Der namenlose Fluch

Das hier ist meine Abgabe zu dem Schreibwettbewerb von -summerprincess-

Das Thema dieser Vorrunde war, eine Geschichte mit dem Genre Fantasy zu schreiben, in dem ein magisches Wesen eine große Rolle spielt. 

Es ist ein bisschen lang geworden, aber ich hoffe, dass diese Geschichte euch gefällt^^  


Einsam saß er auf der Schaukel und ließ seine langen Beine baumeln, während er seinen Gedanken nachhing. Es war ruhig hier und nur der Mond beobachtete ihn. Aber wer sollte auch um diese Uhrzeit unterwegs sein? Es war kurz nach zwei Uhr nachts und dementsprechend kühl. Doch das war ihm egal. Er spürte die Kälte nicht, zumindest nicht diese. Er spürte nur die, die sich wie eine eiserne Faust um sein Herz geschlossen hatte und ihn nun nicht mehr freigeben wollte.

Mittlerweile hatte er sich jedoch an dieses beklemmende Gefühl gewöhnt. So begann es einmal. Er seufzte leise und strich sich durch die dunklen Haare, die mal wieder einen Schnitt gebraucht hätten.

Warum war er nur so töricht gewesen und hatte geglaubt, dass es ihn verschonen würde? Warum war das Gefühl der Hoffnung so drängend und süß in ihm gewesen? Gute Gefühle, wie Hoffnung, Freude oder Zufriedenheit hatte er schon lange nicht mehr verspürt. In seinem Körper kämpften Angst, Wut und Verzweiflung um die Herrschaft.

Er summte eine leise Melodie, drängend und doch sanft. Er liebte sie, denn seine Mutter hatte sie ihm immer vorgesungen, als die Zeiten noch gut waren und Gefühle wie Beklemmung in weiter Ferne gewesen waren. Nun erinnerte er sich nicht mehr an die Gesichter seiner Mutter und seiner Schwester. Es kam ihm wie ein anderes Leben vor, dass er zuletzt mit ihnen gelacht und gescherzt hatte.

Warum waren sie ihm genommen worden? Warum waren sie so viel schwächer als er gewesen? Sie hatten ihm nicht lange widerstehen können. Tränen flossen aus seinen Augen. In den letzten Wochen hatte er so viel geweint, dass er sich hasste. Er fand sich schwach. So unendlich schwach. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Wangen und unterdrückte ein Schluchzen. Es wurde immer schlimmer und er kam nicht damit klar.

Sie waren doch noch so jung gewesen. Sowohl seine Mutter, die mit Mitte vierzig gestorben war, als auch seine Schwester, die mit vierzehn diese Welt verlassen hatte. Er war gerade mal Anfang zwanzig, als ihn sein Schicksal ereilt hatte.

Ein nicht vermeintliches Schicksal, welches ihn so unglaublich quälte. Deshalb die Tränen. Sie galten nicht nur seiner Mutter und seiner Schwester, sondern auch ihm selbst.

Langsam erhob er sich und streckte seinen anmutigen Körper. Es war Zeit, zu gehen. Schließlich musste er am nächsten Morgen zum Studium. Nicht, dass er es noch nötig hatte, aber er brauchte dieses bisschen Ablenkung. Leon würde sich sonst fragen, warum er nicht kam.

Er joggte los. Am Anfang waren seine Bewegungen noch ungelenk, doch bald fand er einen gleichmäßigen Rhythmus und lief schneller, ohne auch nur außer Atem zu geraten.

Es dauerte nicht so lange, wie er vermutet hatte, bis er an seiner kleinen Wohnung ankam. Sie lag im schäbigsten Stadtviertel und umschloss zwei kleine Zimmer. Das reichte ihm jedoch völlig. Schnell schloss er die Tür auf und ging zielstrebig in Richtung Bett. Er sollte versuchen, zumindest diese Nacht ein wenig Schlaf zu finden. So, wie er war, machte er es sich bequem und schloss die Augen.

Als er sie wieder öffnete, war es dämmrig. Er hatte drei Stunden geschlafen, aber es war besser als nichts. Immerhin war die Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten, wie er erwartet hatte. Bei seiner Mutter und seiner Schwester war es schneller gegangen. Innerhalb von fünf Wochen waren sie gestorben, auf die grausamste Art und Weise, die man sich nur vorstellen konnte.

