#4 5
Sobald ich Zuhause war und realisierte, dass niemand da war, gaben meine Beine unter mir nach. Wie konnte alles so schnell aus dem Ruder laufen ?
Es fühlte sich an, als hätten mich die Gefühle erst jetzt abgeschossen, die Realität und der Schmerz der Wahrheit - und das direkt in mein Herz. Nur weil ich wusste, dass das passieren würde und ihm am Arsch vorbeiging, hieß das nicht, dass ich keine Schmerzen empfinden durfte.
Ich rief mir in den Sinn, was dieser Junge möglich gemacht hatte - er hatte Gefühle in mir geweckt und damit meinte ich keine Schmerzen, sondern die einfachen Dinge : Wenn er mich schon ansah, seine Auge mit meinen verhakte, raste mein Herz. Seine Finger sandten Elektrizität durch meinen ganzen Körper und ließen mich erschaudern. Seine Lippen raubten mir die Luft und stoppten die Zeit.
Und das alles war jetzt nicht da. Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit miteinander verbracht. Uns wirklich geliebt. Doch er konnte gut schauspielern während ich ihm jedes Mal ein Stück von meinem Herzen abgerissen hatte. Ich war naiv und blind und dumm und ich hatte meinen Mantel der Isolation abgenommen. Stattdessen war ich ein Sozialist geworden, ging öfters aus dem Haus und redete viel - das wäre für jeden anderen ein Fortschritt gewesen, ein Fortschritt zu einem besseren Menschen.
Aber genau das war passiert - ich wurde verletzt, sobald ich mich öffnete. Ich konnte das nicht wieder tun. Ich musste mich verschließen, meine Gefühle abschalten oder wenigstens vorgeben, dass sie nicht da waren, als würde ich eine Decke auf eine gruselige Puppe auf den Dachboden werfen.
Die Tür erbebte plötzlich unter kräftigen Schlägen und ich stand auf. Ich ging ruhig und langsam die Treppe hoch, als sei ich in Ordnung. Ich war in Ordnung, alles war okay - ich war jetzt wieder alleine. Ganz alleine, ohne jemanden, der mich hielt oder liebte oder küsste, aber das war okay, das war sogar gut. Ich musste mich nur wieder daran gewöhnen.
Ich wischte mir die Tränen weg und knallte die Zimmertür so fest gegen den Rahmen, dass sie zurücksprang und ich sie erneut zuschlagen musste. Mir war nicht einmal bewusst, dass ich gerade so viel Kraft in mir hatte. Das half mir. Wenn der Schmerz erst verschwunden war würde ich noch besser sein als zuvor. Mir würde alles egal sein, so egal wie es noch nie war.
Ich hörte das laute Klopfen noch ungefähr fünf Minuten und atmete erleichtert durch meinen Mund auf. Als der Motor aufheulte und das Auto wegraste, musste ich nicht einmal nachschauen, um zu wissen, dass es Pax war. Was wäre passiert, wenn ich die Tür aufgemacht hätte ? Er hätte sich entweder entschuldigt - was lachhaft war denn ihm tat nie etwas Leid - oder weiter mit mir gestritten weil es ihm irgendwie einen Kick gab.
Ich hätte ihn sofort aufgenommen, weil ich ihn wollte. Natürlich würde ich das. Ich konnte mir das nicht antun, doch wenn er mir einmal sagte, dass er mich liebte oder dass es ihm Leid tat, würde ich nicht zögern. Auch wenn er mich anlügen würde. Aber ich konnte nicht anders. Dieser Typ stellte Dinge mit mir an wie es niemand jemals tun würde.
Aber mich durchströmte eine große Erleichterung - ich war froh, dass es jetzt vorbei war und nicht erst in einer Woche oder noch später. Das hätte mich viel mehr getroffen, vielleicht hätte es mich sogar umgebracht.
Lange lag ich da und überlegte zu viel, bis mein Kopf nur ein Haufen Faden war, die sich verknotet hatten. Oft verwirrte ich mich einfach nur noch mehr. Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte, wobei mein Leben eigentlich wieder normal war. Ich war einige Woche im Himmel und war jetzt in das tiefe Loch der Hölle gefallen, doch ich konnte mich wieder rausbuddeln. Es brauchte nur seine Zeit. Ich fand mich tatsächlich damit ab, dass wir nicht mehr zusammen waren.
