Kapitel 19
"Es ist ein Junge", teilte Herion uns mit und Tauriel sprang freudig auf, während Aragorn vor Schmerzen brüllte und seine Hand umklammerte. "Er sieht kerngesund aus. Ich gratuliere, Euer Majestät."
Ich hatte es gewusst. Ich hatte es gewusst, ich wusste, dass meine Vision mich nicht getäuscht hatte. Eldarion. Mein Sohn. Ich hatte einen Sohn. Alles in mir begann sich nach ihm zu verzehren. Ich wollte ihn halten, seine Wärme auf mir spüren, in seine Augen sehen. Mein Sohn.
"Darf ich ihn halten?", fragte ich begierig, "Bitte, Herion, ich möchte ihn halten."
"Selbstverständlich, Euer Majestät." Er wickelte meinen Sohn in eine Decke und hielt ihn mir hin. Mein Herz schlug wie wild. "Achtet darauf, den Kopf ein wenig zu stützen, genau, so ist es gut..."
Mein Sohn. Ich hielt ihn und spürte die Wärme seiner Haut, ich sah in seine großen, wunderschönen Augen. Sie waren blau wie die meinen und er sah mich aufmerksam an, folgte meinem Finger, der seine Wange streichelte, mit seinem Blick. Dann streckte er die Hand aus und umschloss meinen Finger damit. Er wusste, wer ich war. Er wusste, dass ich seine Mutter war, dass ich immer auf ihn achtgeben würde.
In diesem Moment begann ich zu verstehen. Mir wurde klar, warum mein Vater mich stets so behütet hatte. Warum meine Mutter, bevor sie nach Valinor gesegelt war, alle fünf Jahre Galadriel und Celeborn in Lothlorien besuchte oder wir von ihnen besucht wurden. Sie waren Eltern gewesen. Sie mussten sich um ihr Kind kümmern, das hatte zu jedem Zeitpunkt oberste Priorität. Vater hatte mich stets so genervt. Wie er um mich herumstrich, mir hier etwas anbot und mich da zu einer größeren Mahlzeit überredete. Und nun konnte ich ihn plötzlich so gut verstehen. Dass er sich Sorgen gemacht und mir verboten hatte, das Kämpfen zu erlernen. Wenn ich mir Eldarion als Zwölfjährigen vorstellte, dem jemand das Kämpfen beibringen wollte, überkam mich die nackte Angst. Ich wünschte, die Zeit möge stehen bleiben, sodass er niemals auf sich gestellt war oder irgendwelche Entscheidungen allein treffen musste.
Es war, als würde ich von diesem Tag an von etwas anderem als der Erde angezogen werden. Meine Familie war nun alles, das zählte. Aragorn und Eldarion. Eldarion, mein Sohn.
Ich zwang mich, den Blick von dem kleinen Bündel in meinen Armen zu lösen. Schließlich hatte ich meinem Mann gerade die Hand gebrochen und musste sicherstellen, dass es ihm gut ging. Aragorns Hand war mit Verbänden umwickelt worden und außer ihm und Tauriel war keiner mehr im Raum.
"Zeig mir unseren Sohn", bat er mit rauer Stimme und ich begriff, dass er mir den Vortritt gelassen und mir einen magischen ersten Moment mit meinem Kind geschenkt hatte. Dankbarkeit überkam mich wie noch nie in meinem Leben. "Zeig mir Eldarion."
"Er ist wunderschön", flüsterte ich und er kam zu mir, küsste mich auf die Stirn und sah Eldarion an. Ich spürte, dass es ihm ging wie mir. Er war vollkommen überwältigt von der Liebe, die er vom ersten Moment an für seinen Sohn empfand. Das war unser Kind.
"Das ist er", erwiderte er und nahm ihn mir aus dem Arm. Alles in mir zog sich zusammen, obwohl ich wusste, dass er bei seinem Vater und weniger als einen Meter von mir entfernt war. So fühlte es sich also an, Mutter zu sein. Ich wollte nichts anderes mehr als meinen Sohn. "Wir haben es geschafft, Arwen."
