Kapitel 38- Tauriel

Bruchtal hatte sich kein bisschen verändert, es war nur stiller als zur Zeit des Ringkrieges. Nur noch wenige Elben und keine Menschen lebten hier unter der Führung von Glorfindel, darum begrüßte sie niemand, als Tauriel, Legolas und Gimli ihre Pferde- und Gimlis Pony- durch das verborgene Tor lenkten. Keine Wachposten waren ausgestellt, vermutlich waren es dazu zu wenige Bewohner.
Legolas lächelte Tauriel zu und sie gab ihr Bestes, zurück zu lächeln. Hinter ihnen lag ein schneller Ritt, oftmals waren sie durch unwegsame Gegenden geritten, um Zeit zu sparen, sie hatten keine langen Pausen gemacht und selten lange genug geschlafen, als dass es ihnen Erholung verschafft hätte. Zu besorgt waren sie um das Schicksal ihrer Freundin und zu rasch trieb ihre Angst sie voran. Seit sie aus Minas Tirith aufgebrochen waren, waren Monate vergangen- möglicherweise war Arwen längst tot und sie wussten es nicht.
"Ich bin mir sicher, dass Glorfindel uns helfen kann", sagte Legolas ermutigend und streckte die Hand aus, um über ihre Wange zu streichen. "Gib die Hoffnung nicht auf. Für einige bist du die Hoffnung selbst."
Diese Anspielung auf die Prophezeiung machte sie nur noch nervöser. Sie war immer noch die Auserwählte, sie würde es immer sein; doch lag ihr Schicksal den Valar genug am Herzen, um ihre geliebte Freundin zu retten? Im Prinzip musste sie diese Frage bejahen, denn bisher hatte Arwen immer überlebt, wie ernst es auch um sie gestanden hatte. Bisher hatten die Valar sie immer verschont und ihr ihr Leben gelassen. Aber würden sie es auch dieses Mal tun?
"Wieso ist denn hier niemand?", brummte Gimli ärgerlich, doch in seiner Stimme schwang auch Angst mit. Die Sorge um Arwen hatte ihn verändert, sie wirkte sich bei ihm ganz anders aus als bei Tauriel und Legolas. Er war bitter geworden, sprach selten und machte keine Späße mehr, Sie hoffte, dass es ihm besser gehen würde, wenn sie das Heilmittel hätten. Falls es überhaupt ein Heilmittel gab.
"Ich bin überzeugt davon, dass man uns längst bemerkt hat", erwiderte sie laut, um mögliche Beobachter aus der Reserve zu locken- tatsächlich trat Glorfindel hinter einer Säule hervor. "Seid mir gegrüßt, Glorfindel! Fürchtet Ihr uns, oder warum versteckt Ihr Euch, wenn wir eintreffen?"
Noch wusste er nicht, dass seine einstige Herrin schwer krank war und sie nicht nur zum Vergnügen hergekommen waren. Noch durfte sie ihn ein wenig ärgern.
"Ihr wisst, Tauriel, dass die Bewohner von Imladris sich niemals fürchten", gab er mit einem breiten Lächeln zurück und grüßte sie mit dem traditionellen Elbengruß, als sie von Sturmfunkes Rücken sprang. "Eure Ankunft erhellt meinen Tag."
"Ich freue mich auch sehr, hier zu sein. Legolas und Gimli kennt Ihr ja schon."
"Oh ja." Er schmunzelte, vermutlich dachte er daran, wie Gimli beim Ringrat versucht hatte, den Ring mit seiner Axt zu zerstören. "Es macht mich gücklich, dass ihr alle hergekommen seid. Doch wo ist die Königin von Gondor? Ist ihr altes Zuhause ihr so wenig wert, dass sie es nie besuchen möchte?"
Ein Schatten glitt über Legolas' Gesicht und ihr zuliebe übernahm er das Reden. "Das Gegenteil ist der Fall, werter Glorfindel, oft spricht Arwen Undomiel von ihrer Heimat und der glücklichen Zeit, die sie dort verbringen durfte. Doch schwer lastet auf ihr das Gewicht der Krone; sie hat viele Pflichten zu erfüllen, die es ihr nicht erlauben, das Königreich der Menschen zu verlassen. Dieser Umstand schmerzt sie sehr. Doch ich hörte, Kronprinz Eldarion, ihr ältester Sohn, wird Euch bald mit einem Besuch beehren. Derzeit lernt er bei König Eomer von Rohan."