Ihn schüttelte es bei dem Gedanken. Dann fiel ihm ein, welcher Tag heute war und ein Lächeln zog sich über sein Gesicht. Nur ein kleines, aber immerhin ein Lächeln. Er kramte sich neue Sachen heraus, einen Pullover und eine Jeans. Alles war schwarz. Er beschloss, noch zu duschen und tat dies.

Als er frisch geduscht aus der Dusche trat, warf er einen kurzen Blick in den Spiegel. Dadurch, dass er die Nächte fürchtete und Angst vor Alpträumen hatte, lagen unter seinen Augen tiefe Schatten. Er war dünner, als gut für ihn war, doch er konnte seit Wochen nicht mehr ordentlich essen. Jedes Mal, wenn er etwas Leckeres ansah, schnürte sich sein Hals zu und er bekam keinen Bissen herunter. Außerdem würde ihn bald sein Schicksal ereilen, also wäre kein Essen jetzt nicht der Untergang.

Außerdem waren da noch die Narben, die seine Unterarme und Oberschenkel bedeckten. Es war ein weißes, dichtes Geflecht. Er hatte angefangen, sich zu ritzen, als der Fluch ihm seine Mutter und seine Schwester genommen hatte. Häufig hatte er auch schon überlegt, ob der Tod eine Lösung darstellte. Einmal hatte er es schon probiert, war aber irgendwie gescheitert. Vielleicht lag das am Fluch. Er hinderte den Betroffenen daran, vor Ablauf der Frist zu sterben.

Manche würden es als Segen sehen, nicht sterben zu können, doch für ihn war es mehr als ein Fluch. Wieder andere würden ihn für ein magisches Wesen halten, eines, das er ja auch war, zumindest indirekt. Er würde sich in einen Dämon verwandeln. Nur war es so, dass Menschen diese Verwandlung nicht überlebten. Es galt als ein Fluch, wenn man sich langsam und qualvoll in einen Dämon verwandelte und anschließend starb.

Wieder andere waren neidisch. Während sich die Verwandlung vollzog erhielt der Verfluchte besondere Fähigkeiten. Doch der Preis dafür waren ein verdammt kurzes Leben und am Ende nicht mehr als heftige Schmerzen, die einen innerlich verbrannten. So war es bei seiner Mutter und seiner Schwester gewesen. Sie hatten keine Chance gehabt und wurden langsam ausgehöhlt. Am Ende hatten sie darum gefleht, erlöst zu werden. Nacht für Nacht hatte er ihre grausamen Schreie gehört und wach im Bett gelegen. Bis endlich die Erlösung eingetroffen war und er sie hatte beerdigen müssen.

Seitdem hatte der Fluch auch ihn erreicht. Er widerstand ihm nun schon so viel länger, als seine Mutter und seine Schwester es geschafft hatten. Er trocknete seine Haare und zog sich die frischen Sachen an.

Er studierte Germanistik. Es war schon immer sein Traum gewesen, ein großer Autor zu werden, doch das konnte er jetzt wohl knicken. Wäre ihm der Fluch nicht dazwischengekommen, wäre seine Familie jetzt nicht unter der Erde, dann hätte er diesen Traum verwirklicht.

Sein Studium war die einzige Sache, die ihm noch Freude machte. Es ließ ihn aus seinem Teufelskreis entkommen und half ihm, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als den Fluch. Er lächelte traurig und wandte sich vom Spiegel ab.

Er packte seine wenigen Sachen, die er fürs Studium brauchte und versuchte sogar, eine Kleinigkeit zu essen, aber er bekam wie immer keinen Bissen hinunter. Seufzend machte er sich auf den Weg zur Uni.

Er lief, wie immer und genoss die Stadt, die gerade aufwachte. Überall um ihn herum wuselten Männer, Frauen und Kinder herum, die sich auf den Weg zur Arbeit oder in die Schule machten. Die träge Stille der Nacht war verschwunden und überall nahm er verschiedenste Gerüche und Geräusche wahr. Noch eine Sache, weshalb er die Nacht lieber mochte. Dort war es still, gab viel weniger Gerüche und Geräusche als am Tag. Durch den Fluch nahm er alles um ihn herum viel intensiver wahr. Manche würden es als Segen betrachten, doch für ihn war es nur ein elendiger Fluch.

