#0 3
Seine Augen waren so verdammt dunkel. Mein ganzer Kopf war plötzlich leer von allen Gedanken, es gab nur noch ihn.
Er sah fies aus, doch das lockte mich nur noch mehr zu ihm. Jedoch lief ich einfach hinter Mona her und versuchte zu widerstehen. Ich wollte ihn so gerne näher sehen. Ich konnte nur von hier aus sehen, dass seine Haare schwarz waren und seine Augen dunkel waren. Sein Outfit war von oben bis unten schwarz und er trug Doc Martens. Eine Jacke schien er für nicht nötig zu halten, weshalb er auch nur mit einem Pullover rumlief, als sei es nicht minus tausend Grad. Ich konnte den Umriss seiner Muskeln in dem Pulli sehen, und mein Herz flatterte leicht, obwohl ich ihn nicht nackt gesehen hatte. Noch nicht.
"Oh Gott, Wioleth.", murmelte Mona. "Beeil dich."
Es wunderte mich, dass Mona so mit mir sprach, weil es niemand tat. Vorallem kannte ich sie nicht einmal richtig.
Ich sah nochmal über meine Schulter, doch der attraktive Teufel war schon mit anderen Leuten beschäftigt. Was war bloß an dem, was mir so ein komisches Gefühl gab ? Lag es nur daran, dass er so heiß war ? Denn mein Blut kochte für einen kurzen Moment, als sich unsere Augen erneut trafen, doch diesmal sah er mich abwesend an, so als würde er seinen Blick durch die Menge gleiten lassen.
Er sah aus wie ein Arschloch.
"Wo haben wir Geschichte ?", fragte Mona.
"In welcher Klasse seid ihr denn ?"
Sie zog ihren zerknüllten Stundenplan aus ihrer Jeans. "10J8", meinte sie überfordert.
"Was für ein Zufall, du bist in meiner Klasse.", sagte ich halbherzig.
Mona grinste. "Gott sei Dank.", atmete sie erleichtert ein. "Zufällig hasse ich alle Menschen hier außer dich."
Brandon hatte seine Hände in die Jeans geschoben. "Ich bin in der 10J5, das heißt dann wohl bye."
Mona umarmte ihren Bruder fest. "Wir haben den Kunstkurs zusammen. Also mach dir nichts draus."
Brandon küsste Mona auf die Haare. Ih. Geschwisterliebe. "Gut, ich gehe jetzt mal fragen. Wir sehen uns.", meinte er und schenkte mir noch ein süßes Lächeln.
Mir wurde schlecht. Diese Freundlichkeit.
"Keine Sorge, Wioleth. Er ist schwul.", lächelte Mona und stubste mich an. "Du kannst deine Gefühle schlecht verbergen."
"Ich habe keine Gefühle."
•°•°•°•°
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Dass Brandon schwul war, war für mich irgendwie eine befreiende Nachricht. Wahrscheinlich weil ich dachte, dass er sich an mich ranmachen wollte.
Unsere stinkende Lehrerin forderte ein paar neue Schüler auf, sich vorzustellen. Mona schien sich zu freuen, dass sie neben mir saß. "Ein ganz neues Leben."
Ich kannte das von früher, dass ich gerne Schulsachen einkaufen war. Total organisiert war. Und jetzt hatte ich nur meine Collegeblöcke und drei Stifte.
Mona stellte sich knapp als Mona Tavish vor und setzte sich hastig wieder, damit sie niemand ansah. Ich konnte das nur zu gut verstehen.
Das Schuljahr begann angenehm. Wir durften in der Stunde ein Wörterrätsel zu dem Geschichtsthema lösen, als seien wir Kleinkinder. Wobei mir das doch sehr gefiel.
Die ersten zehn Minuten vergingen ruhig, als ein kräftiges Klopfen die Tür erschütterte. Ich zuckte wieder einmal, mein Knie gegen den Tisch. Meine Zähne bohrten sich vor Ärger in meine Unterlippe.
Eigentlich hätte es mich nicht so überraschen sollen, es war ein Klischee in jedem Film. Doch es war der schwarzhaarige Kerl, der von der Seite noch besser aussah. Wenn das überhaupt möglich war.
Sein Kiefer hätte locker Metall durchschneiden können und seine Nase war geschwungen, fast perfekt, doch er hatte einen kleinen Buckel, den man beinahe übersehen könnte.
"Entschuldigung für die Verspätung Mrs..."
"Mrs. Klein. Sie wissen, dass es keinen guten Eindruck macht, am ersten Schultag zu spät zu kommen."
"Ich bitte um Verständnis, Mrs. Klein. Doch ein Mann hat auch seine Bedürfnisse.", sagte er mit seiner rauen Stimme. Die Klasse lachte, obwohl es garnicht witzig war. Die Jungs lachten teilweise auch garnicht.
Mir war bewusst, dass alle Mädchen verzaubert sein mussten. Mona sah ihn wie eine Eule an und einige Mädchen sabberten schon.
"Sparen Sie sich ihre Witze. Setzen Sie sich bitte hier vorne hin."
Attraktiv seufzend setzte sich der Schwarzhaarige und ließ seinen Rucksack auf den Boden plumpsen.
"Das war kein Witz."
Mrs. Klein erwiderte nichts darauf, doch ich konnte ihre Ungeduld ansehen. "Sie wollen mich nicht wütend erleben, junger Mann.", sagte sie dann nur.
