Kapitel 52

Die Wellen rauschten leise und beruhigend, doch sie brachten Tauriel keinen Frieden. Sie fühlte sich, als könnte nichts ihr jemals wieder Frieden verschaffen. In ihr war alles leer und kalt.
Hände um ihre Hüfte. "Das Schiff wird in wenigen Minuten anlegen." Legolas' Stimme war sanft. Er wusste, er würde Geduld mit ihr haben müssen, wie schon so oft. Sie fühlte sich schuldig deswegen, aber sie konnte es nicht ändern. Er hatte an ihrer Stelle für Maethril da sein müssen, weil sie nicht in der Lage dazu war, er hatte sich überhaupt um alles kümmern müssen. Sie hatte einfach nur neben ihm stehen und nicken können, als sie sich in Minas Tirith von Eldarion und den anderen verabschiedet hatten, als sie bis an die Grauen Anfuhrten gereist waren und als Cirdan sie begrüßt hatte.
"Sie ist traumatisiert", hatte er entschuldigend gesagt, "Ihre beste Freundin ist gestorben. Bitte verzeiht dies."
"Kannst du schon etwas sehen?", flüsterte Tauriel mit erstickter Stimme und lehnte sich an ihn. Galadriels Anblick würde das einzige sein, was ihr helfen könnte. Sie brauchte Galadriel. Dagegen hatte sie Angst davor, Celebrian zu treffen. Was würde sie ihr sagen? Ich habe Eure Tochter nicht beschützen können? Ich wollte sie retten, aber sie wollte sich nicht retten lassen?
"Ein wenig. Aber der Strand ist verhüllt." Er gab ihr einen Kuss auf den Hinterkopf. "Gleich wird sie bei dir sein, Tauriel. Du wirst in Valinor mit mir glücklich werden."
"Ich kann an nichts anderes mehr denken. Nur noch daran, wie sie gestorben ist und wie ich sie begraben habe. Die Erde war so hart- als würde sie sich dagegen wehren. Es hat lange gedauert, bis ich fertig war... Und dann habe ich den Runenstein auf das Grab gelegt... Ein anderes Zeichen gibt es nicht. Wenn jemand vorbei geht, wird er denken, irgendjemand wäre dort bestattet worden. Dabei liegt dort Arwen."
"Anders hätte sie es nicht gewollt", erwiderte er ernst. "Sie war keine Freundin großen Aufsehens. Ich bin mir sicher, sie fände es gut, so wie du es getan hast. Ein Grab, das sie über andere hebt, hätte ihr nicht gefallen."
Tauriel wusste, dass er recht hatte, und griff nach seiner Hand, als das Ufer näher kam. Gimli und Maethril traten neben sie. Das Mädchen hatte gelitten in den letzten Wochen, jeden Tag hatte sie geweint und von ihrer Mutter gesprochen, doch nun lag da ein seltsamer Glanz in ihren Augen.
"Du hast das alles schon mal gesehen, oder nicht?", fragte Tauriel leise.
"Viele Male", bestätigte Maethril ruhig. "Eriven ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. In unserer Entwicklung entsprechen wir uns etwa; er freut sich schon auf uns."
Arwens jüngerem Bruder sah Tauriel mit gemischten Gefühlen entgegen. Zu sehr kam es ihr vor, als hätten Elrond und Celebrian einfach einen Ersatz für die Tochter, die sie verloren hatten, schaffen wollen, obwohl sie gleichzeitig wusste, dass die beiden sich eine Ewigkeit nicht mehr gesehen hatten und vermutlich einfach nur ihr Wiedersehen zelebriert hatten.
Und dann sah sie Galadriels Gesicht. Und obwohl sie sich geschworen hatte, nie wieder glücklich zu sein, spürte sie ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht und freudige Erregung in ihrem ganzen Körper. Legolas bemerkte es auch und strich über ihren Rücken, aber sobald das Schiff angelegt hatte, riss sie sich von ihm los und sprang von Bord, anstatt den vorgesehenen Ausgang zu benutzen. Es war, wie Arwen gesagt hatte- hier würde sie glücklich werden können.
