Kapitel 24

Nach dem Traum fand ich verständlicherweise keinen Schlaf mehr. Sobald ich wieder die Augen schloss, sah ich den brennenden Wald vor mir, hörte das Weinen das Kindes, spürte den Rauch in der Nase und die Zweige auf meiner zerkratzten Haut. Dann begann mein Herz wieder zu rasen und ich wälzte mich verzweifelt im Bett herum, auf der Suche nach Antworten. Tauriel, die Tochter des Waldes. Was würde mit ihr geschehen? Warum stand der Wald in Flammen, warum war dort ein weinendes Kind? Eldarion war es nicht, dessen Weinen erkannte ich immer und ausnahmslos. Handelte es sich um mein zukünftiges Kind, das ich mir so sehr wünschte, und das durch Tauriel auf irgendeine Weise in Gefahr geraten würde? Oder ging es vielleicht um ein Kind von Tauriel und Legolas? Ich wusste, dass die beiden vorhatten, Eltern zu werden, es war schon immer geplant gewesen, nur deswegen hatte ihre gemeinsame Wohnung drei zusätzliche Zimmer, die die letzten Jahre lang leer gestanden hatten. Aber ich wusste auch, dass Tauriel sich noch nicht als Mutter sah, dass sie sich sogar davor ängstigte. Zwar kam sie gut mit Eldarion aus, aber sie fürchtete, dass sie und ich zu verschieden wären, als dass sie wie ich eine Mutter sein könnte. Dennoch war ich davon überzeugt, dass sie eines Tages Kinder mit Legolas haben würde. Ihre Situation war anders als die meine, im Gegensatz zu mir konnte sie sich alle Zeit der Welt lassen. Nur wäre es schön, wenn ich ihre Kinder kennenlernen dürfte und sie mit meinen spielen könnten.
Aber, wenn es sich um mein Kind handelte, wie sollte Tauriel ihm schon schaden? Von ihr ging keinerlei Gefahr aus, sie war meine beste Freundin. Sie würde ihm niemals irgendwie wehtun. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich konnte mit niemandem darüber sprechen, sie alle würden vollkommen überreagieren. Meine Gabe war ihnen bekannt, und sie wussten ebenfalls, dass ich mich niemals irrte, also würde Aragorn mir ein weiteres Kind verwehren und Tauriel und Legolas würden niemals Kinder haben. Was mich verunsicherte, war die Tatsache, dass diese Vision ganz sicher im übertragenen Sinn zu verstehen war. Bisher hatte ich klare Bilder oder Szenen gesehen, aber dieses Mal war es anders. Diese Vision musste ich erst deuten, aber ich war auf mich gestellt und wusste nicht wie.
Als Aragorn am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich schon einen Großteil meiner Aufgaben für diesen Tag erledigt- nachdem ich nach zwei wachen Stunden immer noch nicht wieder eingeschlafen war, hatte ich mich in mein Arbeitszimmer hinüber geschlichen und dort an meiner Rede vor dem Verband der Schulleiter, den ich ich gegründet hatte, gearbeitet, und danach einige politische Briefe beantwortet.
"Guten Morgen, galwen nin." Mit einem breiten Lächeln küsste er mich zuerst auf die Nasenspitze und dann auf die Lippen. Gleichzeitig erleichtert, da er sich nicht an letzte Nacht zu erinnern schien, und unruhig, weil es mir nicht gut damit ging, etwas so wichtiges vor ihm zu verschweigen, erwiderte ich seinen Kuss.
"Guten Morgen." Ich schmiegte mich an seine Schulter und schloss kurz die Augen. Noch war alles gut. Aragorn und Tauriel durften niemals von meiner Vision erfahren, dann würde es auch so bleiben. Ich würde merken, wie ich das Bild des brennenden Waldes zu deuten hatte, wenn es soweit war und ich mit der Situation konfrontiert wurde. Ich war eine Elbe, ich konnte schnell denken und reagieren und war gut darin, Probleme zu lösen. Auch dieses Problem würde ich lösen.
"Was liegt heute an?"
"Heute ist nicht so viel los", erwiderte ich ausweichend. "Elanor kümmert sich heute Nachmittag um Eldarion, heute Vormittag ist er bei mir, und ich werde auf jeden Fall mit Tauriel etwas unternehmen, nachdem ich vor dem Verband der Schulleiter gesprochen habe. Sie wollen nur hören, wie gut sie ihre Arbeit machen."
"Mag sein", grinste er, "Aber dafür habe ich heute die Räte am Hals."
"Mein herzliches Beileid." Ich erhob mich aus dem Bett und zog das altrosafarbene Kleid an, das Ioreth für mich herausgelegt hatte. Meine Dienerinnen kamen nie herein, während Aragorn noch anwesend war, sie warteten stets, bis er im Nebenraum von seinen Dienern angekleidet wurde, erst dann frisierten sie mich. "Wünsch mir viel Spaß mit unserem entzückenden Sohn, den ich jetzt anziehen werde. Wir sehen uns beim Frühstück."
"Du bist gemein!", rief er mir zu, während ich leise lachend aus der Tür in das Zimmer neben unseren schlüpfte, das Eldarion gehörte. Er schlief dort zusammen mit Elanor und auch heute war wie üblich lautes Gelächter zu hören.

