Kapitel 43

Die Sonne versank hinter dem großen Gebäude in Rohan, in dem Eowyn und Faramir gelebt hatten, nachdem sie Ithilien an ihren einzigen Sohn übergeben hatten. Sie waren beide in der gleichen Nacht gestorben, hatten sich bis zum letzten Moment an den Händen gehalten. Die beiden waren von Eomer beerdigt worden wie König und Königin, es schien mir, dass aus ganz Mittelerde Menschen angereist waren, um sie zu verabschieden.
Zwar hatte ich die beiden wahrlich nicht gut gekannt, wir hatten uns in den letzten Jahren kaum gesehen, aber es schien mir, als begännen mit ihrem Tod die Spuren des Ringkrieges und der Gefährten zu verblassen. Ich erinnerte mich an den ernsten, gut aussehenden jungen Mann, den ich damals aus Minas Tirith verabschiedet hatte, und an die so starke und lebensfrohe Frau, die beinahe noch ein Mädchen gewesen war. Seitdem hatte sich viel verändert, doch mein Bild von Faramir und Eowyn war gleich geblieben.
Als Königin von Gondor musste ich natürlich eine Rede halten. Aragorn hatte mir seinen besten Redenschreiber empfohlen, doch ich hatte beschlossen, sie selbst zu schreiben. Das war ich ihnen schuldig.
Ich stand also an den beiden Gräbern, vor mir die Menge trauernder Gäste, ganz vorne ihre drei Kinder, unter ihnen Theodwyn, die sich schluchzend an Eldarion klammerte. "Obgleich der Tod für die Menschen zum Leben dazugehört, ist er immer wieder ein Schock und ein Schicksalsschlag für die Hinterbliebenen. Elboron, Theodwyn, Finduilas- der Verlust eurer geliebten Eltern bedeutet für euch großen Schmerz und tiefe Trauer. Es ist unmöglich für mich, die richtigen Worte zu finden, um euch Trost zu verschaffen und um Eowyn und Faramir, deren Liebe Rohan und Gondor vereinigte, angemessen zu ehren. Nichts wird mehr sein wie früher, denn da wird immer eine Lücke bleiben, die die beiden bisher ausfüllten. Aber ihr alle, lasst euch von mir sagen, sie mögen nicht mehr da sein, aber sie sind doch ganz nah bei uns. Bei jedem von uns. Ewig werden sie in unseren Erinnerungen, in unseren Gedanken und in unseren Herzen sein. Ich weiß noch, als ich Eowyn und Faramir auf der Krönung meines Mannes kennenlernte; sie waren wie der Mond und die Sonne. Sie war so munter und fröhlich, so wenig gezeichnet von dem Leid, das sie hatte erdulden müssen, dass ich sehr beeindruckt war. Und Faramir... Er und Eowyn waren in meinen Augen sehr verschieden, doch diese Unterschiede trennten sie nicht, sie machten ihre Liebe aus. Sie kannten sich damals noch nicht sehr lange, doch ich konnte sehen, wie sehr sie einander brauchten. Und vor allem, wie sie erkannten, dass der andere sie brauchte. Heute müssen wir Abschied nehmen von Eowyn und Faramir- lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass sie niemals in Vergessenheit geraten werden."
Ich trat zurück und Aragon legte mir eine Hand auf die Schulter. "Das war wunderschön", flüsterte er, "Du tatest gut daran, meinen Schreiber zurückzuweisen."

