Kapitel 12

Atemlos betrachtete ich die Zeichnungen in der Mappe. Es waren Darstellungen verschiedener Landschaften, zum Teil aus dem Auenland und zum Teil aus anderen Teilen Mittelerdes. Von Sam stammten Zeichnungen von Bruchtal, Lothlorien, Minas Tirith und ein Sonnenuntergang über dem Weißen Baum. Ich war gerührt und wunderte mich, dass er mich in so kurzer Zeit so gut kennengelernt hatte.
"Vom Auenland aus sind wir nach Bruchtal geritten und waren Glorfindels Gäste", fuhr Legolas fort. "Er und Erestor führen es nach Elronds Anweisungen und es hat sich tatsächlich kaum verändert."
Ich musste schlucken. Ich hatte meine Rechte auf Bruchtal mit meiner Heirat abgetreten und wusste, dass niemand diese Aufgabe besser ausführen konnte als Glorfindel und Erestor, doch es stimmte mich traurig. War ich nicht auch Bruchtal verpflichtet? War es nicht meine Pflicht, für das Wohl seiner Einwohner zu sorgen? Ich wusste, dass die Antwort inzwischen Nein lautete- ich war nicht Bruchtal verpflichtet, sondern Gondor- dennoch hatte ich das Gefühl, der endgültige Schlussstrich war noch nicht gezogen.
"Glorfindel und Erestor bestellen Grüße und wünschen sich sehr, dass wir einmal alle zusammen nach Bruchtal reiten. Sie fühlen sich dir nach wie vor sehr verbunden, Arwen, und wollen, dass du das weißt."
Das hätten sie mir nicht ausrichten lassen müssen. Ich wusste es. So war es immer gewesen.
"Anschließend waren wir in Moria, das von vielen Zwergen der verschiedenen Sippen gereinigt und bevölkert wurde." Gimlis Augen glänzten vor Stolz. "Sie haben Legolas sehr positiv aufgenommen und bewunderten ihn sogar dafür, dass er mit den Gefährten durch Moria gezogen ist und es mit den zahlreichen Gefahren aufgenommen hat. Auch von ihnen wurden wir mit allen möglichen Geschenken überschüttet." Er reichte Aragorn eine Axt, Tauriel eine Miniatur des Drachen Smaug und mir eine silberne Brosche. Die Zwergen waren wirklich große Künstler.
"Ich hoffe, du hast ihnen an unserer Stelle tausend Mal gedankt!", rief Tauriel begeistert aus, während Aragorn prüfend und zufrieden seine Axt schwang. Sie war reich verziert mit eingekerbten Mustern und kleinen, durchsichtig schimmernden Kristallen.
"Das haben wir, das kannst du mir glauben", lachte Legolas. "Und sie haben uns noch etwas mitgegeben, etwas, das sie vom Erebor mitbrachten. Mein Vater gab bei den Zwergen einst Edelsteine in Auftrag, weiße Edelsteine, in denen das Sternenlicht enthalten ist. Sie wurden ihm nie gegeben und wurden im Erebor gelagert. Doch da sie wussten, dass wir sie besuchen würden und dass ich Thranduils Sohn bin, haben sie sie für mich mitgebracht. Ich werde sie bald mit einem Eilboten in den Grünwald schicken, aber ihr, Tauriel und Arwen, sollt auch einen bekommen. Es ist mit das Schönste, was ich in meinem Leben je gesehen habe."