Die ganze Stunde sprachen wir über den zweiten Weltkrieg, als hätten wir nicht schon tausende Male darüber geredet. Was war daran so wichtig ? Es ist passiert. Was würde dieses Wissen daran ändern?
Als ob danach Weltfrieden herrschen würde, wenn jeder Mensch jedes Detail darüber wusste.
Meine Hände zitterten die ganze Stunde über, aber es war kein Parkinson-Zittern. So schlimm war es jetzt auch nicht.
Ich konnte mich glücklich schätzen, da es hätte schlimmer sein können. Aber es könnte auch besser sein.
•°•°•°•°•
Ich hatte keinen Hunger. Das Einzige, was ich essen konnte, war Salat, doch der war widerlich. Vielleicht ging ich rüber zum Bäcker und Mona würde bestimmt mit mir kommen.
Wir saßen in der Mensa, und ich machte ihr den Vorschlag, doch sie schüttelte nur ihren Kopf. "Ich kann Brandon hier nicht alleine lassen."
"Er kann doch mitkommen."
"Er würde niemals gegen Schulregeln verstoßen, glaub mir."
"Dann gehe ich eben alleine."
"Bring mir was mit."
Ich stand schon auf.
"Nein. Du kannst deinen Arsch selbst bewegen."
Mona öffnete ihren Mund und schloss ihn dann wieder. "Na schön. Ich komme nach, falls ich Brandon überreden kann."
Ich ging raus an die frische Luft und merkte erst jetzt, wie warm mir die ganze Zeit war. Der leichte Wind tat gut und kühlte meinen Hals.
Ich vermisste mein Auto. Es war leider kaputt gegangen, als ich einen kleinen Unfall hatte. Natürlich wurde ich nicht verletzt, aber ich bedauerte es sehr, dass ich meine Schrottkarre nicht mehr hatte.
Laufen war so anstrengend. Damals hatte ich mein Auto gehasst, aber es hieß ja, dass man erst etwas schätzte, wenn es nicht mehr da war.
Es waren nur drei Minuten bis zum nächsten Bäcker, das hätte ich Mona sagen müssen. Vielleicht wäre Brandon dann mitgekommen. Wo steckte der überhaupt immer ?
Aber es interessierte mich garnicht. Wo steckte der schwarzhaarige Junge ?
In der Mensa hatte ich ihn jedenfalls nicht gesehen, und irgendwie hoffte ich, dass er auch zum Bäcker gegangen war. Gleichzeitig hatte ich aber irgendwie Angst. Was, wenn er mich ansprach ? Wenn ich gezwungen war, mit ihm zu reden ? Ich konnte nicht gut mit Jungs umgehen. Brandon war okay, weil er Mona's Bruder war und trotzdem hatte ich in seiner Nähe diese Angstgefühle.
Ich hatte mir oft versucht klarzumachen, dass nicht alle Typen gerne Menschen misshandeln, vorallem nicht in der Schule, wo es jeder sehen konnte. Aber ich konnte das nicht abschalten. Das Traurige war ja, dass mein Vergewaltiger immer noch nicht gefunden worden war. Nach vier Jahren. Fast glaubte ich, dass mich sogar die Polizei hasste und mir nicht helfen wollte.
In den ganzen Jahren hatte ich Berichte bekommen, vermutliche Täter die es aber am Ende doch nicht waren. Sie hätten gern jeden davon umbringen können, das hätte nichts daran geändert. Man fühlte sich nicht besser, wenn der Täter gefangen wurde oder sogar getötet wurde. Das, was passiert war, konnte man nicht rückgängig machen.
Ich war schon so vertieft in meinen Gedanken, dass ich beinahe an der Bäckerei vorbeigelaufen wäre.
Die Frau hinter der Theke sah zum Kotzen glücklich und energiegeladen aus.
Ich holte mir mein Brötchen und einen Kaffee, und ging dann wieder. Ich fühlte mich betrübt. Aber wann tat ich das nicht ?
Mein Kopf war plötzlich wieder so voll, aber man musste bedenken, dass Gedanken nie wirklich weg waren.
Ich meinte, Schritte zu hören. Womöglich war ich aber nur paranoid, so wie ich es immer war.
Kein Wunder, wenn man sich gerne auf der dunklen Seite von YouTube rumtrieb.
Aber ich liebte es, gruselige Videos zu gucken. Das Einzige, was mein Herz schneller schlagen ließ.
Wirklich traurig.
Als die Schule wieder in Sicht kam, wusste ich nicht, dass meine Laune noch tiefer sinken konnte. Die Pause dauerte noch zehn Minuten, weshalb ich mich in eine einsame Ecke setzte, wo mich niemand beim Essen sah. Wenn Menschen mir beim Essen zusahen, konnte ich garnicht essen. Ich wollte nicht wissen, wie ich dabei aussah, also sollte es auch niemand anderes wissen.
Die Stunden zogen sich endlos hin. Mir kam es so vor, als würde die Zeit immer langsamer und langsamer vergehen je näher wir dem Schulschluss kamen. Doch letztendlich, als ich draußen stand, verging die Zeit doch sehr schnell.
Ich sah den schwarzhaarigen Jungen garnicht mehr, nur einmal in der Menge, doch dann war er schon weg. Ich sollte ihn nicht so stalken oder über ihn nachdenken. Er hatte wahrscheinlich keine Erinnerung daran mich jemals angesehen zu haben.
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