Kapitel 30- Tauriel
Tauriel und Legolas blieben fast sechs Monate in Lothlorien. Tauriel richtete das ehemalige Schlafzimmer von Galadriel und Celeborn für sie ein und gemeinsam jagten sie im Wald und pflegten die Felder und Obstbäume, sodass sie genug zum Essen hatten. Es war ein sehr entspanntes und unaufregendes Leben; sie ritten aus, lasen in den Büchern, die Galadriel hier zurückgelassen hatte und sie redeten unglaublich viel. In den letzten Jahren hatten sie wenig Zeit für sich gehabt, hier holten sie das nach. Und oftmals sprachen sie auch gar nicht, stattdessen hielt Legolas sie einfach in den Armen und sie konzentrierte sich auf seine regelmäßigen Atemzüge.
Die Erinnerung an das Geschehene verblasste nicht, das würde sie niemals, aber der Schmerz ebbte allmählich ab. Tauriel lachte zwar seltener, aber sie lachte, und sie wachte nicht mehr auf mit dem Gedanken, dass sie den Tag gar nicht erleben wollte. Nicht jede Minute des Tages dachte sie an ihren Sohn. Legolas unterstützte sie dabei, darüber hinweg zu kommen und gemeinsam erholten sie sich.
Ihre Wunden schlossen sich, doch Narben blieben zurück.
Eines Morgens wachte Tauriel auf und dachte an Arwen. Seit dem Tag der Fehlgeburt hatte sie sie nicht mehr gesehen und das war inzwischen knapp ein Jahr her- wie es ihr wohl ging? Sie machte Arwen natürlich keine Vorwürfe, dass sie nicht hier bei ihr war, Legolas hatte sie schließlich weggeschickt, aber dennoch sie fragte sich, wie es ihr wohl ging in Minas Tirith.
"Legolas", flüsterte sie in den halbdunklen Raum hinein.
"Ich schlafe", antwortete er mit schläfriger Stimme.
"Ich habe mich gefragt, wie es wohl Arwen geht. Und Aragorn und Gimli. Es ist lange her, dass wir sie alle gesehen haben."
"Da hast du recht." Er schien zu begreifen, dass es mit dem Schlaf für heute vorbei war und stützte sich auf den Ellenbogen. Abwartend sah er sie an.
"Ich vermisse sie. Ich habe in den letzten Monaten gar nicht realisiert, dass es so ist, aber ich vermisse sie."
"Wir können jederzeit zurück. Das habe ich dir schon oft gesagt, sobald du es willst und bereit dafür bist, brechen wir auf und reiten nach Minas Tirith zurück. Das kannst du entscheiden."
"Ich weiß nicht, wie sich das anfühlen wird. Wir werden ankommen und sie werden alle sagen, wie leid es ihnen tut. Sie werden mitfühlend sein und über meinen Arm streichen und mich in Watte packen. Sie werden totschweigen, was passiert ist, und sich hüten, in meiner Anwesenheit davon zu sprechen. Und wenn sie das tun, werde ich es nicht vollständig verarbeiten können. Ich habe mich hier damit auseinandersetzen können und weiß nicht, ob das in Minas Tirith auch noch möglich sein wird."
"Ich glaube, wenn du ihnen ausdrücklich sagst, was du empfindest, werden sie sich Mühe geben, deinen Wünschen zu entsprechen. Du weißt, wie sie damit umgehen, wenn es jemandem schlecht geht- du weißt es von Arwen- aber diese Situation ist eine völlig andere. Sie werden natürlich nicht wissen, wie sie damit umgehen und wie sie dich behandeln sollen, aber wir werden es ihnen sagen. Dann musst du dich aber auch dazu bereit erklären und nicht nur erwarten, dass sie auf dich zukommen, sondern es ihnen einfach machen. So einfach, wie du es kannst."
Noch am selben Tag ritten sie los und Tauriel nahm erneut Abschied von Lothlorien. Von ihrem Wald. Ihr Aufenthalt hatte ihr Leben vollkommen verändert. Sie wusste jetzt, wie es war, ein Kind zu verlieren, und sie hatte es so verarbeitet, wie sie es gekonnt hatte. Sie würde nicht sagen, sie sei darüber hinweg, aber sie konnte damit umgehen.
Als sie den Wald verließen, streckte sie die Hand nach Legolas aus und sie verschränkten ihre Finger ineinander.
"Ich möchte nie Kinder haben, Legolas", flüsterte sie, "Niemals."
Er sah sie an und seine Augen waren so traurig, dass es ihr Herz zerriss. "Ich verstehe dich", antwortete er und drückte ihre Hand. Wenn du es so willst, soll es so sein. Ich kann es akzeptieren."
"Es tut mir leid."
"Mir auch, bereth nin. Mir auch."
"Vergib mir."
"Möge eure Liebe auf ewig bestehen, hat mein Vater bei unserer Hochzeit gesagt, weißt du es noch? Und das tut sie. Ich liebe dich wie am ersten Tag, wenn nicht mehr. Ich weiß, dass du mich auch liebst. Und mehr brauche ich nicht. Ich hätte mich über Kinder gefreut, aber wir haben einen riesigen Verlust erlitten, und wenn du nicht in der Lage bist, diesen zu überwinden, ist das in Ordnung. Ich muss keine Kinder haben, um mit dir glücklich zu sein."
Sie sah ihn an und sein Gesicht war wie die Sonne.
Äußerlich betrachtet hatte Minas Tirith sich nicht verändert. Breite Straßen und verwinkelte Gassen, kleine Häuschen und prachtvolle Villen, beladene Marktstände und schreiende Verkäufer, die ihre Ware anpriesen. Junge Mädchen in hübschen Kleidern, Soldaten auf glänzend geputzten Pferden. Die ganze Gesellschaft Gondors traf an diesem Ort zusammen.
Einige erkannten sie und riefen ihre Namen, sie winkten freundlich und ritten schnell weiter. Niemand sollte Arwen, Aragorn und Gimli erzählen, dass sie auf dem Weg zum Palast waren und außerdem wusste Tauriel nicht, wie viel die Bewohner der Stadt von der Fehlgeburt wussten und wollte nicht darauf angesprochen werden.
Es tat gut und hatte etwas Vertrautes, wieder durch die Gänge des Palastes zu laufen und zu wissen, dass sie gleich Arwen wiedersehen würde. Es fühlte sich richtig an.
Vor der Tür zum Esssaal- es war Mittagszeit- blieb sie stehen und suchte Legolas' Blick. Er umarmte sie fest und küsste sie zart auf die Stirn.
"Ich liebe dich", sagte er beruhigend.
"Und ich dich", erwiderte sie fest und atmete tief durch, dann öffnete die Tür und betrat hinter Legolas den Raum. Gerade schnitt Arwen einem deutlich gewachsenen Eldarion ein Stück Fleisch durch, auf der anderen Seite des Jungen saß Elanor, die wie üblich breit lächelte. Gimli sprang bei ihrem Anblick auf und gab so den Blick auf Aragorn frei; der König von Gondor wirkte älter, aber sehr glücklich- und auf seinem Schoß saß ein kleines Mädchen von etwa drei Monaten mit kurzen und fast schwarzen Löckchen.
Das Kind wandte Tauriel sein Gesicht zu- es hatte Aragorns Augen.
Auf dem Absatz drehte sie sich um und stürzte aus dem Zimmer.
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