Kapitel 32
Ich spürte, wie mir das Blut aus den Wangen wich. Es war nicht schwer zu erraten, wo er war. Er war seinem Vater hinterher geritten, um sich der ganzen Welt zu beweisen. Er war ja genau wie Aragorn! Genau wie Aragorn! Ich tat einen tiefen Atemzug, um meine Gedanken zu sammeln, dann stand ich auf dem Bett auf. Was auch immer geschah, ich durfte keine Panik auslösen. Eldarion war der Thronfolger, der Kronprinz von Gondor- wenn die Leute erfuhren, dass er fort war, würden sie sich wahnsinnige Sorgen machen, denn momentan hatte ich nur einen Sohn.
"Wache, schick mir Rian herbei!", rief ich durch die geschlossene Tür, dann schlüpfte ich in eine Hose, eine weite Bluse und lederne Stiefel. Es ging also wieder auf die Reise. Ich hatte niemanden mehr, den ich schicken konnte, denn meinen Dienerinnen könnte ich das nicht zumuten, außerdem sollte sich eine Mutter persönlich auf die Suche nach ihrem Sohn machen. Selbst wenn sie eine Königin war. Vor allem, wenn sie eine Königin war.
"Euer Majestät?", Rian betrat den Raum und wirkte geschockt von meinem Aufzug.
"Eldarion ist verschwunden", erklärte ich knapp, "Vermutlich reitet er dem Heer hinterher. Ich brauche Windherz, ausreichend Proviant, sodass es bis nach Rohan reicht, und ein Schwert und einen Bogen. Außerdem werden du und die anderen sich um Galadwen kümmern müssen- wäre es möglich, dass du sie mit zu dir nach Hause nimmst?"
"Mama!", jammerte die Kleine und es zerriss mir das Herz. Ich wollte sie nicht verlassen, sie war nicht gewöhnt, von mir getrennt zu sein, doch ich musste ihren Bruder retten.
"Es tut mir so leid, mein Liebling. Ich möchte auch nicht gehen, aber es muss sein. Eldarion hat etwas sehr, sehr Dummes getan und ich muss dafür sorgen, dass er deswegen nicht in Gefahr gerät. Das verstehst du doch, oder?"
"Ja", schluchzte sie, "Ich will mit!"
"Das geht nicht, Süße. Das ist zu gefährlich für dich, weißt du. Aber du wirst solange bei Rian bleiben, und wenn alles vorbei ist, sehen wir uns ganz schnell wieder."
"Du kennst doch meine Töchter, Gilmith und Cirya, mit denen kannst du spielen", meinte Rian in beruhigendem Tonfall, "Und ich sorge schon dafür, dass dir die Zeit nicht zu lang wird. Jetzt muss ich mich um die Sachen für deine Mama kümmern, aber danach sagen wir ihr zusammen Auf Wiedersehen, in Ordnung?"
Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu und nahm dann Galadwen mit in ihr Zimmer, um sie dort anzuziehen.
Keine halbe Stunde später saß ich auf dem Pferd und hatte Minas Tirith hinter mir gelassen. Mein Herz schlug so schnell gegen meine Brust, dass ich fürchtete, es würde zerspringen. Ich hatte wahnsinnige Angst um Eldarion. Er hatte doch noch gar keinen Unterricht gehabt, er war vollkommen wehrlos. Ich wusste, dass er seit etwa zwei Jahren für sich allein mit einem alten Holzschwert übte, aber das bereitete ihn doch nicht auf eine Schlacht vor! Das machte ihn nicht zu einem Krieger!
Schon von weitem erkannte ich, dass die Schlacht vor Edoras bereits in vollem Gange war. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie bereits kämpfen würden, wenn ich ankäme, oder dass die Korsaren gezielt ein Heer aufgestellt hatten. Ich hatte gedacht, es ginge darum, Rohans Grenzen zu verteidigen. Stattdessen sah ich hier ein riesiges Heer und eine tobende Schlacht. Es ging nicht um Grenzen, es ging um Leben und Tod. Ich wünschte, Aragorn hätte mehr Männer mitgenommen... Ich zog die Kapuze meines Umhangs über, damit man mich nicht direkt als Frau identifizieren konnte, und zog mein Schwert. Das letzte Mal, dass ich in einen Kampf verwickelt gewesen war, war kurz vor dem Ringrat gewesen, als ich Frodo vor den Nazgul gerettet hatte, aber da hatte ich kaum kämpfen müssen, sondern konnte mich auf mein schnelles Pferd verlassen. Und das Mal davor? Danach hatte ich wochenlang mit meinen Verletzungen gerungen und wäre um ein Haar gestorben.
Ich wünschte wirklich, ich müsste jetzt nicht kämpfen.
Stattdessen stürzte ich mich mit Windherz durch die wogende Menge in Richtung der Kavallerie Rohans und Gondors, immer Ausschau haltend nach meinem missratenen Sohn oder jemandem, den ich kannte.
Mehrere Korsaren griffen mich an, denen ich einfach davon galoppierte, doch ich konnte mich nicht ewig verstecken. Auf dem Pferd war ich sicherer, aber andererseits war es schwieriger für mich, Eldarion zu finden. Plötzlich kam mir ein Geistesblitz.
"Windherz!", rief ich, "Suche Eomer!" Der Hengst kannte ihn, war an ihn gewöhnt- würde er ihn finden können?
