Kapitel 8

"Euer Majestät? Hier ist jemand, der mit Euch sprechen möchte", kündigte Rian an.
"Sag ihm, meine offizielle Sprechstunde ist erst übermorgen Vormittag und ich habe keine Zeit", erwiderte ich ungeduldig. Das wusste sie doch! Ich hatte genug zu tun und konnte mich nicht auch noch mit irgendwelchen Fremden herumschlagen, die es nur wieder auf Aragorns Schatzkammer abgesehen hatten.
"Ich hoffe doch, für deine Freundin hast du immer Zeit", ertönte Tauriels Stimme und sie betrat den Raum mit vor Freude funkelnden Augen.
"Tauriel!" Ich sprang auf und schloss sie fest in die Arme. Es tat gut, sich mal wieder fallen zu lassen. In letzter Zeit war es Aragorn gewesen, der einen sicheren Halt brauchte, dabei brauchte ich doch auch einen. "Ich habe dich so vermisst. Du hast mir so, so gefehlt. Es ist gut, dass du wieder da bist."
"Ich habe dich auch vermisst." Sie löste sich von mir und hielt mich ein wenig von sich, sodass sie mir ins Gesicht sehen konnte. "Mehr als alles andere. Du bist blass. Und du bist zu dünn. Geht es dir gut?"
Ihre Sorge um mich brachte mich zum Lächeln. "Es geht mir gut, alles ist in Ordnung. Ich komme nur selten nach draußen und habe viel zu tun."
"Wie geht es Aragorn?"
"Genauso." Das war die größte Untertreibung, die ich je ausgesprochen hatte. Und ich hatte schon häufig untertrieben, vor allem, was meinen Gesundheitszustand betraf. Ich war eine ausgezeichnete Untertreiberin.
"Arwen." Sie sah mich misstrauisch an. "Ich gebe nicht viel auf Gerüchte, aber ich bin nicht taub. Ich höre, was die Leute sagen." Vielleicht war mein Talent doch nicht so ausgeprägt. Ich spürte, wie ich errötete.
Und dann weinte ich. Schon wieder.
"Arwen..."
"Ich wusste nicht, dass es ihm so schlecht gehen würde", schluchzte ich, "Ich wusste nicht, dass es ihn so zerreißen würde, dass er die Last nicht tragen könnte. Alle haben gesagt, es sei sein Schicksal, er sei auserwählt, der Erbe Isildurs würde wieder König sein. Aber niemand sprach davon, dass es ihn zerstören wird. Und dass ich an seiner Seite dabei zusehen muss. Ich glaube, das zu sehen ist beinahe schlimmer, als es selbst zu erleben. Es tut so weh, es tut so unfassbar weh."
Ich erzählte ihr von seinen Ausbrüchen in den letzten Wochen, dem zerbrochen Geschirr, dem Flüstern der Bediensteten und seiner Reaktion auf ihren Brief. Obwohl jetzt schon drei Wochen her, hatte sich diese am tiefsten in mein Gedächtnis gegraben.
Tauriel senkte den Kopf und als sie ihn wieder hob, war ihr Gesicht schmerzverzerrt. In ihren Augen glitzerten Tränen. "Das wird schon wieder", beschwor sie mich und ich wusste, dass sie das nur sagte, um mich zu trösten. Sie glaubte nicht im geringsten daran. "Solange er dich hat, wird er sich niemals über seine Situation ärgern. Du darfst nicht vergessen, wie sehr er um dich gekämpft hat, wie wahnsinnig er leiden musste. Ich glaube, er ist trotz allem glücklich, oder zumindest kann er es wieder werden, wenn er sein Arbeitsverhalten ändert. Ihr müsst beide vorsichtiger sein und besser mit euch umgehen. Nicht einmal früher in Lothlorien warst du ganz gesund, Arwen, das wissen wir beide. Und du bist nicht mehr unsterblich, irgendwann werden deine Kräfte erschöpft sein und du brichst zusammen. Doch dazu werde ich es nicht kommen lassen."
"Hier geht es nicht um mich", wehrte ich ab.
"Mir schon", flüsterte sie und sah in diesem Moment so traurig aus, dass ich sie erneut in die Arme nahm. Ich wusste ganz genau, woran sie jetzt dachte.
"Galadriel wäre stolz auf dich. Du verhältst dich mir gegenüber ganz ausgezeichnet. Sie ist immer stolz auf dich gewesen und sie wird nie vergessen, dass du über ihre Enkelin wachtest, als sie es nicht mehr konnte. Sie hat ihr Vermächtnis an dich weitergegeben. Ich finde, du füllst es ganz großartig aus."
"Ich danke dir." Ihre Hand fand meine und sie drückte sie. "Komm, jetzt werde ich deinen Mann suchen und mir selbst ein Bild von seinem Zustand machen. Ich war lange mit ihm unterwegs, vielleicht finde ich eine Lösung. Wie schlimm es auch sein mag, zusammen finden wir eine Lösung. Das ist uns immer gelungen."