Er hielt uns beiden einen etwa daumennagelgroßen, weiß schimmernden und funkelnden Stein hin. Thranduil hatte recht; sie hatten tatsächlich das Sternenlicht eingefangen. Es war atemberaubend.
"Vielen Dank, Legolas", hauchte ich andächtig. "Er ist wunderschön."
"Das ist er wirklich", meinte Tauriel, die die Hand fest um ihren Stein geschlossen hatte. "Es ist wie das Sternenlicht im Grünwald."
"Ich weiß. Deswegen wollte ich, dass du ihn bekommst. Er soll dich genau daran erinnern."
"Als letztes waren wir dann in Rohan bei Eomer und seiner Frau Lothiriel, die er vor drei Monaten geheiratet hatte. Eowyn und Faramir kamen aus Ithilien, um uns zu sehen und es war sehr schön in Meduseld. Eomer macht als König eine herausragende Figur und sein Volk liebt ihn für die Heldentaten, die er während des Ringkrieges vollbracht hat."
Aragorns Gesicht verdunkelte sich, und kurz wollte ich Gimli für seine unbedachten Worte verfluchen. Er wusste doch, dass Aragorn derzeit beim Volk Gondors nicht sehr hoch im Kurs stand und dass es darum sehr, sehr kontraproduktiv war, ihn auch nur im Entferntesten daran zu erinnern. Er kannte ihn doch, er war mit ihm monatelang durch Mittelerde gereist. Gimli sollte wissen, wie man mit Aragorn umgehen musste, wenn die Situation brenzlig war.
"Eowyn lässt euch alle sehr herzlich grüßen und möchte euch wissen lassen, dass sie euch alle sehr vermisst", sagte Legolas schnell, als er meinen Blick bemerkte. "Sie erwartet ein Kind."
"Das ist ja großartig!", stellte Tauriel mit einem unnatürlich breitem Lächeln und ich fragte mich, woher ihre mir unerklärliche Euphorie kam. Natürlich, es war etwas Wundervolles, aber sie und Eowyn waren mir nie als Freundinnen oder Vertraute vorgekommen. Auch Aragorn runzelte die Stirn und ich bemerkte einen raschen Blickaustausch zwischen den beiden, als würde er sie warnen, weiterzusprechen. Was ging da vor sich? Aber vielleicht griff sie auch nur Legolas' Aussage auf, um Aragorn von dem abzulenken, was Gimli gesagt hatte. Das war natürlich sehr lieb von ihr.
"Und aus Rohan sind wir dann wieder zurück nach Minas Tirith geritten", erklärte Legolas abschließend. "Auf schnellstem Wege."
"Ich sage es nochmal: Es ist wirklich schön, dass ihr wieder da seid. Ihr habt uns allen gefehlt und eure Abwesenheit hat den Palast zu einem ganz anderen Ort gemacht." Während Aragorn das sagte, lächelte er, doch ich realisierte die Doppeldeutigkeit seiner Worte. Eure Abwesenheit hat den Palast zu einem ganz anderen Ort gemacht. Er klagte sie dafür an, uns im Stich gelassen zu haben, uns allen mehr Arbeit aufzubürden. Mir wurde ganz kalt, als mir bewusst wurde, dass er sie auch dafür beschuldigen könnte, dass ich zusammengebrochen war. Ich hoffte und betete, dass er es nicht tat. Er hatte es so schwer, er sollte nicht auch noch seine Freunde verlieren.

