05 | Waiting for you

»You weren't ready to love, and I wasn't ready to be hurt.«

Adas schlanke Finger flogen über die Tastatur. Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum, während die Worte nur so aus ihr heraussprudelten. Im Hintergrund vernahm sie das Ticken der Küchenuhr. Die Minuten verstrichen und die Word-Seite füllte sich.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schob Ada ihren Stuhl zurück und stand auf. Mit einem Gähnen streckte sie sich, ein Wirbel an ihrem Rücken knackte. Als sie ihre Brille, die sie nur am Laptop oder beim Autofahren trug, abgelegt hatte, schlurfte sie ins Bad. Sie putzte ihre Zähne und wusch ihr Gesicht. Dabei fiel ihr nicht zum ersten Mal auf, wie furchtbar sie aussah. Die letzten Wochen hatten ihre Spuren hinterlassen.

Ihre Haut war noch blasser als sonst, ihre Lippen aufgerissen, weil sie ständig darauf herumkaute. Tiefe Schatten lagen unter ihren blauen Augen und ihre blonden Haare waren ein einziges verknotetes Durcheinander. Doch all das war nichts im Gegensatz dazu, was in ihrem Inneren vor sich ging.

Ada holte tief Luft und blinzelte die Tränen weg. Sie war schon immer eine sehr sensible Person gewesen, aber wie oft sie in der letzten Zeit geweint hatte, war sogar für sie rekordverdächtig. Ihr resigniertes Lächeln begegnete ihr im Spiegelbild, bevor sie das Bad verließ und in ihr Zimmer ging.

Nachdem sie sich aus ihren Klamotten geschält hatte, zog sie eine kurze Schlafhose, ein Top und ihre Kuschelsocken an und legte sich ins Bett. Auf ihrem Nachttisch stapelten sich unzählige Bücher, die noch darauf warteten, gelesen zu werden. Sie verzog den Mund und griff stattdessen nach ihrem Handy. Eigentlich gehörte es zu ihrer festen Abendroutine, vor dem Schlafen zu lesen. Aber heute hatte sie keinen Kopf dafür, sie wusste, dass sie sich nicht wirklich auf die Geschichten würde einlassen können. Ihre Gedanken waren zu unruhig.

Sie entsperrte ihr Handy. Eine Benachrichtigung von Brianna, in der sie sich wieder Mal über ihren Freund beschwerte, war dort zu sehen. Die beiden hatten wirklich eine komische Beziehung. Sie konnten weder mit, noch ohne einander. Ada hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie sich mittlerweile voneinander getrennt hatten und dann doch wieder zusammengekommen waren. Ada antwortete ihrer Freundin, versuchte sie in der Nachricht zu trösten, bevor sie die App schloss und zu Instagram wechselte.

Auf ihrem Display leuchtete ihr das neueste Bild des accounts „@realserendipity" entgegen. Es zeigte ein Foto vom letzten Konzert der Band. Im Vordergrund war Nylah zu sehen. Ihre schwarzen Haare fielen bis zu ihrer Hüfte. Sie trug einen schwarzen Rock und ein ebenso schwarzes Korsett. Ihre langen Beine steckten in Overknee-Stiefeln. Selbstsicher hatte sie einen Arm in die Höhe gestreckt, während die andere Hand am Mikro lag. Sie sah wie immer fantastisch aus.

Im Hintergrund war der Rest der Band zu sehen. Links von Nylah war Ewan, der an seinem Schlagzeug saß. Er trug ein Shirt, das seine vielen Tattoos entblößte. Ada hatte mitbekommen, dass es ihm zurzeit nicht gut ging. Aber selbst durch das Foto merkte sie, wie wohl er sich auf der Bühne fühlte.

Rechts von Nylah stand Nathan, er blickte in die Menge, auf seinen Lippen lag ein Grinsen. Seine grünen Augen wurden von der Dunkelheit verschluckt, seine schwarzen Haare hingen ihm schweißnass in der Stirn. Sein Shirt klebte an seinem Körper, wodurch sich seine Muskeln abzeichneten. Ada wunderte sich nicht, dass es bereits so viele Fanaccounts von dem Bassisten gab.

Doch der tatsächliche Grund, warum Ada das Foto so lange anstarrte, war die Person neben Nathan. Reece überragte seine Bandkollegen um einiges. Er war der einzige, der nicht in die Menge blickte. Seine braunen Augen waren auf seine Gitarre gerichtet, seine Arme spannten sich unter dem Gewicht des Instruments an und bewiesen, dass er sich beim Boxen regelmäßig austobte. Die blonden Haare waren auf eine verwegene Art und Weise unordentlich, so, dass es gewollt wirkte. Die Kieferpartie wirkte angespannt.

Ada biss sich die Lippe. Sie wusste, dass Bilder von Reece anzustarren, ihr nicht dabei helfen würden, über ihn hinweg zu kommen. Dabei hatte alles so schön angefangen.

