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„Wen haben wir denn da?" Ich kannte und hasste die Stimme, die mich aus meinem friedlichen Schlaf riss. An den hämmernden Kopfschmerzen, die einsetzten als ich die Augen öffnete, erkannte ich sofort, dass das Ganze kein Traum war, sondern die beschissene Realität. Beim Schlafen war mir ein Kopfhörer aus dem Ohr gefallen, der andere war stumm. Mein Handy musste ausgegangen sein, während ich geschlafen hatten.
Mühsam richtete ich mich ein wenig auf, mein Rücken schmerzte. Vor mir standen John und seine Meute. Ich wusste nicht, wie spät es war, es war stockdunkel. Aber das hieß nichts. Es wurde sowieso erst um acht Uhr hell.
„Was willst du?", brachte ich hervor, während ich mit einigen tiefen Atemzügen die aufkeimende Übelkeit zu vertreiben versuchte.
„Hört ihr das, Jungs?", fragte John in die Runde. „Ich glaube die kleine Schwuchtel hat gesoffen." Einer seiner Kollegen trat vor und hob die leere Vodkaflasche auf, die neben mir im Gras lag. Grinsend warf er sie John zu, der sie aus der Luft auffing und anschließend in seiner Hand hin und her drehte. „Sieh mal an, so einer bist du also. Hätte ich einer Pussy wie dir gar nicht zugetraut eine ganze Flasche leerzusaufen." Er lachte und warf mir das Glas ins Gesicht. Ich konnte nicht schnell genug reagieren, so traf die Flasche mich mit voller Wucht an der Augenbraue. Der pochende Schmerz, der mein Denken überschattete, verstärkte sich.
„Könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?", murmelte ich kraftlos. Die Worte kamen schwer über meine Lippen, meine taube Zunge fühlte sich an als klebe sie an meinem Gaumen fest.
„Lass mich kurz nachdenken ... Nein!", erwiderte John und seine Kumpanen grölten los.
„Wichser", murmelte ich ohne mir dessen wirklich bewusst zu sein. Schlagartig wurde es still.
„Was hast du gesagt?", fragte John mit plötzlich ganz ruhiger Stimme. Er wollte gefährlich klingen, aber das war mir egal. Im Moment klang er in meinen Ohren einfach lächerlich.
„Wichser", wiederholte ich, obwohl irgendwas in mir sich dagegen wehrte. Vielleicht mein Verstand, aber mein Gehirn war zu vernebelt und der Kopfschmerz ließ keinen klaren Gedanken zu. Ich spürte, wie John mich am Kragen packte und hochzog. Die Welt begann sich zu drehen, Bäume und Himmel verschmolzen zu einer schwarzen, wirbelnden Masse. In meinem Mund machte sich ein säuerlicher Geschmack breit und ehe ich etwas dagegen tun konnte, schoss ein Schwall Magensäure aus mir heraus direkt in Johns Gesicht. Er begann zu schreien und stieß mich von sich weg. Ich taumelte gegen das Brückenkalender, schaffte es irgendwie mich festzuklammern und beugte mich vornüber, während mein restlicher Mageninhalt sich vor meinen Füßen auf dem Boden verteilte.
„Du verdammter Hurensohn!", hörte ich John zwischen meinen Würgegeräuschen brüllen. Es war mir egal. „Dafür wirst du bezahlen!" Schritte entfernten sich und bald war ich wieder allein.
Ich brauchte lange für den Weg nach Hause. Ich torkelte so stark, dass ich ab und an eine Pause machen und mich an Hauswänden abstützen musste um nicht zu Boden zu fallen. Die grässlichen Kopfschmerzen ließen mich nur langsam laufen und ich wollte einfach in mein Bett und schlafen. Einfach meine Ruhe. Doch die sollte mir nicht vergönnt sein.
Kaum hatte ich Zuhause die Wohnungstür aufgeschlossen, kam meine Mutter schon angelaufen.
„Wo zum Teufel kommst du her?", kreischte sie in einer grässlichen Stimmlage. Ich presste mir die Hände auf die Ohren und verzog das Gesicht.
„Schrei doch nicht so", bat ich sie leise, während ich langsam die Tür hinter mir schloss.
„Bist du betrunken?", kreischte sie weiter, als habe sie mich gar nicht gehört. Polternde Schritte näherten sich aus dem Wohnzimmer, in dem ich den Fernseher hören konnte.
„Was ist hier los?", brüllte Kurt noch lauter als meine Mutter. Ich presste die Hände noch fester auf meine Ohren. Konnten sie nicht einfach weggehen und sich so wenig für mich interessieren wie sonst auch immer?
„David ist gerade nach Hause gekommen und ist besoffen", klärte meine Mutter ihn auf. Na super. Innerlich bereitete ich mich vor auf das, was gleich unweigerlich folgen würde.
„Wie bitte?", polterte Kurt. „Wo gibt's denn sowas? Mit dir hat man immer nur Ärger, aber jetzt reicht's. Raus!" Ich brauchte einen Moment um zu realisieren, was Kurt gerade gesagt hatte.
„Was?", fragte ich perplex.
„Raus!", wiederholte Kurt und kam mit erhobener Hand einen Schritt auf mich zu. Mein Blick wanderte langsam zu meiner Mutter rüber. Jetzt wäre der Zeitpunkt für sie einzugreifen. Etwas zu sagen, mich in Schutz zu nehmen und Kurt klar zu machen, dass er mich nicht einfach raus werfen konnte. Aber sie tat und sagte nichts. Sie stand einfach nur da, mit einem unentschlossenen Gesichtsausdruck. Sie wich meinen Blick aus.
„Mama?", fragte ich fassungslos. Kurt antwortete an ihrer Stelle.
„Du hast deiner Mutter bereits genug Sorgen verursacht. Jetzt verzieh dich!" Er griff an mir vorbei, öffnete unsere Wohnungstür und schubste mich auf den Flur. Ich konnte mein Gleichgewicht nicht halten, stolperte und ging zu Boden. Von dort sah ich, wie Kurt die Tür zuschlug. Dann war es still. Ich blieb eine ganze Weile auf den kalten Fliesen sitzen, aber die Tür blieb verschlossen.
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