Lisa und die Schlange

Das Röcheln und Grunzen war gewöhnungsbedürftig, furchteinflößend und niedlich zu gleich. Es tönte wie eine Melodie in Lisas Ohren, von der sie einfach nicht genug bekam.
Immer wieder sah sie rüber auf den Beifahrersitz, auf dem das Alienbaby in ihrer Jacke zusammengekuschelt schlief.

Um sicher zu gehen, dass sie nicht träumte, reckte Lisa von Zeit zu Zeit die Hand aus, um das kleine Wesen sacht zu berühren. Ihr großer Armeerucksack stand vor dem Sitz im Fußraum, damit das Baby in den Serpentinen nicht hinunterkullerte.

Längst war die Nacht über die Berggipfel eingefallen; füllte die Täler und das Dickicht der Wälder. Lisa hatte Schwierigkeiten, den Verlauf der schmalen Bergstraßen in der Dunkelheit auszumachen. Immer wieder musste sie scharf bremsen oder gegenlenken, um nicht plötzlich eine steile Klippe hinunter zu rauschen.

Ohne Licht zu fahren war möglicherweise halsbrecherisch, aber mit wäre es in jedem Fall selbstmörderisch.

Mit einem Blick auf die Uhr überschlug sie die zurückgelegten Kilometer seit dem Abschuss; knapp dreißig.

Zu wenig. Sollten die Aliens den Absturz bemerkt haben, und darauf wettete sie, würden die Schleimbatzen die ganze Gegend filzen, um den Täter zu finden. Ihr drohte die Höchststrafe.

Auf keinen Fall durften sie den Toyota entdecken. Die dichten Bergwälder boten zwar einen gewissen Schutz, doch die Nächte waren schon zu kalt, um sie draußen zu verbringen, mit dem Baby erst recht. Sie mussten im Auto schlafen. Aber dafür brauchten sie einen sicheren Platz. Einen außerhalb des Suchradius.

Lisa gähnte. Ihre Beine waren schwer und sie kam sich vor wie ein von einer Anakonda gejagtes Faultier auf Schlafplatzsuche. Zum Glück ging es bergab und sie ließ den Toyota rollen, trat nur dann und wann auf die Bremse, wenn es nicht anders ging.

„Rrröchffsch"

Ein besonders tiefer Grunzer ertönte neben ihr. „Keine Sorge, kleiner Dwaeji*, wir finden einen sicheren Platz für die Nacht." Lisa kicherte über den Namen, für den sie sich spontan entschieden hatte und bemerkte, wie beruhigend es war, jemand trösten zu können, während sie selbst an der Klippe zur Panik stand.

Zunächst hatte ihr die Einsamkeit wenig ausgemacht. Sie war aufgebrochen, um ihre Mädels zu finden und hatte nur dieses Ziel vor Augen gesehen. Doch nach drei Wochen und etlichen Kilometern schlug die Einsamkeit zu. So erbarmungslos, dass Lisa sich fragte, ob sie nicht verrückt war. Ebenso gut hätte sie sich vornehmen können, an der Pazifikküste drei bestimmte Muscheln zu finden. Doch während sie suchte, rissen Wellen an ihr und spülten sie weiter vom Strand weg; hinaus aufs offene Meer in den sicheren Tod.

Nun, Muscheln hatte sie wirklich nicht gefunden. Dafür einen Minihai.

Lisa quälten Hunger und schrecklicher Durst. Sie schluckte verkrampft und zog die Nase kraus. Es roch merkwürdig; nach in Rapsöl gebratenem Fisch. Bestimmt hatte sie vorhin was von dem Kraftstoff auf ihre Schuhe verkleckert und das Fischige musste von Dwaeji kommen.

Sie öffnete das Fenster ein kleines Stück. Der Nachtwind strömte durch den Spalt herein und zog an ihren Haaren. Sie streckte die Hand aus, um zu überprüfen, ob es für das Baby zu frisch wurde.

Da hörte sie über den Wind hinweg ein Geräusch und sie stoppte mitten in der Bewegung.

Ein Rauschen; weniger dröhnend als das des Fahrtwindes; dafür wilder und verspielter. Es klang hell, auch in einer Nacht wie dieser. Ein weißes Rauschen, wie Wellen, die über Steine rollten.

Wasser.

Hinter der nächsten Kurve brauste es laut. Der Gebirgsbach musste ganz nah sein. Lisa streckte den Rücken und spähte nach draußen.

Die Dunkelheit war undurchdringlich. Rechts meinte sie die Leitplanke zu erkennen, doch schon dahinter hüllten die tiefhängenden Äste der Nadelbäume alles in vollendete Schwärze.

Schlucken fiel schwer. Ihre Zunge klebte mit einem winzigen Spuckerest am Gaumen fest. Der Rest ihrer Mundhöhle war ausgetrocknet. Das Gurgeln und Rauschen des Wassers steigerte Lisas Durst ins Unermessliche. Ihr Magen zog sich zusammen, wie eine verschrumpelte Rosine.

Doch das Brausen neben dem Fenster wurde immer lauter. Lisa stellte sich vor, wie es wäre, die Lippen mit dem klaren Wasser zu benetzen, sich das verschwitze Gesicht und die verdreckten Hände zu waschen, die Füße zu kühlen und natürlich: zu trinken bis sie genug hätte.

Ihre Wasserflaschen waren seit dem Mittag leer, Benzin zu besorgen war wichtiger gewesen.

Dwaeji schlief. Am Himmel war es ruhig. Noch.

Hinter der nächsten Kurve hatte die Leitplanke eine Ausbuchtung. Lisa konnte ihr Glück kaum fassen und lenkte das Auto hinein. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, hüpfte sie aus dem Wagen, trat an die Schutzplanke und blickte ins Tal.

Pah, von wegen nah. Die Stille der Nacht hatte ihr einen Bären aufgebunden.

Tief unter ihr, zog sich der Gebirgsbach wie eine silbern glitzernde Schlange durch den Wald.

Der Hang war zu steil. Die Dunkelheit zu undurchdringlich und die Zeit zu knapp.

Sie käme niemals da hinunter, ohne sich den Nacken zu brechen.

Kraftlos lehnte sie an der Leitplanke. Ein paar Sekunden lang kämpfte sie dagegen an, zusammenzubrechen. Doch dann hörte sie über das Tosen des Wassers ein Motorengeräusch.

Panik rauschte in ihren Blutbahnen lauter als das Wasser im Tal und sie rannte zurück zur Fahrertür, doch schon im nächsten Moment erfasste sie ein heftiger Aufprall.


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*Dwaeji=Schwein; hier: Schweinchen

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