Kapitel 44
Gemeinsam saßen wir- das bedeutete inzwischen Aragorn, Tauriel, Gimli, Legolas, Eldarion, Theodwyn, Luthien und ich- am großen Tisch in unserem Esszimmer. Es war Nachmittag, und wir hatten alle ein wenig Zeit übrig, also hatten wir uns Kuchen bestellt und bemühten uns, ein wenig Konversation zu machen.
Der Vorfall in Rohan war jetzt knappe drei Wochen her und inzwischen sprachen Aragorn und ich wieder miteinander, aber nicht über wichtige Dinge. Wir schafften es, über den Geschmack des Kuchens, das Wetter oder die abgeblätterte Farbe in Galadwens ehemaligem Zimmer zu unterhalten, aber mehr auch nicht. Wir schliefen auch wieder zusammen in unserem Bett, aber ich gestattete ihm nicht, mich auch nur zu berühren.
"Der Kuchen schmeckt heute wieder großartig", stellte Tauriel betont fröhlich fest. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie tun sollte, ohne sie hätte ich die letzten Wochen nicht überstanden. Sie war so mitfühlend und sie tat alles, um für mich da zu sein.
"Besonders die Erdbeeren sind toll", ergänzte Legolas sehr hilfreich.
"So süß", fügte Gimli mit einem hoffnungsvollen Blick auf mich hinzu.
"Ihr habt recht", erwiderte ich tonlos, "Es ist ein sehr gelungener Kuchen. Ich werde es den Köchen ausrichten lassen."
Was Maethril wohl gerade tat? Sie war nicht glücklich in Rohan, das spürte ich tief in meinem Herzen. Dort war niemand, der sie verstand, auch wenn Galadwen es sicherlich versuchte. Maethril war anders; was sie brauchte, war keine harte Hand eines rohirrimschen Erziehers, sondern Geduld und Einfühlungsvermögen. Man musste es einfach immer weiter versuchen. Wenn es mit dem eigenen Kind nicht klappte, konnte man es doch nicht einfach wegschicken, um andere ihr Glück versuchen zu lassen! Maethril war schwierig und sie ähnelte in ihrem Verhalten keinem ihrer Geschwister und niemandem sonst, den ich kannte, aber es gab doch auch schöne Momente. Sie war sehr belesen, sie hatte beinahe jedes Buch in unserer Bibliothek gelesen, und manchmal war sie mit einem Buch in der Hand hereingekommen und hatte mit verstellter Stimme einen Absatz vorgelesen, den sie besonders lustig fand. Oder sie zog eines der Kleider von Galadwen an und tat für einen ganzen Tag so, als wäre sie ihre Schwester, auf eine so perfekte Weise, dass es bewundernswert war. Natürlich, häufig stürmte sie mit knallender Tür aus einem Raum und hinterließ Tränen und Traurigkeit, aber das war doch nicht die Regel. Sie war eben einfach anders. Aber ich war auch anders als das Volk, dessen Königin ich war, und es liebte mich. Warum also sollte sie nicht hier bei uns sein dürfen? Warum hatte Aragorn das getan, warum hatte er mir das Herz brechen müssen?
"Arwen?", fragte Tauriel sehr sanft und trat mich unterm Tisch sachte gegen mein Bein. Ich bemerkte, dass alle mich ansahen.
"Ähm, ich-" Hilflos blickte ich zu Tauriel, die mit ihren Lippen einige Worte formte. Ich hatte keine Ahnung, was sie mir sagen wollte. Und ich sah Aragorn, der sich auf die Lippe biss und mit seinen Schuldgefühlen zu kämpfen schien. Er hatte mir mein Kind weggenommen. Mein kleines Mädchen.
"Ich muss mal an die Luft", stieß ich hervor und sprang auf, bevor mich jemand aufhalten wollte. Jemand schob geräuschvoll seinen Stuhl zurück, vermutlich Aragorn- der Letzte, mit dem ich jetzt reden wollte- doch dann sagte Tauriel: "Lass mich gehen."