Und egal wie oft ich mir das alles einredete, mein Herz schien mit jedem Schlag mehr zu zerfallen. Diesmal wollte ich wirklich sterben und es war nicht normal, diese Tatsache mit Hoffnung und Freude anzusehen. Aber ja, ich freute mich darüber, denn ich wollte raus aus dem Elend, raus aus dieser scheiß Stadt und dem Leben. Konnte ich das überhaupt als Leben bezeichnen ? Es war einfach nur schmerzhaftes Atmen.
Ich drehte mich in meinem Bett und griff zu meinem Buch. Ich fühlte immer noch das Stechen in meinem Herzen und jeder Atemzug war ein weiterer Fehler. Ich war nicht einmal sauer, ich dachte jetzt auch nicht mehr nach. Ich wollte einfach nur sterben und in meinen Tränen ertrinken. Das würde nur gerecht sein für all diese Male.
•°•°•°•°•
Schule war scheiße. Ich sah ihn und konnte nicht anders als innerlich zu zerbrechen, aber ich ließ mein Gesicht neutral und verschleierte meine Augen mit Gleichgültigkeit. Die Hoffnung, dass das gestern nur ein kleiner Moment der ruhigen Irrelevanz war, war zerbrochen, als er mich ansah und denselben kalten Blick wie gestern trug. Ich hatte das Gefühl, als hätten wir unsere Persöhnlichkeiten miteinander getauscht.
"Hi.", lächelte Mona wie üblich und drückte mich an sich. Ich schob mich sofort von ihr weg und lächelte halbherzig.
"Hallo."
"Du siehst müde aus. Bist du krank ?", fragte sie und spielte mit ihrem Zöpfchen. Sie strahlte Gelassenheit aus und beruhigte mich ein wenig, aber es war nur ein kleiner Prozentanteil.
"Ja, glaube schon."
Psychisch. Ich gestehe es mir ein. Ich war krank, vielleicht auch verrückt. Aber es war egal, wie ich eine psychische Krankheit beschrieb - ob ich sie "eingefangen" hatte wie eine Grippe obwohl ich mir nur schwere Lasten und Gefühle zugezogen hatte. Oder ob ich erkrankt war als hätte ich Fieber obwohl mein Kopf und mein Herz einfach zerbrochen waren wie Knochen. - Im Endeffekt war man immer verrückt wenn man innerlich nicht stabil war.
Tatsächlich traute ich nicht nur Pax zu, dass er jemanden töten könnte.
"Oh. Willst du nicht lieber nach Hause ?"
Ihre Hand lag leicht auf meiner Schulter und sie massierte mich mit ihrem Daumen. Ich schüttelte den Kopf.
Wir gingen zusammen in die Klasse. Wir hatten Mathe, und ich war froh, dass ich Mona hatte. Sie war ein Genie und konnte mir helfen. Ich konnte auch alles, wenn ich lernen würde, aber ich war nicht scharf darauf, mir alles in den Kopf zu hämmern. Gerade war ich auch nicht in der Lage dazu.
Jedenfalls brachte es auch garnichts, wenn sie mir versuchte etwas bei zu bringen, weil ich nicht überhaupt nicht zuhörte.
Das was wir hier machten fühlte sich an wie ein aggressiver Leistungskurs, als würden wir hier Sachen für Fortgeschrittene lernen. Doch es gab keine dummen oder schlauen Menschen in Mathe - nur faule und fleißige. Ich mache nur das was ich tatsächlich verstehe.
Alle anderen schrieben von der Tafel ab außer ich, denn ich beschäftigte mich viel lieber mit meinen Zeichnungen und schrieb Worte auf, die mir in den Kopf kamen. Es waren schön geschriebene Worte die keine schöne Bedeutung hatten. Eigentlich bedeuteten sie am Ende doch überhaupt nichts.
Ich blätterte zur nächsten leeren Seite und schrieb artig ab, als sei ich tatsächlich dieses Kind dass alles für ihre Mutte tat nur damit sie am Abend noch eine Geschichte vorgelesen bekommt. Mein Gott, ich war überhaupt nicht mehr normal. Aber das gefiel mir.
