Kapitel 23
Allmählich zog der Alltag wieder in unser Leben ein. Sam, Merry und Pippin verließen uns nach einem insgesamt dreimonatigen Aufenthalt, um nach Rohan weiterzuziehen. Dort würden sie auch Eowyn und Faramir treffen, die gerade dort waren, und anschließend zurück ins Auenland reiten. Ich hoffte sehr, dass Rosie nicht allzu wütend über den vorübergehenden Verlust ihrer ältesten Tochter war, aber ich war mir sehr sicher, dass sie die Chance für Elanor darin sehen und sich darum nicht lange aufregen würde. Es war lustig; ich kannte Rosie nicht, hatte sie nie gesehen, und dachte trotzdem, dass ich wusste, wie sie reagieren würde. Weil ich Sam inzwischen so gut kannte und weil ich wusste, was für eine Art von Frau er heiraten würde. Und Rosie war genau diese Frau, dass konnte ich seinen Erzählungen entnehmen.
Es war geplant, dass Elanor drei bis vier Jahre hier bei uns bleiben und sich um Eldarion kümmern würde. "Und um mögliche Geschwister", hatte Aragorn noch ergänzt und das hatte mein Herz höher schlagen lassen. Ich hatte dieses Thema nie von selbst angesprochen, weil ich wusste, wie gestresst Aragorn schon mit einem Kind- und natürlich seinem unehelichen Sohn namens Gondor, der viel zu viel Aufmerksamkeit und Zeit für sich beanspruchte- war. Aber ich wollte noch ein Kind. Und eigentlich wollte ich nicht nur noch ein Kind, ich wollte Kinder. Ich selbst war ohne Geschwister aufgewachsen, meine Mutter ebenso, und mein Vater hatte zu einem gewissen Zeitpunkt von seinem menschlich gewordenem Bruder verabschieden müssen- ich wusste, wie sich das anfühlte. Meine Eltern waren ebenfalls in einer gewissen Position gewesen, wenn man sie auch nicht mit Aragorns und meiner vergleichen konnte, und daher wusste ich, wie allein man sich fühlte. Dass mein Sohn in einigen Jahren mehr brauchen würde als Elanor, um glücklich zu sein, obwohl seine Eltern sich um etwas kümmern müssen, das sehr viel größer war als er selbst. Dann würde er nicht nur jemanden wie Elanor brauchen, sondern auch jemanden, der ihn brauchte. Einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester, mit dem oder der er sich beschäftigen konnte.
Ich hatte das nie gehabt und war deswegen immer traurig gewesen.
Sam hatte uns etwas wehmütig, aber voller Vertrauen, seine noch heranwachsende Tochter überlassen. "Ich habe mich damit abfinden müssen, dass ihr alle hier in den nächsten Jahren für meine Tochter sehr viel wichtiger sein werdet als ich, einfach, weil ich so weit fort von hier sein werde. Das akzeptiere ich, denn um sie glücklich zu machen, ist das unvermeidlich. Aber um eine Sache möchte ich euch bitten: Nur, weil sie ab jetzt für euch arbeiten wird, heißt das nicht, dass sie erwachsen ist. Das ist sie nicht, sie ist noch ein halbes Kind und hat darum auch das Recht, sich so zu verhalten, wenn sie auch ungewöhnlich reif für ihr Alter ist. Lasst ihr ihre Freizeit, lasst sie ab und zu ein Kind sein. Ich habe in den letzten Wochen beobachtet, beobachten müssen, wie überanstrengt ihr alle seid, wie viel ihr arbeiten müsst. Das wünsche ich mir nicht für Elanor. Sie ist hier, um zu arbeiten, und sie wird jede Arbeit, die ihr ihr auftragt, äußerst gewissenhaft erfüllen, aber sie ist auch hier, weil sie etwas von der Welt sehen will. Verschafft ihr geregelte Arbeitszeiten und die Möglichkeit, durch euer Land zu reisen und Dinge zu erleben."
Ich verstand ihn vollkommen und empfand es als das Vernünftigste, das ich ihn je hatte sagen hören, darum war es mir wichtiger als alles andere, seine Bitte zu erfüllen. Ich setzte mich mit Aragorn, Tauriel, Elanor, Sam und Arataniel zusammen und wir arbeiteten einen Plan aus, der besser nicht hätte sein können. Eigentlich fragte ich mich, warum wir nicht viel früher darauf gekommen waren, aber andererseits bewies das wieder die absolute Wichtigkeit der Hobbits. Es hatte erst einen kleinen, lieben Freund gebraucht, der uns zeigte, wie wir es machen sollten.
Ich kümmerte mich ab jetzt ausschließlich um die Präsenz in der Öffentlichkeit, das bedeutete, dass ich das Königshaus bei wichtigen Veranstaltungen repräsentierte, und um die Wohltätigkeitsarbeit, indem ich dabei half, Geld für Waisenhäuser, Schulen und ähnliches zu besorgen. Außerdem empfing ich einmal in der Woche den ganzen Tag Bürger der Stadt, um mich mit ihnen auszutauschen- und mir ihre Beschwerden anzuhören, wenn ich es realistisch betrachtete- und nahm an den Sitzungen der Minister teil, die nur noch einmal in der Woche zu einem festen Termin stattfinden würden. Insgesamt bedeuteten das jeden Tag sieben bis acht Stunden Arbeit.
