Lisa und das Jagdgewehr

Der Motor des Toyota Pick-ups stotterte, als Lisa ihn die Serpentinen der schmalen Bergstraße hochtrieb.

„Halt durch, nur noch ein bisschen", flüsterte sie und streichelte übers Lenkrad, während sie immer wieder ihre Augen von der schmalen, kurvigen Straße nahm, um den wolkenlosen Himmel nach Flugkörpern abzusuchen.

Ihr letzter Treffer hatte sich als Fehlschlag entpuppt. Die Flugkapsel war beim Absturz explodiert und damit hatte sie eine Patrone sinnlos vergeudet. Sie hatte zwar mindestens ein Alien gekillt, ihr Ziel aber trotzdem nicht erreicht.

Der nächste Schuss musste sitzen und sie brauchte mehr Glück als beim vorherigen Mal. Denn sie benötigte dringend neuen Treibstoff, sonst würde sie ihre Reise künftig zu Fuß fortsetzen müssen und dann wären ihre Haare grau bis sie ihre Mädels endlich wieder in die Arme schließen könnte.

Die Blaser R8 lag neben ihr auf dem Beifahrersitz, auf einer aufgeblätterten Straßenkarte der Region um Cheongju. Vor einem dreiviertel Jahr hatte sie Seoul verlassen und sich auf die Suche gemacht, nachdem sie dort beinah jeden Trümmer umgedreht und dennoch nicht den kleinsten Hinweis auf den Verbleib ihrer Freundinnen gefunden hatte. Die Jagdwaffe hatte ihr dankenswerterweise ihr ehemaliger Manager überlassen. Mitkommen wollte er jedoch nicht. Er hielt es in der Stadt für sicherer, war dort doch wenigstens die Versorgung der Städter mit Lebensmitteln einigermaßen geregelt. Wie als Antwort auf ihre Gedanken begann ihr Magen zu grummeln. Mit dem Jagdgewehr könnte sie ebenso gut versuchen, Hasen oder Rehe zu schießen. Aber bislang hatte sie das immer vermieden. Sie brauchte jede Patrone und es waren nur noch zwölf übrig.

Sie fuhr um eine steile Kurve und das Gewehr rutschte gefährlich nah an den Rand des Sitzes. Schnell griff sie danach um es festzuhalten, damit es nicht hinunterfiel. Sie hatte immer das Gefühl, besonders sorgsam damit umgehen zu müssen. Fast glaubte sie, ihr Manager könnte sie beobachten oder es auf die 600 km Entfernung spüren, wenn seinem Besitz etwas zustieße. Mit dem Gewehr hatte er früher an seinen wenigen freien Tagen hobbymäßig Jagd auf Hirsche und anderes Großwild gemacht und damit geprahlt,  sogar Elche und Braunbären erlegen zu können. Wenngleich es in Korea überhaupt keine Elche gab. Aber Lisa wusste nun, dass die R8 sogar Flugkapseln vom Himmel holen konnte. Eine bessere Jagdtrophäe gab es nicht.

Sie hatte seine Faszination fürs Töten nie verstanden, jetzt aber war sie froh um seine Jagdlust und wahnsinnig dankbar, dass er ihr für die Suche nach ihren Mädels sein Heiligtum überlassen hatte. Es hatte ihr buchstäblich den Arsch gerettet. Als junge Frau allein unterwegs zu sein, in einer Welt, die gerade buchstäblich in ihre Einzelteile zerfiel, war wahrhaft kein Zuckerschlecken. Das war auch einer der Gründe, dass sie das Gewehr nur wohlüberlegt einsetzte. Bald wären die Patronen alle, und dann könnte sie es allenfalls noch als Spazierstock verwenden. Sie hoffte, dass sie ihre Mädels bis dahin gefunden hatte. Das war ihr Ziel. Ihre neue Aufgabe, die sie sich zum Lebensinhalt gemacht hatte. Denn seit der Gründung von Blackpink waren Jisoo, Rosé und Jennie ihr so ans Herz gewachsen, dass es für Lisa unvorstellbar war, in einer Welt ohne sie zu leben.

Endlich erreichte sie die Bergkuppe. Sie stieß erleichtert die Luft aus und klatschte dem Toyota (ebenfalls das Auto ihres Managers) Beifall für diese Leistung mit dem letzten Rest Benzin im Tank. Hinter der Kuppe lag ein kleiner Parkplatz und Lisa beschloss, dort zu halten und sich auf die Lauer zu legen. Ganz hinten, versteckt unter großen Eichen parkte sie den Toyota, nahm die geladene R8 vom Sitz und ihren gewaltigen Rucksack von der Rückbank und stieg aus. Sie folgte einem schmalen Weg bis zu einem ehemaligen Aussichtspunkt. Jetzt folgte der Teil, den sie am meisten hasste: warten.

Ihr Blick wanderte über die bewaldeten Hügel ringsum. Die Blätter des Herbstwaldes raschelten und ihr Bauch gluckerte, als verdaue er mittlerweile schon sich selbst. Seit vier Tagen hatte sie nichts mehr gegessen. Um Jahre entferntes Mädchenlachen drang an ihr Ohr und sie merkte, dass sie dringend was zu beißen brauchte. Sie erinnerte sich so lebhaft an einen Ausflug mit ihren Mädels in einen Kletterpark, als wäre es gestern gewesen. Das Wetter war so warm gewesen wie heute. Sie hatten Turnschuhe getragen, kurze Shorts und Tops und waren mit Gurten und Helmen behangen gewesen. Lisa hatte es genossen, mit einer Seilrutsche durch die Baumwipfel zu düsen. Wild, frei und unbefangen. Sie dachte an Rosés Zwinkern und daran, wie sie mit einem: „Macht euch keine Sorgen, runter kommt jeder", allen Mut gemacht hatte. An Jennie, die sich als Erste auf die Seilrutsche gewagt und dabei einen Mordsspaß hatte, während Jisoo bis zuletzt gebibbert und dann doch ganz heldenhaft ihre Höhenangst überwunden hatte. Ihr Magen zog sich schmerzlich zusammen.

Ihre Beine zitterten und sie merkte, wie schwach sie bereits war. Ihr Manager hatte versucht, sie abzuhalten, wollte sie überreden, bei ihm zu bleiben und zu einem späteren Zeitpunkt - wenn es ruhiger sein würde - nach den Mädchen zu suchen.

Lisa bezweifelte, dass es für die Menschen jemals wieder ruhiger werden würde. Sie traute den Aliens nicht über den Weg und es machte sie wahnsinnig, dass sie fortan über ihr Schicksal bestimmen sollten. Ihr wurde schwindelig. Der Hunger plagte sie genauso sehr wie tiefe Verzweiflung, Angst und Schuldgefühle.

Seit neun Monaten reiste sie nun durch das Land, immer auf der Hut vor den Aliens und immer auf der Suche nach ihren Girls.

Doch ihre Reise würde bald ihr Ende finden.

Sie spürte es.


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So, jetzt geht es mit Lisa los :)

Kann sein, dass ich nochmal die Reihenfolge der Kapitel ändere, da ich sonst vielleicht nicht mit allen Handlungssträngen hinkommen werde. Ich hoffe, dass ist kein Problem für euch und ich werde mich bemühen, sowas in Zukunft zu vermeiden ;) Mal sehen. Vielleicht geht es auch so. ^^°

Liebe Grüße

Eure AnnMarie

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