"Und er war es wert. Er ist alles auf der Welt wert."
Während der Geburt hatte ich mich gefragt, ob es stimmte, dass die Mutter all ihre Schmerzen und Qualen vergaß, sobald sie ihr Kind in den Armen hielt. Ich hatte daran gezweifelt, doch nun wusste ich, dass es stimmte. Ich konnte mich kaum noch an die letzten Stunden erinnern, alles, was davon geblieben war, war Eldarion.
"Darf ich ihn sehen?", fragte Tauriel beinahe schüchtern und ich wusste, dass sie vor dieser Situation größten Respekt hatte. Aragorn sah mich an und ich nickte, wenn ich meinen Sohn auch wachsam im Blick behielt. Es war nicht so, dass ich ihr nicht vertraute, denn das tat ich bedingungslos. Ich konnte dieses Gefühl nicht benennen, denn es war völlig neu für mich. Ich hatte keine Angst um ihn, aber ich hatte das Gefühl, dass ich sein Schicksal dort, wo er jetzt war, nicht mehr in der Hand hatte und kontrollieren konnte. Jeder Zentimeter, der mich von ihm trennte, fügte mir entsetzliche Schmerzen zu. "Na, mein Süßer? Ich bin Tante Tauriel." Ich sah, wie er nach ihrem Finger griff. "Ganz genau, die bin ich. So ein schöner kleiner Junge bist du. Und wir alle haben uns so auf dich gefreut."
Da begann er zu weinen und mein Herz, das sich gerade wieder beruhigt hatte, fing wieder an zu rasen. Sein Weinen klang so hilflos, so mitleiderregend, so verletzlich... Wenn ich ihm nicht half, wer würde ihm dann helfen? Er war so klein, so zart, so zerbrechlich... Was, wenn ich nicht stark genug war, wenn ich es falsch machte? Dann hatte er niemanden mehr, dann war er ganz allein.
"Arwen." Aragorn legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter und mein Herzschlag verlangsamte sich wieder. "Es ist alles in Ordnung. Es geht ihm gut." Sanft legte er ihn in meine Arme, Tauriel stand bedrückt daneben. "Er wird noch sehr oft weinen, aber dadurch teilt er uns nur mit, dass er etwas will. Ich bin mir sicher, er hat nur Hunger."
Ich nickte, um mich selbst wieder abzuregen, und drückte Eldarion fest an mich. Dann legte ich in an meine Brust und er trank gierig. Es war alles gut.
Im Verlauf der nächsten zwei Stunden kamen beinahe sämtliche Diener und Bewohner des Schlosses, um uns zu unserem Sohn und im Besonderen Aragorn zu seinem Thronfolger und Erben gratulieren. Meine Dienerinnen verliehen ihrer Entzückung laut und begeistert Ausdruck und zeigten mir dann, dass sie bereits seit Monaten Kleidungsstücke für unser Kind genäht hatten und er darum sofort vollständig eingekleidet werden konnte. Gerührt brachte ich es über mich, Eldarion ihnen für einige Minuten zu überlassen, damit sie ihm Kleidung ihrer Wahl anziehen konnten. Bei ihnen musste ich mir keine Sorgen machen; alle hatten schon selbst Kinder und sie waren alle sehr verantwortungsbewusst.
Nachdem Gimli und Legolas ihn kennengelernt hatten- er griff nach ihren Fingern und hatte sie damit buchstäblich sofort auf seine Seite gezogen- wimmelte Aragorn die Räte für mich ab und ich konnte ein wenig schlafen. Eldarion schlief in den Armen seines Vaters und schnarchte dabei leise; ich wusste, dass alles gut war und konnte mir die Ruhe gönnen, die ich so dringend nötig hatte.
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