Aragorn saß bleich und abgekämpft an seinem Schreibtisch. Ich wusste, dass seine Ratssitzung gerade beendet war, das bedeutete, dass seine Laune den Nullpunkt erreicht hatte. Die Räte hatten vollkommen andere Ansichten, Werte und Ideale als er und hielten von seinen revolutionären Einfällen eher wenig. Einige von ihnen hatten schon Denethor beraten und waren ihm gegenüber darum von vornherein feindselig eingestellt.
"Aragorn", machte Tauriel ihn mit einem kleinen Lächeln auf sich aufmerksam. "Ich bin zurück."
Tatsächlich war der Ausdruck in seinen Augen überraschend positiv, als er aufstand und mit schnellen Schritten auf uns zukam. "Es freut mich, dass du wieder bei uns bist." Er zog sie in eine enge Umarmung. "Und ich hoffe, du hattest eine wunderschöne Hochzeit, genauso, wie du sie dir vorgestellt hast."
"Schöner hätte es nicht sein können", erwiderte sie mit rauer Stimme. "Aber nun halte ich es für meine Pflicht, meine Arbeit wieder aufzunehmen. Selbstverständlich werde ich Legolas' Part ebenfalls übernehmen; aber ob ich dazu geeignet bin, mich brieflich mit den Zwergen auszutauschen, weiß ich nicht."
"Das hat Aragorn in den letzten drei Monaten gemacht. Aber Aragorn, wenn du willst, kann ich das auch tun", bot ich rasch an.
"Du tust genug", sagte er entschieden. "Viel zu viel. Ich werde endlich tun, was du gesagt hast, und weitere Leute anstellen. Es ist das einzig Richtige, galwen nin." Er küsste mich auf die Stirn. "Ich kann froh sein, dass ich dich habe."

"Ich fand nicht, dass er sehr schlecht aussah", befand Tauriel, als wir uns auf den Weg in den Garten machten. Sie hatte meine Termine für den Rest des Nachmittags kurzerhand abgesagt, aus der Küche die Hälfte eines prachtvollen Erdbeerkuchens geklaut und mir erklärt, dass sie mein neuer Termin war. Solche Verpflichtungen ließ ich mir gern gefallen. "Nach deiner Beschreibung hatte ich etwas viel beängstigenderes erwartet."
"Er hat gute und schlechte Tage", murmelte ich düster. "Heute ist einer von den guten. Besonders deine Ankunft hat ihn sehr glücklich gemacht, ich hoffe, dass das noch länger anhält. Aber gestern sah das ganz anders aus, glaub mir. Er ist unberechenbar und so unvorhersehbar wie das Wetter."
"Dieser Vergleich hinkt." Sie grinste breit und schob mir ein riesiges Stück Kuchen in den Mund. "Ich für meinen Teil finde das Wetter gut, so wie es ist, außerdem weiß Sturmfunke ganz genau, wann es Unwetter gibt."
"Wir sollten aufhören, uns über das Wetter zu unterhalten", presste ich hervor, nachdem ich den Kuchen irgendwie heruntergeschluckt hatte. "Erzähl mir lieber von deinem Kleid."
"Ich wusste ja, dass du danach fragen würdest." Sie rollte mit den Augen. "Als wäre das das Wichtigste an der ganzen Sache. Aber wie du willst: Es war hellblau, aber nur ganz zart, eher weiß als blau." Ich liebte es, wie sie die Eigenschaften von Kleidern beschrieb, weil sie ihr so fremd waren. Sie gab sich größte Mühe, damit ich es mir so detailliert wie möglich vorstellen konnte, obwohl es für sie überhaupt nicht wichtig war. "Bodenlang natürlich, und an den Ärmelsäumen und am Ausschnitt waren Stickereien. Die Muster waren typisch für den Grünwald, zumeist blätterförmig, und die Stiche so zart, als hättest du sie gemacht. Ich mochte es sehr."
"Das ist gut", antwortete ich mit einem strahlenden Lächeln, "Denn ich habe es ausgesucht und die Stickereien geschickt."
"Was hast du?" Tauriel schnappte nach Luft und ich wurde nur noch glücklicher.
"Die Entwürfe habe ich kurz nach meiner eigenen Hochzeit gemacht. Ich wusste, dass es nun nicht mehr lange dauern konnte. Die Stickereien habe ich dann selbst angefertigt, da wollte ich keinen anderen heranlassen, den Rest hat eine Näherin aus Thranduils Reich gefertigt. Ich warte darauf, es dir zu erzählen, seit ich es plane."
"Wenn wir nicht beide schon unabhängig voneinander verheiratet wären, würde ich dich jetzt heiraten", stellte sie fest und genehmigte sich einen weiteren Bissen Kuchen. "Das, Arwen, ist mit das Netteste, das du für mich getan hast. Und du hast viele, viele Dinge für mich getan. Mehr als ich aufzählen kann. Ich danke dir."
"Ich habe es gern getan. Es gab mir das Gefühl, trotz allen an deiner Hochzeit beteiligt zu sein."
"Du warst an meiner Hochzeit beteiligt." Sie legte eine Hand auf ihr Herz. "Du warst hier drin und zwar die ganze Zeit. Gräme dich nicht deswegen. Es werden andere Tage kommen, die wir zusammen verbringen werden. Denn ab jetzt werde ich dafür sorgen, dass du das, was du gerade durchmachst, bald nicht mehr schaffen musst. Und bis es geschafft ist, bin ich bei dir."

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