Kapitel 25
Einige Monate später war ich immer noch geprägt von der Erfahrung einer verschlüsselten Vision und immer noch wachsam, damit mir nichts entging, was mir helfen könnte, die tiefere Bedeutung meines Traumes zu verstehen. Ich führte Notizen darüber, es beschäftigte mich vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen, wann immer ich eine freie Minute für mich hatte. Ich hatte sämtliche Bücher zur Traumdeutung und Gabe der Voraussicht gelesen, wenn auch das Ergebnis dürftig gewesen war, und wenn ich Tauriel ansah, hörte ich das Weinen des Kindes- ich hatte den Klang bis heute nicht vergessen- und erinnerte mich daran, wie das Feuer meine Haut verbrannt hatte.
Die Tochter des Waldes, deren Haar in Flammen steht.
Tauriel und ich, wir hatten immer gedacht, nach dem Ringkrieg sei es vorbei mit den Prophezeiungen und Visionen. Ich hatte nicht damit gerechnet, jemals wieder eine Vision zu haben, und hatte der Prophezeiung keine Bedeutung mehr zugestanden. Ich dachte, es sei vorbei. Ich dachte, ich konnte einfach glücklich sein und mein altes Leben vergessen und hinter mir lassen. Nun war das nicht mehr möglich.
Ich hatte einen streng vertraulichen Brief an Erestor und Glorfindel geschrieben, die nach wie vor in Bruchtal lebten, doch bis heute keine Antwort bekommen. Ich hoffte inständig, dass er einfach noch nicht angekommen war. Denn wenn diese brisanten Informationen an die Öffentlichkeit gelangten, war es mit unserer Ruhe vorbei und obendrein würden Aragorn und Tauriel sich betrogen fühlen. Mehrmals hatte ich darüber nachgedacht, mich an Legolas oder Gimli zu wenden, doch hatte immer befürchtet, dass sie es nicht für sich behalten könnten. Legolas wäre dazu viel zu aufgebracht und würde alles in Aufruhr bringen, um Tauriel zu beschützen, und Gimli war ebenfalls viel zu impulsiv. Ich war vollkommen auf mich gestellt.
In diesen Tagen brachen Legolas und Gimli zu einer Reise zum Erebor auf, da Gimlis Vater Gloin im hohen Alter gestorben war. Anschließend wollten sie die Eisernen Berge besuchen. Sie hatten Aragorn gefragt, ob er sie begleiten konnte und wollte- natürlich konnte er nicht, hatte sie aber gemeinsam mit Elanor wenigstens bis in die Braunen Lande begleitet, was seine Stimmung deutlich gehoben hatte. Auch Tauriel hatten sie gefragt, doch diese hatte entsetzt abgelehnt. Sie konnte nicht zurück zum Einsamen Berg. Dort lagen zu viele Erinnerungen an vergangene Zeiten, die sie mittlerweile begraben hatte, und ein Besuch hätte diese Erinnerungen zurückgebracht. Ich verstand sie, und tadelte Legolas dafür, sie überhaupt gefragt zu haben.
Ich saß gerade mit Eldarion auf dem Schoß an meinen Schreibtisch und beantwortete Anfragen einiger Organisationen, die mich dazu einluden, vor ihren Mitgliedern eine Rede zu halten. Meistens stimmte ich zu; das Königshaus konnte die Wirkung in der Öffentlichkeit gebrauchen. In letzter Zeit kritisierte man uns, dass wir uns zu sehr auf uns selbst konzentriert hatten.
Verhalten klopfte es an der Tür und Tauriel trat ein.
Normalerweise erkannte ich sie an ihrem Klopfen, ein motiviertes, hartes Pochen. Sie wollte demonstrieren, dass sie allzeit bereit war. Schüchternes Klopfen bedeutete, dass etwas nicht stimmte. Unwillkürlich drückte ich Eldarion fest an mich und fühlte, wie mein Herz zu rasen begann.
"Was ist los?!", fragte ich gehetzt und alarmiert.
"Arwen..." Ich konnte ihren Blick nicht deuten, und das war bemerkenswert, denn eigentlich kam es niemals vor. Ich wusste immer, wie sie sich fühlte. Doch heute... Sie wirkte panisch, aber gleichzeitig war da ein Glänzen in ihren Augen, das ich schon einmal gesehen hatte, doch in diesem Moment nicht einordnen konnte.
"Ist alles in Ordnung?" Eldarion spürte meine Anspannung und begann zu weinen, sanft wiegte ich ihn hin und her. "Sprich doch mit mir!"
"Ich brauche einen Rat von dir." Sie setzte sich auf einen der Stühle vor meinem Schreibtisch und kaute auf ihrer Unterlippe herum. "Mir ist in den letzten paar Tagen morgens immer wieder übel gewesen, und manchmal überkam mich so ein Schwindel..."
Nun raste mein Herz noch schneller, aber nicht aus Angst, sondern vor Freude.
"Denkst du, was ich denke? Denkst du, dass ich schwanger bin?"
Ich strahlte sie an und Eldarion, der meinen Stimmungswechsel bemerkt hatte, strahlte ebenfalls. "Ja. Ja, Tauriel, das denke ich."
Dann setzte ich Eldarion auf den Boden und sprang jubelnd auf, Tauriel schlang übermütig die Arme um mich.
