Kapitel 20

Ich saß mit meinem Sohn auf dem Arm in einem Sessel und wir spielten mit einem kleinen Pferd aus Wolle, das Ioreth für ihn genäht hatte. Ich zeigte ihm das Pferd und ließ ihn danach greifen, dann verbarg ich es für einige Sekunden in den Falten meines Kleides. Wenn ich es ihm wieder zeigte, quietschte er vergnügt. Aragorn saß auf dem Sofa uns schräg gegenüber und betrachtete uns voller Stolz und Liebe. Wann immer wir in den letzten Tagen allein gewesen waren, sah er mich mit diesem Blick an und ich wusste, dass er wahnsinnig viel gleichzeitig empfand. Es ging ihm wie mir; ein Blick auf Eldarion reichte und ich wusste gar nicht mehr, wohin mit meinen vielen Gefühlen. Ich war so stolz auf ihn, wenn er ohne Angst mit Tauriels Haaren spielte- und sie ansabberte- und von ihr durchs Zimmer getragen wurde, und hatte doch gleichzeitig so viel Angst, Angst, dass sie ihn fallen ließ, dass er an den Haarsträhnen in seinem Mund erstickte, dass irgendetwas passierte, das ihn in Gefahr bringen könnte.
Es war das schönste und das schlimmste Gefühl in meinem ganzen Leben. Schöner, als mein erster Tag mit Aragorn und auch schlimmer, als meine Mutter auf ein Boot in den Westen zu verabschieden. Es zerriss mein Herz und dennoch konnte ich nicht mehr ohne es leben.
Einer plötzlichen Eingebung folgend schmiegte ich mich an Eldarions kleinen, fragilen Körper und küsste ihn auf die Stirn. Ich liebte ihn so sehr. Die Art, wie ich ihn liebte, war verzehrend.
"Die Räte haben heute Morgen noch einmal nachgefragt, ob du dir sicher bist und reiflich darüber nachgedacht hast, dass du keine Amme haben möchtest." Aragorns Ton war zögerlich und das zurecht; mit ihrer widerlichen Art, mein Leben kontrollieren zu wollen, zerstörten die Ratsmitglieder alles. Aragorn wusste, dass ich immer noch wütend auf sie war, sie stellten mir diese Frage jetzt schon zum vierten Mal. Im Prinzip war ihre Frage berechtigt, denn viele höhergestellte Frauen stellten eine Amme an. Ich selbst hatte eine Amme gehabt und war deswegen nicht anders geworden als andere Kinder meines Alters, doch ich hatte mich dazu entschieden, mein Kind selbst zu stillen, um ihm zu jeder Zeit so nahe wie möglich zu sein. Damit war die Debatte für mich abgeschlossen. Die Räte jedoch sprachen von "Außenwirkung" und "zeigen, welche Mittel zur Verfügung stehen" und "Finduilas hatte ebenfalls eine Amme, das Volk ist es gewohnt" und redeten schon seit Tagen auf mich ein.
"Du kannst ihnen genau das Gleiche sagen, das du ihnen schon gestern gesagt hast. Und vorgestern." Ich seufzte und versuchte, mich auf Eldarion zu konzentrieren, doch die Magie der Situation war verschwunden. Die Wut stieg wieder in mir hoch und als würde er das spüren, fing mein Sohn an zu weinen. "Ist ja schon gut, schon gut, kleiner Mann." Ich strich über seine Wangen und küsste ihn erneut. Er streckte die Hand nach meinen Haaren aus und ich hielt ihm eine Strähne hin. Er zog etwas daran und beruhigte sich wieder.
"Das hat sie auch gestern nicht überzeugt." Er klang müde. Die Hälfte des Tages arbeitete er, den Nachmittag verbrachte er mit uns. Und Eldarion hielt nachts schlafen für keine besonders gute Idee, alle zwei Stunden mindestens meldete er sich mit Getöse. "Vielleicht sollten wir jemanden anstellen und der Frau dann einfach eine andere Aufgabe geben."