Eigentlich wollte ich weglaufen, denn nicht einmal mit Tauriel wollte ich jetzt sprechen, doch als ich den Flur hinunter sah, nach einer Möglichkeit suchte, mich zu verbergen, sah ich etwas, das mich wie erstarrt stehenbleiben ließ. Maethril stürzte über den Flur und in meine Richtung. Ihr Gesicht war verweint und schmutzig, ihre Haare hingen wirr über ihre Schultern und das Kleid, das sie trug, war voller Staub und Schlamm. Es war unmöglich, die Farbe zu definieren, aber vielleicht war es früher einmal hellblau gewesen.
"Maethril", rief ich, und Tauriel an der Tür sog scharf die Luft ein. Nun kamen auch die anderen aus dem Esszimmer und in Aragorns Augen flackerte es. Dieses Mal würde er sie nicht fortschicken, ich würde es unter keinen Umständen zulassen. Nicht dieses Mal. Ich musste es wagen, ihm zu widersprechen.
"Mama." Erschöpft sank sie in meine Arme und war einfach nur ein verängstigtes 13-jähriges Mädchen. "Mami."
Sie hatte mich seit ihrem sechsten Lebensjahr nicht mehr Mami genannt.
"Süße, was ist denn? Wieso bist du hier? Was ist dir zugestoßen?" Sie weinte leise und ich bedeutete den anderen, Aragorn und mich mit ihr allein zu lassen. Dann führte ich sie ins Esszimmer und gab ihr einige Stücke Kuchen. Sie stürzte sich darauf, als hätte sie seit Tagen nichts mehr zu essen gehabt. Was war nur passiert? Mein Herz raste wie wahnsinnig. War Maethril aus Rohan geflohen? Hatte man sie schlecht behandelt? Aber das würde Galadwen doch nicht zulassen, von meinen vier Kindern war sie die Einfühlsamste. Und sie hatte Maethril immer wahnsinnig geliebt. Außerdem würde sie sich gegen Elfwine durchsetzen, wenn es nötig sein sollte, weil sie nicht so ein verdammter Feigling war wie ihre Mutter.
Aragon öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, doch ich sah ihn warnend an und schüttelte den Kopf. Er hatte es kaputt gemacht, das hier hatte er zu verantworten, also sollte er es nicht noch schlimmer machen.
"Fühlst du dich jetzt etwas besser?", fragte ich beruhigend, als sie vier Kuchenstücke hintereinander verspeist hatte. Sie nickte heftig. "Maethril, bitte erzähle uns, was passiert ist. Du solltest jetzt eigentlich in Rohan sein."
Furchtsam sah sie mich an, in ihren Augen lag ein gehetzter Ausdruck, den ich nicht deuten konnte. "Ich weiß. Galadwen war auch sehr freundlich zu mir. Ich bin nicht aus Rohan weggelaufen, falls ihr das denkt." Ich atmete erleichtert aus. "Aber vor ein paar Tagen, es war kurz nach dem Frühstück... Ich habe mich auf meinen Unterricht vorbereitet, da habe ich plötzlich etwas gesehen... Ein Bild, ähnlich wie ein Traum. Da war Papa und er war tot, und du hast geweint und bist dann auch gestorben. Ich dachte, es wäre real." Ihre Stimme zitterte. "Deshalb habe ich mein Pferd geholt und bin einfach los geritten. Ich musste doch wissen, ob ihr wirklich tot seid, ich hatte solche Angst."
Ich sah Aragorn an und Aragorn mich; dann strich ich Maethril sanft über den Arm. "Nachdem keiner von deinen Geschwistern es geerbt hat, dachte ich, es würde auch dir erspart bleiben. Scheinbar habe ich mich geirrt. Du hast wie ich und wie mein Vater die Gabe der Voraussicht, Süße. Du bekommst Visionen und siehst, was eines Tages geschehen wird."
Sie sah mich mit aufgerissenen Augen an. "Visionen?! Ich kann in die Zukunft sehen?"
"Sozusagen, ja. Die Visionen treten nicht allzu häufig auf, ich hatte schon lange keine mehr, aber manchmal überkommen sie dich einfach. Bei dir tritt die Gabe allerdings außergewöhnlich früh in Erscheinung."
"Ich wünschte, ich hätte es nicht sehen müssen." Sie zitterte am ganzen Körper. "Es war schrecklich."
"Ich weiß, Süße." Ich dachte an all die Visionen, die ich gehabt hatte, von Saruman bis zu Tauriels ungeborenem Kind. "Ich weiß das."
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