Tatsächlich eine Bewegung durch seinen Körper zu gehen, er streckte sich und änderte augenblicklich die Richtung. Er wieherte schrill, wich einem grausam grinsenden Korsaren aus und preschte los. In der Menge konnte ich Eomers Gesicht ausmachen, wir erreichten ihn und ich sprang vom Pferd.
"Königin Arwen", grüßte er mich erstaunt.
"Ich bin für dich immer noch Arwen, ich würde dich auch nicht mit König oder Euer Majestät anreden", wehrte ich ab und umarmte ihn fest.
"Arwen. Was tust du hier?"
"Wann hast du meinen Mann das letzte Mal gesehen? Oder Tauriel?", stieß ich atemlos hervor.
"Ich habe sie gebeten, die Korsaren mit einem Teil des Heeres von hinten zu überraschen. Aber Legolas ist hier; er führt mit Gimli eine Gruppe Elben an, die sich dem Kampf angeschlossen haben. Aber was ist denn überhaupt los?"
"Mein Sohn ist mir abhanden gekommen. Aragorn hat ihm sinnvollerweise verboten, mit ihm zu reiten, also ist er ausgerissen und hat das Ganze selbst in die Hand genommen."
"Das ist ja furchtbar!" Er erbleichte. Er hatte selbst Kinder und konnte sich daher wohl lebhaft vorstellen, welche Gefühle ich gerade durchlebte und wie viel Angst ich hatte. "Wir müssen alles tun, um Eldarion zu finden."
"Das ist sehr freundlich von dir. Alle Soldaten müssen Bescheid wissen, dass wir einen kleinen Jungen suchen, kannst du dafür sorgen? Dann reite ich weiter das Schlachtfeld ab und halte die Augen offen."
Er nickte mitfühlend und so schnell ich konnte sprang ich wieder aufs Pferd und machte mich davon. Es waren so viele Korsaren. Sie waren überall um mich herum, ich spürte, wie sie meine Beine berührten und die Hände nach mir ausstreckten. Es war furchtbar. Ich war wahrhaftig nicht für den Kampf gemacht, wenn ich auch früher anders gedacht hatte. Sie verpassten mir Schnittwunden an den Beinen und im Hüftbereich, mit Schwerthieben musste ich ihre Angriffe abwehren und ich konnte von Glück reden, dass sie Windherz nicht verletzten. Wieder und wieder überquerte ich die Ebene und suchte nach meinem kleinen Jungen. Tränen strömten mir über die Wangen.
"Mama?" Ich fuhr herum und hielt Windherz an. Da stand er, wirkte völlig unschuldig, mit einem Schwert in der Hand, das viel zu groß für ihn war. Für einen kurzen Moment schien die Zeit still zu stehen. Dann trieb ich Windherz an und als Eldarion mit einem kleinen, furchtsamen Lächeln auf mich zukam, tat ich etwas, das ich davor noch nie getan hatte. Ich streckte die Hand aus und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Entsetzt sah er mich an, stumm zog ich ihn hinter mich aufs Pferd.
"Wie konntest du nur?", schrie ich gegen den brausenden Wind, "Wie in aller Welt konntest du mir das antun? Was geht nur in deinem Kopf vor? Du bist nicht der einzige, der von deinen Entscheidungen betroffen ist. Du hast eine Schwester, einen Vater, eine Mutter. Du hast Tante Tauriel und die anderen, deinen Hauslehrer und deine Freunde. Eines Tages wird ein ganzes Volk von deinen Entscheidungen abhängig sein. Und du schnappst dir eine Waffe und ein Pferd und glaubst, du kannst Krieg spielen! Das hier ist kein Spiel, Eldarion, hier sterben Menschen. Du hättest sterben können, und auch ich hätte sterben können, bei dem verzweifelten Versuch, dich zu retten. Ich hätte mehr von meinem Sohn erwartet, wirklich. Ich hätte mehr erwartet."
Er war unfähig, eine Antwort zu geben, und ich war unfähig, noch etwas zu sagen.
Denn plötzlich hatte ich einen Pfeil im linken Bein stecken und Blut strömte aus der Wunde. Ich stöhnte auf vor Schmerz, konnte einen Schrei gerade noch unterdrücken.
"Mama!", rief Eldarion ängstlich und seine Stimme überschlug sich. Jetzt tat es mir leid, dass ich ihn so angefahren hatte.
"Es ist alles gut, mein Liebling", antwortete ich und merkte jetzt schon, wie meine Stimme schwächer wurde. "Ich verspreche dir, es wird alles gut werden. Gleich sind wir bei deinem Vater und dann gibt es keine Gefahr mehr." Tatsächlich sah ich Aragorn mit Tauriel und Eomer an der Stelle stehen, wo ich zuletzt mit Eomer gesprochen hatte. "Siehst du ihn, Eldarion? Papa hat das alles hier unter Kontrolle."
"Arwen!", schrie Aragorn, als ich Windherz vor ihnen zum Stehen brachte. "Den Valar sei Dank- was ist nur geschehen?"
Kraftlos sank ich vom Pferd und spürte, wie meine Knie nachgaben, doch er fing mich auf. "Ich hab dich", flüsterte er sanft und besorgt zugleich und zog mich an sich.
Und dann, umgeben von Schlamm und Blut und den lauten Schreien der Kämpfenden, wollte ich nichts anderes als meinen Mann zu küssen.
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