Kapitel 5

Am Abend des selben Tages aßen wir alle zusammen in Esszimmer. Ich hatte darum gebeten, dass wir jeden Abend zusammen hier verbrachten und gemeinsam essen würden, denn ich hatte das Gefühl, dass sich die Tatsache, dass wir uns tagsüber nur sehr wenig sehen konnten, nicht ändern würde, wie ich es anfangs gehofft hatte. Es kam öfters vor, dass jemand beim Frühstück oder Mittagessen nicht anwesend war, aber abends durfte das nicht vorkommen. Bisher hatten sich alle daran gehalten, sogar Aragorn. Es schmerzte mich zu sehen, wie viel er arbeitete und wie wenig freie Zeit er sich selbst gönnte. Ihn selbst schien es nicht zu stören, er kniete sich in die Arbeit, um es allen recht zu machen, und traf sich mit allen möglichen Leuten, die ihn beraten sollten oder wiederum einen Rat von ihm erbeten hatten. Doch bei ihm beklagen wollte ich mich nicht, denn wir hatten die Nächte. Die Nächte... Wir sprachen manchmal stundenlang, sodass ich morgens aufwachte und schon wieder müde war, und ich wusste, dass ich es nicht lange so aushalten könnte, aber es war das, was wir brauchten. Wir tauschten uns über Erlebnisse und Erfahrungen aus, die wir nicht mit den anderen teilen wollten- wie eines der Waisenkinder meine Hand gehalten und mich angefleht hatte, ihren Vater mit meinen "Zauberkräften" zurückzubringen, wie ein junger Soldat zu Aragorn gesagt hatte, er sei das Beste, was Gondor passieren könnte.
Manchmal sprachen wir auch stundenlang kein Wort.
An diesem Abend gab es Rindfleisch und verschiedene Gemüse in einer dicken Mehlsoße, aber dazu eine Art Lembas-Brot- ich hatte den Köchinnen die Zutaten genannt und sie gebeten, es zu versuchen- und als Abschluss Pfirsiche mit Honig. Immerhin das hatte ich erreichen können, und Früchte mit Honig schmeckten tatsächlich gut, auch wenn ich es mir anfangs nicht hatte vorstellen können.
Eine Weile unterhielten wir uns über dies und das, was heute geschehen war. Gimli war wieder einmal gefragt worden, ob es weibliche Zwergen gab, und wenn ja, warum niemand je eine gesehen hatte. Legolas erzählte, dass Gimli dreißig Minuten am Stück darüber geredet hatte. Ich konnte es mir lebhaft vorstellen. Tauriel war von dem bereits älteren Minister für Seefahrt gebeten worden, in Zukunft bitte Kleider zu tragen und hatte ihm geantwortet, erst, wenn er das ebenfalls tun würde. Ich hatte keine lustigen Geschichten zu erzählen, zeigte jedoch den dunkelgrünen Stoff für ein neues Kleid vor. Mein hundertzehntes.
"Ich möchte euch etwas sagen, meine Freunde", begann Legolas irgendwann, als es schon später war, und seine Stimme war sehr feierlich. Auch ein Hauch Nervosität war zu hören, und er suchte Tauriels Blick. "Tauriel und ich, um genau zu sein." Eine Hoffnung keimte in mir auf ein wundervoller, romantischer Gedanke. Mein Herz schlug hoffnungsvoll schneller. "Wir haben uns verlobt und wir wollen heiraten. Im Düsterwald."
Ich hatte mich nicht geirrt. Zugegeben, sich Tauriel in einem weißen Kleid vorzustellen, war schwierig, aber das trübte meine Freude nicht im Geringsten. Ich liebte Hochzeiten, ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als die Liebe zweier Personen mit einer Zeremonie zu feiern. "Das ist ja großartig!", rief ich lebhaft, denn auch der Gedanke, die Feierlichkeiten zu planen, gefiel mir sehr gut. "Ich freue mich für euch! Wann werden wir aufbrechen?"
"Das sind wirklich ganz wundervolle Neuigkeiten", stimmte Aragorn mir zu, doch er wirkte, als stimmte etwas nicht. "Arwen, hör zu..." Da wusste ich, was kommen würde. Ich wusste es, vermutlich hätte ich es schon vorher wissen müssen, und ich war durchaus nicht bereit, es wahr zu haben. Es war die Hochzeit meiner besten Freundin. Sie war meine beste Freundin und wir hatten in der letzten Woche sehr viel Rücksicht auf alle möglichen Termine nehmen müssen. Aber ich hatte das Recht, bei ihrer Hochzeit zu sein. Ich wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher. "Wir sind noch nicht lange König und Königin und die Reise zum Düsterwald würde Wochen dauern... Wir können unmöglich mitkommen."