Leider kam ich nicht um ein Gespräch über meinen Gesundheitszustand und die Fraglichkeit meiner Einsatzfähigkeit herum, obwohl ich insgeheim gehofft hatte, dass es in Vergessenheit geraten würde. Aber Aragorn und Tauriel zogen es gnadenlos durch; sie bestellten einen Heiler , Herion, sowie Legolas, Gimli und Arataniel in Aragorns Arbeitszimmer, stellten genaue Pläne meiner bisherigen Arbeitszeiten auf und beratschlagten gemeinsam darüber, was man verändern musste und konnte. Ich hatte kein Stimm- und Mitspracherecht und konnte laut Tauriel froh sein, dass ich überhaupt anwesend sein durfte. In der Realität fand ich es einfach nur lächerlich.
"Ich habe euch alle hierher gebeten, weil ich mit euch über meine Frau sprechen möchte", begann Aragorn und lächelte mir zu. Wütend starrte ich zurück, doch er lächelte nur noch breiter. Es war das schönste Lächeln, dass er mir seit langem zeigte, was mit Legolas' und Gimlis Rückkehr zusammenhängen musste. Vielleicht hatte ich es tatsächlich bewirken können, dass er nicht nur die negativen Seiten ihrer Reise betrachtete und vor allem seinen Blickwinkel erweiterte. Die beiden hatten auf ihrem Weg durch Mittelerde offensichtlich einen wahnsinnigen Spaß gehabt. "Vor allem geht es darum, wie viel sie als Königin zu leisten hat. Ihr alle wisst, dass sie viel für unser Königreich tut, sehr viel sogar- und ihr alle wisst, was vor acht Tagen passiert ist. Ich will nicht, dass es noch ein zweites Mal passieren wird und darum möchte ich eine Entlastung veranlassen, indem beispielsweise noch jemand für die Öffentlichkeitsarbeit eingestellt wird oder aber einige Bereiche unseres Wirkungsfeldes gestrichen werden."
"Ich bin jederzeit bereit dazu, ihre Pflichten zu übernehmen, und das weißt du. Mir ist wichtig, dass es ihr gut geht und wenn ich dafür mehr arbeiten muss, ist das in Ordnung", sagte Tauriel schnell.
"Genau darum geht es: Wir arbeiten alle zu viel. Und ich möchte es für jeden von uns reduzieren und nicht dir mehr aufbürden, damit Arwen mehr Zeit für sich hat." Aragorn wirkte sehr entschlossen. "Arataniel, wie viele Stunden arbeitet die Königin durchschnittlich am Tag und worin besteht diese Arbeit?"
Arataniel räusperte sich, verunsichert von all den wichtigen Persönlichkeiten, die sie umgaben. Schon im Umgang mit mir war sie sehr respektvoll, obwohl sie von meinen Dienerinnen die älteste und erfahrenste war, und vor mehr als einer Person zu sprechen machte sie nervös. "In der ersten Woche waren es etwa acht Stunden am Tag, Euer Majestät. Und es handelte sich vor allem um repräsentative Aufgaben wie Besuche von Krankenhäusern, Veteranenlagern und Waiseneinrichtungen, um die Leute schrittweise an die neue Regierung zu gewöhnen. Außerdem nahm sie an der Versammlung der Minister teil und speiste gemeinsam mit Euch mit einigen hochrangigen Persönlichkeiten, die Befürworter Denethors waren. Sobald Herr Legolas und Herr Gimli abreisten, hatte sie ein höheres Arbeitspensum zu bewältigen." Ich versteifte mich auf meinem Stuhl. Das konnte doch nicht wahr sein. Das durfte er nicht tun. Aragorn durfte seine Freunde nicht so vorführen, nur um sich an ihnen zu rächen, weil sie Spaß und Freiheit gehabt hatten und er nicht. Das war nicht gerecht. Es geschah aus dem falschen Grund. "Von da an arbeitete sie durchaus elf bis zwölf Stunden am Tag."
Ich hörte, wie Gimli nach Luft schnappte und einen entsetzten Blick mit Legolas tauschte. Dieser wirkte ebenso betroffen und ich bemerkte genau, wie er anfing, sich Vorwürfe zu machen. Wie er sich wünschte, nicht fortgegangen zu sein. Der Gedanke, dass er meinen Schwächeanfall hätte verhindern können. Das hätte er nicht, niemals.
Das Gespräch hatte gerade erst begonnen und ich fühlte mich so unwohl wie selten. Ich wollte Aragorn nicht in den Rücken fallen und wusste, dass er eigentlich nur das Beste für mich wollte, aber seine Herangehensweise gefiel mir nicht. Es war falsch, seine Freunde zu beschuldigen. Langsam erhob ich mich, ohne jemanden anzusehen, und verließ gemessenen Schrittes den Raum.

Hallo meine lieben Leser,
Ich wollte mich bei euch für eure Unterstützung und eure so lieben Kommentare im letzten Monat bedanken. Ich hätte nicht gedacht, dass diese Geschichte nach meiner langen Pause so gut ankommen würde und bin deswegen total glücklich.
Ich hoffe, dass es in den nächsten Wochen so weitergehen wird und freue mich darauf!
Alles, alles Liebe
Arwen999

PS: Wenn ihr Kritikpunkte bzw. Verbesserungsvorschläge habt, schreibt einen Kommentar oder eine private Nachricht an mich! Eure Meinung ist mir sehr wichtig und ich möchte sie jederzeit beim Schreiben berücksichtigen!

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