Elanor musste sich um Eldarion kümmern, während ich arbeitete, hatte also die gleichen Arbeitszeiten wie ich, erhielt eine großzügige Bezahlung, von der sie von sich aus ein Viertel nach Hause schicken wollte- Sam lehnte das entschieden ab, doch sie ignorierte ihn ebenso entschieden- sie hatte einen Tag in der Woche frei, bekam eine Dienerin zur Verfügung gestellt und durfte außerdem Aragorn zu allen Reisen begleiten, wenn sie es wollte, solange sie nicht länger als fünf Tage wegblieb. Ich war selten stolzer auf etwas gewesen als auf diesen fantastischen Plan. Und dieses Mal bestand nicht die Möglichkeit, dass ich nach einigen Wochen wieder die Nächte durchmachte, weil das auch Elanor betreffen und Sam sie dann sofort nach Hause holen würde. Nein, dieses Mal stand es fest: Tauriel übernahm einige meiner Aufgaben und gab dafür andere an Ratsmitglieder oder Minister ab- das erfüllte sie zumindest wegen der Räte mit gewisser Genugtuung- und weiterhin würde Arataniel Rian über einige Wochen hinweg zu einer zweiten Sekretärin und Assistentin heranbilden, sodass ich von nun an zwei Leute haben würde, die mir halfen, meine Termine zu koordinieren.
Es war, wie ich es vorausgesehen hatte: Diese Entscheidung, Elanor als Kindermädchen einzustellen, hatte sehr viele Probleme auf einmal gelöst. Meine Probleme, Aragorns Probleme...
Er war ein neuer Mensch. Natürlich wusste ich bei ihm nie im Voraus, wie lange die positive Stimmung anhalten würde, aber ich war sehr zuversichtlich. Er hatte Elanor sehr gerne um sich- manchmal behandelte er sie, als sei sie seine eigene Tochter, er verbrachte ungewöhnlich viel Zeit damit, ihr die Regierungsgeschäfte und seine Aufgaben als König zu erklären. Das war ein weiteres Indiz dafür, dass er weitere Kinder wollte. Und ich wünschte es mir so sehr.
Wenn zwei Elben heirateten, konnte es sehr lange dauern, bis sie Kinder bekamen, und oft lagen zwischen den Geburten ihrer Kinder nicht nur Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte. Aber diese Zeit hatten wir nicht, wir konnten nicht ewig warten, denn irgendwann würden wir beide sterben. Irgendwann würden wir keine Zeit mehr haben. Eldarion war jetzt fast zwei Jahre alt, das war ein gutes Alter, um ein Geschwisterkind zu bekommen. Darüber sollte ich mit Aragorn sprechen. Wenn er nicht von selbst darauf kam, dass wir uns beide dasselbe wünschten und es nur noch umsetzen mussten, dann musste die Initiative eben von mir ausgehen.
In einer Nacht träumte ich einen seltsamen Traum: Ich blickte auf einen Wald hinab, wie ein Vogel, der darüber hinweg flog, es war ein sehr großer Wald, doch er brannte. Ich konnte erkennen, dass jeder Baum in Flammen stand, es roch nach Rauch und altem, trockenem Holz. Plötzlich ertönte das durchdringende Weinen eines Kindes, das verängstigt und einsam war, und es klang, als wäre es mitten in dem brennenden Wald zurückgelassen worden. Auf einmal stand ich im Wald zwischen in Flammen stehenden Bäumen, das Weinen war lauter geworden und ich wollte zu dem Kind hinlaufen, um ihm zu helfen, doch meine Füße kamen nicht von der Stelle. Es schien, als würden die Bäume immer näher kommen, je mehr ich mich bewegte. Ich schrie und versuchte, mich gegen die Äste, die mein Gesicht und meine Arme und Beine zerkratzten, zu wehren, doch es gelang mir nicht, denn noch immer konnten meine Füße sich nicht bewegen. Man hörte das Knacken und Zischen des Feuers, doch am lautesten war das Weinen des Kindes.
Ich schreckte atemlos und schweißgebadet aus dem Schlaf hoch und saß augenblicklich senkrecht im Bett. Mein Herz schlug wie wild gegen meine Brust und schien fast zu zerspringen.
"Arwen?", nuschelte Aragorn kaum wach und tastete schläfrig nach mir.
"Es geht mir gut", antwortete ich heftig keuchend. "Alles gut. Es war nur ein Traum. Schlaf weiter."
Langsam sank ich zurück in die Kissen und bemühte mich, ruhig und regelmäßig zu atmen. Es war nur ein Traum. Das stimmte, es war ein Traum gewesen, aber ich war Arwen Undomiel, Tochter von Lord Elrond, Trägerin der Gabe der Voraussicht. Es war eben nicht nur ein Traum. Ich hatte eine Vision gehabt, die erste, seit ich Aragorn geheiratet hatte. Das musste ein Zeichen sein.
"Wie heißt du eigentlich?", hatte ich Tauriel gefragt, als wird das erste Mal miteinander sprachen.
"Mein Name ist Tauriel." Ich hatte in ihre traurigen, grünen Augen gesehen und gewusst, dass sie meine Freundin werden würde.
"Tauriel... Ein schöner Name. Die Tochter des Waldes."
Ein brennender Wald. Tauriel, die Tochter des Waldes, deren Haar in Flammen steht. Es hatte etwas mit Tauriel zu tun.
Und das bedeutete nichts Gutes.
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