"Der älteste Sohn unseres kostbarsten Schatzes wird uns ein willkommener Gast sein."
"Erlaubt mir zu sagen, wir sind nicht ohne Grund hergekommen." Legolas tauschte einen Blick mit ihr, der Ruhe ausstrahlte, und sie spürte, wie sich ihr Herzschlag verlangsamte. "Denn Königin Arwen, deren Gesundheit seit jeher zart ist wie die Feder einer Taube, ist an einer rätselhaften Krankheit erkrankt, die auch ihre Tochter Luthien befallen hat. Unsere Heiler wissen kein Heilmittel, das ihnen helfen könnte, und darum wenden wir uns an Euch. Seit Herr Elrond ein Schiff bestiegen hat, seid Ihr der begnadetste Heiler in Mittelerde."
Traurig sah Glorfindel ihn an, dann auch sie. "Schon immer machte mein Herr sich Sorgen um das Wohlergehen seiner Tochter und immer waren seine Sorgen begründet. Er hat mir einiges hinterlassen an Kräutern, Büchern und Wissen, das uns vielleicht hilfreich sein könnte. Kommt mit mir in seine ehemaligen Gemächer, die nun ich bewohne; dort werden wir sicherlich etwas finden."
Mehrere Stunden lang durchforstete Glorfindel seinen Bestand an Medikamenten und Kräutern, las Bücher, die teilweise Elrond selbst verfasst hatte, und zog sich schließlich mit einigen Utensilien in einen Nebenraum zurück, um die Kräuter zusammen zu mischen.
Tauriel lehnte an Legolas' Schulter auf einem Sofa, neben ihr saß Gimli, der sich allmählich zu entspannen schien.
"Wir schaffen das", murmelte sie schläfrig, "Wir schaffen das. Glorfindel braut uns einen wunderwirkenden Trank, wir geben ihn Arwen und alles wird wieder, wie es einmal war."
"Ganz genau." Legolas küsste sie auf die Stirn und strich ihr über das Haar, dann sah er Gimli an: "Na, alter Brummbär, wie sieht's aus? Sprichst du jetzt wieder mit uns, oder was?"
"Ihr müsst mir verzeihen, meine Freunde." Gimli warf ihnen einen zerknirschten Blick zu. "Ich war unausstehlich, das weiß ich. Aber seit meiner Begegnung mit Herrin Galadriel während des Ringkrieges bedeuten mir die Elbenfrauen sehr viel, und für mich ist Arwen immer noch eine Elbe. Sie zu verlieren könnte ich nicht ertragen."
Tauriel legte ihm eine Hand auf den Arm. "Niemand ist böse auf dich, und es gibt nichts zu vergeben. Wir alle haben Angst und gehen mit dieser Angst unterschiedlich um."
In diesem Moment kehrte Glorfindel zu ihnen zurück, in der Hand hielt er vier kleine Flaschen. In zweien schimmerte eine schwarzglänzende Flüssigkeit, die Flüssigkeit in den anderen beiden war matt und violett.
"Gebt den Kranken die schwarze Medizin, wenn ihr wieder in Minas Tirith seid, der Inhalt der Flasche muss ganz und in einem ausgetrunken werden. Das andere Mittel gebt ihr ihnen eine Woche und zwei Wochen nach dem schwarzen, jeweils die Hälfte mit Wasser verdünnt." Dann ratterte er eine Liste mit Kräutern herunter, von denen Tauriel sich kein einziges merken konnte. "Diese Heiltränke werden ihnen helfen, sie werden an Stärke gewinnen und die Symptome verschwinden. Ihr solltet bald aufbrechen."
"Vielen, vielen Dank, Glorfindel. Das werden wir Euch niemals vergessen. Hoffentlich findet Arwen eines Tages die Zeit, Euch hier zu besuchen. Sie liebt Bruchtal wirklich über alles."
"Kein Wort des Dankes ist nötig. Als ich nach Mittelerde zurückkehrte, verschrieb ich mich dem Hause Elronds, und das wird sich niemals ändern."

Mit raschen Schritten stürzten Tauriel, Legolas und Gimli durch die langen Hallen des Palastes von Minas Tirith, in ihrer Tasche trug Tauriel die lebenswichtigen Medikamente für Arwen und Luthien.
"Wieso ist denn hier nirgendwo jemand?", keuchte Gimli, "Das ist kein gutes Zeichen."