"Tauriel", hauchte Galadriel, doch sie war unfähig zu antworten. Sie spürte das dichte, goldene Haar, in dem sie ihr Gesicht vergrub, sie spürte weiche, warme Hände und sie spürte Tränen, ohne zu wissen, ob es Galadriels oder ihre eigenen waren.
Sie sahen sich an und Worte waren nicht nötig. Lange hatte Tauriel überlegt, was sie ihr sagen sollte, doch nun wurde ihr klar, dass sie nichts sagen musste. Ihr Kommen bedeutete, dass Aragorn und Arwen tot waren, und zu erklären, wie sehr sie Galadriel vermisst hatte, war nicht notwendig.
"Lass mich dir jemanden vorstellen", sagte Galadriel sanft und führte sie zu Celeborn und Elrond. Neben Elrond stand die schönste, bezauberndste Elbe, die sie je gesehen hatte. Obwohl ihre Haare die Farbe von flüssigem Silber hatten und ihre Augen grün waren wie der Wald im Spätsommer, konnte Tauriel Arwens Züge in ihrem Gesicht erkennen. Sie hatte immer gedacht, ihre Freundin sähe nur ihrem Vater ähnlich.
"Ich bin Celebrian", stellte die Elbe sich vor und ihre Stimme war wie Musik. "Du musst Tauriel sein. Es freut mich, dich endlich kennenzulernen, Schwester. Ich habe das Gefühl, dass ich dich schon lange kenne- meine Mutter hat mir alles über dich erzählt."
Hilflos starrte Tauriel sie an, alle Worte, die sie hatte sagen wollen, waren fort. Celebrian lächelte sie an und es war Arwens Lächeln.
"Alles, das Arwen über Euch gesagt hat, ist wahr", brachte sie schließlich heraus und Celebrians Augen füllten sich mit Tränen. Tauriel hätte am liebsten laut gestöhnt- sie führte sich genauso ungeschickt auf wie immer. "Verzeiht mir, Celebrian. Ich wollte Euch nicht wehtun. Das war sehr dumm von mir..."
"Eriven", sagte Galadriel schnell, "Möchtest du dich nicht vorstellen? Du sprichst seit Tagen von nichts anderem mehr."
Hinter Elrond trat ein junger Elb hervor, der Arwen tatsächlich wie aus dem Gesicht geschnitten war. "Seid gegrüßt", lächelte er, "Ich habe mich schon auf euer aller Kommen gefreut."
"Ich freue mich auch sehr. Es ist toll, dich kennenzulernen." Tauriel warf Galadriel einen hilflosen Blick zu, dann kam ihr die zündende Idee. "Maethril, Süße, komm doch mal her."
Maethril hatte gerade mit Legolas und Gimli Gandalf begrüßt und kam schnell herüber gelaufen, als wüsste sie, dass sie die Situation retten musste.
"Das sind Galadriel, Celeborn, Celebrian, Elrond und Eriven", stellte sie schnell vor. "Und das ist Arwens jüngste Tochter, Tauriel, die wir stets Maethril rufen." Nun war es Celebrian, die nicht wusste, was sie sagen sollte. Vor ihr stand ihr Enkelkind. "Ich konnte Arwen nicht retten, Celebrian, und das tut mir sehr leid. Vielleicht hasst Ihr Aragorn dafür, dass er Euch Eure Tochter entrissen und ihr die Möglichkeit auf ein Leben in Valinor genommen hat, aber lasst Euch von mir sagen, dass Arwen glücklich war. Sie hat Aragorn vier Kinder geboren, Eldarion, Galadwen, Luthien und Maethril, und sie hat ihre Entscheidung keine Sekunde lang bereut. Das solltet Ihr wissen. Sie war ein Mensch, aber unter den Menschen die Glücklichste."

