Kapitel 22

Da war diese Idee in meinem Kopf, die einfach nicht wieder verschwinden wollte, ganz egal, wie sehr ich versuchte, sie wieder zu verbannen. Sie hatte sich festgesetzt und beschäftigte mich einige Stunden des Tages und die Zeit vor dem Einschlafen. Es wäre perfekt. Inzwischen hatte ich so oft und lange darüber nachgedacht, dass ich alles perfekt ausgearbeitet und mich mit sämtlichen Gesichtspunkten auseinandergesetzt hatte. Es wäre perfekt. Es würde allen Beteiligten ganz wunderbar helfen.
Elanor fiel im Auenland allmählich die Decke auf den Kopf.
Sam wusste um die Unruhe seiner Tochter und hatte außerdem inzwischen so viele Kinder, dass sie selbst im geräumigen Beutelsend Platzprobleme hatten.
Eldarion fand seine Kindermädchen wahnsinnig langweilig und lief ihnen regelmäßig weg, um mich zu besuchen.
Ich war durch die doppelte Belastung meistens viel zu erschöpft, selbst wenn ich noch nicht wieder voll arbeitete.
Aragorn war andauernd gereizt, weil er mich einerseits gegen die kritischen Räte und die Einwohner Minas Tiriths verteidigen musste, die der Meinung waren, dass ich schon längst wieder mehr für das Land tun sollte, mich andererseits aber auch um die Zeit, die ich mit unserem Sohn verbrachte, unfassbar beneidete, weil sie ihm nicht vergönnt war.
Und Tauriel konnte ihre Haare wiederhaben.
Wenn Elanor als Eldarions Kindermädchen hierbleiben würde, wären all diese Probleme auf einen Schlag gelöst. Elanor würde etwas von der Welt sehen und neue Freunde finden, Sam hatte ein Zimmer mehr, Eldarion wäre ohnehin überglücklich, ich konnte wieder mehr arbeiten und wusste den Kleinen gleichzeitig gut aufgehoben und Aragorn würde endlich wieder mehr Zuspruch bekommen. Es wäre perfekt, doch ich wagte dennoch nicht, es vorzuschlagen. Denn sobald ich mich in einem der Punkte irrte, fiel der ganze Plan wie ein Kartenhaus zusammen. Wenn ich Elanors Äußerungen falsch gedeutet hatte, oder aber wenn- auch wenn ich das nicht für möglich hielt- Sam seiner Tochter verbieten würde, hier bei uns zu bleiben, dann konnte meine Idee nicht Wirklichkeit werden.
Und darum stand ich jetzt vor Aragorns Tür, ich hatte tatsächlich ganz offiziell einen Termin gemacht, damit niemand unserer Freunde es mitbekommen würde, kaute auf meiner Unterlippe herum und war gleichzeitig voller Zweifel und voller Hoffnung. Elanor wäre wirklich in der Lage, unsere Probleme zu lösen. Sie hatte jetzt die Macht. Meine Ehe verlief nicht schlecht, das auf gar keinen Fall, und ich wusste, wie sehr Aragorn mich liebte- aber wenn zwei Liebende niemals Zeit alleine verbringen konnten und sich immer entweder um ihren kleinen Sohn oder um ihr Land sorgen mussten, dann konnten sie auch nicht glücklich miteinander werden. Zu viele Sorgen belasteten Aragorn und zu schwere Vorwürfe machte ich mir, als dass wir hätten glücklich sein können, doch keiner von uns sprach es aus. Und deswegen musste, musste, musste Elanor Eldarions Kindermädchen werden. Sie musste.
"Der nächste!", hörte ich seine Stimme und ein magerer Bauer in schmutzigen Kleidern verließ das Arbeitszimmer. Sein Gesicht war verschreckt, und ich hoffte, dass Aragorn ihn gerecht behandelt hatte. Denn er war ein gerechter König, er war der beste von allen, wenn die Rahmenbedingungen stimmten. Wenn es allen gut ging, um die er sich sorgte, wenn er durch nichts abgelenkt wurde und wenn ihn auch sonst nichts beschäftigte. Dann war er der Beste. Alle im Schloss wussten das, und alle waren sie bereit, mir dabei zu helfen, dass die Bedingungen gut waren. Doch derzeit war er kein guter König, er war gehetzt, abgespannt und hatte keine Energie mehr für sein Land übrig.
