Kapitel 27
Ich war niemals eine so leidenschaftliche Reiterin gewesen wie Tauriel. Es gefiel mir, wenn ich den Wind in meinen Haaren spürte und den warmen, lebendigen Körper des Pferdes unter mir, aber ich empfand die Freiheit nicht als so befreiend, wie sie es tat. Eomer hatte mir vor einigen Jahren ein Pferd geschenkt, einen Hengst, den er eigens für mich gezüchtet hatte, und der seiner Aussage nach entfernt mit Tauriels Mearh Sturmfunke verwandt war. Er war hellgrau und hatte eine lange, schwarze Mähne und einen Schweif der gleichen Farbe und Eomer hatte ihn Windherz genannt. Doch ich kam nicht oft zum Reiten und empfand nicht die Freude, die Tauriel empfand, darum verbrachte Windherz die meiste Zeit auf den riesigen Weiden vor der Stadt. Doch er hatte sich dennoch an mich gewöhnt und liebte mich, darum kam er sofort zu mir, als ich seinen Namen rief.
Ich hatte lange keine Hosen mehr getragen, es geziemte sich einfach nicht für eine Königin, und ich hatte mich in Kleidern immer wohler gefühlt. Es war auch lange her, dass ich eine Reise unternommen hatte. Allein und vollkommen auf mich gestellt.
Ich schwang mich auf Windherz' Rücken und befestigte mein einiges Gepäckstück, eine kleine Tasche, hinter mir. Niemand hatte mir sagen können, wo Tauriel hingeritten war, ob jemand sie hatte fortreiten sehen. Aber Sturmfunke war fort und überhaupt passte es zu Tauriel. War etwas schwierig, ritt sie erst einmal weg.
Aragorn hatte natürlich lautstark protestiert. Ich hatte einen kleinen Sohn hier, den ich zurückließ, er wollte mich nicht gehen lassen, ich wäre ganz alleine- die Eskorte hatte ich als allererstes abgelehnt, Tauriel würde durchdrehen- und er hielt es für besser, Tauriel Zeit für sich zu geben. Aber ich wusste es besser. Sie wartete auf mich. Sie wollte allein sein, aber gleichzeitig brauchte sie mich, und darum würde sie mir Zeichen hinterlassen, damit ich sie finden könnte. Und dann hatte ich noch einen Grund, den Aragorn nicht kannte. Einen Grund, der mich innerlich zerfraß und mich verbrennen ließ. Vielleicht hätte ich es verhindern können. Ich hatte eine Vision gehabt; hätte ich sie richtig gedeutet, hätte ich mich den anderen mitgeteilt, wäre Tauriel gar nicht erst schwanger geworden. Ich hätte ihr sagen müssen, dass ihr Kind in Gefahr war. Aber stattdessen hatte ich zu große Angst gehabt, ich hatte gedacht, ich hätte es totschweigen können. Letztendlich war es aber doch passiert. Und zum Teil war es meine Schuld. Meine Schuld.
Das schlimmste war, ich wusste gar nicht genau, wo ich hinwollte. Wo Tauriel hinwollte. Vielleicht war sie einfach nur ins Blaue geritten, achtete gar nicht auf ihren Weg und wollte einfach nur fort. Vielleicht- und dieser Gedanke machte mir furchtbare Angst- hatte sie sich auf den Weg zu den Grauen Anfuhrten gemacht. Cirdan und seine Leute würden sie dort sehr freundlich aufnehmen, wenn sie sagte, wer sie war und es würde sofort ein Schiff für sie bereitstehen. Tauriel, Aragorn und Legolas waren bei allen Elben gefeierte Helden- Cirdan würde ihr jeden Wunsch erfüllen. Aber würde Tauriel Mittelerde ohne Legolas verlassen? Sie würde zwar in Mittelerde Galadriel und die anderen wiedersehen- und meine Mutter kennenlernen, wie mir schmerzlich bewusst wurde- aber sie wusste nicht, ob Legolas nicht erst in einigen Jahren oder Jahrhunderten nachkommen würde. Würde sie dieses Risiko eingehen, ohne sich sicher zu sein, um ihren Schmerz zu lindern? Und: Würde sie mich verlassen? Sie hatte sich nicht von mir verabschiedet. Und sie hatte meinen Großeltern und meinem Vater einen Eid geschworen; Eide waren ihr wahnsinnig wichtig und sie nicht zu erfüllen, kam ihr stets wie Verrat vor.
Wohin würde ich wollen, wenn mein Kind gestorben wäre? Eigentlich dachte ich als erstes an Bruchtal, an die kleine Idylle, in der ich meine Kindheit verbracht hatte. Ich würde mich nach etwas sehnen, das ich kannte und wo ich zur Ruhe kommen könnte. Wo meine Qualen sich mit der Zeit verringern würden. Tauriel war im Grünwald aufgewachsen- aber bedeutete ihr dieser Ort mehr als Lothlorien? Sie liebte Lothlorien mehr als jeden anderen Ort, zumindest hatte ich diesen Eindruck immer gehabt.
Ich war mir sicher, sie war nach Lothlorien geritten. Irgendetwas ließ mich das spüren.
Einige Tage später bemerkte ich am Horizont vor mir zwei schwarze Punkte, die im Laufe des Tages immer näher kamen. Ich hielt mein Schwert griffbereit- viel Schaden konnte ich damit ohnehin nicht anrichten- und hoffte einfach, dass die Zeiten sich geändert hatten und man mich nicht überfallen würde.