"Sie würden es merken", entgegnete ich, "Außerdem habe ich nicht vor, ihnen recht zu geben. Ich bin nicht an ihre Forderungen gebunden, was sie für richtig halten, muss mich bei meinen Entscheidungen nicht im Geringsten beeinflussen. Ich halte eine Amme nicht für notwendig, also wird keine Amme eingestellt. Es ist nicht sehr schwierig zu verstehen."
Aragorn stand auf und nahm mir Eldarion aus den Armen. Sein Sohn war seine Energiequelle und für ihn die beste Möglichkeit, sich nicht aufzuregen. Mit einem Neugeborenen im Arm regte sich niemand auf, dafür war man viel zu fasziniert von ihren perfekten Gesichtszügen, ihrem gewitzten Lächeln und ihrer vollkommen in sich ruhenden Haltung. Ich liebte es, die beiden zusammen zu sehen. Sie waren auf einander abgestimmt, es schien mir, als wüsste Eldarion stets, was in seinem Vater vorging. Und er tat immer das Richtige, um es ihm leichter zu machen.
"Ich werde mit ihnen sprechen", sagte Aragorn langsam. "Mal sehen, ob sie auf dich hören. Bei mir haben sie es nicht getan."
"Wenn du möchtest, stellen wir jemanden ein", warf ich schnell ein. Mein Rückzug kam plötzlich, aber ich wollte seine Anspannung nicht noch verschlimmern. Er war unterschlafen, er musste ein Land regieren, während ich den ganzen Tag mit unserem Kind verbringen durfte, die Räte gingen ihm auf die Nerven und andauernd fragten ihn Leute, wann ich meine Arbeit wieder aufnehmen würde. Mein Sohn war keine zwei Wochen alt! Eine Pause von sechs Monaten würde ich auf jeden Fall machen, komme was wolle, und daran konnte mich niemand hindern. Schließlich ging es um meinen Sohn. "Oder aber wir geben eine meiner Dienerinnen als Amme aus. Eldarion kennt und mag sie, vor allem Ioreth, und es wird nicht schwerfallen, sie jeden Tag für drei, vier Stunden aus ihrem normalen Dienst zu entlassen. Die Räte werden der Amme wohl nicht dabei zusehen wollen, wie sie den Kronprinzen stillt."
"Das werden sie tatsächlich nicht." Aragorn lächelte ein schwaches Lächeln und ließ sich aufs Sofa sinken, ich stand auf, setzte mich neben ihn und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Er legte den freien Arm um mich und so verblieben wir einige Minuten. Dann sah er mich plötzlich prüfend an und hob mein Kinn an. "Moment mal. So teilst du mir also mit, dass Ioreth wieder schwanger ist? Das ist ja großartig für ihre Familie!" Ihr Mann arbeitete für Aragorn in den Stallungen, daher kannte er die beiden recht gut. Vor zwei Jahren war ihr erstes Kind, eine Tochter, geboren worden.
Ich nickte gespielt eifrig. "Du hast mich wieder einmal durchschaut, werter Gemahl."

Am späten Nachmittag dieses Tages gingen Tauriel und ich mit Eldarion auf dem Arm im Garten spazieren. Sehr zu ihrem Leidwesen musste sie mich weiterhin als Schirmherrin der gemeinnützigen Organisationen des Königshaus vertreten und als Eldarion eingeschlafen war, hatte ich die günstige Gelegenheit genutzt, um ihr einige Hilfestellungen und Tipps zu geben. Dabei stellte ich immer wieder fest, wie gut es doch war, dass sie nicht Königin geworden war.
"Ich wäre eine hervorragende Königin geworden!", protestierte Tauriel leise lachend, um den Kleinen nicht aufzuwecken. "Ich war ja schon immer traurig, dass das Los auf dich gefallen ist. Warte nur ab, bis die einfachen Leute Faramir auf dem Thron sehen wollen, weil ihr euch zu sehr um euer Kind kümmert und keine Zeit mehr für die Regierungsgeschäfte habt, dann komme ich aus dem Hintergrund und werde die Macht an mich reißen!"
