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Ein lautes Klirren aus der Küche riss mich aus dem Schlaf. Wütendes Kreischen folgte, dann knallte eine Tür zu und erneut schepperte es lautstark.

Meine Mutter hatte sich mal wieder mit ihrem Kerl in die Haare bekommen. Das war keine Besonderheit. Seufzend drehte ich mich um und warf einen Blick auf den Wecker, der auf meinem Nachttisch stand. 6:07 Uhr. Die roten Zahlen leuchteten schwach in der Dunkelheit. Noch zwanzig Minuten bis ich aufstehen musste. Ich drehte mich zurück auf die andere Seite und zog mir die Decke über den Kopf. Noch zwei Stunden bis der Horror losging. Am liebsten würde ich einfach in meinem Bett bleiben, aber meine Mutter wäre damit gar nicht einverstanden. Auf den Stress mit ihr hatte ich genauso wenig Lust, besonders bei der Laune die sie jetzt hatte. Wenn ihr Kerl, Kurt, in ein paar Stunden zurückkam, war es ohnehin besser, wenn ich nicht Zuhause war.

Um viertel vor Sieben quälte ich mich aus dem Bett. Eine Viertelstunde zu spät, super. Eilig sprang ich unter die Dusche und zog danach eins meiner Bandshirts an. Eigentlich trug ich nur Bandshirts. Ich schnappte mir meine Schultasche und lief dann schnell an der Küche vorbei in der Hoffnung, dass meine Mutter mich nicht sah. Lieber verzichtete ich auf das Frühstück als ihr zu begegnen, wenn sie sich mal wieder mit Kurt gestritten hatte.

„David!", kreischte sie, als ich gerade an der Küchentür vorbei war. Verdammt. „Komm her und räum die Scherben weg, damit deine Mutter sich nicht dran schneidet!"

„Ich muss den Bus kriegen!", gab ich zurück, während ich mir die Schuhe anzog. Meine Mutter trat in die Küchentür und strafte mich mit ihren Blicken. Die Hände hatte sie in die Hüften gestemmt und ihr krauses blondes Haar stand wild in alle Richtungen. An den schwarzen Spuren in ihrem Gesicht konnte ich sehen, dass sie geweint hatte. „Ist ja gut", murmelte ich also und schob mich an ihr vorbei. Schnell griff ich mir die Kehrschaufel, fegte die Teile der zersprungenen Tassen und Teller zusammen und wischte dann den verschütteten Kaffee auf. Ich fluchte, als ich mich an einer Scherbe schnitt.

„Pass doch auf", meckerte meine Mutter sofort. Sie saß mit qualmender Zigarette am Küchentisch und musterte mich abschätzig. „Nichts kannst du."

„Tut mir Leid", murmelte ich ohne es zu meinen, räumte den Lappen weg und klebte mir schnell ein Pflaster auf den blutenden Schnitt, bevor ich meine Jacke überwarf und mit meinem Rucksack über einer Schulter die Wohnung verließ. Meine Mutter wünschte mir keinen schönen Tag oder sagte, ich solle auf mich aufpassen. Das tat sie nicht mehr, seit ihr Kerl erfahren hatte, dass ich schwul war. Wenn es nach ihm ginge, hätte er mich sofort rausgeworfen. Wenigstens dabei hatte meine Mutter sich quer gestellt.


Der Bus fuhr mir vor der Nase weg, deshalb blieb mir nichts anderes übrig als zur Schule zu laufen, obwohl ich sowieso schon zu spät dran war. Das würde wieder ein gefundenes Fressen für John und seine Kumpanen sein.


Es waren nur noch zehn Minuten bis zum Stundenende, als ich endlich vor meiner Klassentür stand. Ich spürte das altbekannte Ziehen in meiner Magengegend und die Übelkeit, die einen bitteren Geschmack in meinem Mund hinterließ. Jetzt war ich froh am Morgen nichts gefrühstückt zu haben. Ich atmete ein paar Mal tief durch, ehe ich mit zitternder Hand an die Tür klopfte. Als ich sie langsam öffnete, waren die Blicke der gesamten Klasse auf mich gerichtet.