Er erreichte die Uni eine halbe Stunde zu früh und suchte sich eine ruhigere Ecke, in der er ein wenig Zeit überbrücken konnte. Dabei begegnete er Professor Musiak, den er in Literaturgeschichte hatte. Sie behandelten gerade Shakespiere und analysierten seine Werke und Gedichte aufs Genauste. Er mochte Professor Musiak, denn dieser hatte eine interessante Weise, mit ihnen zu arbeiten. Professor Musiak konnte grandios erzählen und er pflegte immer zu sagen: „Nichts, was Sie sagen, ist falsch, wenn Sie es als richtig empfinden."

Er musste unwillkürlich lächeln. Genau in diesem Moment hob Professor Musiak den Kopf und blickte ihn aus seinen netten Augen an. Er kam rasch näher. „Ankou, wie geht es dir heute?" Ihm entging aber auch nichts. Ankou seufzte. „Gut. Und Ihnen, Professor?", stellte er rasche eine Gegenfrage. „Auch sehr gut, danke. Soll ich dir schon verraten, was wir heute machen?" Ankou legte kurz den Kopf schief. Was sollte er antworten? Wollte er wissen, was sie heute behandeln würden? Doch Professor Musiak kam ihm zuvor, indem er selbst schnell antwortete: „Heute und in den nächsten drei Wochen analysieren wir Gedichte. Das Ziel wird sein, am Ende selbst eines zu verfassen."

Er nickte. Das klang nach einem spannenden Thema. Professor Musiak sah auf seine Armbanduhr und erschrak. „Jetzt muss ich mich aber beeilen, ich wollte noch etwas vorbereiten. Entschuldige mich, Ankou." Flüchtig lächelte ihn der Professor an, dann verschwand Musiak um die nächste Ecke.

Er grübelte. Ein Gedicht. In seinem Kopf bildete sich eine Idee, eine Idee, mit der er sich von dieser Welt verabschieden könnte. Denn gehen würde er ohnehin. Jetzt blieb nur die Frage, wann. Würde er in drei Wochen noch leben? Konnte er dem Fluch solange widerstehen?

Leons Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Hey, Kumpel, alles okay? Du hast so abwesend gewirkt." Schnell nickte er. Leon war nur sein Partner fürs Studium, mehr nicht. Er durfte sich nicht zu sehr mit ihm anfreunden, sonst würde es mehr als gefährlich werden. Er wollte nicht, dass Leon traurig über seinen Tod sein würde, deshalb freundete er sich mit niemandem an.

„Gehen wir?", fragte er und Leon nickte zustimmend. Zusammen machten sie sich auf den Weg zu Professor Musiaks Hörsaal.

Gedichte waren wirklich interessant, stellte Ankou fest. Viele Dichter drückten mit ihnen ihre Gefühle aus und versteckten Botschaften in ihnen. Der Plan in seinem Kopf nahm allmählich Gestalt an. Sollte er auch eine Botschaft hinterlassen? Eine Erinnerung an ihn, den Jungen, der durch seine Verwandlung in einen Dämon seine Träume aufgeben musste?

Der Tag in der Uni ging leider viel zu schnell rum, wie er fand. So war das auch die nächsten zwei Wochen. Seine Verwandlung schritt fort, sodass er kaum noch schlief und aß. Er hatte häufiger Schmerzen im ganzen Körper, äußerlich war jedoch nichts zu sehen. Langsam und qualvoll ging die Verwandlung voran und bald fragte er sich nur noch, wieso er nicht schon tot sein konnte. Er hatte Mitleid mit seiner Mutter und seiner Schwester, die das auch durchmachen mussten und letzten Endes doch versagt hatten.

Auch er würde versagen, dass merkte er in jeder Faser seines verrottenden Körpers. Jeden Tag fiel es ihm schwer, aufzustehen, jeden Tag riefen Stimmen in ihm, er solle liegen bleiben und trotzdem tat er es nicht.

Das Studium war ihm so wichtig, dass er aufstand, solange er noch konnte, bis ihn der Fluch ans Bett gefesselt hatte. Leon und seinen Mitschüler hatte er nichts von dem Fluch erzählt, im Gegenteil. Er spielte ihnen vor, es ginge ihm gut und er lebe weiterhin mit seiner Mutter und seiner Schwester in einem Haus.

Jeden Tag fiel es ihm schwerer, aufzustehen und die ganz alltäglichen Dinge zu machen. Kam er von der Uni, fiel er meist todmüde ins Bett. Seine Wohnung war auch dementsprechend schmutzig, seit zwei Wochen hatte er nicht die Kraft und den Willen gehabt, sich um die Sauberkeit zu kümmern.

