Rosé und der Abgrund
Stumm betete sie für einen Abgrund, einen riesigen Schlund, der sich unter ihr öffnen und sie augenblicklich verschlucken würde. Denn das, was sie gleich erwartete, war wesentlich grauenvoller.
Rosé saß noch immer in ihrem Kia, die Hände so fest ums Lenkrad geklammert, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. An Flucht war längst nicht mehr zu denken. Kaum, dass sie auf dem Gelände des Stützpunktes zum Stehen gekommen war, hatten sich die gewaltigen Rolltore der vier Baracken vor ihr geöffnet und ihr bot sich nun ein Anblick, bei dem sie sich am liebsten unter ihrem Sitz verkrochen hätte.
In Scharen strömten bucklige, haifischartige Kreaturen auf krummen Beinen aus den geöffneten Toren nach draußen und umzingelten in Windeseile ihr kleines Gefährt, als gäbe es hier etwas umsonst.
Jetzt ist die Gelegenheit auszusteigen und die Kartoffeln zu verteilen. Rosé sah sich unschlüssig nach hinten um, wie als könnte sie durch die Rückbank hindurch direkt zu den drei Stiegen im Kofferraum sehen. Doch die Kartoffeln würden niemals für alle reichen und allein schon der Gedanke, die Sicherheit ihres Autos zu verlassen, verursachte ihr Angstbeulen. Sie schaltete stattdessen das Licht ein. Verraten konnte es sie nicht mehr und sie zog es trotz aller Abscheulichkeit vor, zu sehen, was die Kreaturen da vor ihrer Motorhaube trieben.
Zitternd wie ein Kaninchen in der Falle, richtete sie ihren Blick durch die Windschutzscheibe nach draußen. Die Aliens kamen immer näher, wie ausgehungert rissen sie ihre schiefen Mäuler auf, ihre dürren, spitzen Zähne blitzten im Licht der Scheinwerferkegel. Die wollen keine Kartoffeln, die wollen Frischfleisch. Scheiße!!!
Die Panik drohte Rosé zu überwältigen. Schnell drückte sie den Knopf für die Zentralverriegelung und zwang sich, ihren Blick von den scheußlich verzerrten Fratzen der Aliens und ihren stacheldrahtartigen Mäulern zu nehmen und sah stur über deren Köpfe hinweg. Ein rotes Licht blendete sie. Es kam aus der größten der Baracken, die die Ausmaße einer Halle hatte.
Die grelle, künstliche Färbung des Lichtes weckte Erinnerungen in ihr, bei denen sich etwas in ihrer Brust vor Sehnsucht zusammenzog.
Volle Konzerthallen illuminiert in Knallpink. Sie seufzte in die bedrückende Stille ihres kleinen Kias. Und wünschte, dass es genügen würde, sich in den Arm zu zwicken, um aus diesem Albtraum zu erwachen und wieder bei ihren Mädels zu sein. Ihre Hände schmerzten vom festen Griff um das Lenkrad, doch auch dieser Schmerz änderte nichts: Aus diesem Albtraum gab es kein Erwachen.
Aber das Licht da vor ihr war nicht pink, es war rot und es war keine Konzerthalle, vor der sie stand, sondern ein alter Hangar. Statt von kreischenden Fans war sie umringt von einem Haufen blutrünstiger Teufel.
Noch während sie die Sehnsucht nach ihrem alten Leben beiseiteschob, kam in die Alienmasse vor ihr Bewegung. Die Aliens vor der Halle, aus der das rote Licht kam, schienen besonders aufgeregt, sie stießen sich die verbeulten Ellenbogen in die aufgeblähten Bäuche und drängelten einander panisch zur Seite.
Rosé schaute gebannt zu, wie sich der Strom der Aliens teilte und sie eine Schneise bildeten, ähnlich einer Rettungsgasse auf der Autobahn.
Sie machen für etwas Platz, schoss es Rosé durch den Kopf, oder für jemanden. Aber gewiss nicht zu meiner Rettung.
Gebannt starrte sie weiter auf das rote Licht, das nun in die Gasse fiel und die grauen Betonplatten beschien, wie ein roter Teppich. Ihr war, als blicke sie ihrem Untergang direkt entgegen. Der Abgrund hatte sich nicht unter ihr geöffnet, sondern vor ihr und er war nicht schwarz sondern rot.
Gleich wird jemand kommen, um mich zu holen, um mich zu töten. Aber bestimmt nicht, um Kartoffeln zu kaufen. Ihr Galgenhumor war ihre Rettung. Ihre Finger klammerten sich ans Lenkrad und ihr Gehirn an die Kartoffeln. Sonst wäre sie wohl schon durchgedreht. Dennoch war es aussichtslos. Sie schrie laut auf in der Stille ihres Wagens. Ein paar Aliens vor ihr drehten die Köpfe. Sie hatten ihren Schrei wohl gehört.
Rosés Kopf sackte nach unten, in ihrer Verzweiflung spürte sie den Drang, ihn gegen das Lenkrad zu schlagen und war versucht, diesem Impuls nachzugeben, da bemerkte sie am Rande ihres Blickfeldes einen Schatten, der das rote Licht für einen winzigen Moment verdunkelte. Sie hob den Kopf und sah, wie eine große Gestalt aus der Halle schritt, mitten durch das rote Licht.
Die Aliens wichen noch weiter zurück und senkten eilig die Köpfe.
Das muss ihr Anführer sein. Der Chef dieser Base. Der Gedanke verursachte Rosé Übelkeit. Wie er wohl aussah? Wenn schon die anderen alle so hässlich waren? Hatte er die spitzesten Zähne, die krummesten Beine oder den größten Bauch von allen?
Die Gestalt überragte die Anderen um einen guten halben Meter und war locker einen Alienkopf größer als Rosé. Sie hatte breite Schultern, ihr Gang war aufrecht und die Beine lang und kerzengerade. Ihr Körper wirkte kräftig, aber schlank. Rosé kniff die Augen zusammen, um genauer hinschauen zu können, konnte aber beim besten Willen keinen Buckel oder andere Entstellungen entdecken.
Der dunkle Schatten vor dem roten Licht wirkte sogar ungemein attraktiv.
Ein Schaudern erfasste sie, als sie bemerkte, was sie gerade gedacht hatte.
Sollte das ein Engel sein?
Sie biss sich auf die Lippe und hielt die Luft an, wappnete sich für den Moment, in dem die Gestalt in den Lichtkegel ihres Kias treten würde.
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