Zum zweiten Mal an diesem Tag schloss ich erschöpft die Augen. Es war nicht gerecht. Ich sollte auf alles Rücksicht nehmen, auf ihn, auf das Königreich. Ich musste meine Termine umkoordinieren, damit er seine wahrnehmen konnte, und jetzt war es nicht möglich, auf die Hochzeit meiner besten Freundin zu gehen. Tauriel hatte mir einiges verziehen müssen in den letzten Tagen, aber ich wusste nicht, ob sie mir das vergeben würde. Als ich die Augen öffnete, kaute sie unbehaglich auf ihrer Unterlippe herum, Legolas blickte peinlich berührt aus dem Fenster und Gimli auf seinen Teller. Nur Aragorn sah mich direkt an. Ich konnte nichts ändern. Ich würde nicht gegen meinen Ehemann aufbegehren, nicht vor unseren Freunden gegen ihn sprechen. Und tief in meinem Innern wusste ich, auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, dass er nicht die Schuld trug. Es war nicht gerecht.
"Nimm es mir nicht übel, galwen nin."
"Ich verstehe dich, Aragorn." Ich wählte meine Worte sehr behutsam, wollte ihn nicht verletzen. Auch für ihn musste die Entscheidung schwer sein. Das durfte ich nicht vergessen. "Ich verstehe dich wirklich, auch wenn es eine Enttäuschung ist. Wir sind das Königspaar- wir haben Pflichten."
Dieser Satz war der Schrecklichste. Was wäre, wenn Gimli heiraten würde, oder Eomer, oder wenn Eowyn und Faramir ein Kind bekamen? Würde ich überhaupt in der Lage sein, Gimlis Frau kennenzulernen, Eowyns Kind zu halten und Eomer zu beglückwünschen?

Schon am nächsten Morgen, noch vor meinem oder Aragorns erstem Termin, war es so weit. Die Drei hatten ihre Sachen gepackt und ihre Pferde beladen und waren bereit, um aufzubrechen. Nur schwer konnte ich die Tränen zurückhalten. Ich würde nicht bei ihrer Hochzeit dabei sein, noch dazu war ich in den nächsten Wochen ganz allein. Ich war allein, wenn Aragorn ein Gespräch hatte und ich nicht, wenn er nach Osgiliath ritt oder etwas anderes regeln musste. Ich war allein.
"Kopf hoch", flüsterte Tauriel sanft und ermutigend, als sie mich fest umarmte. "Es sind allerhöchstens drei Monate, und ich habe Legolas gesagt, dass wir nicht lange fort sein dürfen. Du schaffst das ohne mich. Ihr schafft das. Konzentriere dich auf deine Aufgabe und lerne, was es noch zu lernen gibt. Die Anfangsschwierigkeiten hast du überwunden und jetzt musst es dir gelingen, ohne mich zurechtzukommen."
"Ich weiß nicht, ob ich das schaffe", murmelte ich unglücklich und senkte den Kopf. Allerhöchstens drei Monate, hatte sie gesagt, und ich war froh, dass ich die erste Woche überlebt hatte. Es waren nicht nur drei Monate, denn jeder Tag war anstrengend und ermüdend. Ohne Tauriel wurden mir jetzt auch noch die schönen Momente genommen und alles, was mir blieb, waren harte Arbeit und die Nächte mit Aragorn. "Ich kann das nicht ohne dich, ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn du nicht da bist."
"Es tut mir leid, dass ich gehen muss. Aber wir beide wünschen es uns so sehr, dort zu heiraten, meine erste Heimat und der Ort, an dem sein Vater ist..."
"Ich mache dir keinen Vorwurf", wehrte ich rasch ab. Auf diese Idee war ich noch gar nicht gekommen, Tauriel und Legolas die Schuld für meine missliche Lage zu geben. "Es ist nicht eure Schuld. Letztendlich ist es sinnlos, irgendjemanden zu beschuldigen."
"Es ist gut, dass du so denkst." Ich wusste sofort, worauf sie anspielte.
