Kapitel 34
Während meiner ersten Schwangerschaft hatte Aragorn mich behandelt, als sei ich aus Glas, hatte mit Herion und unserem obersten Koch einen Ernährungsplan aufgestellt und alles so straff wie möglich durchgeplant. Als ich mit Galadwen schwanger war, hatten wir beide es nicht so recht wahrhaben wollen, ich war zerfressen von Schuldgefühlen und Aragorn konnte mir nicht mehr in die Augen sehen, weil er sich trotz der Umstände so sehr freute. Dadurch hatten wir beide wenig Gelegenheit gehabt, irgendetwas zu planen.
Dieses Mal kam eine gewisse Routine auf; ich arbeitete am Tag zwei Stunden weniger, bekam regelrechte Heißhungerattacken auf Heidelbeeren und Blumenkohl- auch zusammen nicht zu verschmähen- und weinte in den ersten fünf Monaten eigentlich ununterbrochen. Es war mir so peinlich, vor allem vor meinen Kindern.
Eldarion reagierte gefasst und dass er sich für uns freute, war nicht zu übersehen. Sofort beschloss er, sein halbes Jahr in der Fremde nach hinten zu verschieben, um sein Geschwisterkind kennenzulernen und, wie er besonders betonte, uns nach Kräften unter die Arme zu greifen. Ich hoffte inständig, dass das keine Anspielung auf Galadwen war, denn er war immer noch derjenige, der am Besten auf sie einwirken konnte. Sie unterschied sich so sehr von ihrem Bruder, auch wenn sie sich nach der Eröffnung, dass sie bald nicht mehr die Jüngste im Palast sein würde, etwas mit ihren Allüren zurückhielt. Manchmal wünschte ich mir, dass sie Eldarions Ruhe und Verlässlichkeit besäße, dass sie gelassener reagieren und zumindest manchmal auf ihre Eltern hören würde. Sie hatte eine Vorliebe dafür entwickelt, sich nachts aus dem Palast zu schleichen, mit ihren Freundinnen Kuchen aus der Küche zu klauen- wer sie wohl auf diese Idee gebracht hatte? Tauriel und ich rätselten des öfteren darüber- nicht zu ihrem Unterricht zu erscheinen oder auf andere Weise negativ aufzufallen.
Dennoch, das musste ich ihr lassen, war ihre Reaktion auf ein weiteres Geschwisterkind äußerst positiv gewesen, ich glaube, in gewisser Hinsicht freute sie sich sogar. Sie hatte uns gratuliert und eigenhändig ein zwar eher unförmiges, aber mit sehr viel gutem Willen gestricktes rosafarbenes Kleidchen gefertigt. Scheinbar hoffte sie auf eine Schwester.
Im Prinzip war es mir völlig gleich, welches Geschlecht unser Kind haben würde. Eldarion war in seinen ersten fünf Jahren wahrhaft anstrengend gewesen, dafür in seiner Jugend ein wahrer Engel, im Gegensatz zu Galadwen. Die Königin in mir hoffte auf einen Sohn, denn ein zweiter Erbe, falls Eldarion etwas zustoßen sollte, war ausgezeichnet, aber ansonsten hatte ich keine Präferenz. Hauptsache, es war gesund und munter und schlief viel.
Als ich an diesem Morgen aufwachte, musste ich plötzlich an meinen kleinen Bruder denken, den Galadriel in ihrem Gespräch mit Tauriel erwähnt hatte. Eriven. Ich hatte in den letzten Jahren nicht oft an ihn gedacht, seine Existenz meistens verdrängt. Ich würde ihn niemals kennenlernen, niemals erfahren, wie er aussah. Ich vermutete, dass er mir ähnelte, möglich war aber auch, dass er das silberne Haar meiner Mutter hatte. Doch irgendetwas in seinem Namen sagte mir, dass er aussah wie Ada und ich. Ich stellte mir vor, wie er über die Wiesen Valinors rannte, Celebrian hinter ihm her, stellte mir das glückliche, erfüllte Lächeln auf ihrem Gesicht vor. Ich wusste, dass sie glücklich war, ich spürte es. Der Schmerz meinetwegen war in den Hintergrund gerückt, denn nun hatte sie etwas, das sie mehr brauchte und für sie erreichbar war. Ich gönnte es ihr. Nach all den Qualen hatte sie es verdient.