Das einzige, was er mit Mühe und Not schaffte, waren das Einkaufen und Duschen. Er ernährte sich mittlerweile fast nur noch von Fertiggerichten und Tiefkühlpizza. Ihm fehlte die Zeit und Kraft, etwas Anständiges zu kochen.

Dann waren da noch seine Tiefpunkte – Downs, wie er sie nannte. Häufig, wenn er todmüde von der Uni kam und seine Wohnungstür schloss, überkam ihn die Angst. Angst, sich bald in einen Dämon zu verwandeln und nichts dagegen tun zu können. Angst vor seinem unabwendbaren Schicksal.

Er zitterte schon allein bei dem Gedanken an seine Verwandlung. Krampfhaft klammerte er sich an der Wand fest, versuchte hektisch, zu atmen. Doch die Luft erreichte seine Lungen nicht, egal, wie sehr er sich anstrengte. Sein Sichtfeld wurde immer verschwommener und seine Panik nahm zu.

Seine Hände krallten sich an den Putz, konnten aber keinen Halt finden. Seine Beine sackten weg und er fiel hart auf dem Boden, schlug mit dem Kopf gegen die Wand. Schmerzwellen zuckten durch seinen Körper, ließen ihn aufschreien. Er fasste sich gegen den Kopf. Einen Moment lang sah er nur schwarze Punkte, dann atmete er hastig ein und aus.

Auch nachdem er sich halbwegs beruhigt hatte, saß er immer noch zusammen gekauert an der Wand. Jeder Atemzug schmerzte und erinnerte ihn daran, wie knapp er dem Tod gerade entkommen war. Doch was war das für ein mysteriöser Anfall gewesen?

Er wusste es nicht. Das einzige, was ihm klar war, war, dass seine Verwandlung langsam, aber sicher, voranschritt. Es würde nicht mehr lange dauern und er würde sich von dieser Welt verabschieden müssen. Dabei war er doch noch so jung, hatte so große Träume gehabt.

Tränen flossen seine Wangen hinunter. Leise schluchzend vergrub er das Gesicht in den Händen. Er heulte gedämpft auf, wie ein Tier. Warum hatte es ihn erwischt? Warum nicht jemand anderen?

Warum seine Familie?

Sie waren von einem unglaublich seltenen Fluch heimgesucht worden, einem grausamen Fluch. Er war so grausam, dass Ankou daran zerbrach. Er geriet in eine Finsternis, aus der er nie wieder herauskommen würde. Eine Finsternis, die sein Leben für immer verschlucken würde.

Nach diesem neuen Down legte er sich ins Bett, ohne Schlaf zu finden.

...

Eine Woche danach ging es Ankou nicht wirklich besser. Die Anfälle – Downs – hatten zugenommen und zeigten ihm, dass es aufs Ende zuging. Er würde sterben, das war nicht zu ändern.

Doch es lag in seiner Hand, seine letzten Tage so zu gestalten, wie er wollte.

Im Literaturkurs von Professor Musiak feilte er weiter an seinem Gedicht. Er wollte es fertig bekommen. Sein erstes, einziges Gedicht, das er je im Leben schreiben würde. Er wollte, dass es allen in Erinnerung blieb, dass man ihn und den fürchterlichen Fluch nicht vergaß.

Am Nachmittag raffte er sich auf und besuchte die Gräber seiner Mutter und seiner Schwester. Er brachte ihnen weiße Lilien mit und stand eine ganze Weile schweigend neben ihren Gräbern, während er in Gedanken mit ihnen sprach.

Ach Mutter. Wozu hast du mich geboren, wenn ich doch jetzt schon gehen muss?

Wozu hast du mich genährt, wenn meine Zeit jetzt schon vorbei ist?

Wozu mich erzogen, wenn ich deine Ratschläge nicht nutzen kann?

Warum hast du mir die wichtigen Dinge nicht weitergegeben?

Warum hast du mir nicht gesagt, wie es nach dem Tod weitergeht?

Schwester, unsere Zeit war viel zu kurz.

Ich wollte dir immer sagen, wie sehr ich dich doch liebe und nun ist es zu spät.

Ich habe die Worte zwar auf deinen Grabstein geschrieben, doch es ist nicht dasselbe. Ich hätte es dir gerne persönlich gesagt, dein wunderschönes Lächeln gesehen, mein Engel.

Du warst mein Licht, meine Schöpferkraft.

Seit du weg bist, ist mein Herz leer. Ich habe keine Freude mehr in mir.