"Hallo, Aragorn."
"Arwen, galwen nin." Er stand auf und küsste mich, ich konnte spüren, wie seine Anspannung von ihm abfiel. Das war gut. Ich strich sanft über seine Wange. "Das ist eine Überraschung. Wo ist Eldarion?"
"Elanor, Gimli und Sam gehen mit ihm in der Stadt spazieren. Elanor kommt wirklich gut mit ihm zurecht."
"Das ist mir auch aufgefallen." Er lächelte mich an. "Aber worum geht es denn eigentlich? Bisher hast du noch nie einen Termin bei mir gemacht."
"Ich bin in geheimer Mission unterwegs." Es war, als wollte Aragorn etwas sagen, doch ich sprach schnell weiter. "Es geht um Eldarion. Und um Elanor."
"Ich habe mich schon gefragt, wann du mit mir darüber sprechen würdest." Das hatte ich wohl am allerwenigsten erwartet. Perplex starrte ich ihn an. "Ich kenne dich sehr gut, Arwen. Ich weiß genau, was in deinem Kopf vorgeht. Ich weiß, was dich beschäftigt. Außerdem... Hast du im Schlaf gesprochen."
Er lachte und ich musste auch lachen. "Aber du hältst es doch auch für eine großartige Idee? Du denkst doch auch, dass Elanor ein wunderbares Kindermädchen für unseren Sohn sein wird?"
"Das denke ich tatsächlich. Sie ist ein liebes, tolles Mädchen, und es wird schön sein, Sams Tochter länger hier zu haben."
"Dann werden wir es heute Abend ansprechen?"
"Das werden wir."
Er küsste mich ein zweites Mal und fuhr mit nur einem Finger über meine Wange. Es war gut, zu sehen, wie er in meiner Anwesenheit auflebte. Denn auch, wenn die Öffentlichkeit, das Volk, diese kleinen Momente nicht mitbekam, beruhigten sie mich. Und sie ließen mich hoffen, dass Aragorn bald wieder ein guter König sein würde. So wie es ihm vorherbestimmt war.

Am Abend trafen wir uns wie üblich im Esszimmer und wieder hatten die Diener ein riesiges und üppiges Büffet für uns vorbereitet. Ich war durchaus etwas aufgeregt; heute könnte sehr vieles verändert werden. Aragorn konnte wieder der König sein, der er sein sollte. Elanor und Sam mussten einfach nur zustimmen.
Ich mochte das Mädchen wirklich gern und es wäre schön, sie für längere Zeit bei uns zu haben. Sie war ihrem Vater so ähnlich, was das betraf, hatte meine Meinung sich nicht geändert, aber gleichzeitig hatte sie noch etwas anderes an sich. Diesen Hunger nach Leben, den Wunsch, in ihrem Leben etwas von der Welt zu sehen und möglicherweise etwas zu verändern. Elanor war zufrieden mit ihrem Leben im Auenland, und sie konnte dort sicherlich ein behagliches Leben führen, heiraten und Kinder bekommen, aber eigentlich sehnte sie sich nach mehr. Sie wollte nicht nur zufrieden, sondern glücklich sein, etwas erleben, ihren Enkeln einmal viel zu erzählen haben. In dieser Hinsicht erinnerte sie mich sehr an Tauriel.
"Jetzt Mama sagen?", fragte Eldarion Elanor zögernd und mit einem Funkeln in den Augen, das ich nicht ganz deuten konnte. Er klang aber nicht schuldbewusst und ich wusste, dass die beiden eigentlich nichts kaputt machen würden, also blieb ich ruhig.