Am Nachmittag trafen Tauriel und ich uns im Park- entgegen unserer Tradition hatte ich diesmal den halben Kuchen aus der Küche geholt- und ich setzte alles daran, in gar keiner Weise besorgt auszusehen, als wir uns auf einer abgelegenen Bank unter einer Gruppe Bäume niederließen und sie die Himbeertorte anschnitt.
"Und, wie war es so vor deinem tollen Verband der Schulleiter?", zog sie mich auf, als ich mir das erste Stück in den Mund geschoben hatte, und zwinkerte mir zu. "Ich an deiner Stelle hätte dieses notwendige Übel längst auf einen anderen übergewälzt, aber das musst du ja selbst wissen."
"Es sind alles sehr nette Menschen", wehrte ich halbherzig ab, "Und du darfst nicht vergessen, dass sie sehr vielen Kindern in dieser Stadt und im ganzen Land den Zugang zu Bildung verschafft haben."
"Das haben nicht sie getan, das hast du getan", berichtigte sie mich mit Nachdruck, "Die haben das getan und umgesetzt, was du ihnen gesagt hast, die Ideen kamen allesamt von dir. Und außerdem kriegst du als Königin sowieso all den Ruhm."
"Bitte sag so etwas nicht", bat ich sie mit einem gezwungenen Lächeln. Es gefiel mir nie gut, wenn davon gesprochen wurde, dass meine Stellung mir Ruhm "erkaufte", auch nicht, wenn es von Tauriel kam und noch nicht einmal allzu ernst gemeint war. Es stimmte, dass ich durch meine Rolle als Königin ein großes Ansehen genoss und nahezu alle Bewohner Gondors mir sehr respektvoll und ehrerbietig gegenüberstanden. Andererseits brachte ich für sie auch ein sehr großes Opfer, dem sich das Volk gar nicht bewusst war. Auch wenn es sich stark verbessert hatte, nach wie vor war mein Alltag anstrengend und konnte sehr nervenaufreibend sein. Doch ich hatte mich daran gewöhnt und manchmal gefiel es mir auch.
"Verzeih mir. Ich weiß, dass du das nicht magst. Ich habe nur gescherzt. Arwen... Du weißt, dass du mir alles sagen kannst, oder? Dass ich immer für dich da sein und mit dir eine Lösung finden werde, egal was geschehen sein mag? Aragorn ist vor allem anderen auf Gondors Seite, doch ich werde immer auf deiner Seite sein. Was auch immer los ist, mir kannst du es immer sagen."
Sie wusste es. Ich sah es an dem Ausdruck in ihren Augen, an diesem weichen Flehen, mich ihr anzuvertrauen. Sie wusste nicht, worum es ging, aber wollte verhindern, dass ich es allein durchstand. So hatte sie mich angesehen, als ich das erste Mal krank gewesen war, als ich ihr von Aragorn erzählt hatte und davon, dass er ein Mensch sei, ich konnte so viele Male aufzählen, an denen sie mich so angesehen hatte. Sie war meine beste Freundin. Und die Vision betraf sie. Es war nur gerecht, ihr davon zu erzählen.
"Das weiß ich." Mehr konnte ich nicht sagen, ich war noch unentschlossen. Wenn ich es ihr erzählte, dann würde es sie beschäftigen, ihr den Schlaf rauben, sie an den Rand des Wahnsinns treiben. Sie hätte für den Rest ihres Lebens Angst vor, ein Kind zu bekommen. Es würde für sie alles ruinieren.
"Ich bin deine beste Freundin. Ich habe Eide geschworen, deinen Großeltern, deinem Vater und deinem Ehemann, dass ich dich beschützen und immer bedingungslos für dich da sein würde. Ich habe Legolas geheiratet und ich liebe ihn, mehr als ich es in Worten ausdrücken kann, aber meine Loyalität gehört dir. Sie wird immer dir gehören. Und darum kannst du mir erzählen, was dich beschäftigt, wie schlimm es auch sein mag. Zusammen werden wir eine Lösung finden, das tun wir immer. Was hast du gesehen?"
Perplex und gerührt starrte ich sie an. Immer wieder überraschte es mich, wie gut wir uns gegenseitig kannten, wie wir uns in einander hineinversetzen konnten. Sie wusste nicht nur, dass ich etwas verschwieg, sondern auch, dass ich eine Vision gehabt hatte. Und dazu kam noch, dass sie mir gerade mitgeteilt hatte, dass sie, sollte sie sich je zwischen Legolas und mir entscheiden müssen, mich wählen würde. So viel Treue und Loyalität hatte ich weder gewollt noch von ihr erwartet.
"Woher weißt du...?"
"Du bist blasser als sonst, hast tiefe Augenringe, du bewegst dich hektisch und fahrig, als rechnest du jeden Moment mit einer Bedrohung, den ganzen Vormittag bist du nicht von Eldarions Seite gewichen und du siehst mich mit diesem Blick an; du bist beunruhigt und es ist meinetwegen, du hoffst, dass ich es nicht merke, weißt aber andererseits, dass ich es immer bemerken werde. Ich bin nicht blind und ich kenne dich. Ich kenne dich länger, als die übrigen dich kennen, und mit dir verbindet mich eine engere Freundschaft als mit allen anderen. Also sag es mir; sag es mir und ich helfe dir da durch."
"Du hast recht, ich hatte eine Vision. Aber noch kann ich dir nicht sagen, worum es ging, ich muss erst selbst darüber nachdenken. Du musst mir Zeit geben, doch du wirst es erfahren."

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