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Ich konnte es nicht. Es ging einfach nicht. Ich war zu feige. Zu feige dafür, dem ganzen Elend ein Ende zu setzen. Ja, ich war wirklich der größte Loser überhaupt.
Mit gesenktem Kopf schlich ich von den Schienen weg in Richtung Schule. Ich kickte ein paar kleine Steinchen zur Seite und vergrub die Hände in den Hosentaschen, während mein Rucksack schwer auf meiner einen Schulter hing. Es hatte keinen Sinn dagegen anzukämpfen. Ich musste den Mist einfach noch drei Jahre über mich ergehen lassen. Sobald ich mit der Schule fertig war und eine Ausbildung hatte, würde ich ausziehen. Weg von meiner Mutter und Kurt. Vielleicht würde dann alles besser werden, hoffte ich. Vielleicht aber auch nicht, bemerkte eine fiese Stimme in meinem Hinterkopf. Wer sagte denn, dass auf der Ausbildungsstelle und in der Berufsschule nicht alles von vorne losging? Wer sagte, dass ich überhaupt so viel verdienen würde, mir eine eigene Wohnung leisten zu können? Eigentlich war es aussichtslos. Wahrscheinlich würde es nicht besser werden. Sondern schlimmer.
In Gedanken versunken lief ich zur Schule und kam gerade rechtzeitig an. Meine Nase pochte schmerzhaft und ich bezweifelte noch immer, dass die Verletzung nicht so schlimm war. Was auch immer. Ich ging mit gesenktem Blick zu meinem Tisch und versuchte die Ausrufe meiner Mitschüler zu ignorieren. Einige blieben bei den altbekannten Sprüchen, andere machten sich über meine geschwollene Nase und das blaue Auge lustig. Andere tuschelten. Keiner fragte, was passiert war oder wie ich mich fühlte. Für einen kurzen Moment glitt mein Blick ans andere Ende des Klassenraums hinüber, wo Nadja saß. Früher meine beste Freundin. Jetzt lief sie unter meinem Blick rot an und blickte beschämt zur Seite, nur um dann über den Witz einer ihrer Freundinnen zu lachen, der offensichtlich auf mein Konto gegangen war. Herzlichen Dank, Nadja. Sie war kein Stück besser als Lars. Im Gegenteil. Während er noch die Eier gehabt hatte, mir zu sagen, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, hatte Nadja einfach angefangen mich zu ignorieren. Sie hatte weder auf meine Nachrichten noch auf meine Anrufe reagiert, hatte mich morgens nicht mehr begrüßt und so getan als sehe sie mich gar nicht.
Zusammen mit unserer Geschichtslehrerin kam ein Junge in die Klasse, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Er war groß und hatte verwachsenes schwarzes Haar. Er sah älter aus als die Idioten in meiner Stufe. Auf seinem Gesicht ruhte ein unsicheres Lächeln. Auch wenn ich zugeben musste, dass dieser Typ mir wirklich gefiel, verbannte ich diesen Gedanken sofort wieder. Ich sollte lieber aufpassen mir nicht noch einen neuen Feind zu machen. Aber wahrscheinlich würde der Neue sofort darüber aufgeklärt werden, dass ich das Opfer der Stufe war, die Schwuchtel, und er besser bei dem ganzen Mobbing mitmachte, wenn er nicht selber aufs Maul bekommen wollte. John kannte da nichts. Also senkte ich schnell meinen Blick bevor der Typ bemerkte, dass ich ihn angestarrt hatte.
„Möchtest du dich kurz vorstellen?", fragte unsere Lehrerin vorne freundlich. Der Neue nickte wahrscheinlich, denn einen Moment später füllte seine wohlklingende Stimme den Raum.
„Hi", sagte er und räusperte sich kurz. Seine Stimme war dunkel und ein wenig rau. „Mein Name ist Robin. Mein Vater wurde versetzt und deswegen sind wir hergezogen." Ich wagte einen kurzen Blick und sah, wie Frau Grembler nickte. Dann deutete sie in meine Richtung und mir wurde bewusst, dass der einzige freie Platz im Raum der neben mir war. Mein herzliches Beileid, Robin. Das war kein guter Start für ihn. Mir gefiel die Vorstellung einen Sitznachbarn zu kriegen eigentlich recht gut. Vor allem, wenn es sich um jemand so gut aussehendes wie Robin handelte. Aber da er nur der nächste war, der mein Leben zur Hölle machen würde, könnte ich dankend darauf verzichten.
Robin setzte sich neben mich und verhaltenes Lachen war in den Reihen zu hören. Frau Grembler begann vorne zu sprechen, keine Ahnung worüber. Angespannt wartete ich darauf, dass John etwas sagte. Lange ließ er nicht darauf warten.
„He Neuer", zischte er und ich hörte, wie er sich über den Tisch nach vorne beugte. Robin neben mir drehte sich zu ihm um. „'nen scheiß Platz hast du da erwischt." Ich spürte wie Robin mir einen Blick zuwarf und biss die Zähne zusammen.
„Wieso?", flüsterte Robin zurück. John kicherte fies.
„Die Schwuchtel ist das größte Opfer der Schule. Mit dem sollte man sich besser nicht sehen lassen, wenn man etwas auf sich hält." Robin stimmte nicht in sein Lachen ein.
„Danke für den Hinweis", sagte er nur und drehte sich wieder nach vorne. Ich wusste nicht, was ich von dieser Reaktion halten sollte. John wohl auch nicht, denn ihm fehlten tatsächlich die Worte.
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