Kapitel 17

Es waren die furchtbarsten zwei Monate meines bisherigen Lebens. Ich hatte immer gedacht, tödliche, langwierige Verletzungen oder unheilbare Krankheiten- beide Erfahrungen hatte ich schon gemacht- seien das Schrecklichste, doch es war das Warten auf das Ungewisse. Ich konnte nur daliegen und warten und dabei zusehen, wie alle vor Angst um mich fast verrückt wurden. Es war nicht auszuhalten. Aragorn nahm sich jeden Tag mehrere Stunden frei- die Ratsmitglieder hassten ihn dafür- und versuchte, mir die Langeweile zu nehmen und mich mit den alltäglichen Geschehnissen aus Minas Tirith zu unterhalten. Dies war allerdings recht schwierig; er hatte nämlich dabei stets Angst, mich zu sehr aufzuregen. Irgendetwas schlimmes passierte? Sagt es bloß nicht Arwen. Dorfbewohner an der Grenze fingen einen Streit mit einigen Rohirrim an? Arwen durfte nichts davon erfahren. Ich hasste es, obwohl ich mich bemühte, ihn zu verstehen. Schließlich würde ich mich an seiner Stelle höchstwahrscheinlich sehr ähnlich verhalten. Trotzdem verhielt er sich an manchen Tagen so, als würde ich bereits im Sterben liegen. Es war doch eigentlich alles in Ordnung mit mir. Dadurch, dass ich lag, ging es mir gut und ich erholte mich wirklich ausgezeichnet. Herion sah zwei Mal am Tag nach mir, die dunklen Ringe unter meinen Augen verschwanden, ich nahm wieder an Gewicht zu- das war auch dringend nötig gewesen- und es kam zu keiner weiteren Blutung. Ich schlief zwölf Stunden am Tag, wurde zu drei riesenhaften Mahlzeiten gedrängt und wusste überhaupt nicht, was ich mit der freien Zeit anfangen sollte.
Denn Aragorn erlaubte mir noch nicht mal, mittels meiner Dienerinnen wenigstens vom Bett aus zu arbeiten. All meine Tätigkeiten blieben liegen, weil er nicht wollte, dass ich mich damit beschäftigte. Schon das erschien ihm zu anstrengend für mich. Ich verbrachte den ganzen Tag im Bett oder auf dem Sofa, las verschiedene Bücher, wurde von Aragorn und meinen Freunden so gut wie möglich unterhalten. Tauriel hatte für mich die Wohltätigkeitsarbeit übernommen und darum machten mir ihre Erzählungen noch am meisten Spaß- beinahe jeden Tag wurde sie gefragt, wann ich endlich wiederkommen würde. Scheinbar lag ihr dieser Bereich nicht besonders, aber wenn Aragorn nicht im Raum war, beriet ich sie damit, was sie tun sollte. Gimli hatte eine Aktion gestartet, bei der alle aus dem Volk mit erzählenswerten Geschichten zu ihm kommen sollten, damit er diese Geschichten sammelte und mit ihnen zu mir kam. So hatten die Menschen die Möglichkeit, an meinem "Zustand" Anteil zu nehmen, er konnte sie darüber informieren, wie es mir ging und ich wurde auf eine lustige Weise auf dem Laufenden gehalten. Sein Eifer rührte mich.
Meine Dienerinnen, die ohne eine Königin zum Ankleiden und Frisieren für alle möglichen Termine und Anlässe viel weniger zu tun hatten als sonst, versuchten mich aufzuheitern, indem sie mir die neuesten Klatschgeschichten aus der Dienerschaft erzählten- nicht unbedingt wahnsinnig spannend, aber sie meinten es gut- und mit mir gemeinsam all meine Akten und Dokumente aus den letzten Jahren durchgingen und aussortierten, was nicht mehr gebraucht wurde.