Zum hundertsten Mal dachte sie an die Gespräche mit dem Gitarrist. Auf dem Balkon, in der Bar, im Club oder auch hier in ihrem Zimmer. Sie hatten sich immer gut verstanden. Und Ada war sich sicher, dass er die Anziehung auch bemerkt hatte. Anders konnte sie sich den Kuss im Auto nicht erklären.

Noch nie war sie so geküsst worden. So sanft und leidenschaftlich zugleich, so verzweifelt und hoffnungsvoll. So ehrlich. Sie berührte ihre Lippen mit dem Finger, beinahe konnte sie seinen Mund auf ihrem spüren.

Wie hatte die Situation so schiefgehen können? Was hatte sie getan, sodass er den Kuss plötzlich als Fehler angesehen hatte? Die Ungewissheit machte sie kaputt.

Sie erinnerte sich noch zu genau daran, wie sie vor dem Auto gestanden hatte, im strömenden Regen und ihn quasi angefleht hatte, ihr eine Erklärung zu liefern. Ada hatte genug Romane gelesen, in denen Sachen durch Missverständnisse schief gehen und sie hatte ihm eine Chance geben wollen, das richtig zu stellen. Und in ihr war etwas zerbrochen, als er es nicht getan hatte.

Hatte sie sich so in ihm getäuscht? War ihm das zwischen ihnen plötzlich doch zu ernst geworden? War irgendetwas an ihr falsch, dass er die ganze Zeit versucht hatte, zu ignorieren und es letztendlich doch nicht geschafft hatte?

Sie fuhr sich durch die Haare. Seit Tagen kreisten ihre Gedanken um dieses Thema. Sie wollte unbedingt Klarheit. Aber sie hatte Angst vor der Antwort. Sie wollte nicht nochmal abgewiesen werden. Am liebsten wollte sie sich in ihrem Bett verkriechen. Das einzig gute an diesem Dilemma war, dass Liebeskummer eine grandiose Inspirationsquelle abgab.

Ada seufzte und legte ihr Handy auf ihrem Nachttisch ab. Sie schloss die Augen und wünschte sich in einen traumlosen Schlaf. Die Realität war jedoch, dass sie sich für eine halbe Stunde unruhig in ihrem Bett rumwarf, bevor sie es schließlich aufgab.

Das einzige Geräusch war das Ticken ihrer Uhr. Sie starrte an die Decke und biss sich auf die Lippe. Ihr ganzes Sein fühlte sich unruhig an. Und sie befürchtete, dass das für immer so bleiben würde, wenn sie keine Antworten bekommen würde.

Ada fasste sich ein Herz und griff erneut nach ihrem Handy. Sie musste einfach wissen, wieso Reece sich an diesem Abend umentschieden hatte. Und falls sie dabei herausfand, dass er ein Arschloch war, dass ihr nur etwas vorgespielt hatte, würde es ihr vielleicht zumindest leichter fallen, damit abzuschließen.

Egal, wie das ausgehen würde. Sie musste etwas tun, sie konnte nicht einfach nur weiter herumsitzen.

Und in diesem Augenblick passierte etwas, dass ihren Atem stocken ließ: Sie bekam eine Nachricht von Reece. Seit zwei Wochen hatte sie auf ein Lebenszeichen gewartet und genau in der Sekunde, in der sie sich dafür entschied, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, dachte er anscheinend auch an sie? Konnte das noch Zufall sein?

Ada spürte, wie sich ihr Herzschlag verschnellerte. Eigentlich hätte sie wohl wütend auf Reece sein wollen, aber außer dem vertrauten Kribbeln fühlte sie nichts. Keine negativen Gefühle. Ganz im Gegenteil.

„Bist du noch wach?"

Die Buchstaben auf ihrem Display leuchteten ihr entgegen. Ada schluckte, ihre Finger zitterten leicht, als sie ihm antwortete.

„Ja. Ich würde gerne mit dir sprechen."

Seine Antwort ließ nicht auf sich warten.

„Das trifft sich gut, ich stehe nämlich gerade vor deinem Haus und würde gerne dasselbe tun."

Ada riss die Augen auf, ihr Puls stieg auf das zehnfache. Sie sprang aus dem Bett auf, hechtete zum Fenster und riss dieses auf. Und tatsächlich: dort stand er.

Reece braunen Augen starrten zu ihr hoch, ihre Blicke verhakten sich ineinander. Sie schluckte, Sehnsucht durchflutete ihren Körper.

Ada umklammerte den Griff des Fensters. Ihre Beine fühlten sich wie Wackelpudding an. So lange hatte sie sich vorgestellt, wie es wäre, ihn wieder zu sehen. Und es fühlte sich surreal an, dass dieser Moment nun gekommen war.

„Hey", sagte er leise, hinter ihm die Lichter und Autos New Yorks. Er fuhr sich durch die dunkelblonden Haare und lächelte unsicher. „Machst du mir auf?"

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