Die Jahre hätten nicht schneller vergehen können. Tauriel bezog mit Legolas und Maethril ein schönes Haus neben dem von Galadriel und Celeborn, neben ihnen lebten noch Elrond und Celebrian mit Eriven und Gandalf, Bilbo, Frodo, Sam und Gimli. Die meiste Zeit verbrachten sie alle zusammen in Galadriels Garten, der am größten war, und oftmals besuchte Tauriel Valinors Lothlorien, sodass sie ihren liebsten Ort in Mittelerde nicht vermissen musste. Ihre Wunden verheilten, die körperlichen und die seelischen. Alles war gut.
Den heutigen Tag verbrachten sie in ihrem eigenen Garten. Die Zwillinge, Arwen und Aragorn, die vor zwanzig Jahre geboren worden waren, spielten zur Abwechslung mal zusammen. Aragorn hielt sein Holzschwert, das Legolas ihm geschnitzt hatte, in der Hand und zog Arwen ohne Vorwarnung eins über.
"Mama, Mama!", weinte die Kleine und rannte zu Tauriel herüber. Sie saß mit Legolas vor dem gemeinsamen Holzhaus und schnitzte an einem Pfeil für Maethril. "Aragorn hat mich gehauen!"
"Aber das hat er doch bestimmt nicht mit Absicht getan", beruhigte Tauriel sie und warf Legolas neben ihr ein verstohlenes Grinsen zu. Immer mussten die beiden streiten, dabei waren sie einander so ähnlich, nicht nur wegen ihres gleichen Aussehens- sie hatten beide das rötliche Haar ihrer Mutter geerbt- sondern auch wegen ihrer Charakter, die im Prinzip völlig gleich waren. Nur hatten sie das noch nicht begriffen.
"Ich wollte ihr doch nicht wehtun!" Aragorn floh zu Legolas, wie immer, wenn er sich bedroht fühlte. "Arwen muss doch auch kämpfen lernen."
"Kein Verständnis für einen angehenden Schwertkämpfer", warf Legolas ihr mit einem Kopfschütteln vor und konnte das Lachen kaum zurückhalten. "Sei nicht traurig, Aragorn."
Da kam Haldir gemeinsam mit Gimli aus einer hinteren Ecke des Gartens angelaufen. Er war das Ebenbild von Legolas, hatte aber Tauriels Augen.
"Mama! Papa! Ich habe vier Mal hintereinander ins Schwarze der Zielscheibe getroffen! Onkel Gimli hat er nur drei Mal geschafft!" Hinter dem Rücken des Jungen zwinkerte Gimli den beiden bedeutsam zu. Haldir liebte Gimli über alles und streifte den ganzen Tag mit ihm herum. Manchmal bekam Gimli ihren Sohn öfter zu sehen als Legolas und Tauriel.
"Haldir, das ist ja großartig", gratulierte sie ihm. "Gimli ist aber auch ein sehr guter Lehrer."
Die beiden Jungen stürmten mit leuchtenden Augen davon, das Mädchen zog Legolas an der Hand mit sich fort zu einer Sandfläche. Maethril kam mit einem Buch aus dem Haus gerannt und schwenkte es triumphierend hin und her.
"Das hat ja Großvater geschrieben!"
"Musst du denn so schreien?", spottete Tauriel, aber es war liebevoller Spott. Sie war froh, dass Maethril sie wie eine Mutter behandelte. "Elrond hat unzählige Bücher geschrieben. Und ja, du darfst es lesen. Auch wenn ich bezweifle, dass du mich um Erlaubnis gefragt hättest."
"Natürlich hätte ich", meinte Maethril wenig überzeugend und ließ sich neben ihr nieder.
Galadriel trat aus dem Schatten hervor und legte Tauriel eine Hand auf die Schulter. "Ich bin stolz auf dich, Tauriel", sagte sie sanft, "Und das wäre auch Arwen."

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