Ich lächelte in mich hinein und sagte mir selbst, dass ich nicht verrückt war.
•°•°•°•
In der Mensa war es heute komisch ruhig. Die Ecke in Pax' Nähe redete überhaupt nicht und die Schüler, die mit ihm am Tisch saßen, versuchten Abstand zu halten, während Pax den Kopf fast in das Essen hängen ließ. Fühlte er sich schlecht wegen gestern ? Das hoffte ich. Würde er mit mir reden ? Wahrscheinlich, aber ich brannte nicht darauf ihn überhaupt zu sehen.
Ich stützte mich auf meine Hand und sah ihn an, hoffte, dass er vielleicht den Kopf hob und mich sah. Dass ich trotz allem gekommen war, dass ich klischeehaft sein konnte - Lächeln obwohl ich das nur im Tod oder im Jenseits ernst meinen würde. Dass ich weiter machte. Dass er kein Hinderniss in meinem Leben war. Aber er sah aus, als sei er in einen Tiefschlaf gefallen und ein Typ neben ihm saß in der selben Haltung. Es waren natürlich wieder Drogen, aber ich wusste nicht welche. Es fühlte mich leicht schuldig, als ich eine Schadendreude verspürte - er konnte garnichts ohne seine Drogen verkraften. Aber vielleicht war er nicht wegen mir so tief gefallen. Er war ja irgendwie immer schon so ein Junge gewesen, ich hatte es einfach nur erträglicher gemacht, was auch immer er geheim hielt. Und nur weil wir nicht mehr zusammen waren, hieß das nicht, dass ich aufhören würde, sein Versteck zu finden und seine Geheimnisse zu entdecken.
Letztendlich drehte ich mich doch um und sah zu Mona, die mich verwirrt ansah.
"Was war das denn gerade ?"
"Was?", fragte ich zurück und spießte mein Essen auf.
"Dieser Blick."
"Welcher ?"
"Na..", sie zuckte die Schultern und zog dann eine merkwürdige Grimasse. "So."
"Wenn ich so aussehe musst du mich zum Schönheitschirurgen bringen."
Sie lächelte leicht und sah dann kurz in Pax' Richtung. Ihr Lächeln schwankte.
"Habt ihr Streit ?", fragte sie dann und stopfte sich anschließend Salat in den Mund.
"Nein.", schüttelte ich meinen Kopf monoton.
"Wieso ist er dann so abgefuckt ?"
Ich zuckte die Schultern und gewährte mir wieder einen Blick in seine Richtung. "Du weißt doch, wie er ist. Er redet nicht mit mir darüber."
Mona stocherte nachdenklich in ihrem Essen und legte dann lustlos die Gabel beiseite.
Kurz dachte ich, sie will irgendetwas erwidern, weil sie den Mund öffnete. Doch ich bemerkte, dass sie nach Luft rang und hustete.
Ich stand auf und legte meine Hände auf ihre Schultern.
"Schon okay.", meinte sie heiser. "Mir ist einfach nur schlecht. Dieses scheiß Schulessen."
Ich setzte mich wieder neben sie und betrachtete ihr blasses Gesicht. Sie sah plötzlich erschöpft aus, als könnte sie sixh kaum bewegen.
"Dir war noch nie schlecht von dem Salat.", bemerkte ich.
Sie zuckte die Schultern. "Vielleicht haben die versehentlich irgendwas dazu gemischt. Die passen ja sowieso nicht auf."
Ich biss mir auf die Lippe und wurde skeptisch. Ihr Blick war leer, aber ihre Haltung war angespannt, als sie mich ansah. Sie wusste, was ich dachte.
"Nein, Wioleth. Das kann garnicht sein.", flüsterte sie leise.
"Hast du deine Tage ?", fragte ich und machte ein unschuldiges Gesicht. Sie zog eine schmerzhafte Grimasse.
"Nein, ich sollte die erst... Ich hätte sie vor einer Woche bekommen sollen. Aber vielleicht kommen sie später, das passiert doch oft, oder ?"
Ich schwieg sie einfach an.
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