Plötzlich bewegten die beiden sich viel schneller und ich hatte schon das Gefühl, gleich wäre es aus mit mir- da erkannte ich Legolas und Gimli. Mein Herz setzte aus. Sie hatten mich erkannt und galoppierten auf mich zu; es war zu spät, um sich zu verstecken. Ich würde sie treffen. Und ich würde Legolas sagen müssen, dass es ein Kind hätte haben können und seine Frau es verloren hatte. Darum kam ich nicht herum.
"Arwen!", schrie Gimli voller Freude, als uns nur noch wenige Meter trennten. In seiner Stimme schwang Verwirrung mit, und eine düstere Vorahnung, als könnte er ahnen, dass etwas nicht stimmte.
"Gimli, Legolas!" Ich sprang vom Pferd und umarmte die beiden. "Ich wusste nicht, dass ihr schon auf dem Weg zurück nach Minas Tirith seid, wir hatten erst in zwei Monaten mit euch gerechnet."
"Legolas hat eine bestimmte Sehnsucht ergriffen", meinte Gimli vielsagend und das Grinsen auf Legolas' Gesicht machte es mir noch schwerer. "Wenn du verstehst, was ich meine."
"Ich verstehe es sehr gut."
"Und was machst du hier draußen, so ganz alleine?", fragte Legolas, "Ohne eine königliche Eskorte oder deinen Ehemann? Ist das denn ein angemessenes Verhalten für die Königin von Gondor?"
Ich wünschte, er würde nicht so viel scherzen. Er demonstrierte mir, wie wunderbar er sein Leben fand, wie sehr er sich auf seine Frau freute und wie zufrieden er im Allgemeinen war. In wenigen Augenblicken würde sich das ändern.
"Wir sollten uns setzen", erwiderte ich unsicher und bemerkte, wie Gimlis Gesicht sich verdunkelte. "Das ist das Beste."
Die beiden leisteten meiner Bitte folge und nun sah Legolas mich besorgt an. "Jetzt machst du mich aber neugierig."
"Tauriel war schwanger." Ich wollte weitersprechen, doch er unterbrach mich.
"Das ist ja wundervoll! Ich kann es kaum glauben- ich bin Vater! Wie alt ist das Kind- ist es ein Sohn oder eine Tochter? Mir ist nicht aufgefallen, dass sie schwanger ist, als wir aufgebrochen sind! Sind sie beide wohlauf? Und du bist uns extra entgegen geritten, um die Botschaft zu überbringen, wie lieb von dir!"
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er meine Aussage so falsch deuten würde- ich hatte ja nicht umsonst ausdrücklich war gesagt- und ratlos mied ich seinen Blick. Ich wollte nicht sehen, wie seine Augen vor Freude leuchteten, wie breit sein Lächeln war. Ich wollte es nicht sehen, denn es würde mich zerbrechen.
"Legolas-" Hilflos wand ich mich auf meinem Platz. "Das Kind ist mehrere Monate zu früh geboren worden und tot zur Welt gekommen."
Die nächsten Minuten ließen sich kaum beschreiben. Ich hatte nicht mitbekommen, wie Tauriel auf die Nachricht reagiert hatte, weil ich bewusstlos gewesen war, doch Legolas' Reaktion sah ich mit meinen eigenen Augen. Er sprang auf und schrie, mehrere Minuten lang, Gimlis und meine Hände schüttelte er ab und da war ein loderndes Feuer in seinen schmerzerfüllten Augen, das mir Angst machte. Als er sich schließlich umdrehte, dachte ich, er würde mich wieder schlagen. Gimli schien es auch zu denken, denn er stellte sich schützend zwischen uns.
"Wo ist Tauriel?", fragte Legolas heiser, und er sah nicht in meine Augen, "Wo ist meine Frau?"
"Sie ist fort. Sie hat Sturmfunke bestiegen und ist davon geritten. Ich weiß nicht genau, wo sie ist, aber ich vermute in Lothlorien." Das letzte Wort sagten wir beide synchron.
"Ich werde zu ihr reiten."
"Dann gehen wir zusammen", sagte ich. "Ich bin auf der Suche nach ihr."
"Nein. Ich reite allein. Sie will jetzt niemanden sehen- nur mich. Ich weiß das."
Zögernd sah ich Gimli an und er sah mich an, dann nickten wir beide.
"Ich werde Arwen zurück nach Minas Tirith begleiten. Tauriel und du kommt nach, wann immer ihr dazu bereit seid."
Ich schloss Legolas fest in die Arme. "Es tut mir wirklich unglaublich leid", murmelte ich, "Was passiert ist, ist so schrecklich, und ihr habt das nicht verdient. Finde sie und stelle sicher, dass es ihr gut geht. Und dann bring sie mir zurück. Ich kann sie nicht verlieren."
Er wusste, dass ich damit die Grauen Anfuhrten meinte, und nickte langsam.
Am Morgen danach übergab ich mich insgesamt drei Mal, einmal wäre ich fast von Windherz' Rücken gefallen, so schwindelig war mir, und der Schlaf brachte mir keine Erholung. Gimli sah mich an, doch er sagte nichts, und ich wusste es. Ich war wieder schwanger. Damit ging mein größter Wunsch in Erfüllung, und gleichzeitig hätte es keinen schlechteren Zeitpunkt geben können. Tauriel hatte ihr Kind verloren und wenn wir uns das nächste Mal sahen, wäre meine Schwangerschaft vermutlich schon unübersehbar.
An diesem Abend weinte ich vier Stunden lang in Gimlis Armen.
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