„Wie schön, dass du auch noch auftauchst", begrüßte die Lehrerin mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Kopfschüttelnd notierte sie etwas im Kursbuch, während in der Klasse alle in verhaltenes Gelächter ausbrachen. Die Jungs im hinteren Teil der Klasse redeten miteinander, stießen sich an und zeigten dann auf mich. Die Mädchen sahen mich ganz offen an, während sie miteinander tuschelten und kicherten. Das Blut stieg mir in den Kopf und ich ging eilig mit gesenktem Haupt an meinen Platz in der vorletzten Reihe direkt am Fenster. Genau vor den Typen, die auf mich gezeigt hatten. John und seine Meute.

„Ey, Schwuchtel", begrüßte einer mich lauthals, „Bist du stecken geblieben oder wieso biste zu spät?" John. Die ganze Klasse grölte vor Lachen und ich verbarg mein Gesicht mit der Hand und schaute aus dem Fenster. Es war besser nichts darauf zu erwidern, wenn ich nicht wollte, dass es noch schlimmer wurde.

„Ruhe!", rief die Lehrerin vorne. Ihre einzige Reaktion auf Johns Worte, die sie mit Sicherheit gehört hatte. Etwas anderes war nicht zu erwarten, unsere Lehrer hielten sich gerne aus den Angelegenheiten der Schüler raus. Sie hatten selbst Mühe respektiert zu werden, da waren sie froh, wenn auf anderen Schülern rumgehackt wurde statt auf ihnen.


Ich ignorierte das Getuschel um mich herum und zeichnete hinter vorgehaltenem Arm. So hatte ich wenigstens die restlichen Minuten bis zum Stundenende meine Ruhe. Mit dem Klingeln war das jedoch vorbei. Bevor ich meine Sachen zusammenräumen konnte, fegte John sie auf den dreckigen Boden. Unter dem Gelächter seiner Kollegen zog er meine Zeichnung zwischen den losen Blättern und den verteilen Stiften hervor. Eine Zeichnung von einer hübschen Frau.

„Was soll das denn werden?", brüllte er lachend. „Ich dachte du stehst auf Schwänze?" Seine Kollegen stimmten in sein Lachen mit ein.

„Gib das her", knurrte ich leise und versuchte das Bild aus seiner Hand zu schnappen. Er wedelte damit vor meinem Gesicht herum, zog es aber weg, bevor ich es in die Finger bekam. Dann zerknüllte er es und warf es mir gegen den Kopf.

„Hau rein, du Opfer!", lachte er und stieß noch ein paar Tische beiseite, während er zur Tür hinauslief. Resigniert ließ ich mich auf meinen Stuhl sinken. Noch drei Jahre bis zu meinem Abschluss. Drei verdammte Jahre. Wie sollte ich das nur aushalten? Wie sollte ich noch drei Jahre mit diesen Idioten aushalten? Ich hob das zerknüllte Bild vom Boden auf, faltete es auseinander und strich es glatt. Vor den Sommerferien waren wenigstens noch ein paar Freunde für mich da gewesen, aber in den letzten Wochen hatten sie sich alle von mir abgewandt. Sie schrieben mir nicht mehr zurück, reagierten nicht auf meine Anrufe und taten in der Schule so als sahen sie mich nicht. Herzlichen Dank.

„Was machst du denn noch hier drin?", riss mich ein Lehrer aus den Gedanken. „Und wie sieht's hier überhaupt aus? Räum den Müll weg und dann raus mit dir in die Pause." Er zeigte auf meine am Boden liegenden Schulsachen. Ich knüllte das Bild wieder zusammen und warf es ganz unten in meinen Rucksack, ehe ich den Rest hinterher schmiss. Dann rückte ich unter dem strengen Blick des Lehrers die Tische, die John aus dem Weg getreten hatte, wieder zurecht und schlich an ihm vorbei aus dem Klassenraum.


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