"Wenn du magst, kannst du es jetzt deiner Mama sagen", nickte Elanor und Gimli zwinkerte ihr zu. Spätestens jetzt wusste ich, dass es nichts schlimmes war, ganz im Gegenteil.
"Mama!", rief er, als hätte ich seine Unterhaltung mit Elanor nicht gehört, sprang von seinem Platz neben seiner neuen Freundin auf und rannte um den Tisch herum, um sich auf meinen Schoß zu werfen.
"Ja?", erwiderte ich und musste mich sehr bemühen, um das Lachen zu unterdrücken. Den anderen schien es ebenso zu gehen, Tauriel presste die Hand vor den Mund und Aragorn strengte sich sehr an, ernst zu gucken, aber es gelang ihm nicht. "Was ist denn los?"
"Schenk." Er steckte die Hand in die Hosentasche und kramte kurz darin herum, dann hielt er mir strahlend ein kleines Päckchen hin.
"Ein Geschenk für mich? Das ist aber sehr lieb von dir. Danke, Eldarion!" Ich küsste ihn auf die Stirn und half ihm, sich richtig auf meinen Schoß zu setzen. "Soll ich es jetzt schon auspacken?"
"Ja", verlangte er und so wickelte ich es aus. Zum Vorschein kam ein Stein, der etwa der Größe seiner Faust entsprach und den sie sicherlich in Minas Tirith gefunden hatten. Allerdings war er in mehreren Farben angemalt worden, hauptsächlich vermutlich von Elanor, aber an einigen Stellen sah ich Farbkleckse, die von meinem Sohn stammten.
"Vielen Dank, mein Liebling, das ist wirklich ein wundervolles Geschenk. Hast du den Stein angemalt?"
"Danz allein", erklärte er triumphierend und nun liefen Tauriel vor Lachen Tränen übers Gesicht. Ich warf Elanor einen amüsierten Blick zu und gab Eldarion noch einen Kuss.
Dann sah ich Aragorn fragend an und er nickte aufmunternd. "Das hast du toll gemacht, Eldarion. Wirklich schön. Jetzt setz dich wieder neben Elanor."
"Nor meine Freundin." Das war die Bestätigung, die ich noch gebraucht hatte.
"Eine sehr liebe Freundin hast du da gefunden." Ich richtete mich auf. "Sam und Elanor, Aragorn und ich würden euch gerne etwas vorschlagen."
"Worum geht es denn?", fragte Sam mit einem breiten Lächeln.
"Ihr seid jetzt drei Wochen bei uns gewesen und während dieser Zeit haben sich Elanor und Eldarion immer sehr gut verstanden. Wir wissen außerdem, dass Elanor gerne ein bisschen aus dem Auenland herauskäme und mehr von der Welt sehen würde. Und Aragorn und ich sind derzeit in einer schwierigen Position, da ich eigentlich schon längst wieder voll arbeiten müsste, mich aber vor allem unserem Sohn widmen wollte. Und darum würden wir euch beiden gerne vorschlagen, dass Elanor als Eldarions Kindermädchen einige Zeit bei uns bleibt."
Ich hielt den Atem an, gespannt wie die beiden reagieren würden. Tauriel sah mich überrascht, aber scheinbar in sehr positiver Weise, an. So viel Weisheit hättest du mir wohl gar nicht zugetraut, formte ich mit den Lippen, und sie grinste verschlagen.
Dann sah ich das Leuchten in Elanors Gesicht und wusste, dass die Sache schon halb gewonnen war.
"Elanor, was hältst du davon?", fragte Sam, und ich konnte seinem Gesichtsausdruck nicht entnehmen, wie er selbst zu der Sache stand. Ich glaubte, dass er zustimmen würde, wenn es auch der Wunsch seiner Tochter war. Er würde sie entscheiden lassen. So jemand war er.
"Ich finde es unglaublich", antwortete sie atemlos, "Es ist großartig und ich würde das Angebot wahnsinnig gerne annehmen, Vater."
"Du weißt, dass deine Mutter uns töten wird?"
"Ich weiß."
Noch an diesem Abend hatten wir ein neues Kindermädchen.

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