein paar Sätze zusammenbekommen werde :D

Wie sind eure Ferien verlaufen? (:


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