Darüber konnte ich nicht lachen. "Das denkst du doch nicht wirklich, oder?", fragte ich leise und musste schlucken."Dass die Leute uns nicht mehr als Königspaar akzeptieren wollen, weil wir ein Kind bekommen haben und uns darum zu kümmern gedenken? Du hast doch nur gescherzt, oder?"
"Natürlich habe ich das nicht ernst gemeint", beruhigte sie mich sofort, doch ich wusste nicht, ob sie sich da ganz sicher war. "Sie lieben dich, auch nach mehreren Jahren bist du für sie immer noch ein fremdartiges Wesen aus einer Welt anders als ihre, die sie nicht kennen. Dafür bewundern sie dich,"
"Und doch können sie nicht verstehen, dass ich für mein Kind da sein will", erwiderte ich und meine Stimme war voller Bitterkeit. "Dass ich meine Arbeit zu vernachlässigen gedenke, weil ich Mutter geworden bin."
"Weil das einfache Volk es anders handhabt", meinte Tauriel beschwörend. "Dafür können sie nichts. Sie verstehen deine Arbeit nicht, können nicht begreifen, was du als Königin den ganzen Tag zu tun haben könntest. Sie können sich nicht von ihrer Arbeit entschuldigen, weil dann niemand die Felder bestellt und die Kühe melkt und uns Haushaltsgeräte schmiedet. Was du tust, ist zu theoretisch, als dass sie es erfassen können. Das musst du mir glauben, denn ich habe es selbst gesehen, ich mische mich oftmals einfach unter das Volk und spioniere für Aragorn. Es wird alles gut. Sie werden dich nicht verstehen, aber sie werden dich weiterhin lieben und bewundern. Bald werden sie darüber hinwegkommen und andere Themen zum Tratschen finden."
"Du klingst wie Galadriel", flüsterte ich. "Genau wie sie. Du würdest alles sagen, um mich von meinen Schuldgefühlen und meiner Angst fortzubringen und dabei hast du dir diesen beruhigenden Unterton angewöhnt. Als wäre ich aus Glas."
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich das als Kompliment auffassen darf. Wenn ja, vielen Dank. Ich ertappe mich tatsächlich häufig dabei, wie ich Dinge von mir gebe, die genauso gut von ihr hätten stammen können. Und ich weiß, dass du nicht aus Glas bist. Ich weiß, dass es dir missfällt, wenn andere auf dich achtgeben, aber ich habe Eide geschworen. Deiner Großmutter, deinem Vater, deinem Mann. Ich habe versprochen, dich zu beschützen und für dich da zu sein."
"Ich wünschte, sie könnten das hier sehen", überlegte ich mit erstickter Stimme und wiegte Eldarion in meinen Armen. "Großmutter, und ada und naneth... Sie hätten ihn geliebt. Celebrian hätte ihn an sich gedrückt und ihn geküsst und er hätte die Finger in ihrem dichten Haar vergraben und sie hätte ihm Geschichten aus der Zeit meiner Kindheit erzählt, obwohl er sie nicht verstehen könnte. Ich wünschte, sie könnten Eldarion sehen."
Bestürzt sah Tauriel mich an und nahm meine Hand, weil sie mich nicht umarmen konnte. "Ich glaube, sie wissen, dass es ihn gibt. Nicht speziell ihn, aber sie wissen sicherlich, dass ihr Kinder habt. Dass sie Großeltern und Urgroßeltern sind und du einen Sohn hast, den du mehr liebst, als das Leben. Sie wissen es."
Wieder wusste ich nicht, ob sie ihre Worte ernst meinte. Da waren zu viele Zweifel in mir, die mich festhielten, und plötzlich war die Trauer wieder so frisch, als wäre das Schiff gerade erst der untergehenden Sonne entgegengefahren. Das Schiff, dass Galadriel und Celeborn zu ihrer Tochter getragen hatte, Elrond aber von seiner Tochter weg.
"Arwen." Beinahe streng sah sie mich an. "Glaub mir. Sie wissen es."

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