Nach den traurig gestimmten Feierlichkeiten kehrten wir gemeinsam in das Zimmer zurück, das man uns zugewiesen hatte. Aragorn wirkte bedrückt; ich wusste, dass er Eowyn während des Ringkrieges gut kennengelernt hatte.
"Sie hat mich geliebt", erklärte er plötzlich und ich hoffte, ich hatte mich verhört.
"Wer hat dich geliebt?", fragte ich so ahnungslos wie möglich.
"Eowyn. Wir lernten uns kennen, als Gandalf ihrem Onkel Sarumans Geist austrieb. Sie war so stark... Doch dann hat sie sich in mich verliebt. Es war offensichtlich, ich glaube, jeder hat es gemerkt."
"War das, als du dachtest, du würdest mich nie wiedersehen?" Meine Stimme zitterte und er nahm mein Gesicht in seine Hände.
"Arwen", sagte er, seine Stimme war seidenweich. "Ich habe sie nicht geliebt. Ehrlich nicht. Ich sah niemals mehr als eine Freundin in ihr, und als mir bewusst wurde, dass sie in mir sehr wohl mehr sah, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Du hast recht, es war, als ich glaubte, ich hätte dich für immer verloren. Aber nachts habe ich euch wieder und wieder in meinem Kopf verglichen, und nie habe ich mich nicht für dich entschieden. Ich war sehr erleichtert, als sie Faramir kennenlernte. Außer Tauriel war niemand erleichterter als ich."
"Wieso Tauriel?" Ich glaubte ihm. Ich glaubte ihm tatsächlich. Aber wir hatten so viel miteinander durchgestanden, dass ich ihm einfach vertraute, dass er mich nicht betrogen hatte. Und selbst, wenn er es getan hätte- er dachte, ich sei fort in Valinor und für ihn unerreichbar.
"Kannst du dir das nicht vorstellen?" Er lachte leise, als er in die Erinnerung versank. "Niemand hatte ihr gesagt, dass du ein Schiff bestiegen hast. Dein Vater hatte es mir verboten. Sie erfuhr es dann auf eine recht unschöne Weise- sie hat mich so verprügelt, dass ich kaum noch gehen konnte, und kurz darauf wurden wir von Wargen angegriffen."
"Wie bitte?" Auch ich musste lachen, bildlich konnte ich es mir vorstellen. "Ich werde mit ihr schimpfen."
"Ich habe immer noch Narben davon", versicherte er mir und grinste unschuldig.
Es klopfte und Galadwen kam herein. Sie war schwanger mit ihrem ersten Kind, zumindest war ich mir da sehr sicher, aber sie selbst schien es noch nicht gemerkt zu haben, sonst hätte sie es uns sicher erzählt.
"Elfwine hat zugestimmt, Papa", erklärte sie mit einem unsicheren Lächeln. "Wenn du es also wirklich willst, kannst du es tun."
"Was tun?", fragte ich nach, und Galadwen sah Aragorn mit einem Blick an, der bedeuten sollte: Wie, du hast es ihr noch nicht gesagt? "Was ist hier los?"
Meine Tochter ließ sich auf unser Sofa sinken- sie hatte mir erzählt, sie habe in letzter Zeit solche Rückenschmerzen. Das würde nicht das einzige bleiben, worüber sie sich beschweren würde- und sah Aragorn abwartend an. Sie war scheinbar nicht gewillt, mir von seinem brillanten Plan zu erzählen.
"Es ist wegen Maethril", gab dieser zögernd zu und genervt fixierte ich die Wand. Nicht dieses Thema. Ich konnte es nicht ertragen, noch eine einzige Unterhaltung über Maethril zu führen. "Ich habe mir überlegt... Also ich dachte- Ich werde sie hier in Rohan lassen."
"Entschuldige?", fragte ich, weil ich mir nicht sicher war, ob ich ihn richtig verstanden hatte. "Sie wird nicht hier in Rohan bleiben. Da habe ich nämlich auch noch ein Wörtchen mitzureden. Sie würde Galadwen und Elfwine umbringen mit ihren Launen, und außerdem werde ich mein Kind nicht hier zurücklassen. Sie ist meine Tochter und sie kann gehen, wenn sie verheiratet ist, aber keine Sekunde früher."
"Ich plane das schon länger, Arwen. Sie wird immer aufmüpfiger und ungehorsamer, kürzlich hätte sie mich fast geschlagen, und sie erweist uns nicht den nötigen Respekt. Ich mache das nicht mehr mit. Sie muss lernen, dass ihr Handeln Konsequenzen hat, und zwar deutliche Konsequenzen. Es nützt nichts, wenn sie nicht mit uns essen darf, denn damit tun wir ihr einen Gefallen. Also bleibt sie hier, getrennt von allem, das sie aus ihrem Alltag kennt, und lernt sich zu benehmen, damit sie bald wieder zurückkommen kann. Die Einwohner Rohans sind anders als wir es sind, sie werden ihr schon beibringen, was es heißt, ungehorsam zu sein. Ich habe mit Eomer darüber gesprochen, sie wird einen Erzieher bekommen, der sich jeden Tag mit ihr auseinandersetzt."
"Du hast das schon lange geplant?", fragte ich fassungslos und versuchte krampfhaft, nicht zu weinen. "Du hast mit Galadwen gesprochen, mit Elfwine und mit Eomer, aber nicht mit mir? Ich weiß, dass sie schwierig ist, Aragorn, aber sie ist trotzdem unsere Tochter und du kannst sie nicht einfach wegschicken!"
"Genau das werde ich aber", erwiderte er gefasst, und ich tat etwas, was ich schon lange nicht mehr getan hatte: Ich stürmte aus dem Raum.
Es war das erste Mal, seit wir das Königspaar waren, dass wir die Möglichkeit hatten, in einem Bett zu schlafen, es aber nicht taten. Ich lag neben Tauriel und neben ihr lag Legolas, im Laufe der Nacht kam auch noch Gimli dazu, der mein Weinen aus dem Nebenzimmer gehört hatte. Die ganze Nacht tat ich kein Auge zu.

Maethril tat, was sie immer tat, sie schrie und tobte und führte sich auf wie eine Dreijährige. Als wir unsere Pferde zum Aufbruch bestiegen, mussten zwei Dienstboten sie festhalten, damit sie uns nicht hinterherkommen konnte.
"Mama!", schrie sie, "Mama! Warum lässt du das zu? Wie kannst du mir das antun?"
Ich saß auf Windherz und weinte, aber ich sah nicht zurück. Wenn ich das tat, würde ich zusammenbrechen. Aber Aragorn würdigte ich keines Blickes.

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