Kein Lachen ist in mir erklungen, seit du gestorben bist.

Doch nun, bald werde ich euch folgen. Zusammen werdet ihr auf mich warten und mich in eure Arme schließen.

Das ist die einzige Sache, der einzige Trost. Ihr helft mir, dieses Ende erträglich zu machen, die Schmerzen zu lindern, die mich jeden Tag quälen.

Ihr seid mein Licht, dass am Ende dieses Tunnels auf mich wartet.

Er wischte sich die Tränen von den Wangen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er weinte. Schweigend stand er an ihren Gräbern. Er war ganz in Schwarz gekleidet und der kalte Wind fuhr ihm unter die Haut. Doch das merkte er nicht mehr. Für Ankou zählten nur die Tränen, die er um ihretwillen weinte. Schon wieder war er schwach, so schwach. Aber heute kümmerte ihn das nicht. Heute ließ er den Moment der Schwäche zu.

...

Zwei Tage später befand er sich zum letzten Mal im Kurs von Professor Musiak. Er wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Mittlerweile hatte er pro Tag mindestens drei Downs, die ihn länger außer Gefecht setzten. Die Schmerzen hatten zugenommen, sodass er kaum noch befreit atmen konnte. Leon merkte nun auch, dass etwas mit ihm nicht stimmte, doch er blockte seinen Freund eiskalt ab.

Heute gab er sich besonders viel Mühe. Er wollte, dass Professor Musiak ihn als netten und fleißigen Schüler in Erinnerung behielt – nicht als Dämon.

Auch nachdem es zur Pause geklingelt hatte, saß er immer noch da und feilte an den letzten Zeilen seines Gedichtes.

Als er zufrieden war, packte er seine Sachen zusammen und legte das Gedicht säuberlich verpackt in einem weißen Umschlag auf den Tisch von Professor Musiak.

Dann verließ er den Raum und ging ins Sekretariat, um sich dort abzumelden. „Aber warum, Ankou?", fragte die Sekretärin. „Ich habe keine Lust mehr auf diesen Schei*! Ich breche dieses verdammte Studium ab!" Im Herzen tat es ihm weh, doch er musste es tun.

Nur mit Mühe hielt ihn sein Wille am Leben. Noch heute würde sein Leid beendet werden, dass spürte Ankou tief in sich.

...

Die Tränen flossen stumm über seine Wangen. Er saß wieder auf dem Spielplatz, jenem Ort, an dem es begonnen hatte. Hier würde es enden. Es war Mitternacht, dass hörte er an dem Läuten des Kirchturmes, dass durch die kühle Nacht zu ihm hinüber schallte.

Er schluckte leise. Sein ganzer Körper zitterte, doch nicht vor Kälte. Die Schmerzen quälten ihn so sehr, zerlegten jede Faser seines Körpers, nur, um sie dann schmerzhaft wieder zusammenzupressen.

Ein leises Stöhnen drang über seine Lippen, als sein Körper sich dehnte. Er stand auf und lief davon, solange, wie ihn seine Beine noch trugen. Er musste weglaufen, die anderen in Sicherheit bringen. Wenn er sich erstmal in einen Dämon verwandelt hatte, konnte er fremde Menschen gefährden, ohne, dass er es mitbekam. Er verlor seine Seele, sein Bewusstsein und konnte nichts mehr kontrollieren, was sein Körper dann machte.

Er taumelte durch die menschenleere Stadt. Ihm wurde so schlecht, dass er seine Hand auf seinen Mund presste. Er würgte, taumelte aber trotzdem weiter. Mit dem Tod seiner Seele war sein Leben vorbei und in den letzten Sekunden, die ihm als Mensch blieben, wollte er etwas Gutes bewirken.

Er übergab sich in eine dunkle Gasse, nicht weit von seiner Wohnung entfernt. Ihm war schlecht und sein ganzer Körper schien in Flammen zu stehen. Trotzdem taumelte er weiter, erreichte seine Wohnung.

Mit zitternden Händen griff er nach seinem Schlüssel. Es dauerte ein wenig, die Tür zu öffnen, nicht zuletzt, weil seine Hände so sehr bebten, dass er den Schlüssel kaum halten konnte.

Er wankte auf das Bad zu und verriegelte die Tür hinter sich. Vielleicht würde der Dämon nicht herauskommen, sagte er sich.