"Guten Morgen", begrüßte Tauriel mich eines Morgens fröhlich und kam mit einem Tablett voller Essen zur Tür herein. Schon an ihrer gekünstelten Stimme erkannte ich, dass etwas nicht stimmte. "Aragorn ist leider nach Osgiliath gerufen worden, es gibt dort einen Streit, der auszuarten droht und es findet sich kein fähiger Schlichter... Er hofft aber, heute am späten Nachmittag wieder bei dir zu sein."
"Er ist nach Osgiliath geritten?" Ich versuchte ruhig zu bleiben, konnte aber nicht verhindern, dass meine Stimme einige Oktaven höher war als sonst. Die zwei Monaten neigten sich dem Ende zu und jeden Tag konnte unser Sohn geboren werden und Aragorn ritt nach Osgiliath! Er hätte ja auch nicht Legolas schicken können, oder den Menschen einfach einen schriftlichen Ratschlag erteilen können, nein, er musste ja wieder selbst gehen!
"Es tut ihm sehr leid, Arwen", sagte Tauriel leise und setzte sich auf die Bettkante. "Aber du musst ihn verstehen. Außerdem kannst du gar nicht sicher sein, dass heute irgendetwas passiert."
"Natürlich verstehe ich ihn." Er musste wieder den Helden spielen, und Tauriel nahm ihn dabei in Schutz. Nein, das durfte ich nicht denken. Ich verstand ihn tatsächlich, und wäre er hier gewesen, hätte ich ihn zur Abreise gedrängt. Aber ich fand es trotzdem ungerecht. Und tief in meinem Inneren hatte ich auch Angst. Große Angst.
"Du solltest etwas essen", meinte sie aufmunternd, half mir, mich aufzurichten, und reichte mir das Tablett mit Brot, Ei, Gemüse und meinem täglichen Pflanzengebräu von Herion. "Legolas und Gimli kommen gleich dazu, aber irgendjemand muss den Mitgliedern des Rates beibringen, dass keiner von uns heute irgendeinen Termin wahrnehmen wird. Wir haben alles abgesagt."
Sie kicherte, und kurz berührte ich ihren Arm, um ihr zu signalisieren, wie dankbar ich ihr war. Sie kannte mich zu gut. Sie wusste genau, dass ich ohne Aragorn Angst hatte vor der Geburt und die Unterstützung meiner Freunde gebrauchen konnte.
"Haben wir gerne gemacht", lachte sie, und am Funkeln in ihren Augen erkannte ich, wie viel Spaß es ihr machte, die Ratsmitglieder zu ärgern. Nach all den Jahren hatten sie sich immer noch nicht aneinander gewöhnt. "Und nun iss endlich etwas. Ich habe Aragorn versprochen, dass ich es dir zur Not in den Mund schieben werde, aber eigentlich möchte ich es dazu nicht kommen lassen."
Grinsend nahm ich mir den Teller mit Ei und begann kopfschüttelnd zu essen. Sie war nicht nur meine beste Freundin, sie war vor allem vollkommen durchgedreht. Ein Wunder, dass ich es tagtäglich mit ihr aushielt.
Kurze Zeit später kamen auch Legolas und Gimli herein, Gimli brüllte fast vor Lachen. "Ihr hättet sie sehen müssen!", keuchte er, "Ihr hättet sie sehen müssen, am liebsten hätten sie Legolas erwürgt, aber dann hätten sie Aragorn den Tod seines Freundes erklären müssen, und das wollten sie auch nicht..."
Legolas verdrehte die Augen, zog sich einen Stuhl heran und nahm sich eine Möhre von meinem Tablett.
"Das soll Arwen essen", tadelte Tauriel ihn sanft und sah ihm über mich hinweg tief in die Augen. Dadurch, dass sie immer abwechselnd an meinem Bett gewacht hatten, hatten sie eindeutig zu wenig Zeit zu zweit.
"Er kann sich nehmen, was er will", entgegnete ich und winkte Gimli zu mir heran. "Vielleicht erzählst du mir etwas ausführlicher von eurem Gespräch mit dem Rat und Tauriel und Legolas holen mir solange Saft aus der Küche."
Zuerst sah er mich verwirrt an, doch dann verstand er und nickte heftig. "Natürlich, das ist eine gute Idee. Holt ihr mal den Saft, und ich erzähle Arwen, wie Legolas die Räte so sehr verärgert hat, wie noch nie in ihrem Leben."
Als die beiden den Raum verlassen hatten, tauschten wir einen Blick und fühlten uns wie die besten Freunde der Welt.

Rian half mir in ein anderes Kleid und bürstete meine Haare vollständig durch, dann brachte sie jedem von uns das Buch, das wir gerade lasen- normalerweise nutzten wir unsere Diener nicht so aus, aber heute war eine Ausnahme- und verbrachten dann einen sehr ruhigen Vormittag. Gimli saß an meinem Bett und Tauriel und Legolas teilten sich mit verschränkten Fingern das Sofa. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie sehr auf ihre Lektüre achteten.
Und da geschah es. Durch meinen Körper fuhr der heftigste Schmerz, den ich jemals gespürt hatte. Schlimmer als Legolas' Schläge oder meine Schmerzen während des Ringkrieges, als ich dachte, dass ich sterben müsste. Es war viel schlimmer.
Ich musste aufgestöhnt haben, denn Gimli sagte meinen Namen und ich hörte, wie Tauriel erschrocken aufsprang. Doch ich sah sie nicht. Mein ganzes Sichtfeld färbte sich schwarz, so sehr tat es weh. Ich presste die Hände auf meinen Bauch und konnte einen Schrei nicht zurückhalten- denn mir wurde klar, was gerade passierte. Es war so weit. Und Aragorn war in Osgiliath.
"Arwen?", hörte ich eine besorgte Stimme an meinem Ohr, doch ich konnte nicht identifizieren, wer da sprach. Ich hörte nichts, sah nichts und fühlte nichts, nur den Schmerz, der mich von innen zu zerreißen schien.
Mein Kind kam. Mein Sohn, mein Eldarion wurde geboren und Aragorn war nicht hier. Ich war ganz allein.

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