"Vielleicht wurde der Großteil der Dienstboten evakuiert, um sich nicht anzustecken", antwortete Legolas beruhigend und ergriff ihre Hand, da er wusste, dass sie ansonsten gleich verrückt werden würde. "Ich bin mir sicher, dass alles in Ordnung ist. Anders können die Valar es nicht wollen."
Trotzdem fingen Tauriels Beine an zu zittern und sie übergab die Tasche an Legolas, aus Angst, die Fläschchen zu zerbrechen.
Sie erreichten Arwens Schlafzimmer und öffneten die Tür. Arwens ganzer Körper schien kleiner und viel schmaler geworden zu sein, als sie ihn in Erinnerung hatte, sie wirkte, als könne ein Windhauch sie umblasen. Zart und zerbrechlich sah sie aus, ihre Haut war durchscheinend und wächsern wie Papier, ihre Augen waren geschlossen, doch man sah auf den Lidern einen fiebrigen, unnatürlichen Glanz. Ihre dunklen Haare umgaben ihr bleiches Gesicht wie ein Fächer. Ihre Stirn und ihre Wangen waren von einem Schweißfilm bedeckt. Arwen sah nicht aus, als sei sie krank. Arwen sah aus, als sei sie bereits gestorben. Und warum war sie ganz allein und niemand lag hier bei ihr? Hatten sie sie schon aufgegeben?
Tauriel stieß einen wimmernden Laut aus, ähnlich wie ein leidendes Tier, und Legolas schlang von hinten die Arme um sie.
"Du bist nicht allein", hauchte er ihr ins Ohr, "Ich bin hier bei dir. Du musst das nicht allein durchstehen."
Die Tür öffnete sich und Galadwen kam herein. "Ihr seid zurück", stieß sie hervor, "Eru sei Dank!"
"Was ist hier los?", fragte Tauriel scharf, "Wieso liegt sie hier so allein, ohne jemanden an ihrer Seite? Warum habt ihr sie allesamt aufgegeben?"
"Das haben wir nicht." Galadwen schluckte. "Aber sie ist seit drei Wochen nicht mehr aufgewacht. Ihr Herz schlägt und sie atmet, darum flößt Herion ihr Wasser und Suppe ein, aber sonst weiß er nicht, was er noch tun soll. Außerdem ist noch etwas passiert..." Sie hielt inne, als überlegte sie, wie sie es ihnen mitteilen sollte. "Mama hat noch ein Kind bekommen. Noch ein Mädchen."
"Wie bitte?", entfuhr es Tauriel. "Herion hat nach Luthiens Geburt gesagt, sie übersteht keine weitere Schwangerschaft!"
"Ich weiß", erwiderte Galadwen niedergeschlagen. "Aber es ist nun mal trotzdem passiert. Und seit der Geburt der Kleinen ist ihr Zustand unverändert."
"Hol mir Aragorn hierher", befahl sie ohnmächtig vor Zorn. "Ich werde ihn-"
"Gar nichts wirst du." Wieder schlang Legolas die Arme um sie. "Es muss Aragorn sehr schlecht gehen. Du wirst ihn begrüßen und deinen Ärger herunter schlucken. Es geht hier nämlich nicht um dich oder um ihn, sondern nur um Arwen. Nebenbei- wie geht es Luthien?"
"Die Krankheit ist mit den Wochen immer weiter abgeebbt. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut, sie liegt zwar im Bett und ist oft müde und schwächlich, aber sonst hat sie sich gut erholt. Sie ist es nicht, um die wir uns Sorgen machen."
Tauriel sah noch einmal zu Arwens Bett, dann wandte sie sich wieder an Galadwen: "Hole deinen Vater und auch Luthien. Wir haben von Glorfindel ein Mittel erhalten, das sie beide heilen wird."
Das Mädchen verließ den Raum und Gimli reichte ihr eine der Flaschen mit der schwarzen Flüssigkeit. Schon einmal hatte Tauriel Arwen etwas eingeflößt und sie damit vor dem Tod bewahrt. Schon einmal hatte es funktioniert.
Langsam entkorkte sie die Flasche und setzte sie an Arwens trockene Lippen. "Du kannst das", flüsterte sie so leise wie möglich, damit die anderen sie nicht hörten. "Ich weiß es. Du hast schon so viel geschafft. Das hier wird dich nicht brechen."
Sie flößte es ihr ein, Schluck für Schluck, hörte, wie Aragorn den Raum betrat, aber sah ihn nicht an. Es gab nur sie und Arwen. Als die Flasche leer war, tat sie einen tiefen Atemzug.
Dann schlug Arwen die Augen auf.

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