"Es wäre falsch, Aragorn die Schuld zu geben, das weiß ich. Mir ist bewusst, dass es ihn ebenso traurig machen muss wie ich, dass auch er darunter leidet. Ich habe nur Angst... Angst, es könnte ab jetzt immer so sein. Davor, dass das hier kein Einzelfall ist, sondern in Zukunft die Regel werden wird. Nur, weil ich nun die Königin bin, muss ich nicht alle wichtigen Festlichkeiten verpassen."
"Das sollst du auch nicht. Ich bin mir sicher, dass die Zeit eine Veränderung bringen wird."
Ich sah zu Aragorn, der gerade Legolas umarmte. Sein Lächeln war traurig und sein Kopf gesenkt und das tat mir unfassbar leid. In den nächsten Wochen würden wir beiden alle Aufgaben von Tauriel, Legolas und Gimli übernehmen und vermutlich einige Nächte durchmachen müssen. Hoffentlich dachte er nicht, dass ich ihm noch übel nahm, dass wir nicht mitgehen konnten, denn ich tat es nicht. Gestern Abend hatte ich es getan, aber mir war klar, dass es nicht sein Fehler war. Es gab niemanden, den ich dafür anklagen könnte.

Weinend saß ich kurz darauf in meinem Arbeitszimmer und versuchte, einen Brief an den Architekten für das geplante Waisenhaus zu schreiben. In einer Stunde würde die Vorsitzende der Gruppierung für die Pflege der Veteranen aus dem Ringkrieg kommen und mir ihr Anliegen vortragen- vermutlich, nein, ganz sicher, ging es um Geld. Ich würde es ihr beschaffen.- und bis dahin hatte ich Zeit für den Brief und vor allem dafür, mein ramponiertes Äußeres wieder in Ordnung zu bringen. Königinnen weinten nicht.
"Euer Majestät- oh vergebt mir!" Eine meiner Dienerinnen, Rian, stand mit bestürztem Gesicht in der Tür. "Ich wusste nicht, dass Ihr hier seid, ich sollte hier saubermachen..."
Ich atmete einmal tief durch, um meine Fassung wiederzugewinnen. Sie hatte es nun mal gesehen, nun konnte ich ohnehin nichts mehr daran ändern. "Es gibt nichts zu vergeben, Rian. Komm herein." Jahre hatte ich darauf gewartet, endlich den Standardsatz meiner Großmutter auszusprechen. "Wenn du schon einmal da bist, kannst du mir auch etwas kaltes Wasser für mein Gesicht bringen."
"Natürlich, Euer Majestät." Als sie nach einem Augenblick wieder hereinkam kam und mir ein Gefäß mit Wasser und ein weiches Tuch reichte, sagte sie zögernd: "Es tut mir sehr leid, dass Eure Freunde abgereist sind."
Ich hielt inne und sah sie überrascht an. Keine Dienerin hatte bisher den Versuch unternommen, mit mir über persönliche Dinge zu sprechen, und von Rian hatte ich es am allerwenigsten erwartet. Sie war stets sehr verschlossen und sprach sehr wenig, außerdem unterschied sie sich bei der Arbeit von allen anderen: Sie sang nicht und sie lächelte nicht.
"Mir auch, das kannst du mir glauben. Aber ich kann nichts daran ändern, also sollte ich wohl versuchen, damit fertig zu werden."
"Das scheint Euch nicht sehr gut zu gelingen, Euer Majestät." Jeder andere hätte sie nun herausgeworfen, erzürnt über ihr unangemessenes Verhalten. Aber ich war eher fasziniert. Sie wagte es, Dinge auszusprechen, vor denen die anderen Angst hatten. Und vielleicht war es das, was ich brauchte; jemanden zum Reden, der sich von allen anderen abhob. Am interessantesten fand ich, dass sie sich nicht entschuldigte.
"Du hast recht, und ich bin dankbar, dass du dein Mitgefühl aussprichst. Doch das nächste Mal versuche, es etwas vorsichtiger zu formulieren." Ich wollte nicht, dass sie jemanden vor den Kopf stieß, mit ihm aneinander geriet und entlassen wurde.
Sie wurde blass. "Bitte, Euer Majestät, ich wusste nicht- ich wollte nicht... Vergebt mir. Ich arbeite noch nicht lange als Dienerin und habe mich noch nicht an die hohen Standards gewöhnen können, ich muss noch lernen, mich angemessen zu verhalten."
"Das muss ich auch. Du hast nichts falsch gemacht, Rian, du wirst es lernen. Das kommt mit der Zeit."
"Seid Ihr Euch sicher, Euer Majestät?"
Ich dachte an die letzte Woche und lächelte ermutigend. "Ich bin mir sicher."

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