Schwerfällig setzte ich mich im Bett auf. Aragorn schlief friedlich, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, sodass ich ihn nicht wecken wollte. Selten schlief er so ruhig und sorglos. So, dass man seine Sorgenfalten beinahe nicht bemerkte. Wir waren beide älter geworden, mein Mann und ich, doch sah man es ihm viel mehr an als mir. Ich hatte das Gefühl, dass wir wie Kinder gewesen waren, als wir das Königspaar Gondors wurden, trotz allem, was wir bis zu diesem Zeitpunkt schon erlebt hatten. Nichts hatte uns mehr geprägt als die Krone. Als hätte mein Leben erst damit richtig angefangen.
"Guten Morgen, Prinzessin", säuselte eine unverkennbare Stimme an mein Ohr. Nichts war lustiger, als Aragorn, wenn er versuchte, verführerisch zu wirken. Wenn er sich nicht darum bemühte, funktionierte es großartig, aber gab er sich Mühe, ging es ziemlich daneben.
"Genau genommen bin ich nicht die Prinzessin. Ich bin die Königin", erwiderte ich und richtete mich auf. Wie auf Kommando hielt er mir eine dampfende Tasse Tee entgegen.
"Und ich bin Euer untertänigster Diener, Herrin." Er schenkte mir sein charmantestes Lächeln und ich rollte mit den Augen.
"Sag mir lieber, was heute geplant ist."
"Nichts."
"Nichts?"
"Absolut gar nichts. Ich habe unsere Termine abgesagt, den Hauslehrern freigegeben und ein hervorragendes Essen bestellt. Den ganzen Tag können wir machen, was wir wollen."
"Klingt großartig", musste ich zugeben. "Komm her, Diener, dafür muss ich dich mit einem Kuss belohnen."
"Das ist für mich die schönste Belohnung. Wie geht es dir denn heute?"
"Dein Kind ist sehr unruhig. Hat mich in der Nacht lange wachgehalten und getreten, daher bin ich etwas unterschlafen. Ansonsten fühle ich mich hervorragend, und ich freue mich, wenn ich heute etwas an die frische Luft komme." Dass ich an Eriven gedacht hatte, erzählte ich ihm nicht, ich wollte nicht, dass er sich um mich sorgte. Außerdem war es nicht allzu wichtig, es war ja nur ein kurzer Gedanke gewesen.
"Du hättest mich wecken können", protestierte er mit einem leicht vorwurfsvollen Unterton in der Stimme. "Außerdem, meine Liebste, ist es auch dein Kind. Und Herion hat dir doch angeboten, dir abends ein Schlafmittel zu verabreichen."
"Ich möchte aber kein Schlafmittel, das ist wirklich nicht nötig. Genauso wenig ist es nötig, dass du dir andauernd Sorgen um mich machst. Es geht mir gut. Es ist nicht schlimm, wenn man während der Schwangerschaft einige Nächte wachliegt, weil es nämlich ganz normal ist."
"Das weiß ich doch, trotzdem gefällt es mir nicht. Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen und nicht nur tatenlos zusehen, wie du dich quälst."
"Ich quäle mich nicht, Aragorn. Ich bin glücklich, überglücklich sogar, denn wir bekommen noch ein Kind. Die unangenehmeren Aspekte, die damit verbunden sind, nehme ich gerne in Kauf. Und glaub mir, du kannst mir noch oft genug helfen, wenn das Kleine erst einmal auf der Welt ist. Langweilig wird es dir nicht."
"Das hoffe ich." Er half mir beim Aufstehen und küsste mich erneut. "Tauriel wartet schon auf dich, sie freut sich auf den freien Tag mit dir. Eldarion und Legolas sind noch draußen unterwegs, stoßen aber bald zu uns."
In den letzten Wochen hatten die beiden sich angewöhnt, viel zusammen zu unternehmen, sie ritten gemeinsam aus, gingen auf die Jagd und Legolas brachte Eldarion bei, sich wie ein wahrer Elb zu verhalten. Es freute mich, dass mein Sohn so zu ihm aufschaute und ihn als ein Vorbild sah und manchmal glaubte ich, dass Legolas durch diese Unternehmungen den Verlust seines Sohnes zu kompensieren versuchte. Tauriel und Legolas hatten sich danach nie über potenzielle weitere Kinder geäußert, doch ich vermutete, dass sie nicht über die damaligen Geschehnisse hinweg gekommen waren und ihren Wunsch erst einmal auf Eis gelegt hatten.
Ich zog mich an und ließ mir von Urwen eine Hochsteckfrisur machen, dann gingen Aragorn und ich zusammen nach unten und freuten uns auf einen neuen Tag. Das Leben war wundervoll.
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