"Ich bekomme ein Kind!", rief sie, als könnte sie es nicht glauben. "Legolas wird Vater!" Sie kicherte. "Kannst du dir Thranduil als Großvater vorstellen?"
Bei dieser Vorstellung musste auch ich lachen. "Ich denke, er wird sich auf jeden Fall Mühe geben. Vielleicht versucht er auch, an seinem Enkel das wiedergutzumachen, was er bei seinem Sohn versäumt hat."
"Das kann sein", stimmte Tauriel mir nachdenklich zu, "Ich hoffe, er wird den Kleinen- oder die Kleine- häufig sehen." Verzückt legte sie eine Hand auf ihren noch völlig flachen Bauch. "Es ist wahrhaftig ein Wunder. Ich habe gehört, wie du das damals zu Aragorn gesagt hast, und ich konnte es nicht verstehen. Jetzt kann ich es."
"Ich freue mich wirklich sehr für dich", sagte ich begeistert, "Ich habe mir das oft gewünscht. Jetzt werden unsere Kinder zusammen spielen können."
"Sie werden beinahe wie Geschwister aufwachsen!"
"Du solltest Herion aufsuchen", riet ich ihr. "Er wird dir sagen, wie weit du bist, und dir etwas gegen die Übelkeit geben."
"Das mache ich." Plötzlich wurde sie blass und ich rechnete damit, dass sie sich übergeben würde, stattdessen stieß sie hervor: "Was ist, wenn es geboren wird, bevor Legolas und Gimli wieder zurückkommen? Er kommt nach Hause und hat ein Kind!"
"Ich glaube nicht, dass er so lange wegbleiben wird. Die ersten Anzeichen treten bei Elben meist nach anderthalb bis zwei Monaten auf, das heißt bis zur Geburt dauert es noch etwa zehn Monate. Und die zwei sind ja schon drei Wochen weg. Ich glaube, sie sind wieder da, wenn du so im sechsten oder siebten Monat schwanger bist. Das wird dann eine ziemliche Überraschung für ihn."
"Du hast recht." Sie beruhigte sich wieder. "Ich werde es ihm auf keinen Fall in einem Brief schreiben, dazu ist die Angelegenheit zu wichtig. Jetzt sollte ich zu Herion gehen."
"Komm danach wieder her. Ich werde uns Kuchen besorgen, und dann können wir uns noch ein wenig unterhalten." Ich zwinkerte ihr zu.
"Das mache ich!" In einem Wirbel aus hoffnungsvollem Enthusiasmus tanzte sie zur Tür heraus. Ich wusste ganz genau, wie sie sich fühlte. Es war das tollste Gefühl der Welt und ich wollte es auch bald wieder spüren können.
Kaum dass sie den Raum verlassen hatte, traf mich die Erkenntnis wie einen Schlag gegen den Kopf und ich taumelte, suchte Halt am Tisch.
"Mama?", fragte Eldarion verwirrt.
"Geh bitte Elanor suchen und frag sie, ob sie gerade ein bisschen Zeit für dich hat, mein Schatz", presste ich hervor, als ich auf meinen Stuhl gesunken war und nach Atem rang. Fröhlich rannte mein Sohn aus der Tür, laut den Namen seines Kindermädchens schreiend, und ich blieb allein zurück, presste die Hand auf mein schmerzendes Herz und spürte, wie heiße Tränen meine Wangen hinabrollten.
Ich blickte auf einen Wald hinab, wie ein Vogel, der darüber hinweg flog, es war ein sehr großer Wald, doch er brannte. Ich konnte erkennen, dass jeder Baum in Flammen stand, es roch nach Rauch und altem, trockenem Holz. Plötzlich ertönte das durchdringende Weinen eines Kindes, das verängstigt und einsam war, und es klang, als wäre es mitten in dem brennenden Wald zurückgelassen worden. Auf einmal stand ich im Wald zwischen in Flammen stehenden Bäumen, das Weinen war lauter geworden und ich wollte zu dem Kind hinlaufen, um ihm zu helfen, doch meine Füße kamen nicht von der Stelle. Es schien, als würden die Bäume immer näher kommen, je mehr ich mich bewegte. Ich schrie und versuchte, mich gegen die Äste, die mein Gesicht und meine Arme und Beine zerkratzten, zu wehren, doch es gelang mir nicht, denn noch immer konnten meine Füße sich nicht bewegen. Man hörte das Knacken und Zischen des Feuers, doch am lautesten war das Weinen des Kindes.
Mir entfuhr ein heiseres Stöhnen. Ich riss mich von den Ästen los und stürmte in die Richtung, aus dem das Weinen zu kommen schien. Das Kind lag in eine dreckige, braune Decke gehüllt unter einem schwarz verbranntem Baum. Es hatte einen dünnen Flaum aus rostroten Haaren auf seinem kleinen Kopf, und seine Gesichtszüge glichen denen von Legolas. Es durchfuhr mich gleichzeitig heiß und kalt.
Die Tochter des Waldes, deren Haar in Flammen steht.
Tauriel war schwanger. Und in einem brennenden Wald lag ein Kind mit ihren Haaren und Legolas' großen, schönen Augen, blau wie zwei tiefe Seen.
Tauriel und ihr ungeborenes Kind waren in größter Gefahr.
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