Das Hemd brannte auf der Haut. Es brannte so sehr, dass er es einfach nur noch loswerden wollte. Er riss es von sich und erstarrte. Auf seiner Brust hatte sich eine schwarze Färbung ausgebreitet. Vorsichtig strich er mit dem Finger darüber. Sie war so hart wie Diamant.

Er zitterte und bebte. Tränen liefen seine Wangen hinunter und er biss sich auf die Lippe. Trotz der Schmerzen wollte er nicht schreien. Er wollte seinen Körper nicht irgendwelchen Dämonen überlassen. Niemals!

Sein Blick fiel auf die Rasierklinge, mit der er sich erst heute Morgen rasiert hatte. Sollte er? Sein Körper bebte. Er war gespalten – sollte er versuchen, es zu beenden?

Mit zitterndem Griff packte er die Rasierklinge. In diesem Moment überkam ihn ein neuer Schmerz. Es war die Hölle auf Erden. Er zuckte, ließ sich kraftlos zu Boden sinken. Er konnte nicht mehr.

Er hielt die Rasierklinge an seine Kehle. Mit einem leisen Stöhnen sah er in den Spiegel. Rote Augen sahen ihn an. Er zuckte zusammen und ein leises Wimmern drang aus seiner Kehle. Die Verwandlung war fast vollendet. Jetzt oder nie! Er nahm einen tiefen Atemzug und zog die Klinge durch.

...

Professor Musiak saß an seinem Schreibtisch und weinte. Soeben hatte er von dem traurigen Schicksals seines Studenten Ankou erfahren. Ankou war ein so lieber und aufmerksamer Junge gewesen und sein plötzlicher Tod kam unerwartet. Laut der Polizei, die ihn im Badezimmer seiner Wohnung gefunden hatte, war er von einer mysteriösen Krankheit befallen, die er selber den Fluch nannte.

Zuvor, so berichteten Passanten, hatte er die Gräber seiner verstorbenen Familie besucht. Professor Musiak war der festen Überzeugung, dass Ankou gewusst hatte, wie und wann er sterben würde.

Schließlich hatte er einen Brief und ein Gedicht auf seinem Tisch hinterlassen, eine klare Botschaft an ihn. Eine Träne schlich sich aus seinem Augenwinkel. Er hatte Ankou immer als eine Art Sohn angesehen, nicht als einen Studenten.

Er griff nach dem Brief, bekam ihn aber nicht richtig zu fassen, weil seine Hände so sehr zitterten.

Schließlich hielt er ihn in den Händen. Mit Hilfe eines Brieföffners öffnete er den Brief. Ein Zettel fiel heraus. Mit bebenden Händen faltete er die kleine Notiz auseinander.

Möget ihr mich nie vergessen – Ankou

Eine Träne tropfte aufs Papier.

Professor Musiak wischte sie weg und griff nach dem größeren Zettel. Er faltete ihn auseinander und erkannte sofort die säuberliche Handschrift Ankous. Es war ihm, als fühlte er die Wärme seiner Hand, als sie mit dem Füller über das Papier gewandert war.

Jede Nacht.

Jede dunkle Nacht liege ich in meinem Bett

Und denke darüber nach, was wohl gewesen sein könnte.

Was passiert wäre, wenn dieser Fluch mich nicht erreicht hätte.

Ich hätte studiert, wäre vielleicht ein großer Schriftsteller geworden.

Aber nun?

Nun bin ich nichts mehr als ein Monster.

Ein willenloses Monster, was zum Schrecken der Menschheit werden könnte.

Doch das will ich nicht, Professor.

Deshalb muss ich es beenden.

Und deshalb werden Sie nur dieses Gedicht von mir erhalten.

Jenes Gedicht, welches das erste und einzige von mir sein wird.

Also genießen Sie es, Professor.

Und denken Sie an mich, wenn Sie es Ihren Studenten vorlesen

Ankou.

Die Augen des Professors zuckten über die Zeilen und Tränen tropften auf das Papier. Ankou war weise für sein Alter gewesen. Vielleicht war das dem Leid geschuldet, jenem Leid, welches er trotz seiner jungen Jahre schon zur Genüge hatte erfahren müssen. Armer Ankou. Niemand hatte so ein Schicksal verdient, nicht einmal der größte Bösewicht.

Trotz der ganzen Schmerzen war Ankou als Mensch gestorben und als Held. Nicht als Monster oder als Dämon, welcher die ganze Menschheit gefährden konnte.

Ankou war ein Held, ein Held, über den man Bücher schreiben sollte, welchen man in Erinnerung behalten sollte. 

3665 Wörter

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